M. Blömer u.a. (Hrsg.): Lokale Identität im Römischen Nahen Osten

Cover
Titel
Lokale Identität im Römischen Nahen Osten. Kontexte und Perspektiven. Erträge der Tagung „Lokale Identitäten im Römischen Nahen Osten“ Münster 19.–21. April 2007


Herausgeber
Blömer, Michael; Facella, Margherita; Winter, Engelbert
Reihe
Oriens et Occidens 18
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erich Kettenhofen, Fachbereich III - Geschichte, Universität Trier

Nach dem von Andreas Schmidt-Colinet herausgegebenen Sammelband 1 wird nun ein weiterer mit ähnlichem Titel vorgelegt, für den drei Herausgeber verantwortlich sind, von denen jedoch nur Michael Blömer einen eigenen Beitrag beigesteuert hat.2 Im Vorwort (S. 7–12) wird „Identität“ als „zentrales Paradigma auch für den Orient“ herausgestellt (S. 7), die in der Verbindung von autochthonen einheimisch-orientalischen mit überregionalen Einflüssen (Parthien, Hellenismus, Rom) manifest werde.3 Die Beiträge sind alphabetisch nach den Verfassernamen der Autoren geordnet; auf eine Gruppierung nach Quellengattungen ist verzichtet worden – eine problematische Entscheidung, stehen doch damit die stärker archäologisch ausgerichteten Beiträge (wie diejenigen von Michael Blömer, Peter W. Haider, Andreas Kropp, Werner Oenbrink und Andreas Schmidt-Colinet) unvermittelt neben solchen, die die Münzprägung von Städten im Orient untersuchen (wie diejenigen von Achim Lichtenberger und Oliver Stoll) oder einen literarischen Text oder das Werk eines Autors (Libanios) zum Ausgangspunkt ihrer Suche nach „Identität“ machen (wie jene von Udo Hartmann und Fergus Millar). Aus dem Rahmen fällt der Aufsatz von Michael Sommer, der die Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie „paradigmatisch“ an den Bereichen Recht und Mythos aufzeigen will 4, Bereiche, die im vorliegenden Band nicht thematisiert werden. Dagegen werden Bemühungen wie etwa diejenigen von Blömer und Haider konterkariert, wenn behauptet wird, „Identität“ sei aus archäologischen Befunden „nicht so ohne weiteres herauszulesen“ (S. 239). Einen „Ausweg aus dem Dilemma“, so Sommer, wiesen „Erkenntnisse der Anthropologie und historischen Sozialwissenschaften über die Genese kollektiver kultureller Identitäten“ auf (S. 239), was aber im vorliegenden Band ebensowenig geleistet wird.5

Im Folgenden stelle ich die einzelnen insgesamt lesenswerten Beiträge kurz vor: Blömer versucht anhand einer Dokumentation von 17 Stelen aus dem nordsyrischen Raum nachzuweisen, dass ihre generelle Zuweisung an Iupiter Dolichenus voreilig sei und erst ihr Kontext (etwa beigegebene Inschriften) eine eindeutige Zuweisung erlaube.6 Blömer bietet einen für den Leser nachvollziehbaren Einblick in die Glaubenswelt der indigenen Bevölkerung. Obwohl die Stelen mit den weitaus älteren eisenzeitlichen Denkmälern in Form und Typologie verwandt seien, sind sie nach Ansicht Blömers in die hellenistisch-römische Zeit zu datieren; gleichwohl zeigten die altorientalischen Traditionen eine beachtliche Langlebigkeit. Bemerkenswert ist die Diskussion über den Neufund einer Stele auf dem Dülük Baba Tepesi (S. 31–35 mit Anmerkung 19), die den Gott von Doliche mit seiner Parhedra zeigt. Auch diese Darstellung sei im Kontext der altorientalischen Bildersprache zu interpretieren, keinesfalls der hellenistisch-römischen, wie Blömer mit Recht betont. Haiders Blick ist nach Ninive und Assur gerichtet 7, in zwei benachbarte Städte Mesopotamiens, wo jedoch hellenistische Einflüsse nur in ersterer in der Sprache der Inschriften und dem Vorherrschen hellenistischer Gottheiten im lokalen Pantheon deutlich würden, während in Assur sich diese auf Formen des Dekors auf Säulen, Pilaster und Kapitellen beschränkten. Lediglich die Gestalt des Herakles-Nergal belege einen hellenistischen Einfluss auf die dortigen Glaubensvorstellungen. Die lokale Kultur im Nahen Osten wird sehr schön aufgezeigt beim Verfasser des 13. Sibyllinischen Orakels, den Hartmann als syrischen Diasporajuden in der Mitte der 260er.Jahre n.Chr. ausmachen kann (S. 80).8 Die Interpretation des schwierigen griechischen Textes ist mit den Entschlüsselungen der genannten Personen überzeugend. Den Verfasser sieht Hartmann in einem von den Kriegsereignissen in der Mitte des 3. Jahrhunderts im Osten betroffenen Provinzbewohner, der als selbstbewusster Orientale Uranius Antoninus und Odainathus als Retter des römischen Ostens vor der Gefahr sasanidischer Bedrohung würdigt.

