Atlantic Revolutions: New Perspectives, New Paradigms?

Bender, Thomas; Dubois, Laurent (Hrsg.): Revolution!. The Atlantic World Reborn. Kingston, UK 2011 : D Giles Ltd., ISBN 978-1-904832-94-2 288 S. € 55,02

Albertone, Manuela; De Francesco, Antonino (Hrsg.): Rethinking the Atlantic World. Europe and America in the Age of Democratic Revolutions. Basingstoke 2009 : Palgrave Macmillan, ISBN 978-0-230-20678-6 308 S. € 70,92

: Revolutions in the Atlantic World. A Comparative History. New York 2009 : New York University Press, ISBN 978-0-8147-4789-6 239 S. € 16,08

Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Susanne Lachenicht, Universität Bayreuth

Nachdem der Franzose Jacques Godechot und der Amerikaner Robert R. Palmer das 1917 von Walter Lippmann entwickelte Konzept der Atlantischen Weltb zw. der „Demokratischen Atlantischen Revolutionen“ in den 1950ern vor allem geopolitisch zu nutzen suchten und einen von Freiheit, Demokratie und gemeinsamen Werten bestimmten atlantischen Raum beschworen, der durch die NATO geschützt werden sollte, beschäftigt sich die neuere und neueste Forschung zu den so genannten Atlantischen Revolutionen zunehmend mit Interdependenzen bzw. Entangledness, Vergleich, Missverständnissen und Unterschieden.

Im Zentrum der Forschung zu den Atlantischen Revolutionen stehen die Amerikanische, Französische Revolution und Haitianische Revolution, die Abolitionismusbewegung, die Unabhängigkeitsbewegungen Spanisch-Amerikas sowie die Genese von freiheitlich-republikanischen bzw. demokratischen Verfassungen im Atlantischen Raum, in der Zeit zwischen ca. 1774 und 1820. Hier sind die drei zu besprechenden Bände zu verorten, die in Intention, Publikum und Qualität nicht unterschiedlicher sein könnten:

Revolution! The Atlantic World Reborn ist ein Katalogband, ein coffee table book, hervorgegangen aus einer Ausstellung zu den Atlantischen Revolutionen in der New York Historical Society (NYHS). Der Katalog richtet sich an ein an Geschichte und Geschichtswissenschaft interessiertes Publikum, an Laien, die sich nicht nur für US-amerikanische, sondern auch für europäische und karibische historische Ereignisse interessieren. Der Fokus liegt, wie dies traditionell üblich war, nicht nur auf der Amerikanischen und Französischen Revolution, sondern eben auch auf Haiti bzw. der Abolitionismusbewegung. Dies macht nicht nur die Beteiligung Laurent Dubois’, Träger des Frederick Douglass Buchpreises und Spezialist für Sklaverei sowie karibische Revolutionen, am Herausgeberteam deutlich, sondern auch der Katalogeinband, den das Porträt ziert, das Anne-Louis Girodet de Roussy-Trioson vom französischen Konventsabgeordneten J.B. Belley, Deputierter von Saint-Domnigue, 1797 malte.

Der Band bietet neben elf Essays, die die Atlantischen Revolutionen aus einer (mehr oder weniger konsequenten) entangled perspective betrachten, jede Menge Bildmaterial: Gemälde, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, Pamphlete, Karikaturen, Zeichnungen von Zuckerplantagen aus der reichsten Kolonie der Welt des 18. Jahrhunderts – Saint-Domingue (heute Haiti)–, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, Zeitungsausschnitte, Photos der material culture der Atlantischen Revolutionen und vieles mehr. Ästhetisch ansprechend, genau wie die gleichzeitig mit der Ausstellung wieder eröffnete, 2011 sich in neuem Gewand präsentierende NYHS selbst.

