Der Titel dieses aus einer Klausurtagung des Internationalen Graduiertenkollegs Politische Kommunikation hervorgegangenen Sammelbandes ist gut gewählt: Zum einen handelt es sich um einen Einblick in die Forschungswerkstatt des Kollegs, da in den meisten Beiträgen vorläufige Ergebnisse der – zum Teil mittlerweile publizierten – Qualifikationsarbeiten der Stipendiatinnen und Stipendiaten präsentiert werden. Zum anderen lässt sich aber auch der Untersuchungsgegenstand selbst, also „politische Kommunikation“ im Sinne des Kollegs als Werkstatt begreifen, in der unterschiedlichste historische Akteure in verschiedenen Kommunikationsmodi Entscheidungen über überindividuelle Normen verhandeln oder mit diesen in Konflikt geraten.1
Das Anliegen, politische Kommunikation als ein für verschiedene Zeiträume und Kontexte „neu zu bestimmendes Phänomen aufzufassen, das von seiner Sprache, Symbolik und von seinen Zeichen her analysiert werden muss“ (Astrid von Schlachta, S. 157), bildet mithin den übergreifenden Rahmen der Beiträge, die ansonsten ein vielfältiges Themenspektrum abdecken. Es reicht von der Patronage- und Wohltätigkeitspolitik indigener Königreiche in der griechischen Welt des dritten und zweiten Jahrhunderts v. Chr. über fürstliche Konfliktkommunikation im Spätmittelalter bis zu Aspekten der Politisierung von Performance-Kunst in der DDR.
Die fünfzehn Beiträge gliedern sich in drei Teile, denen je eine knappe programmatische Einleitung vorangestellt ist. Auch wenn es sicherlich zu begrüßen ist, dass die Neue Politikgeschichte sich nach längeren theoretisch-programmatischen Debatten nun verstärkt der empirischen Erprobung ihres Zugriffs widmet2, hätte es doch zur Klärung des theoretischen Rahmens beitragen können, diese drei Einleitungen in einer längeren zusammenzufassen. Dies hätte insbesondere der Klärung basaler Begrifflichkeiten und Analysekategorien gedient, denn leider wird in den einzelnen Beiträgen eher selten explizit auf den Theorierahmen rekurriert.3
Im ersten Teil rückt „Sprache als Ort politischen Handelns“ ins Zentrum. Lisa Regazzoni betont in ihrer Einleitung nachdrücklich, dass die Kommunikation über ‚das Politische‘ politischem Handeln gleichkomme. Die historische Bedeutung politischer Kommunikation erschließe sich jedoch nur im jeweiligen politischen, institutionellen, gesellschaftlichen sowie sprachlichen Kontext. Den „bedingenden Faktoren der Kommunikation“ (S. 15), das heißt dem räumlichen und institutionellen Kontext, den Medien und den diskursiven Machtverhältnissen, sei daher größte Aufmerksamkeit zu widmen, nicht zuletzt, um die Motivationsfrage hinsichtlich der handelnden Subjekte zu relativieren.
Obgleich das Thema „Sprache als Ort politischen Handelns“ letztlich für den gesamten Band von Bedeutung ist, schenken die Beiträge dieses Teils den bedingenden Faktoren der Kommunikation besondere Beachtung. Dies lässt sich exemplarisch am Aufsatz von Federica Dalla Pria aufzeigen, die die medialen Strategien der visuellen Selbstdarstellung Mussolinis und Hitlers in den Wochenschauen der ersten Jahre nach der ‚Machtergreifung‘ untersucht. Den in beiden Fällen zu beobachtenden Wandel von einem traditionellen ‚bürgerlichen‘ Politikerbild, das ein Gefühl der Sicherheit und Kontinuität mit der Vergangenheit gewährleistete, hin zu einer Figur, die innovative Eigenschaften aufwies und die Rolle als Führer der Nation unterstrich, setzt sie überzeugend in Beziehung zu den technisch-ästhetischen Entwicklungen des filmischen Mediums. Simon Gruber stellt vor allem den institutionellen Kontext politischer Kommunikation in den Vordergrund, wenn er nachzeichnet, wie sich im Spannungsfeld von Europäischer Parlamentarischer Versammlung, Ministerkomitee und slowakischem Nationalrat die Minderheitenpolitik als bestimmende Frage des Europarat-Beitritts der Slowakei etablieren konnte.