Mit Kropps Beitrag 9 wendet der Leser seinen Blick zurück auf das Bauprogramm Herodes des Großen, näherhin auf die Untersuchung der Architektur von drei Augustea (in Sebaste, Caesarea und Panias), wovon das letztere nicht sicher identifiziert ist. Das vierte in Faqra (im Libanongebirge) ist ein Sonderfall, seine Behandlung im Kontext des Beitrags nicht unproblematisch (S. 116); dass das Monument tief verwurzelt in den örtlichen Traditionen ist, wird nachvollziehbar dokumentiert. Keine Überraschung bietet das Fazit Kropps, dass Herodes römische Modelle in seinem Programm von Bauten des Kaiserkults adaptierte. Dem Beitrag sind dankenswerterweise 41 Abbildungen beigegeben. Lichtenberger greift gezielt die Frage des Bandes nach der lokalen Identität im Vorderen Orient auf und wählt dabei den Vergleich der städtischen Münzprägung von Tyros und Berytos, zweier benachbarter phoinikischer Städte.10 Lichtenberger zeigt in seinem mit 44 Münzabbildungen (jeweils Avers und Revers mit Beschreibung) anschaulich illustrierten Beitrag die Eigentümlichkeiten der beiden oft rivalisierenden Städte auf: Tyros, das erst unter Septimius Severus den Status einer colonia erhielt, betont seine phoinikische Lokaltradition; Berytos, eine augusteische colonia (seit 15/14 v.Chr.), stellt hingegen stärker seine Romtreue heraus. Lichtenberger betont mit Recht, dass selbst auf dem engen Raum der phoinikischen Küstenlandschaft keine generalisierenden Aussagen über städtische Identitäten verantwortet werden können.

Die Frage der Identität des Libanios kann Millar, der verdienstvolle Oxforder Gelehrte, klar beantworten 11: Libanios redet und schreibt als Grieche in einer griechischen Welt mit griechischen Städten und griechischer Kultur. Wir dürften nicht annehmen, so Millar, dass Libanios das lokale Umfeld nicht wahrgenommen hätte, doch eigentliche Bedeutung habe es für ihn nicht besessen. Das heute nicht mehr erhaltene Grabmal des der emesenischen lokalen Elite entstammenden C. Iulius Sampsigeramos, welches anhand von alten Skizzen und Photos nur noch mühsam rekonstruiert werden kann, steht im Mittelpunkt des Beitrags von Oenbrink.12 Das wohl im 1. Jahrhundert n.Chr. errichtete Monument verrate, wie es bei der städtischen Elite nicht anders zu erwarten sei, westliche Formelemente bei gleichzeitigem Festhalten an Gestaltungsweisen, die für das südliche Syrien charakteristisch seien. Ein Vergleich mit weiteren Grabbauten aus den Emesa benachbarten Gegenden zeige regionale Grabbautraditionen, die nach Meinung Oenbrinks Ausdruck regionaler Identitäten seien.

Eine weitere Facette zur lokalen Identität im Römischen Nahen Osten steuert Schmidt-Colinet bei, der im Bildprogramm von zwei vor wenigen Jahren entdeckten Sarkophagen aus Palmyra sowohl den Einfluss römischer wie einheimisch-orientalischer Elemente nachweisen kann.13 Der Stolz der Zugehörigkeit zum Imperium Romanum verbindet sich hier mit der Zurschaustellung des lokalen sozialen Status. Die beigegebenen 14 Tafeln veranschaulichen gut die Darlegungen des Autors.14 Wie Lichtenberger wertet auch Stoll in seinem Beitrag, der den Umfang einer kleinen Monographie besitzt 15, die städtischen Bronzeprägungen der mesopotamischen Städte Rhesaina und Singara aus, die in severischer Zeit den titularen Status einer colonia erhielten. Die im Titel gestellte Frage wird positiv beantwortet: Kentaur und Tyche sind Symbole städtischer Identität. Stoll zeigt überzeugend die Mehrdeutigkeit mancher Symbole wie des Adlers auf: die Identifikation mit den Symbolen der dort stationierten Garnisonen und implizit damit die Anerkennung der Herrschaft Roms in diesem Grenzraum, zugleich aber auch der Hinweis auf die eigene Religion und Götterwelt. Unverständlich ist mir, warum Stoll auf jegliche Abbildungen verzichtet hat.

