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Titel
Heuschrecken, Erdbeben und Kometen. Naturkatastrophen und Naturwissenschaft in der englischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts


Autor(en)
Georgi, Matthias
Erschienen
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
€ 17,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Hünniger, Lichtenberg-Kolleg, Georg-August-Universität Göttingen

Matthias Georgis am Graduiertenkolleg „Transnationale Medienereignisse“ in Gießen entstandene Dissertation beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von Naturkatastrophen in der englischen Presse um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Großteil dieser Katastrophen ereignete sich allerdings lediglich in der Vorstellung der Zeitgenossen und so untersucht Georgi diese Ereignisse als "Phänomene der Medien und der Öffentlichkeit" (S. 14). Anhand dreier ausgewählter Beispiele – Erdbeben in London und Lissabon, Kometenerscheinungen und Heuschrecken – untersucht Georgi die Mechanismen der Darstellung und die Bedeutung naturwissenschaftlicher Erklärungen und Modelle im Katastrophendiskurs. Zusätzlich analysiert er die „Regeln der öffentlichen Wissenschaft“ (S. 17).

Georgis Arbeit gliedert sich in zwei Teile, in beiden werden die gleichen Ereignisse analysiert und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Teil A ist eine medien- und ideengeschichtliche Untersuchung und Teil B versteht sich als Diskursanalyse. Georgi beginnt mit einer Schilderung der Berichterstattung über mehrere kleinere Erdbeben, die im Jahr 1750 in London stattgefunden haben (sollen). Georgi beschreibt nachvollziehbar, wie diese Ereignisse zu „Medienereignissen“ wurden und welche Interpretationen medial verhandelt wurden. Begrüßenswert sind seine Einbeziehung von Predigten und die Analyse der Zeitungsartikel auch in Hinsicht auf theologische Erklärungen. Die sich formierende neue Naturwissenschaft wird so ein weiteres Mal kontextualisiert und die verschiedenen Stränge ihrer Entwicklung anschaulich dargelegt. Die aktuellen historiographischen Debatten um das Verhältnis von Religion und Wissenschaft im 18. Jahrhundert legt Georgi ausführlich dar und betont das komplizierte Wechselspiel beider Sphären.

Die Einleitung besticht durch die klare Darlegung des Kontexts, der Fragestellung und des Aufbaus der Studie. Der Forschungsüberblick ist konzise, lässt aber durch seine Konzentration auf den mediengeschichtlichen Schwerpunkt der Arbeit einiges aus den Bereichen Umwelt- und Katastrophengeschichte vermissen.

Georgi beginnt zunächst mit der Untersuchung der medialen Verwertung von Erdbeben in London im Jahr 1750. Hier vollzieht er die öffentliche Debatte minutiös nach und legt dar, wie die verschiedenen Publikationen argumentierten und welcher naturwissenschaftlicher bzw. theologischer Erklärungen sich diese bedienten. Interessant ist die Kontrastierung der eher beruhigenden Darstellung des Ereignisses in der Presse und zeitgleichen Berichten über Panik und Flucht unter den Londonern.

Die verschiedenen Theorien, die in der englischen Publizistik über Erdbeben kursierten, sind Gegenstand des folgenden Kapitels. Georgi vermag vor allem drei sich teilweise widersprechende Theorien auszumachen: Einerseits die Interpretation von Erdbeben als unterirdische Explosionen und andererseits als Luftbeben, die mit Gewittern verglichen wurden und schließlich das Wirken von Elektrizität als Erklärungsmuster.

Das dritte Kapitel widmet sich theologischen Erklärungen, die sowohl in Konkurrenz als auch in Kongruenz zu naturwissenschaftlichen Deutungen zu finden sind. Hier fördert Georgi Ergebnisse zu Tage, die größtenteils die neueren Forschungen zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie im 18. Jahrhundert bestätigen. Beide ergänzten sich und standen nicht zwangsläufig in Konkurrenz zu einander. Dennoch nutzten sowohl Theologen als auch Naturwissenschaftler „Theorien“ der anderen Sphäre, um ihre jeweiligen Argumente zu stärken. Gleichzeitig war die gegenseitige Bezugnahme von einer Reihe von Diffamierungen gekennzeichnet. Ein erstes Resümee schließt diesen ersten Teil der Arbeit ab.

