Bei dem vorliegenden Buch von Katharina Thielen handelt es sich um eine im Sommersemester 2022 an der Universität des Saarlandes erfolgreich abgeschlossene geschichtswissenschaftliche Dissertation, die zum Druck geringfügig überarbeitet wurde. Sie wurde betreut und begutachtet von der dort lehrenden Professorin Gabriele B. Clemens und war Teil des von dieser mitinitiierten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Politische Partizipation in der Provinz – Notabeln im liberalen Frankreich und konservativen Preußen“. Da die Rheinprovinz unter napoleonischer Herrschaft vom französischen (liberalen) und unter der Hohenzollernmonarchie vom preußischen (konservativen) Staats- und Gesellschaftsmodell geprägt wurde, passte sie in das bewilligte Forschungskonzept. Einen günstigen Umstand für die Durchführung des Teilprojekts einschließlich der Drucklegung der Ergebnisse stellte das Interesse des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) mit seinem Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte an der Erforschung des eigenen Verwaltungsraumes dar. Als Band 10 der Reihe „Stadt und Gesellschaft“ firmiert das Werk von Katharina Thielen unter den „Studien zur Rheinischen Landesgeschichte“. Helmut Rönz, der kommissarische Leiter des Instituts, stellt in einem Geleitwort (S. 10) den Buchinhalt knapp vor. Das zentrale Thema ist die Tätigkeit lokaler Verwaltungsbeamter, namentlich der Stadträte, in der Zeit der frühen rheinischen Provinziallandtage (vor der Revolution von 1848/49) und deren Funktion als Mittler zwischen den Einwohnern der Rheinprovinz und der Berliner Regierung. In einer „Verflechtungsgeschichte“ sollen die Relationen zwischen Stadt, Staat und Gesellschaft umrissen werden.
Anders als der Reihentitel erwarten lässt, beschränkt sich die Auswahl der untersuchten Städte auf eine geringe Anzahl, auf insgesamt fünf, und zwar auf Aachen, Düsseldorf, Koblenz, Köln und Trier. Allerdings handelt es sich bei ihnen um die wichtigsten Städte der Provinz, in denen sich die Sitze der fünf Bezirksregierungen befanden. Dadurch, dass das Wirken der Stadträte im Vordergrund der Untersuchung steht, bleiben einerseits wichtige Gruppen von „Männern der Verwaltung“ außen vor: die Regierungsräte der Bezirke, die Landräte der Kreise und schließlich die Samtbürgermeister der Landgemeinden. Andererseits tritt dafür die Bedeutung der Stadträte für die Provinz umso deutlicher hervor. Sie wirkten zwischen 1813 und 1846/47 in sechs Amtszeiten und beeinflussten sich ohne feste Instruktionen und Institutionen und ohne eine Gesamtstaatsverfassung wechselseitig. Durch ihre Verflechtung infolge ihrer gleichen Funktionen in den Städten und die Mitgliedschaft in zeitüblichen Vereinen und Organisationen wie den Casinos, den Handelskammern, Handelsvereinen, Freimaurerverbindungen und dergleichen fand eine die gesamte Region umfassende Prägung statt. Thielen hat die Eigentümlichkeiten der fünf Stadträte, die jeweils etwa 30 Mitglieder aufwiesen, in Text und Bild tabellarisch herausgearbeitet (S. 483–513). Auf die tabellarische Darstellung folgt eine räumlich und alphabetisch detaillierte Auflistung der Funktionsträger im Kontext ihrer Vernetzung mit Notabeln (S. 514–652). Im Rahmen der gründlichen prosopographischen Forschung werden auch Abgeordnete der Provinziallandtage erfasst, deren politische Partizipation am Provinzgeschehen auf diesem Wege sichtbar wird. Ein gravierender sozialer Unterschied zwischen Adel und Bürgertum wird innerhalb des erfassten Personenkreises dabei nicht konstatiert.