Den Beiträgen ist jeweils ein Literaturverzeichnis beigegeben: manche Autoren verzichteten auf ein Abkürzungsverzeichnis; die Auflösung der Sigle IGLS findet sich hingegen fünffach (S. 35, 118, 186, 207 u. 326). Reihenangaben sind nicht durchgehend zitiert. Die Qualität ist ganz unterschiedlich: während Hartmann – wie immer – durch seine Genauigkeit besticht, weist das Literaturverzeichnis von Haider eine ärgerlich hohe Fehlerzahl auf.16 Leider haben die Herausgeber auch keine Richtlinien hinsichtlich der Schreibung arabischer Namensformen festgelegt, die daher auch in unterschiedlichen Formen begegnen, manchmal nebeneinander korrekte Transkription und die in westlichen Sprachen übliche Vereinfachung 17, manchmal weichen auch die Schreibungen voneinander ab.18 Die Zahl der Versehen hält sich – abgesehen vom Aufsatz Haiders – in Grenzen. Die Präposition à wird auf den Seiten 35–42 mehrmals nicht von a unterschieden. eutychei (im Dativ) ist nicht mit „dem günstigen (Gott)“ zu übersetzen 19; die Münzlegenden auf S. 110, Anm. 118 sind nicht ganz korrekt. Die Vornamen mancher Forscher sind zu korrigieren.20 Einige Titel fehlen auch in den jeweiligen Literaturverzeichnissen.21 Die Daten der städtischen Bronzeprägung in Tyros stimmen nicht überein (vgl. S. 156: 112/113 n.Chr. mit S. 170, Abb. 13: 113/114 n.Chr.). S. 180 muss es politeuomenoi statt politeumenoi heißen. Tabula Banasitana ist statt Tabula Basanitana zu schreiben (S. 235 u. 236). S. 250, Anm. 4 fehlt die Buchangabe bei Zos. 34,1–2. Severus Alexander führte einen Perserkrieg, keinen Partherkrieg (so jedoch S. 253 u. 273). Die legio I kann nach 360 nicht in Nisibis stationiert gewesen sein, das 363 an die Sasaniden abgetreten wurde (vgl. S. 268). Angesichts der erlittenen Niederlagen der Römer ist es meines Erachtens problematisch, vom „Schandfrieden“ des Philippus (S. 274) wie des Iovian (S. 283) zu sprechen. Die Einnahme von Hatra ist nach der Entdeckung des CMC 1 nicht „ca. 238 n. Chr.“ (so S. 317, Anm. 375) zu datieren. Die Artikel von Franz Heinrich Weissbach (S. 339) sind in der A-Reihe der RE erschienen.

Geradezu ärgerlich ist es, dass keinerlei Register und Stellenverzeichnis dem Band beigegeben sind. Anscheinend war es den (drei!) Herausgebern wichtiger, ihrer Publikationsliste eine weitere Monographie beifügen zu können, als die mühevolle Redaktionsarbeit zu leisten, damit er auch gewinnbringend benutzt werden kann. Aber solange bei Bewerbungen die Zahl der vorgelegten Monographien (auch als Herausgeber) entscheidungsrelevant ist, wird sich an dieser Praxis wohl wenig ändern. Eine große Zahl an anregenden und gehaltvollen Beiträgen ist hier gesammelt; sie hätten jedoch auch in einer Zeitschrift mit einem Schwergewicht im Vorderen Orient publiziert werden können.

