Mit der Einwandererzentralstelle (EWZ) nimmt Andreas Strippel in seiner an der Universität Hamburg entstandenen Dissertation einen zentralen Akteur der nationalsozialistischen Siedlungs- und Germanisierungspolitik während des Krieges in den Blick und bereichert die noch relativ junge Forschung zur NS-„Volkstumspolitik“ mit einer soliden und aufschlussreichen Institutionengeschichte, eingebettet in eine instruktive Erörterung des Rassebegriffs und der zugrunde liegenden Staatsangehörigkeitsregelungen seit dem Ersten Weltkrieg.
Detailliert schildert Strippel die verschlungene Entstehungsgeschichte und schließliche Ausdifferenzierung der EWZ im Zusammenhang mit der Wende von der Stabilisierung deutscher Minderheiten zur Umsiedlungspolitik, die durch die Zusatzprotokolle zum Hitler-Stalin-Pakt und die Umsiedlung Deutscher aus Osteuropa Gestalt annahm. Der Ausgestaltung der neuen Behörde, in der Strippel einen neuen Typus nationalsozialistischer Verwaltung sieht, im Konzert der anderen Institutionen des sich entfaltenden Imperiums Himmlers als Reichskommissar zur Festigung Deutschen Volkstums räumt er breiten Raum ein. Zu Recht betont er den bereits von anderen festgestellten engen Zusammenhang zwischen Siedlungspolitik auf der einen sowie Mord und Vertreibung auf der anderen Seite.1 Daraus leitete sich die Kernaufgabe der EWZ ab – festzustellen, wer Deutscher sei und wer nicht, mit tiefgreifenden Konsequenzen für die betroffenen Menschen (die allerdings in der Studie ein wenig zu kurz kommen).
In der Feststellung bzw. Entscheidung über die Staatsangehörigkeit auf Grundlage „rassischer“ Bewertungsmaßstäbe (neben anderen), dem Kerngeschäft der EWZ, tritt schließlich der besondere Charakter dieser genuin nationalsozialistischen Institution zutage, in der Verschmelzung staatlicher Aufgaben wie der Einbürgerung mit den rassepolitischen Instrumenten und Zielsetzungen des Sicherheitsdienstes. Allerdings klaffte von Anfang an eine Lücke zwischen rassetheoretischen Ansprüchen und praktischer Umsetzung, zumal Erstere nicht nur verworren waren, sondern auch immer wieder Änderungen unterlagen.
Die praktische Umsetzung scheiterte nicht nur am ideologischen Anspruch, sondern auch an der permanenten Ausweitung des Programms, mit der die personelle Ausstattung der EWZ nicht mithalten konnte, die ab Ende 1940 nahezu konstant über nur rund 1.000 Mitarbeiter verfügte, dominiert von vergleichsweise jungen SS-Offizieren in Führungspositionen. Diese Führungspersönlichkeiten bleiben in der Darstellung aber, wie die anderen Mitarbeiter auch, äußerst blass und sind als Einzelne gar nicht erkennbar, obwohl mehrfach die große Rolle der Persönlichkeit für die SS und ihre Institutionen betont wird und manche von ihnen, wie etwa Martin Sandberger, bereits gut erforscht sind.2
Die EWZ versuchte, den wachsenden Anforderungen durch eine Rationalisierung der „rassischen Überprüfung“ Herr zu werden. Sinnbild hierfür ist der Sonderzug, der ab Frühjahr 1941 im Einsatz war und in dem 120 Mitarbeiter europaweit die „Schleusung“ der betroffenen Bevölkerungsgruppen durchführten. Hier wurde rassenideologischer Wahn gepaart mit bürokratischer Effizienz und moderner Technik, sodass 260 bis 465 Fälle am Tag bearbeitet werden konnten. Doch auch diese Neuerung konnte nicht mit der seit 1940 permanenten Ausweitung des Tätigkeitsfeldes der EWZ Schritt halten, die schließlich europaweit aktiv wurde, in Griechenland, Bosnien, Slowenien, Frankreich und in Polen. Nicht nur von außen wurde der Radius vergrößert, auch die EWZ selbst war darum bemüht, nicht zuletzt um Legitimationen für die eigene Existenz zu schaffen. Dabei trat die rassenideologische Komponente in den Hintergrund, beziehungsweise sie wurde ad absurdum getrieben, indem der Personenkreis immer größer wurde und schließlich im Generalgouvernement auch bereits 1940 abgelehnte Personen als „deutschstämmig“ oder „volksdeutsch“ anerkannt wurden. Dieses schon recht pragmatische Vorgehen, das auch einer größeren Wehrerfassung gedient haben dürfte, ging Himmler jedoch zu weit; er stoppte es daher.
Strippel gelingt eine überzeugende Studie über eine zentrale Institution der NS-Rassenpolitik, deren neuartigen Charakter zwischen einem Träger staatlicher Aufgaben (wie der Einbürgerung) und einem Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik er überzeugend darlegt, indem er sowohl ihre Praxis als auch ihren theoretischen Anspruch in den Blick nimmt. Klar konturiert er die Entwicklung der wechselnden Gewichtung der verschiedenen Kriterien für die Erteilung der deutschen Staatsangehörigkeit, unter denen jedoch, wie Strippel zu Recht betont, das rassische Kriterium immer grundlegend blieb.
Deutliche Abstriche hingegen sind bei der sprachlichen Darstellung zu machen, die – nicht nur wegen der gehäuften Übernahme von NS-Termini – mitunter problematisch ist, wenn der Autor etwa zur Arbeit der EWZ in Rumänien schreibt: „Erstmals arbeitete die EWZ im Ausland“ (S. 193). Zwar macht Strippel selbst in der Einleitung auf die Problematik aufmerksam und sagt, der besseren Lesbarkeit wegen würden Anführungszeichen bei Begriffen wie „Schleusung“ etc. weggelassen. Der in manchen Passagen massiv geballte Gebrauch solcher Begriffe wie „Arbeitseinsatz“, „Selektion“, „Fremdarbeiter“ etc. beeinträchtigt die Lesbarkeit allerdings sehr, da sich die Darstellung mitunter kaum von etwaigen Berichten der EWZ abhebt.
Anmerkungen:
1 Vgl. vor allem: Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt am Main 1995.
2 Zu Sandberger vgl. Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Zu weiteren „Rasseexperten“ vgl. Isabel Heinemann, „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- & Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003.