S. Arndt u.a. (Hrsg.): Visualisierte Kommunikation im Mittelalter

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Titel
Visualisierte Kommunikation im Mittelalter. Legitimation und Repräsentation


Herausgeber
Arndt, Steffen; Hedwig, Andreas
Reihe
Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 23
Erschienen
Anzahl Seiten
150 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Eßer, Historisches Institut der RWTH Aachen

Am Anfang des vorliegenden Bandes aus den Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg steht ein Festvortrag Theo Kölzers zum „Farbigen Mittelalter“, und das im doppelten Sinne: Nicht nur, dass er den Band eröffnet, er war auch ausschlaggebend für das Zustandekommen der Veröffentlichung, wie Andreas Hedwig in der Einleitung erläutert. Ausgangspunkt war eine Ausstellung des Staatsarchivs im Jahre 2009 zu eben jenem ‚farbigen Mittelalter‘, welche die diesbezüglich eindrucksvollsten Archivalien präsentieren sollte. Die Eröffnung begleitete Kölzer mit seinem Vortrag, in welchem er der ‚Farbigkeit‘ des Mittelalters die gemeinhin der Epoche unterstellte ‚Finsterheit‘ gegenüberstellt und mit mancherlei Bezug zur Gegenwart schließlich zu dem Schluss gelangt, das ‚farbige Mittelalter‘ sei „nicht die Welt der ‚kleinen Leute‘, sondern einer dünnen Elite“ (S. 28) gewesen.

Wie Hedwig schildert, „beflügelten“ (S. 8) Kölzers Ausführungen die Pläne einer eingehenderen Auseinandersetzung mit dem Thema. Resultat war eine Tagung bewusst kleineren Formats, da sich der Fragestellung zeitnah das 13. Symposium des Mediävistenverbandes in Bamberg umfänglich zugewendet hatte.1 Der vorliegende Band vereinigt die Beiträge jener Tagung, die noch im Rahmen der Ausstellung realisiert werden konnte, und ergab sich, wie Hedwig formuliert, somit „fast von selbst.“ Er äußert die Hoffnung, dass „dennoch ein inhaltlich gut konturiertes und ansprechendes Buch“ (S. 7) entstanden sei.

Ansprechend ist es in der Tat ob der zahlreichen farbigen Abbildungen, allerdings haben einige Tippfehler den Weg ins Buch geschafft (S. 14: „Barberei“, S. 22 u. 23: „Mittellalter“, S. 23: „Purpurkunden“, S. 35: „Pupur“, S. 132, Anm. 111: ein stehengebliebener Platzhalter), die den Lesegenuss stellenweise einschränken.

Zur inhaltlichen Konturierung ist zunächst das Fehlen einer engeren Themeneingrenzung festzustellen, das jedoch offensichtlich auf bewusster Entscheidung beruht, wie Hedwig andeutet (S. 9). Vielleicht wäre unter diesen Umständen der offenere Titel des „farbigen Mittelalters“ angemessener gewesen, denn der Begriff der „visualisierten Kommunikation“ hätte, ebenso wie der Untertitel „Legitimation und Repräsentation“, wohl eingehenderer Begründung und Erläuterung bedurft. Die Beiträge eint insgesamt eher der konkrete Bezug zur Ausstellung als eine eng konturierte Themenstellung.

Steffen Arndt versucht zwar eine thematische Einführung, indem er „Kommunikation als Instrument der Macht in der Geschichte“ umreißt, was ihn von Perikles bis zur Bundespräsidentenwahl 2009, von der Rhetorik bis zum Internet führt. Dabei verwendet Arndt den Begriff der Kommunikation allerdings sehr eng. So ist ein Satz wie: „Kommunikation im Mittelalter war ein Privileg“ (S. 35) nur zu begründen, wenn man darunter lediglich Schriftlichkeit oder das Erstellen aufwendiger Urkunden versteht – allerdings erschöpft sich ‚Kommunikation‘ kaum darin, auch im Mittelalter nicht.

Was die titelgebende ‚visualisierte Kommunikation‘ genau meint, bleibt unscharf. Dies betrifft beispielsweise das Verhältnis von ‚visueller Kommunikation‘ zur Schrift – immerhin ist auch Schrift visuell, und gerade der Übergang von Schrift zum Bild ist ein wesentliches Merkmal vieler der betrachteten Zeugnisse.

Dennoch trennt etwa Alexander Seibold in seinem Beitrag, in dem er spätmittelalterliche Ablassurkunden in indirekter Anknüpfung an Peter Rück und andere als „frühe Plakate“ betrachtet, unter dem Schlagwort der ‚visualisierten Kommunikation‘ beides scharf voneinander. Die für Urkunden (wie Plakate) typische Verbindung von Schrift und Bild thematisiert er nur am Rande und deutet stattdessen zum Ende des Beitrags die zunehmende Bildlichkeit im religiösen Bereich – für das Spätmittelalter wie die Gegenwart – als einen „Glaubens- und Niveauverlust durch Anschaulichkeit“ (S. 104). „Notgedrungen war der spätmittelalterliche Mensch ein visueller Mensch; denn er war Analphabet. Dem Defizit seiner Schriftlichkeit, der mangelnden Abstraktionsfähigkeit und damit recht oberflächlichen Glaubens [sic] entsprechend, musste er etwas zu sehen bekommen“ (S. 103) – nicht jeder wird sich solch pauschaler Wertung anschließen mögen.

