K. Iselt: "Sonderbeauftragter des Führers"

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Titel
"Sonderbeauftragter des Führers". Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884-1969)


Autor(en)
Iselt, Kathrin
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
516 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Winter, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

„Sonderbeauftragter des Führers“ – wird man dieses Etikett je wieder los? Würde sich die kunsthistorische und historische Zunft des Museumsmannes und Kunsthistorikers Hermann Voss erinnern, wenn er nicht für zwei Jahre der Sonderbeauftragte für Adolf Hitlers geplantes Führermuseum in Linz gewesen wäre? Und wie wurde man überhaupt Hitlers oberster Kunstbeauftragter? Wie fügte sich eine solch exponierte Position ein in eine Wissenschaftler- und Museumskarriere, die im Kaiserreich begann und vier politische Systeme überdauerte? Schon diese Fragen zeigen die Spannungsfelder auf, in denen man sich zwangsläufig zu bewegen und zu bewähren hat, wenn man sich der schwierigen Aufgabe der Biographie einer der beiden Sonderbeauftragten für Hitlers Museumspläne stellt. Während eine umfassende historische Studie zu Hans Posse, dem ersten „Sonderbeauftragten“ und, in Personalunion, Direktor der Gemäldegalerie Dresden, noch immer fehlt, schließt nun die von der Kunsthistorikerin Kathrin Iselt vorgelegte Biographie zu Hermann Voss, Posses Nachfolger in beiden Ämtern, eine Forschungslücke.

Der Titel des Buches formuliert dabei zugleich den umfassenden monographischen Ansatz als auch die notwendige Schwerpunktsetzung auf Voss’ Tätigkeit für das Linzer Museumsprojekt 1943-1945, der das umfangreichste Kapitel des Buches gewidmet ist. Den zweiten Schwerpunkt bilden die Jahre zwischen 1935 und 1945, in denen Voss Direktor der Städtischen Gemäldegalerie Wiesbaden war. Dieses Amt übte er weiterhin ehrenamtlich aus, als er 1943 zu Posses Nachfolger in Dresden ernannt wurde. So ist die zeitliche Überschneidung der Kapitel hier durchaus Absicht und Ausdruck der klugen, nicht einfach chronologisch angelegten Gliederung der Studie. Anhand von unzähligen bislang unbekannten oder zumindest nie im Zusammenhang ausgewerteten Quellen entsteht ein facettenreiches Bild der gesamten Karriere dieses renommierten, aber im Wesentlichen unerforschten deutschen Kunsthistorikers. Dazu stützt sich die Autorin auf eine unglaublich breite Quellenbasis, die das solide Fundament der Studie bildet. Vor allem in den Archiven der Museen, in denen Voss tätig war, aber auch in den Überlieferungen vorgesetzter Behörden und in Nachlässen wurden hier bislang unbeachtete archivalische Schätze gehoben, die für weitere historische Studien zu verwandten Themen eine wertvolle Grundlage bilden werden.

Die Museumskarriere von Hermann Voss begann 1908 in Berlin an den Königlich Preußischen Kunstsammlungen. Unter dem prägenden Einfluss des mächtigen Berliner Museumsgenerals Wilhelm von Bode eignete sich Voss die Grundlagen für seine späteren Erfolge als Wissenschaftler und Gemäldeexperte an und entwickelte jene Methode, die seine allgemein anerkannte Kennerschaft auszeichnen sollte: „die Synthese zwischen wissenschaftlicher Quellenanalyse und sich am Original orientierender Stilkritik“ (S. 25). Da Voss 1922 als Kustos an die Berliner Gemäldegalerie zurückkehrte, sind diese Lehrjahre für Voss’ Karriere bedeutsam, und Iselt beweist hier wie auch in anderen Kapiteln ein gutes Gespür für ‚Handlungsstränge’. Von 1912 bis 1921 war Voss Leiter der Graphischen Sammlung am Museum der bildenden Künste Leipzig, wo er nicht nur an einer Neuordnung der Sammlung, sondern auch an seiner Habilitationsschrift arbeitete, die 1920 erschien und bald zum Standardwerk über die „Malerei der Spätrenaissance in Rom und Florenz“ avancierte.

