Als der in Schweden tätige Humanist Johannes Schefferus (deutsch Scheffer, 1621–1679) 1673 sein Werk mit dem Titel „Lapponia“ veröffentlichen ließ, lieferte er damit die erste Monographie, die sich mit Sápmi und seiner Bevölkerung – den Sámi – beschäftigte.1 Seine Beschreibung des nördlichen Fennoskandinaviens sowie dessen Bevölkerung erreichte Intellektuelle und bildete somit eine Art Ausgangspunkt für das europäische Wissen über die Sámi, obwohl Schefferus selbst nie in Sápmi gewesen war. Der Erfolg des Textes lässt sich an den Übertragungen ins Deutsche, Französische, Englische und Niederländische erkennen, die innerhalb von zehn Jahren nach dem Erscheinen des lateinischen Originals angefertigt wurden. Die sich daraus ergebenden Fragen zur Produktion, Rezeption und Adaption des in der Lapponia enthaltenen Wissens versucht Andreas Klein in der hier zu besprechenden buchgeschichtlichen Untersuchung zu beantworten. Dazu zieht er umfangreiches Quellenmaterial heran, das sich einerseits aus den verschiedenen Ausgaben der Lapponia und andererseits aus der Briefkorrespondenz von Schefferus zusammensetzt, die zwar nicht vollständig, aber in großem Umfang überliefert ist. Es handelt sich dabei um die Buchausgabe seiner Dissertation, die 2020 an der Arctic University of Norway in Tromsø eingereicht wurde.
Zentral für Klein ist das Konzept von Wissensorten (Lieux de savoir)2, unter denen er nicht bloß konkrete räumliche Punkte versteht, sondern auch Schriften wie die Lapponia und ihre Übertragungen selbst. Sie hätten als Orte des Wissens über die Sámi für das gesamte frühneuzeitliche Europa gedient, weshalb eine Betrachtung der Entstehungs- und Rezeptionskontexte der verschiedenen Versionen notwendig sei. Er interessiert sich deshalb für die Modalitäten der Wissensproduktion – also auf welchen Wegen Wissen in das Buch gelangte, wie es darin strukturiert, wie auf das Buch reagiert und wie es an neue Zielgruppen angepasst wurde. Ausgehend davon ist Kleins Studie in vier Kapitel gegliedert. Während im ersten Kapitel die Unterschiede der verschiedenen Ausgaben in der Strukturierung des Inhalts und der paratextuellen Merkmale herausgearbeitet werden, steht im zweiten Kapitel der Werdegang von Schefferus im Fokus: Anhand der verschiedenen Orte, an denen Schefferus gelebt hat oder zu denen er gereist ist, arbeitet Klein verschiedene Wissensorte und ihren Einfluss auf das Werk über Sápmi heraus. Dabei stehen die Orte auch stellvertretend für die vielseitigen interpersonellen Verbindungen, die Schefferus dort knüpfte. Besonders seine Ausbildung und sein Studium in Straßburg und Leiden prägten seine spätere Arbeitsweise und er traf dort viele Weggefährten sowie Förderer seiner Arbeit, mit denen er sein Leben lang Kontakt hielt. Doch auch Uppsala, wohin Schefferus 1648 einen Ruf an die Universität erhalten hatte und wo er die Lapponia verfasste, wird als Wissensort untersucht. Dort wurde er Mitglied des Kollegs für Altertümer (Antikvitetskollegium), das im Zuge des Gotizismus die Geschichte Schwedens untersuchen sollte.3 Deshalb beauftragte 1671 Reichskanzler Magnus Gabriel De la Gardie (1622–1686) das Kolleg, ein Buch über die Sámi anzufertigen. Schefferus nahm diese Aufgabe an und baute im Zuge dessen eine Sammlung sámischer Kulturgüter auf, dessen Aufbau auch zur Struktur der Lapponia beitrug: das Museum Schefferianum.
Auch das dritte Kapitel verbindet räumliche und persönliche Dimensionen, indem es eine prosopographische Untersuchung derjenigen vornimmt, die die Informationen über Sápmi und die Sámi beschafft haben. Da Schefferus selbst nie im Norden Schwedens gewesen ist, war er auf die Zuarbeit von Personen vor Ort angewiesen, darunter auch Sámi. Klein urteilt aber, dass ihre Ethnizität nur eine sekundäre Rolle gespielt habe und auf der Basis der überlieferten Quellen ohnehin kaum zu bestimmen sei. Vielmehr habe es sich bei allen Informanten um Angehörige einer lokalen Elite im Norden des schwedischen Königreichs gehandelt, die in den meisten Fällen Kirchenämter innehatten. Bemerkenswert ist dabei, wie viele von ihnen in Uppsala studiert und zu diesem Zweck Stipendien erhalten hatten, die von Reichskanzler De la Gardie erwirkt worden waren. Damit kann Klein eindrücklich belegen, dass die Entstehung der Lapponia eng mit den politischen Interessen zusammenhingen, den nördlichen Teil Schwedens zu erschließen und im Zuge eines kolonialen Projekts die dort befindlichen Ressourcen zu extrahieren. Gleichzeitig zeigt er, wie die Vielzahl an Informanten durchaus die Diversität sámischer Kulturen widerspiegelte, Schefferus in seiner Rolle als Kompilator der Informationen aber selektiv vorging und die Komplexität stark reduzierte. Daraus resultierte, dass die Sámi in der Lapponia als eine Gruppe erschienen, aber regionale Besonderheiten berücksichtigt wurden.