Die Beiträge von Vera Margerie-Seeboth und Christian Bechtold behandeln beide Prozesse und Funktionen der Vergöttlichung von Vorfahren durch römische Kaiser. Während Bechtold analysiert, wie das Katasterismosmotiv (Sternversetzung) im Anschluss an Octavian vor allem über das Medium der Münzprägung die dynastische Nachfolge und Kontinuität der Herrschaft repräsentierte, führt die Auswertung offizieller Inschriften durch Margerie-Seeboth am Beispiel des Kaisers Septimius Severus zu dem Ergebnis, dass die verwendete Titulatur ‚divi filius‘ weniger zur persönlichen Akzeptanzgewinnung bei der Herrschaftsübernahme als zur Sicherung der Dynastiebildung zu einem späteren Zeitpunkt diente.
Der von Astrid von Schlachta eingeleitete zweite Teil führt etwas unvermittelt den Begriff der ‚politischen Kultur‘ ein. Diese soll „in der Begegnung mit den Anderen“ betrachtet werden. Während von Schlachta sehr plausibel darstellt, dass die Begegnung oder Konfrontation mit dem ‚Anderen‘ das ‚eigene‘ normative Gebäude, politische Praktiken sowie die Wahrnehmung territorialer politischer Räume beeinflusste, gegebenenfalls modifizierte, erscheint der Begriff der ‚politischen Kultur‘ demgegenüber zu abgeschlossen und sein Verhältnis zu politischer Kommunikation ungenügend geklärt.
Die Begegnung mit dem ‚Anderen‘, dessen Wahrnehmung und Kennzeichnung untersuchen die Beiträge in verschiedensten Ausprägungen. So entfaltet etwa Walter Pohl ein breites Panorama der Rhetorik der Gewalt, in die die Auseinandersetzungen zwischen Barbaren und spätrömischem Imperium vor dem Hintergrund der Völkerwanderung eingebettet waren. In diesem Kontext verflüssigten sich mithin die Kategorien des ‚Eigenen‘ und des ‚Anderen‘. Dass die Bedeutung des ‚Eigenen‘/‚Anderen‘ kontext- und perspektivabhängig ist, verdeutlicht auch der Beitrag von Barbara Lubich. In einem „Feld interdependenter Rezeptionsweisen“ (S. 151), das sich zwischen Westpresse, DDR-Presse und Staatssicherheit aufspannte, erschien die ostdeutsche Performance-Künstlerin Fine Kwiatkowski mal als entpolitisierte, im Sinne des Herrschaftssystems der DDR akzeptable, mal als widerständige, politisch-subversive Figur.
Die Beiträge des dritten Teils legen das Hauptaugenmerk auf „Akteurinnen und Akteure, Netzwerke, Institutionen der politischen Kommunikation“. Wie Christina Antenhofer in kritischem Anschluss an Habermas, Rancière und Latour einleitend bemerkt, sei gerade das Entstehen von „Foren politischer Diskussionen und deren Institutionalisierung“ (S. 233), sowie die Markierung der daran beteiligten Akteur/innen von größter Relevanz für die Erforschung politischer Kommunikation. Obwohl sie das Habermassche Ideal rationaler, machtfreier Kommunikation zurückweist, tendiert der hier verwendete Begriff der ‚Diskussion‘ partiell dazu, Aspekte der Macht, Gewalt und Herrschaft zu vernachlässigen. Während in den Beiträgen von Klaus Brandstätter und Mario Müller spätmittelalterliche fürstliche bzw. adelige Akteure sowie deren Konflikt- respektive Bündniskommunikationen in den Blick genommen werden, befasst sich Cecilia Gelatti mit dem Wirken von Christian Thomasius. An seinem Beispiel zeigt sie, wie sich gelehrtes ‚politisches‘ Wissen zunehmend gegenüber theologischen Begründungen autonomisierte. Eva Werner geht der Frage nach, inwiefern sich die ‚Märzminister‘ der Jahre 1848/49 in einem ‚Gesinnungsnetzwerk‘ der vormärzlichen liberalen Bewegung verorten lassen.