Heinrich Meyer zu Ermgassen hingegen untermauert seine Forderung an die Forschung, den „Bilderschatz“ des Codex Eberhardi zu heben, indem er in der Fuldaer Handschrift gerade der Verbindung von Schrift und Bild nachspürt, etwa anhand der Darstellung von Päpsten in Form ganzfiguriger I-Initialen, die dem Leser beim Blättern gewahren sollen, „dass Fulda von mehr als 40 Päpsten privilegiert ist“ und er bei Nichtbeachtung der nebenstehenden Urkunden „deren Bannfluch zu fürchten“ habe (S. 59). Zugleich wird kritische Geschichte der Mediävistik betrieben und ihre Textfokussierung herausgestellt, wie sie sich etwa in den Diplomata-Bänden der MGH niedergeschlagen habe, in denen das Mittelalter dem Benutzer „als eine papierene Welt ohne Farbe“ (S. 66) entgegentrete.

Nicht mit farblosen Editionen, sondern mit Urkunden im Original beschäftigen sich entsprechend die Beiträge von Albert Kopp („Die Ungültigmachung spätmittelalterlicher Privaturkunden am Beispiel des Stiftarchivs Fulda“) und Otfried Krafft („Illuminierte Unionsbullen. Burgund, das Konzil von Florenz und die Urkunden ‚Letentur celi‘ und ‚Cantate domino‘ von 1439 und 1442“).

Kopp widmet sich dabei nach eigenem Bekunden einem „Randthema“ (S. 72), das nicht nur bisher wenig behandelt wurde und definitorische Schwierigkeiten birgt, sondern auch überaus quellenarm ist: Im von ihm für die Untersuchung zur Grundlage genommenen Stiftsarchiv Fulda finden sich bis zum Jahr 1500 lediglich 15 ungültig gemachte Urkunden. Diese befragt er in Hinblick auf Datierung, Anlass und Form der Ungültigmachung, allerdings weniger unter dem Aspekt einer wie auch immer gearteten ‚visuellen Kommunikation‘. Die grundlegende Frage lautet, was überhaupt notwendig war, um die Gültigkeit einer Urkunde aufzuheben, wie das Ungültigmachen von Urkunden im Mittelalter realisiert wurde. Kopp erkennt dabei für das Stiftsarchiv Fulda eine spätmittelalterliche Entwicklungstendenz von Tilgungsstrichen und Vacat-Vermerken hin zu regelrechten Einschnitten in die Urkunden.

Ebenfalls bisher wenig in der Forschung behandelt wurden illuminierte Papsturkunden, denen sich Otfried Krafft annimmt. In seinem Beitrag beschäftigt er sich besonders mit zwei Unionsbullen aus dem Umfeld des Konzils von Ferrara-Florenz. Dabei betrachtet er vor allem zwei besonders prächtige Exemplare der Bullen „Cantate domino“ von 1442 sowie „Letentur celi“, welche schon drei Jahre zuvor anlässlich der Union mit der griechischen Kirche entstand und weite propagandistische Verbreitung fand. Diese besonders prächtigen, mit farbigen Auszeichnungen, Verzierungen und Illustrationen versehenen Ausfertigungen kann Krafft vor allem anhand der darauf abgebildeten Wappen überzeugend mit dem burgundischen Umfeld Philipps des Guten in Verbindung bringen, dessen Unterstützung des Konzils auf diese Weise entlohnt wurde. Die beiden Prunkurkunden dienten dabei ebenso zur Legitimation und Repräsentation der aufsteigenden burgundischen Position, womit der Beitrag den Bezug zum Untertitel des Bandes herzustellen vermag.

Ebenfalls eine Rolle spielen Repräsentation und Legitimation im Beitrag Steffen Kriebs, der sich mit der „Herrscherdarstellung in den Bildern der Chroniken Wigand Gerstenbergs“ beschäftigt, einem Gegenstand, der sich für Früh- und Hochmittelalter bereits einer langen und intensiven Bearbeitung erfreut, bei spätmittelalterlichen Zeugnissen aber erst in den Anfängen steht.

Wiederum ein diplomatisches Thema hat Hans K. Schulze gewählt, mit dessen Abendvortrag zur „Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu“ nicht nur die Tagung endete, sondern auch der Band schließt.

Der Band dokumentiert im Wesentlichen die Marburger Tagung und enthält recht Unterschiedliches, einiges durchaus Anregendes, bisweilen aber auch Bekanntes oder zu Vertiefendes. Der anfangs zitierten Hoffnung Andreas Hedwigs kann sich der Rezensent somit nur mit Einschränkungen anschließen.

Anmerkung:
1 Einen Überblick über das Programm bietet <http://www.farbiges-mittelalter.de> (23.03.2011).

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