Im vierten Kapitel untersucht Klein anhand der Briefkorrespondenz innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik (res publica literaria) die Rezeption der Lapponia. Das Werk stieß bei vielen Intellektuellen innerhalb Europas auf Anerkennung und weckte ein Interesse an sámischen Kulturen, für die Schefferus nun als Experte galt. Dies wird anhand des französischen Diplomaten La Piquetière deutlich, der eine erweiterte Fassung in seiner Muttersprache erbat, die Schefferus bereitwillig anfertigte. Er selbst war aufgrund umfassender Druckfehler unzufrieden und versprach zudem eine überarbeitete lateinische Fassung, die jedoch nie gedruckt wurde. Klein veranschaulicht anhand vieler Zitate nachvollziehbar, wie Schefferus und seine Zeitgenossen unter der Realität des Buchmarktes ihrer Zeit litten und wie sich die Gelehrten über politische Grenzen hinweg gegenseitig unterstützten.
Generell liegt in der Vielzahl der Originalzitate aus der Lapponia und dem Schriftverkehr von Schefferus eine große Stärke der Monographie von Klein, zumal fast alle Zitate im Fließtext der Lesbarkeit halber ins Englische übersetzt wurden, man das Original aber in den Fußnoten nachlesen kann. Dadurch sind Kleins Interpretationen sehr gut nachvollziehbar, zumal auch viele hochauflösende, farbige Abbildungen beim Lesen helfen, ein eigenes Bild der Lapponia zu gewinnen. Die Kapitel zwei bis vier weisen jedoch eine enorme Informationsdichte auf, die die Lesbarkeit teilweise einschränkt. Die umfangreichen biographischen Informationen zu Schefferus‘ Korrespondenzpartnern unterbrechen wiederholt die Argumentation. Hinzu kommt ein Problem der Ausgabe: Trotz der zahlreichen und detaillierten Angaben zu Personen und Orten, die im Zentrum der zugrundliegenden Idee der Wissensorte stehen, weist die Monographie kein Personen- oder Ortsregister auf, wodurch sie ihr Potential nicht ausschöpfen kann. Zu erwähnen ist aber der umfangreiche Anhang, der die bereits in den Kapiteln angebotenen Tabellen und Listen ergänzt.
Ungeachtet dieser Einschränkungen vermag der Text nachvollziehbar aufzuzeigen, welche Mechanismen bei der Entstehung eines für die europäische Wahrnehmung der Sámi zentralen Textes wirkten. Aufgrund der Breite des Quellenmaterials gelingt es dabei, die verschiedenen Versionen der Lapponia als an neue Zielgruppen angepasste Adaptionen ernst zu nehmen und ihre Rezeption in der europäischen Gelehrtenwelt nachzuzeichnen. Dass dabei der koloniale Entstehungskontext und gleichzeitig die Beteiligung sámischer Akteure nicht zu kurz kommen, ist eine wesentliche Stärke der Monographie.
Anmerkungen:
1 Bei den Sámi handelt es sich um eine indigene Bevölkerungsgruppe Fennoskandinaviens. Als Sápmi wird das Gebiet bezeichnet, in dem Sámi leben. Es umfasst Gebiete in den heutigen Staaten Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Bezeichnungen wie „Lappen“ werden aufgrund ihrer diskriminierenden Verwendung heute abgelehnt, weshalb Klein sie lediglich in den Quellenübersetzungen verwendet.
2 Siehe dazu auch Christian Jacob (Hrsg.), Lieux de savoir. Espaces et communautés, Paris 2007; Ders., Lieux de savoir. Places and Spaces in the History of Knowledge, in: KNOW. A Journal on the Formation of Knowledge 1,1 (2017), S. 85–102.
3 Gotizismus verweist hier auf eine nationalistische Herkunftserzählung, die seit der Regierungszeit König Gustavs II. Adolf (1594–1632) und insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert eine direkte Abstammung der Schweden vom spätantiken Volk der Goten behauptete.