Die elf Beiträge stammen von renommierten amerikanischen Spezialisten des Zeitalters der Revolutionen, lassen aber, wie dies für Ausstellungskataloge typisch ist, teils Tiefe und Komplexität vermissen.
Thomas Bender versucht in seinem Aufsatz A Season of Revolutions: The United States, France and Haiti die wechselseitige Rezeption und entangledness der revolutionären Ereignisse in Amerika, der Karibik und Europa nachzuzeichnen, sowohl anhand von Akteuren wie Francisco de Miranda bzw. seines Netzwerks – das u.a. Simon Bolívar, Benjamin Franklin, Alexander Hamilton und Thomas Paine einschloss, um nur einige der bekanntesten transatlantischen Akteure zu nennen – als auch anhand von Übersetzungen von Schlüsseltexten wie der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung oder der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Der Beitrag rollt die bekannte Geschichte der konkurrierenden imperialen Mächte Frankreich und Großbritannien seit dem Siebenjährigen Krieg erneut zur Erklärung des Ausbrechens der Amerikanischen und Französischen Revolution bzw. ihres jeweiligen Verlaufs auf, ebenso wie die der Haitianischen Revolution und der Unabhängigkeitsbewegungen der spanischen Überseegebiete nach 1808. Benders wichtigste Aussage ist die des Endes des Exceptionalism der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Integration in eine entangled history Amerikas, Europas und Afrikas.

T.H. Breen, einer der profiliertesten Kenner der Amerikanischen Revolution, analysiert in Insurgents before Independence: The Revolution of the American People die Mentalitäten und Motivationen der amerikanischen Kolonisten, die letztendlich zur Unabhängigkeit führten; Cathy Mason zeichnet in A Port in the Storm: Philadelphia’s Commerce noch einmal die Auswirkungen der „Intolerable Acts“ auf Kaufleute und Handel in Philadelphia nach bzw. analysiert deren Wirtschaftsverhalten während und nach der Amerikanischen Revolution. Implizit macht sie dabei deutlich, wie wenig atlantischer Handel vor, während und nach der Amerikanischen Revolution innerhalb von nationalen oder imperialen Grenzen gedacht werden kann bzw. von statten ging, wie sehr amerikanische Kaufleute transnational, transethnisch und transkonfessionell handelten.

In Atlantic Revolutions and the Age of Abolitionism beschäftigen sich David Brion Davis und Peter P. Hinks mit der Entwicklung von Sklaverei und Abolitionismusbewegung in der Karibik, Amerika bzw. Europa. Während Napoleon 1801 die Abschaffung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien, die 1794 offiziell erfolgt war, wieder rückgängig machte und dabei zunächst von Großbritannien unterstützt zu einem Revival der Sklaverei beitrug, entschied sich Großbritannien 1807 offiziell die Sklaverei abzuschaffen und eine neue ideologische Basis für das Britische Empire zu schaffen. Großbritannien war auch das Land, das 1815 in der Schlussakte des Wiener Kongresses dafür sorgte, dass Sklaverei offiziell geächtet wurde. Davis und Hinks analysieren, wie die Amerikanische, Französische und Haitianische Revolution dazu beitrugen, dass sich in Großbritannien ein moralischer Druck gegen Sklaverei aufzubauen vermochte, der letztendlich den ökonomischen Interessen des Empire zu widersprechen schien.

Während sich Jean Casimir mit den Ereignissen 1804 auf Saint-Domingue (Haiti) befasst, liefert Robin Blackburn mit seinem Beitrag eine sehr optimistische Einschätzung der Errungenschaften der Haitianischen Revolution, der nicht nur mit den Realitäten vor Ort bzw. der Entwicklung Haitis nach 1804 in scharfem Kontrast steht, sondern auch mit Laurent Dubois‘ und Julius S. Scotts nuanciertem Aufsatz zu Jean-Baptiste Belley, einem in Afrika geborenen Sklaven auf Saint-Domingue, der Repräsentant im Pariser Nationalkonvent wurde und Toussaint Louvertures Revolution auf Haiti durchaus kritisch gegenüber stand. Jeremy D. Popkins Beitrag behandelt die unterschiedliche Wahrnehmung und Umsetzung von Freiheit und Gleichheit in Frankreich und Haiti; Vincent Brown den „Racial Terror“ im Blick. Die Furcht weißer Kolonisten vor Sklavenaufständen, die sich an den Ereignissen auf Jamaika, Surinam und Haiti entzündeten, führte, so Brown, zu einer zunehmenden Brutalisierung von Sklaverei im späteren 18. und im 19. Jahrhundert, zu „genocidal violence“ (S. 180) – ein Phänomen, das Philip D. Morgan bereits in seinem Slave Counterpoint (S. 387f.) beschrieben hat. Abolitionismusbewegung und Sklavenaufstände führten in den Sklavengesellschaften des 19. Jahrhunderts damit zu dem genauen Gegenteil dessen, was die Abolitionisten eigentlich intendiert hatten.