Etwas anders angelegt sind die Beiträge von Merio Scattola und Peter Becker, handelt es sich bei beiden doch eher um spezifische programmatische Forschungsentwürfe. So stellt Becker äußerst facettenreiche „Überlegungen zu einer Kommunikationsgeschichte der Verwaltung“ mitsamt einem vorläufigen Entwurf von Entwicklungsphasen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart an, deren Kern die Frage nach den sich wandelnden Interaktionen zwischen der Funktions- und Sprachlogik der Behörden und der politischen Rhetorik bildet. Scattolas Entwurf einer „europäischen Wissenschaftsgeschichte der Politik“ in der Frühen Neuzeit hingegen plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der formalen Aspekte (dem ‚Wie‘) politischer Kommunikation. Nicht zuletzt infolge der Verwendung changierender Begrifflichkeiten bleibt allerdings das genaue Untersuchungsobjekt unklar und schwankt zwischen dem Vergleich „formell und stilistisch bestimmter Sprachgemeinschaften“ (S. 25), einer Disziplinengeschichte universitärer Fächer und einer viel breiter angelegten „Historiographie politischer Kommunikation“ (S. 45).
Insgesamt bietet der Sammelband einen interessanten Einblick in die vielfältige Forschungsarbeit des Kollegs und die verschiedenen Operationalisierungen des Paradigmas ‚politische Kommunikation‘. Die Publikationsform des Werkstattberichts kann sich dabei durchaus als Vorbild für größere Forschungszusammenhänge empfehlen. Es bleibt ferner zu hoffen, dass die sehr gelungenen italienischsprachigen Beiträge auf die gleiche Leseraufmerksamkeit stoßen wie die deutschsprachigen. Die Diskussion der ‚großen‘ theoretischen Fragen, vor allem die des zugrundeliegenden Kommunikations- wie Sprachverständnisses oder der engen analytischen Kopplung des ‚Politischen‘ an den Begriff der ‚Entscheidung‘, muss allerdings späteren Publikationen vorbehalten bleiben.
Anmerkungen:
1 So die analytische Kerndefinition des ansonsten als historisch wandelbar begriffenen Politischen des Graduiertenkollegs (S. 13). In der engen Bindung an ‚Entscheidung‘ besteht, bei allen sonstigen Gemeinsamkeiten, eine ‚entscheidende‘ Differenz zu Konzeptionen des Bielefelder Sonderforschungsbereiches 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“, für den politische Kommunikation lediglich Anspruch auf Verbindlichkeit, Nachhaltigkeit und Breitenwirksamkeit besitzt, anstrebt oder zugesprochen erhält.
2 Siehe etwa den für Mai 2011 angekündigten Sammelband: Willibald Steinmetz (Hrsg.), Political Languages in the Age of Extremes, Oxford 2011.
3 Vgl. hierzu aber in einem vorangegangenen Band der Reihe: Luise Schorn-Schütte, Politische Kommunikation als Forschungsfeld. Einleitende Bemerkungen, in: Angela De Benedictis u.a. (Hrsg.), Die Sprache des Politischen in actu. Zum Verhältnis von politischem Handeln und politischer Sprache von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Schriften zur politischen Kommunikation, Bd. 1), Göttingen 2009, S. 7-18.