Im zweiten Teil widmet sich Georgi nun den „Mechanismen der öffentlichen Wissenschaft“ genauer. Mit Hilfe der Forschungen insbesondere von Simon Schaffer und Steven Shapin untersucht Georgi die Beglaubigungsstrategien und die Konstruktion des Wissenschaftlers als glaubwürdiger Gentleman. Dieser Prozess war freilich nur in Abgrenzung von Anderen diskursiv erzeugbar. Georgi kann zeigen, dass besonders der Rekurs auf die vermeintliche Unfähigkeit von Laien und Frauen, wissenschaftlich korrekt zu beobachten, dazu diente, die eigenen Fähigkeiten aufzuwerten. Es galt sich von Laien und Frauen zu unterscheiden, denn diesen wurden Angst und Panik im Angesicht der Katastrophe zugeschrieben, während der Gentleman Ruhe und Rationalität bewahrte und so seinen Beobachtungen erst die nötige Glaubwürdigkeit zuschreiben konnte. Gleichzeitig war es notwendig die Beobachtungen von Laien wiederzugeben, wenn es sonst keine Augenzeugen gegeben hatte, denn Augenzeugenschaft galt ebenso als notwendige Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.

Begrüßenswert ist Georgis Untersuchung der Rolle von Emotionen in diesen Diskursen. Er konzentriert sich vor allem auf die Phänomene „Rationalität“, „Neugier“ und „Angstfreiheit“, die alle eine wichtige Rolle im Beglaubigungsprozess spielten.

Eine ausführliche Zusammenfassung rundet das gut lesbare Buch ab. Es gelingt Georgi, die Ergebnisse neuerer Untersuchungen zur Etablierung der Naturwissenschaften in der Öffentlichkeit einerseits und der Wahrnehmung von Katastrophen anderseits zu bestätigen. Dies wird in einem erfreulich angenehm zu lesenden Text mit aufgelockerten Erzählpassagen präsentiert. Die Verknüpfung von imaginierten und tatsächlich erlebten Ereignissen fördert viele aufschlussreiche Erkenntnisse zu Tage. Mit der Konzentration auf einen kurzen Zeitraum (ca. 1745-1759) und ein überschaubares Quellenkorpus, gelingt es Georgi die Feinheiten der Debatten herauszuarbeiten. Problematisch hierbei ist mitunter, dass die Interpretation oft sehr spät eingeführt wird. Zusätzlich gelingt es Georgi nicht immer, die Konventionen der Genres seiner Quellen zu durchschauen und entsprechend zu bewerten. Kritisch anzumerken ist auch, dass zuweilen eine methodische und theoretische Unschärfe festzustellen ist. So werden einige Begrifflichkeiten nicht immer trennscharf verwendet. Georgi verzichtet bewusst darauf, „Religion“ und „Theologie“ zu unterscheiden. Dies hat aber nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Reichweite seiner Argumente. So werden zum Beispiel Konzepte wie „Atheismus“, „Schwärmer“ und „Free-Thinker“ austauschbar gebraucht und somit wenig erhellt. Ähnliches ist für die Begriffe „Naturwissenschaft“ und „Naturkatastrophe“ festzustellen. Schließlich ist die Annahme einer mündlichen Öffentlichkeit zwar grundsätzlich richtig, dass diese nun völlig anders gelagerte Inhalte und Diskurse beinhaltet haben soll, ist schwer nachvollziehbar – geschweige denn zu beweisen. Dieser Einschränkungen zum Trotz, kann Georgis Studie als Einstieg in die Thematik durchaus empfohlen werden.

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