Rethinking the Atlantic World. Europe and America in the Age of Democratic Revolutions ist ein Sammelband, in dem Manuela Albertone (Turin) und Antonino De Francesco (Mailand) Aufsätze von in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Großbritannien und den USA (Jonathan I. Israel) zu den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts arbeitenden Kollegen vereinen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine neue Perspektive auf die Atlantischen Revolutionen oder die Atlantische Welt liefern weder die einzelnen Beiträge, die fast ausschließlich bereits Bekanntes bzw. von den Autoren schon Publiziertes wiedergeben, noch die Einleitung des Bandes. Letztere definiert weder, was mit dem Begriff Democratic Revolutions gemeint ist, noch wird der Begriff „demokratisch“ relativiert oder in der Semantik des späten 18. Jahrhunderts umrissen. Eine Klärung, was denn nun die Atlantische Welt darstellt oder ausmacht, fehlt ebenso wie eine Definition von Europa. Letzteres ist, dies macht implizit die Auswahl der Beiträge deutlich, auf Frankreich, Großbritannien und die Niederlande reduziert, wobei die Perspektive insgesamt dominant auf Frankreich und den USA bzw. ihren „entangled histories“ liegt. Revolutionäre bzw. republikanische Experimente in Italien, im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation (Stichwort Mainzer Republik oder Cisrhenanische Republik), den habsburgischen Erblanden (Wiener bzw. ungarische Jakobiner), Irland (z.B. United Irishmen), England oder Polen bleiben unberücksichtigt – eine merkwürdige Definition von Europa.

Moniert wird, dass die New Atlantic History von einer britischen und amerikanischen Perspektive dominiert würde (S. 1) – ein Faktum, das nun dazu führt, dass die Herausgeber dieses Bandes eine dominant französische bzw. eine dem Spezialisten nicht ganz unbekannte franko-amerikanische Sichtweise einnehmen. Ist die New Atlantic History also ein Forschungsfeld, in dem unterschiedliche Nationalhistoriographien um Raum für die eigene nationale und imperiale Geschichte kämpfen? Dies wäre in der Tat eine sehr verkürzte Perspektive auf die Möglichkeiten und Leistungen des Ansatzes, dem sich die beiden Herausgeber nicht anschließen wollen, der aber von ihrem Band nicht wirklich überwunden wird, angesichts eines veralteten Forschungsstandes.

Die einzelnen Beiträge stammen von prominenten und weniger prominenten Spezialisten der Atlantischen Revolutionen und fallen in ihrer Qualität sehr unterschiedlich aus. Jonathan I. Israel, einer der renommiertesten Frühneuzeithistoriker, der mittlerweile in Princeton lehrt, Spezialist der niederländischen Geschichte, der Sephardischen Diaspora im Atlantischen Raum und der radikalen Aufklärung, verortet die amerikanischen und französischen Revolutionäre in der Intellectual History Europas (in diesem Fall wirklich Europa) und macht deutlich, dass sich das revolutionäre Denken in Frankreich und den jungen USA radikal vom englischen, moderaten Republikanismus unterschied. Pasquale Pasquino (New York, Paris) beschäftigt sich mit dem noch immer aktuellen Thema der unterschiedlichen Konzepte von Gewaltenteilung in der Amerikanischen und Französischen Revolution; KoenStapelbroek (Rotterdam) untersucht den Zusammenhang der revolutionären und republikanischen Ereignisse in den Niederlanden und die Rolle, die Freihandelskonzepte hierbei spielten. Manuela Albertone setzt sich mit dem französischen ökonomischen Denken des späteren 18. Jahrhundert und seinen Auswirkungen auf Thomas Jefferson auseinander, Marcel Dorigny (Paris) mit der Haltung der Physiokraten in Frankreich zu Sklaverei. Antonino De Francesco zeigt, wie stark die Amerikanische Revolution revolutionäres Denken in Frankreich beeinflusste und Pierre Serna(Paris) analysiert die Rezeption Amerikas im Frankreich der Direktorial- und Konsulatszeit. Am kritischsten setzt sich Allan Potofsky (Paris) mit dem Konzept der Atlantischen Revolutionen auseinander. Er optiert für eine Analyse der ökonomischen und politischen Zusammenhänge der so genannten demokratischen Revolutionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und damit auch für eine New Atlantic History jenseits nationaler und imperialer Paradigmen. Man hätte sich gewünscht, dass auch die anderen Beiträge und vor allem die beiden Herausgeber sich diesem approach konsequent angeschlossen hätten. Hier wurde eine Chance verpasst.