Voss’ Rückkehr nach Berlin 1922 erscheint folgerichtig und Iselts Analyse seiner vielfältigen Tätigkeitsfelder als Kustos der Gemäldegalerie an den nunmehr Staatlichen Museen zu Berlin deckt all jene Kontakte, Erfahrungen, Netzwerke auf, die Voss im weiteren Verlauf seiner Karriere beherzt zu nutzen verstand. Es war nicht nur das großstädtische Klima, sondern auch „der enge Kontakt zu seinem Mentor Wilhelm von Bode sowie die starke Einbindung der Berliner Sammlungen in den nationalen wie internationalen Kunsthandel“ (S. 59), die für Voss von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren.

1935 bekam Voss’ Karriere, so scheint es, einen Knick, als er zum Direktor der Städtischen Kunstsammlung am Nassauischen Landesmuseum Wiesbaden berufen wurde und nicht wie erhofft den Berliner Direktorenposten von Max J. Friedländer, der als jüdischer Galeriedirektor 1933 aus dem Amt gedrängt wurde, übernehmen konnte. Iselt kommt hier der Verdienst zu, Voss’ spätere und in der Forschung häufig kolportierte Darstellung über seinen politisch motivierten Weggang von Berlin, seine Degradierung aus politischen Gründen mit aussagekräftigen Quellen zu entkräften. Damit ist auch nicht länger die Sicht versperrt auf Voss’ weitere, nun gradlinig verlaufende Karriere im NS-Staat. Bislang verlor man sich hier in Vermutungen: Wieso wurde gerade Voss zu Posses Nachfolger berufen? Hätte Voss tatsächlich als NS-Kritiker gegolten, hätte er auch in Wiesbaden nicht Museumsdirektor werden können. Die Gründe für seinen Weggang aus Berlin waren viel simpler: Nach dem Ausscheiden von Friedländer war nicht Voss als langjähriger Kustos auf den Direktorenposten berufen worden, sondern Karl Koetschau, der schon einmal von 1909 bis 1913 stellvertretender Galeriedirektor in Berlin gewesen war. Damit sah Voss, knapp 50 Jahre alt, an den Berliner Museen keine berufliche Perspektive mehr für sich – was sich allerdings nach Kriegsende den alliierten Besatzungsmächten als „politisch motiviert“ verkaufen ließ. All dies kann Iselt anhand der Quellen überzeugend darlegen.

Voss’ Amtszeit in Wiesbaden nimmt in seiner Karriere zweifellos eine Schlüsselstellung ein, wurde aber bislang in der Forschung nicht reflektiert. Zwar identifizierte er sich zu keinem Zeitpunkt mit dem nationalsozialistischen Gedankengut. Dennoch hatte er keinerlei Skrupel, die auf Anweisung der Reichskammer der bildenden Künste bereits 1933, also vor seinem Amtsantritt, in die Depots verbannten, als „entartet“ gebrandmarkten Kunstwerke im großen Stil gegen „ausstellungsfähige“ Werke in dem Bewusstsein einzutauschen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, ehe die Reichskammer der bildenden Künste die „sichergestellten“ Werke für eigene Zwecke heranziehen würde. Von weniger als 300 Gemälden waren 161 als „entartet“ eingestuft worden. Da er alle Tausch- und Ankaufsgeschäfte genehmigen lassen musste, sind seine Aktivitäten als Galeriedirektor anhand der überlieferten Akten in Form von Anträgen samt Begründungen gut rekonstruierbar, wie Iselt anhand mehrerer Beispiele darstellt. Leider werden prägnante Beispiele zu oft nicht im Text behandelt, sondern in die ausufernden Anmerkungen verbannt. Dies ist der Argumentation und vor allem dem Lesefluss abträglich und führt zudem zu Redundanzen. Dem Leser sei die anstrengende Lektüre der Anmerkungen trotzdem empfohlen, da sie neben eminent wichtigen argumentativen Details auch viele hilfreiche Hinweise und Ergänzungen auf flankierende Quellen oder Forschungsliteratur enthalten.