Bezirksregierungen mit Regierungsräten waren wichtige Akteure der Verwaltung auf mittlerer Provinzebene. Sie wurden vom Staat ernannt und waren in sachlicher Allzuständigkeit wie die Stadträte im Kontext von Notabeln tätig. Als solche waren sie einflussreich, doch deren namentliche Erfassung unterbleibt bei Thielen. So findet z. B der Schwiegervater von Karl Marx, Ludwig von Westphalen, ein Mitglied der Trierer Bezirksregierung, keine Erwähnung. In Trier schloss Westphalen Freundschaft mit Heinrich Marx, dem Vater von Karl Marx. Die Freundschaft der beiden übertrug sich auf die Kinder Karl und Jenny, die 1843 heirateten. Von dieser für die große Geistesgeschichte interessanten Randnotiz ist in Thielens Werk keine Rede.
Das Wirken der Stadträte und deren Ausstrahlung in die Provinz wird in Thielens Buch an einigen bedeutsamen Ereignissen und Entwicklungen dokumentiert. In napoleonischer Zeit hatte sich eine neue an Besitz und Leistung orientierte Führungsschicht ausgebildet, die sich mit dem Übergang an Preußen in einem restriktiven System behaupten musste. Thielen will die Möglichkeiten einer politischen Partizipation in der Rheinprovinz in diesem System zwischen 1815 und 1845 ausloten (S. 13). Dazu dienen die Analysen von Netzwerken und Diskursen, die sich durch ihre begriffliche Schärfe auszeichnen.
In der Teuerungskrise von 1816 war die Partizipation von Stadtratsmitgliedern und Notabeln an der Problembewältigung erfolgreicher als die der institutionalisierten Verwaltung. Hier lag ein gelungenes Beispiel von Verflechtung vor (S. 125), desgleichen in der Cholera-Epidemie nach der Julirevolution 1830 (S. 271). Es stellten sich auch Misserfolge ein. Beim Zollgesetz vom 26. Mai 1818 opponierten die Stadträte gegen die Regierung, konnten sich aber in Berlin nicht durchsetzen (S. 162). Erst mit der Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 gelang die Umstellung von der napoleonischen Schutzzollpolitik zum preußischen Freihandelskurs (S. 349). In einem großen Gebiet des Deutschen Bundes entstand dadurch ein einheitlicher Marktplatz. Wirtschaftlich bewahrte Köln, die ehemals freie Reichsstadt, die Kontrolle über den Rheinhandel und beteiligte sich federführend an der Industriefinanzierung (S. 29).
Die Partizipation in der Rheinprovinz unterschied sich fallbezogen nach Konfession. Das Bildungsbürgertum war stärker vom Katholizismus dominiert, so etwa im Kölner Ereignis, ausgelöst durch die Inhaftierung des Erzbischofs Clemens August von Droste-Vischering 1837 (S. 375). Das Wirtschaftsbürgertum war hingegen eine Domäne von Nichtkatholiken (S. 375). Überproportional stark waren die Protestanten in den Stadträten und Handelskammern vertreten. Die Propagierung der Nationalidee in der Rheinprovinz war, so resümiert Katharina Thielen, gleichzeitig ein Kampf der Notabeln für regionale Besonderheiten (S. 441, S. 482). Es ging nicht in erster Linie um die Bildung eines einheitlichen Verwaltungsstaats. Die Solidarität der Stadträte zeigte sich in Stellungnahmen zur Presse- und Meinungsfreiheit, in der Verteidigung des rheinischen Rechts oder im Ringen um die Feier des rheinischen Karnevals (S. 319).
Auch ohne Instruktionen oder Verordnungen seitens der Zentralregierung konnte ein Ablauf nach Regeln erfolgen. Dafür sorgte, so das Ergebnis von Thielen, der Einfluss der Akteure, vor allem der beteiligten Notabeln. Wechselseitige Beobachtung, Beeinflussung und Verflechtung spielten eine entscheidende Rolle (S. 473). Es ist zu wünschen, dass das Buch der Verfasserin als Modell für künftige Forschungen zur Verknüpfung von Verwaltungs- und Gesellschaftsgeschichte in der Rheinprovinz methodisch und inhaltlich Beachtung und Nachfolge findet.