Eine holistischere Perspektive auf die Revolutions in the Atlantic World liefert der niederländische, an der Clark University/MA arbeitende Historiker Wim Klooster. Seine historisch-vergleichende Analyse hebt sich wohltuend von nationalhistoriographischen Darstellungen abhebt. Klooster beginnt mit den imperialen Konflikten in Europa, im Atlantischen Raum und (diesen Aspekt nur streifend), im Indien des 18. Jahrhunderts, die für ihn einen äußerst wichtigen Bezugsrahmen für die Ereignisse des späten 18. Jahrhunderts darstellen. Darauf folgt ein Kapitel zur Amerikanischen Revolution als Civil War in the British Empire. Die Französische Revolution (Kapitel 3) wird vor allem (aber nicht nur) als War on Privilege and Dissension interpretiert, die Revolution auf Haiti (bzw. Saint-Domingue) als From Prize Colony to Black Independance. Kapitel 5 setzt sich mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika unter der Analysekategorie Multiple Routes to Sovereignty auseinander. Kapitel 6 vergleicht systematisch Besonderheiten und Parallelen dieser so genannten Atlantischen Revolutionen. Es gehört sicherlich zu dem Konzisesten und Differenziertesten, was in den letzten Jahren über die Atlantischen Revolutionen geschrieben wurde und lädt zu kritischer Auseinandersetzung ein.

Klooster arbeitet in seiner Überblicksdarstellung (S. 1) den heute fast schon klassischen Kanon der Atlantischen Revolutionen anhand des aktuellen internationalen Forschungsstandes auf und tut dies im Unterschied zu vielen anderen Studien unter Einbeziehung US-amerikanischer, französischer, britischer, deutscher, niederländischer, spanischer und Perspektiven auf die Ereignisse, was zu einem differenzierten und vor allem multiperspektivischem Bild vom Untersuchungsgegenstand führt und typisch europäische Perspektiven auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts mit typisch amerikanischen zusammenbringt bzw. diese hinterfragt. Für Klooster sind die unterschiedlichen Ursachen, Verlaufsformen und Wirkungen der Atlantischen Revolutionen wichtiger als die von Palmer und Godechot beschworenen Gemeinsamkeiten. Viele, der häufig in französischen bzw. amerikanischen Darstellungen nicht vorkommenden Ursachen und Wirkungen wie etwa die Interessen und diplomatischen Beziehungen der American Indians (diese fehlen oft in europäischen Studien), die Mainzer Republik oder die Helvetische Republik (diese werden in amerikanischen Arbeiten meist ausgeblendet), um nur einige Wenige zu nennen, werden bei Klooster mit einbezogen. Vollends in Frage stellt Klooster die Atlantischen Revolutionen als „Democratic Revolutions“, wie es vor allem Palmer in seinem einflussreichen Werk getan hatte. Eine Klammer um die Atlantischen Revolutionen sieht Kloosterdarin, dass „they all created sovereign states that professed hostility to privilege and began to question black slavery“ (S. 1, S. 165ff.).

Neue Paradigmen und neue Perspektiven bietet keine der drei hier zu besprechenden Publikationen zu den Atlantischen Revolutionen. Für einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand bzw. eine differenzierte, multiperspektivische Analyse steht jedoch der Band von Wim Klooster.

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