Im Frühjahr 1943 übernahm Hermann Voss in Personalunion die Leitung der Gemäldegalerie Dresden und des „Sonderauftrags Linz“. Das umfangreichste Kapitel der Studie bietet damit einen hervorragenden Einstieg in den aktuellen Forschungsstand zum „Sonderauftrag“ und zu angrenzenden Forschungsfeldern wie der Provenienzforschung, die in diesem Zusammenhang nahezu ausschließlich die Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kunstgut, insbesondere aus jüdischem Besitz meint. Während Hans Posses Aktivitäten als Sonderbeauftragter von Birgit Schwarz bereits gut erforscht sind 1, gelingt es Iselt nun überzeugend, die Rolle von Hermann Voss herauszuarbeiten. Dazu analysiert sie sowohl die politischen Rahmenbedingungen als auch die legislativen und administrativen Strukturen im NS-Staat, die ein Unternehmen wie den „Sonderauftrag Linz“ erst möglich machten. Dabei ist dem „Vorbehalt des Führers bei der Verwendung eingezogener Kunstsammlungen“ ein Exkurs gewidmet, der den Leser tief in die Problematik der beschlagnahmten jüdischen Kunst- und Kulturgüter hineinführt und dem Laien eine Ahnung davon zu geben vermag, wie schwierig sich in der Regel Recherchen nach der Herkunft einzelner in dieser Zeit abhanden gekommener Kunstwerke bis heute gestalten.

Während seiner Dresdner Zeit konzentrierte sich Voss vor allem auf die Erwerbungstätigkeit für Linz – und für Wiesbaden, denn die dortige Galerie führte er ehrenamtlich weiter. Die Ankäufe für die Dresdner Galerie hielten sich dagegen mangels Etat in Grenzen, doch für das Linzer Museum erwarb er Kunstwerke regelrecht im Akkord: Allein zwischen April 1943 und März 1944 wurden 881 Gemälde angekauft. Von April 1942 bis März 1943 waren es 122 Gemälde gewesen. Diese Zahlen werfen viele Fragen auf, die Iselt in ihrer Studie nicht alle beantworten kann und soll. Dass Voss sich dabei nicht scheute, beschlagnahmtes jüdisches Kunstgut zu erwerben oder in Tauschgeschäfte einzubeziehen, war schon für seine Wiesbadener Zeit dezidiert belegt worden und bestätigte sich nun auch in seinem Agieren als „Sonderbeauftragter“. Das Netz der Kunsthändler, Agenten und Sammler, welches Voss für die Ankaufstätigkeit im In- und Ausland nutzte, bringt auch höchst problematische Verquickungen ans Licht: Eine Sonderstellung nahm beispielsweise das Dorotheum in Wien ein, ein Auktionshaus, welches in großem Stil mit beschlagnahmtem jüdischen Kunst- und Kulturgut handelte. Als Gegenleistung für die erfolgreichen Geschäfte, die das Haus mit dem „Sonderauftrag“ abschloss, durfte sich die Wiesbadener Galerie über zahlreiche Schenkungen des Dorotheums freuen.

Nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 zog sich Voss mit seiner Frau auf Schloss Weesenstein bei Pirna zurück, einem zentralen Auslagerungsort zahlreicher Kunstwerke. Einmal mehr zeigt sich hierbei die verhängnisvolle und folgenreiche Verzahnung der drei Ämter von Voss, denn durch die gemeinsame Bergung der Bestände aus unterschiedlichen Provenienzen waren die Probleme der Nachkriegszeit vorprogrammiert. Diesen entzog sich Voss schließlich sehr elegant, indem er – einen Rapport beim Wiesbadener Bürgermeister vorschützend – im Juli 1945 Dresden Richtung Westen verließ, wo er von den Amerikanern festgesetzt und vernommen wurde. Diese Protokolle der „Art Looting Investigation Unit“, die vor allem Voss’ eigene Version seiner Tätigkeit vermitteln, bilden bis heute eine maßgebliche Quelle für die Bewertung von Voss’ Rolle im „Sonderauftrag Linz“. Sie werden nun von Iselt kritisch hinterfragt und durch andere Quellen in vielem widerlegt.

Iselts geradezu wegweisende historisch-biographische Studie lässt kaum einen Wunsch offen – höchstens den nach einer ähnlich komplex angelegten, aus dem umfangreich vorhandenen Quellenmaterial schöpfenden Biographie von Voss’ Amtsvorgänger Hans Posse.

Anmerkung:
1 Birgit Schwarz, Hitlers Museum. Die Fotoalben der Gemäldegalerie Linz: Dokumente zum „Führermuseum“, Wien 2004.

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