U. Fleckner u.a. (Hrsg.): Handbuch der politischen Ikonographie

Titel
Handbuch der politischen Ikonographie. 2 Bde., Bd. 1: Von Abdankung bis Huldigung, Bd. 2: Von Imperator bis Zwerg


Herausgeber
Fleckner, Uwe; Warnke, Martin; Ziegler, Hendrik
Reihe
Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
1137 S.
Preis
€ 98,00 (ab 1.1.2012: € 128,00)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf B. Rader, Monumenta Germaniae Historica / Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Annähernd 150 Beiträge von über 100 Autoren auf fast 1.200 Seiten, mit weit über 1.000 Abbildungen illustriert: Schon die schieren Zahlen dieses zweibändigen Werkes künden von seinem Anspruch. Es unternimmt nicht weniger als den Versuch, im Sinne der modernen Bildwissenschaft all jenen bildlichen Mitteln nachzuspüren, die zur Darstellung von politischen oder historischen Sachverhalten benutzt werden. Von „Abdankung“ bis „Zwerg“, von der Antike bis in die Gegenwart sollen bestimmte Ereignisse, Handlungen und Personen, politische Ideale und Institutionen in ihrer jeweiligen Visualisierung analysiert werden. Das „Handbuch der politischen Ikonographie“ will also, wie seine Herausgeber im Vorwort schreiben, ein „Bildhandbuch […] sein, ein Text- und Bilderbuch, das dem Leser und Betrachter vor Augen führt, welche historischen Kontinuitäten und Brüche die Begriffe, Themen und Motive politischer Visualität über die Jahrhunderte hinweg prägen“ (S. 7). In den Beiträgen kommt immer wieder zur Sprache, wie spezielle Symbole und Motive, wie Legenden und Mythen in Gemälden und Photos, in Flugschriften, auf Plakaten und Denkmälern, aber auch in Filmen und im Fernsehen verwendet wurden und werden.

Das Werk gründet auf den Ansätzen und Ambitionen jener Ikonologie, die um 1900 vom Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg entwickelt, dann seit den 1920er-Jahren von ihm, seinen Mitarbeitern und befreundeten Kollegen wie Gertrud Bing, Fritz Saxl, Edgar Wind oder Erwin Panofsky ausgeformt worden sind; jene fruchtbaren Ansätze also, die bis in die „Philosophie der symbolischen Formen“ von Ernst Cassirer oder Percy Ernst Schramms „Kaiser, Rom und Renovatio“ reichen. Dass es überhaupt solche Werke wie das nun vorliegende gibt, dass man gerade in Deutschland solche Mammutprojekte angeht (und auch erfolgreich zu Ende bringt), damit geradezu Kathedralen des Wissens errichtet, ist gar nicht genug anzuerkennen, denn in anderen Wissenschaftslandschaften oder Wissenstraditionen ist das beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Das Werk versammelt durchweg gut lesbare, mitunter brillant formulierte Essays unter Stichworten, die Vorgänge behandeln, wie etwa „Bildersturm“, „Huldigung“, „Majestätsbeleidigung“ oder „Rebellion“, Institutionen, wie „Monarchie“, „Parlament“, „Partei“, „Polizei“ oder „Staat“, Gruppen, wie etwa „Bauer“, „Frau“, „Juden, bewaffnete“, „Nation“ oder „Minderheiten“, Einzelfiguren wie „Brutus“, „David“ oder „Herkules“ sowie Objekte, etwa „Säule“, „Schiff“, „Rathaus“, „Historienbild“ oder „Geld“. Manches Stichwort überrascht, wie etwa „Bad in der Menge“ oder „Pflasterstein“.

Doch was haben wir mit den beiden Bänden eigentlich vor uns? Ist es tatsächlich ein Handbuch, wie es der Titel verspricht? Ein Handbuch bietet nach allgemeinem Verständnis systematisch geordnete, umfassende Grundinformationen zu einem größeren Forschungsgebiet. Dabei kann die Anordnung des Wissensstoffes chronologisch oder nach thematischen Gesichtspunkten vorgenommen werden, doch von zentraler Bedeutung ist immer die systematische Gliederung des Werkes. Genau dieses ist im vorliegenden Werk nicht gegeben. Oder ist das Werk durch die alphabetisch geordneten Stichworte eigentlich ein Lexikon? Auch das trifft nicht zu. Und so wird hier der Zwittercharakter des Werks offenbar: Als Handbuch ist das Werk zu unsystematisch strukturiert, als Lexikon hingegen wären die Begriffe oft auf einem zu hohen Abstraktionsniveau gewählt.

Stellen wir uns einen Praxis-Test vor: Was passiert, wenn man einem Geschichtsstudenten, sagen wir mit dem Schwerpunkt der mittelalterlichen Geschichte, dieses Werk gäbe, damit er sich, wie man ja Handbücher benutzt, einen Überblick über die politische Ikonographie seiner historischen Schwerpunktthemen verschaffte? Was er von den Bildern seines Forschungsgebiets kennt (etwa Kronen oder Diademe, Zepter, bestimmte Waffen, Brustpanzer), suchte er als Stichworte hier vergeblich. Aber sein Gespür ließe ihn dann bei allgemeiner gefassten Stichworten wie etwa „Herrscherinsignien“ nachsehen, wo er über die historische Entwicklung der Krone einiges, über andere Insignien Beiläufiges erführe. Das Stichwort „Krönung“ informierte ihn zusätzlich über die mediale Konstruktion solcher Rituale.

Nun interessiert ihn, was bei „Herrscherbegegnungen“ im Sinne einer politischen Ikonographie interessant sein könnte: Das Handbuch hat zwar das Stichwort, widmet sich den Begegnungen aber erst seit dem Zeitpunkt, als Ludwig XIV. und Philipp IV. von Spanien zusammentreffen. Gibt es denn zuvor keine Bilder von Herrscherbegegnungen? Doch, es gibt sie. Die Fresken aus SS. Quattro Coronati in Rom etwa oder Darstellungen aus den Grandes Chroniques de France liefern hinsichtlich der politischen Ikonographie von Herrscherbegegnungen auch im Mittelalter exzellentes Bildmaterial. Doch wird es im entsprechenden Artikel nicht systematisch ausgebreitet, ja nicht einmal erwähnt.

Eine weitere hypothetische Recherche: Der König stirbt. Beim Stichwort „Tod des Herrschers“ würde unser fiktiver Student fündig werden. Doch dort ist hauptsächlich von Päpsten der Frühen Neuzeit die Rede. Dann könnte er noch einiges über die Problematik der englischen und französischen Begräbniskultur des Spätmittelalters erfahren, denn geradezu rituell wird in kunsthistorischen Debatten immer wieder gern auf Ernst Kantorowicz und dessen Werk „The King’s Two Bodies“ verwiesen. Von dort käme er zum Beitrag „Zwei Körper des Königs“, die sogar ein eigenes Stichwort bekommen haben. Zum Glück gibt es noch „Grabmal“. Hier finden sich wunderbare Beobachtungen zu Grabmälern spätmittelalterlicher Herrscher, wie etwa diejenigen der Kaiser Ludwigs IV. oder Friedrichs III. sowie zu den Kapetingern in Frankreich oder den Anjou in Italien. Doch dürfte sich unser Student erneut fragen: Waren denn die Pharaonen, Babylonier, Perser, Alexander der Große und die Diadochen, Roms Imperatoren, viele der Könige und Kaiser des Früh- und Hochmittelalters keine Herrscher, die im Sinne politischer Ikonographie und somit eben auch hinsichtlich ihrer visualisierten Legitimität irgendetwas Erwähnenswertes hinterlassen haben?

Nun würde man den Autoren und Herausgebern nicht unterstellen, dass sie um die hier benannten Desiderate nicht wissen; natürlich wissen sie davon. Dann aber ist nicht zu übersehen, dass gerade das Zugespitzte, Einseitige, mitunter sogar Fragmentarische die gewollte Darstellungsabsicht war und nicht eine Übersicht über ganze Themenfelder. Die Herausgeber räumen ein, dass das Werk nur „einen Bruchteil“ dessen zusammentragen konnte, „was zweifellos interessante Einblicke verspräche“. Das kann man verstehen. Doch ergibt sich als methodisches Problem, dass das Abstecken eines Zeitrahmens hier hätte konsequenter angewendet werden müssen, um enzyklopädische Erwartungen gleich im Vorfeld zu dämpfen.

Ein anderes Problem ergibt sich aus den Abbildungen. Weil im selben Bild mitunter mehrere Sinnschichten enthalten sein können (wie etwa Salomon sowohl in christlichem Bezug als auch als Herrscherdarstellung gedeutet werden kann) kommen manche Motive mehrmals vor. Doch mitunter stört die Häufung, so dass man sich fragt, ob es denn nur eine einzige Darstellung eines speziellen Themas der politischen Ikonographie gibt, wie etwa Ambrogio Lorenzettis „Allegorie der guten und schlechten Regierung“, die im ersten Band auf den Seiten 49, 382, 401, 402, 404 und 405 sowie im zweiten Band auf Seite 373 zu sehen ist. Überhaupt sehen: Sehen kann man auf manchen Bildern nur bedingt etwas, wenn man nicht schon wüsste, was man sehen soll, wie etwa die Beispiele des Stichwortes „Schlachtenbild“, wo bei Altdorfers Alexanderschlacht die Kontrahenten oder bei Orley die geschlagenen Schweizer Truppen buchstäblich im kleinteiligen Gewimmel verschwinden. Denn Bilder, die tatsächlich viereinhalb mal acht Meter groß sind, lassen sich schwerlich auf Schwarz-Weiß-Briefmarkenformat abbilden. Doch das dürfte überhaupt ein Problem von Referenzwerken mit solch großer Bilderzahl sein.

Fazit: Das „Handbuch der politischen Ikonographie“ ist kein Handbuch im herkömmlichen Sinne. Streng genommen sind in dem Werk eigentlich alphabetisch geordnete Artikel eines Sammelbandes vereint – eines ohne Zweifel exzellenten. Das Werk beschreibt facettenreich die politische Ikonographie als ein Zentralphänomen der historischen Kulturwissenschaften. Es hat seine Stärken darin, dass es in vielen Fällen zwar nicht die genauen Details zu konkreten Objekten liefert, sondern die ungeheuren Dimensionen der politischen Ikonographie als Phänomen benennt und beim Leser eine Sensibilität dafür weckt. Und dass es dies oft auf anschauliche, ja unterhaltsame Weise vermag, das soll man in einem Nachschlagewerk, egal ob es sich als Handbuch oder Lexikon bezeichnet, erst einmal nachmachen.

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