Anmerkungen:
1 Andreas Schmidt-Colinet (Hrsg.), Lokale Identitäten in Randgebieten des Römischen Reiches. Symposium Wiener Neustadt 2003, Wien 2004.
2 Stelen mit Darstellungen lokaler Wettergottgestalten im römischen Nordsyrien (S. 13–47). Wie aus dem Untertitel des Bandes ersichtlich, liegen die im Rahmen der Tagung „Lokale Identitäten im Römischen Nahen Osten“ in Münster gehaltenen Vorträge in diesem Band in der Druckfassung vor.
3 Ninive und Assur im Beitrag von Haider (Religiöse Vorstellungen in Ninive und Assur während der hellenistischen und parthischen Ära, S. 49–74) können allerdings nur schwerlich dem „Römischen Nahen Osten“ zugeordnet werden.
4 Imperiale Macht und lokale Identität: Universalhistorische Variationen zu einem regionalhistorischen Thema (S. 235–248).
5 Enttäuschend ist meines Erachtens, dass die Themen der Einzelbeiträge in diesem allgemeinen Beitrag (vgl. die Herausgeber auf S. 10) nicht aufgegriffen werden; es heißt vielmehr (S. 243): „Eine Inschrift, die Nergal mit Herakles identifiziert, oder ein Götterbild, das von dem Bemühen um ikonographische Angleichung kündet, kann kein Ersatz sein für eine vollwertige Narrativik, wie sie nur literarische Texte zu bieten haben“.
6 Vgl. hier Anm. 2.
7 Vgl. hier Anm. 4.
8 Orientalisches Selbstbewusstsein im 13. Sibyllinischen Orakel (S. 75–98). Auch Hypsistoio in 13,109 (vgl. S. 84 mit Anm. 44) könnte für einen Diasporajuden sprechen.
9 King – Caesar – God. Roman Imperial Cult among Near Eastern „Client“ Kings in the Julio-Claudian Period (S. 99–150). Der reichhaltigen Literaturliste ist noch (der wohl zu spät erschienene Band) hinzuzufügen: David M. Jacobson / Nikos Kokkinos (Hrsg.), Herod and Augustus. Papers Presented at the IJS Conference, 21st–23rd June 2005, Leiden 2009; hier besprochen: Julian Köck: Rezension zu: Jacobson, David M.; Kokkinos, Nikos (Hrsg.): Herod and Augustus. Papers Presented at the IJS Conference, 21st-23rd June 2005. Leiden 2009, in: H-Soz-u-Kult, 14.04.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-028> (05.09.2010).
10 Tyros und Berytos. Zwei Fallbeispiele städtischer Identitäten in Phönikien (S. 151–175).
11 Libanios’ Vorstellungen vom Nahen Osten (S. 177–187).
12 „… nach römischer Art aus Ziegelsteinen …“ Das Grabmonument des Gaius Iulius Samsigeramos (sic!) im Spannungsfeld zwischen Fremdeinflüssen und lokaler Identität (S. 189–221).
13 Nochmal zur Ikonographie zweier palmyrenischer Sarkophage (S. 223–234).
14 Eine ausführliche Dokumentation findet sich vom selben Verfasser (gemeinsam mit Kh. Al-As’ad) im 3. Band der Sarkophag-Studien, Mainz 2007, S. 271–287 (zitiert S. 227).
15 Kentaur und Tyche – Symbole städtischer Identität? Resaina, Singara und ihre Legionsgarnisonen im Spiegel städtischer Münzprägungen (S. 249–340).
16 Im Titel von Barnett (S. 65) sind allein drei Fehler zu berichtigen (Barnett für Barrett, JHS 83, 1963, 1–26 anstatt JHS 83, 1992, 1–28).
17 Vgl. etwa S. 109: Djebel Haurān oder S. 317: Schamasch, der arabische Sonnengott (richtig wäre: Šams).
18 Vgl. S. 112 (Qalaat) mit S. 198, Anm. 47 (Qala‘t); richtig ist Qal‘at. Vgl. S. 50 (Kuyundjik) mit S. 51 (Kuyunjik), 198 (Qamu‘at) mit S. 199 (Qamou‘at). Die Unterscheidung von Alif und ‘Ayin wird oft nicht beachtet (so S. 310).
19 Haider, S. 52, Anm. 23 verweist zwar auf SEG 48, 1998, 1838; dort heißt es jedoch korrekt: „for the lucky god“.
20 S. 121 Tadeusz Kotula (statt Thomas Kotula), S. 122 Walter Otto (statt Wilhelm Otto); S. 208 Alfred von Domaszewski (statt Alexander von Domaszewski).
21 Etwa Wagner 1976 (S. 27, Anm. 101), Matthiesen 1989 (S. 58, Anm. 53), Price (S. 99, Anm. 4), Lichtenberger 2003 (S. 100, Anm. 8, 9, 13 u.ö.), Hesberg 1986 (S. 106, Anm. 85; S. 112, Anm. 135 u. 139); Noelke / Naumann-Steckner / Schneider (S. 189, Anm. 1), Kohlert (S. 205, Anm. 83). S. 303, Anm. 297 ist der Name des zitierten Autors ausgefallen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch