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Titel
Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen


Autor(en)
Bösch, Frank
Reihe
Historische Einführungen 10
Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Campus Verlag
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 18,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Zimmermann, Kultur- und Mediengeschichte, Universität des Saarlandes

Bisherige deutschsprachige Einführungen und Überblickswerke in der Mediengeschichte litten an diversen Unzulänglichkeiten. Entweder waren sie auf die zeitungswissenschaftliche Tradition festgelegt, beschäftigten sich detailversessen mit dem Aufblühen der deutschen Zeitungslandschaft im 18. Jahrhundert, ignorierten das Fernsehzeitalter, die Entstehung internationalisierter Medienmärkte und die Fragestellungen benachbarter Disziplinen. Oder sie waren moderner konzipiert, diskutierten explizit Forschungskonzepte, stellten aber nur eine Teilepoche vor. Wiederum die aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive geschriebenen Darstellungen verfielen dem essentiellen Fehler des Präsentismus, behandelten historische Komplexe allzu kurz und konfrontierten interessierte jüngere Leser mit einer Vielzahl von Fachbegriffen, die aufzuarbeiten ein ganzes Studium nötig ist. Zog man ersatzweise englisch- und französischsprachige Publikationen heran, zeigten sich ähnliche Schwierigkeiten, vor allem die Beschränkung auf die jeweilige Nationalgeschichte. Nur einige englischsprachige Autoren haben schon komparative Schneisen geschlagen; so Jane Chapman 1, die aber erst 1789 einsetzte und eine sehr eng definierte Agenda verfolgte.

In diese eher unbefriedigende Publikationslage stößt nun die „Mediengeschichte“ von Frank Bösch vor. Die Vorzüge seiner „historischen Einführung“ sind auf Anhieb erkennbar. Das Werk ist übersichtlich gegliedert, beginnt mit einer informativen Betrachtung des Forschungsfeldes der Mediengeschichte samt Hinweisen auf Online-Ressourcen. Der Autor sucht weit konsequenter als andere Darstellungen nach einer europäischen Perspektive, er bemüht sich um eine internationale Sichtweise. Gleichzeitig ist festzustellen, dass dieses Buch, obwohl über Register erschlossen und sehr aspektreich, keineswegs den Charakter eines Nachschlagewerks hat. Es ist standortbezogen und Schwerpunkte der Forschungstätigkeit Böschs zeichnen sich ab – so in den Passagen zu Medienmogulen und angesichts der Präferenz des Autors für das Wechselverhältnis von Politik und Medien.

Bösch legt einen klaren, an der Moderne orientierten Medienbegriff zugrunde. Chronologisch geht es vom „Durchbruch des typographischen Drucks“ (S. 27) über die wachsende Ausbreitung der Periodika, das Verhältnis von Schriftlichkeit und Oralität, die „Massenpresse“ (S. 109) und Globalisierung des 19. Jahrhunderts zu den Medienkulturen im politischen Kontext der Diktaturen des 20. Jahrhunderts und zur Frage, ob es heute ein „globales Fernsehzeitalter“ (S. 211) gibt. Das Buch verfolgt einen relativ kontinuierlichen, ständig an Wirkkraft gewinnenden Medialisierungsprozess seit Gutenberg bzw. den asiatischen Druckpraktiken. Dieses Medialisierungskonzept hebt sowohl allgemein auf die „vergesellschaftende Wirkung“ von Medien als auf die Darstellungsweisen moderner Politik in Medien (S. 123) seit etwa 1900 ab. Auch werden die Zusammenhänge von Medien und politischen Revolutionen betont (S. 104). In der Entwicklungsgeschichte der Medien selbst unterstreicht Frank Bösch jedoch deren prozessualen Charakter. Bekanntlich konstatiert die bisherige Forschungsliteratur eine Vielzahl von konkurrierenden Medien- und Kommunikationsrevolutionen. Demgegenüber wird hier immer wieder auf das sich im Zuge von einzelnen Innovationen und strukturellen Entwicklungen neu einstellende Medienensemble verwiesen, in dem „alte“ und „neue“ Medien in ein neues Wechselverhältnis geraten. In der Zeit nach 1880 wandelten sich beispielsweise Zeitungen und Zeitschriften besonders rasch, weil sich ihren Gestaltern nun Telegrafie, Telefon und Fotografie erschlossen (S. 109). In diesem Zusammenhang entwickelt der Autor zentrale Begriffe wie den „investigativen“ Journalismus und die Sozialreportage, bringt diese Praktiken wiederum mit dem Selbstbild der Journalisten (im deutsch-britischen Vergleich) und „ambivalenter Moderne“ in Zusammenhang (S. 112ff.). Deutlich weist der Verfasser medientechnologischen Determinismus zurück. Es gäbe „kein technisches Apriori für Medienentwicklungen“ (S. 58). Wenn er technische Innovationen dennoch als „maßgebliche Voraussetzung für die Presseexpansion“ des 19. Jahrhunderts charakterisiert (S. 111), ist dies eine Formulierung, die man mittragen kann.

So überzeugend das Gesamtkonzept und die Darstellung Böschs ist, besonders auch die Textökonomie des Bandes, so muss doch auf die Verkürzungen der medienkulturellen Perspektive hingewiesen werden. Es ist klar, dass in einer knappen Einführung der individuellen Aneignungsgeschichten des Medialen kaum nachgegangen werden konnte, auch nicht jeweiligen lokalen Kontexten. Subjektive Konstitutionen von Medienpublika, Geschmacksbildung, der Megastar als Faszinosum werden zwar erwähnt, erhalten aber mit Ausnahme des Filmpublikums (S. 149ff., S. 183) keine Aufmerksamkeit. Hingegen interessiert sich die Darstellung für die Diffusion medialer Innovationen und hier wiederum mehr für soziale als für großräumliche Differenzen. Letzteres dürfte allerdings nicht zuletzt der Forschungslage geschuldet sein, denn die rare Literatur – etwa zu Osteuropa – behindert innereuropäische Vergleiche. Für Gegenläufigkeiten, die den Medialisierungsprozess gleichsam störten, für Ungleichzeitigkeiten medialer Aneignung bleibt wenig Raum. Insofern vertritt Bösch trotz der Betonung „unterschiedlicher Wege zur Mediengesellschaft“ (S. 27) und der Aufmerksamkeit für regionale Entwicklungen (etwa die Zeitungsdichte in den Niederlanden in der Frühen Neuzeit, S. 61) oder wenn auf S. 39 herausgestellt wird, wie partiell sich Gutenbergs Erfindung zunächst auswirkte, einen modernisierungstheoretischen Ansatz. Letzterer gewinnt seine Maßstäbe in den Räumen, die Bösch für relevant hält: vor allem Deutschland, Großbritannien und die USA. Was in jenen Räumen primär entstand, kulminiere heute in einer „neuen globalen Medialität“ (S. 129). Warum auf diesem Wege die diktatorischen Regimes des 20. Jahrhunderts nur „scheinbar“ moderne Errungenschaften aufgewiesen haben sollen (S. 163), hätte wohl in einem Satz erläutert werden sollen. Auf Seite 179 heißt es dann, die Medien im Nationalsozialismus seien Teil einer illiberalen, pathologischen Moderne; hier scheint ein tragfähiger Modernebegriff auf.

An verschiedenen Stellen trifft man auf ein Hauptproblem bisheriger Mediengeschichte: das der Frage der „Wirkung“ von Medien bzw. medialisierten Inhalten. Als jemand, der von der politischen Zeitgeschichte herkommt, geht Bösch bisweilen zwar auch vom Wirkungsbegriff aus: so bei den Bemerkungen zur sozial nivellierenden Wirkung von Zeitungslektüre (S. 82), hinsichtlich der Entstehung des Nationalismus durch medialisierte Kommunikation (S. 97) und der Etablierung der Massenpresse als politischer Macht (S. 123) sowie bei den zweifelsohne eindrucksvollen Reportagebildern aus My - Lai (S. 209). Auch die „Wirkung“ der alliierten Radiopropaganda in der nationalsozialistischen Diktatur schätzt er als hoch ein (S. 181, vgl. auch S. 202 zur „Schockpädagogik“). Aber Bösch weist sehr zu Recht auf die „zu starke Fixierung“ der Forschung „auf die Wirkungsweise von Medien“ (S. 21) hin. Auch relativiert er den immer noch weit verbreiteten Glauben an die Allmacht von Propaganda. Er stellt immer wieder die „Wirkung“ von Medien in Frage, etwa wenn auf Seite 51 unter Hinweis auf Ostasien betont wird, dass der Druck nicht einfach zu steigender Individualisierung führte. Bösch zielt darauf ab, komplexe Zusammenhänge darzustellen anstelle allzu „eindeutiger Kausalitätsannahmen“. So werden auch Annahmen zurückgewiesen, die aus Massenauflagen ubiquitäre kulturelle Standardisierungsprozesse ableiteten. So werden vielfach historische Zuschreibungen, nicht aber die Tatsächlichkeit von „Wirkung“ herausgearbeitet. Wenn beispielsweise auf Seite 132 dargestellt wird, dass telegrafische Übermittlung die Zeitungen „ereignisbezogener machte und eine schlagzeilenartig verknappte Faktenorientierung … förderte“, ist dies eine angemessene Formulierung der Kausalzusammenhänge. Auch an anderen Stellen spricht der Verfasser vorsichtig (und hier eröffnet er einen Weg aus dem Dilemma des belasteten Wirkungsansatzes) von „Zusammenhängen“ zwischen medialen und außermedialen Entwicklungen, so bei den Beziehungen zwischen Zeitungsgründungen und dem Aufkommen lateinamerikanischer Unabhängigkeitsbewegungen (S. 99). Im Zusammenhang mit dem Aufstieg der deutschen Sozialdemokratie ist von „Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik“ (S. 126) die Rede. So zeigt sich, dass es weitaus besser ist, von „Interaktionen“ und von „zugeschriebenen“ Wirkungen auszugehen als von diesen selbst.

Insgesamt setzt Böschs Einführung komparatistische Akzente, wirft starke Seitenblicke auf die britische und US-amerikanische Entwicklung, öffnet den Blick für außereuropäische Eigenarten, vor allem für die chinesische und japanische Buchgeschichte, und kritisiert so den „Überlegenheitsdiskurs“ bisheriger deutscher Mediengeschichte (S. 28). Die Wechselbeziehungen von Medien- und jeweiliger Gesellschaftsgeschichte werden souverän herausgearbeitet. Das Buch fußt auf einer beeindruckenden, primär historischen, indes multidisziplinär angereicherten Literaturbasis. Es erklärt die medienwissenschaftliche Begrifflichkeit stets am historischen Verwendungskontext, hält die optimale Lage zwischen problemorientierter, begriffsorientierter Darstellung und anschaulichen Beispielen. Böschs Werk schneidet demnach gegenüber der Konkurrenz stark ab und bietet für einen angemessenen Preis einen komplexen Standard, den der Verfasser mit seinen eigenen Forschungsarbeiten in hohem Ausmaß vorbereitet hat.

Anmerkung:
1 Jane Chapman, Comparative Media History. An Introduction. 1789 to the Present, Cambridge 2005.

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