: Im Zeichen der europäischen Einigung. 1963 bis in die Gegenwart. Darmstadt 2011 : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 978-3-534-14709-0 404 S. € 69,90

: Frankreich seit 1945. . Stuttgart 2011 : UTB, ISBN 978-3-8252-3536-9 254 S. € 19,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Hertzog, Technische Universität Darmstadt

Das Jahr 2013 begann mit medienwirksam inszenierten Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages, danach ist das gemeinsam ausgerufene „deutsch-französische Jahr“ gegenüber wirtschaftspolitischen Diskussionen schnell wieder in den Hintergrund getreten. Grundlegende, nicht nur symbolische, Verbundenheit hat die vergangenen 50 Jahre ebenso geprägt wie ein mehr oder weniger offener Umgang mit unterschiedlichen Vorstellungen der bilateralen und europapolitischen Zusammenarbeit. Im Rahmen der auf elf Bände angelegten „Deutsch-Französischen Geschichte“ (DFG) wagt sich Hélène Miard-Delacroix daran, die jüngsten fünf Jahrzehnte in einer doppelt-gemeinsamen Perspektive zu beleuchten. Angesichts der in der französischen Historiographie verbreiteten Vorsicht, allzu junge Vergangenheit in den Kanon dessen aufzunehmen, was als „Geschichte“ untersucht werden kann, ist besonders erfreulich, dass sich mit Requates „Frankreich seit 1945“ ein weiteres Werk an eine Synthese heranwagt. Schließlich sind in Frankreich selbst – abgesehen von den entsprechenden Bänden einschlägiger Reihen1 – bislang eher Einzelstudien erschienen; Bände, die einen größeren Bogen schlagen, sind meist politikwissenschaftlich geprägt oder aber (auto)biographischer bis hagiographischer Natur.

Miard-Delacroix verfolgt den Anspruch, mit einer rein vergleichenden „zwischen beiden Seiten alternierenden Darstellung bilateraler Beziehungen“ (S. 8) zu brechen; sie greift dabei das allen DFG-Bänden zugrunde liegende und maßgeblich von Michael Werner2 formulierte Konzept der histoire croisée auf, ohne jedoch in Verklärung dieser neuen Methode völlig auf die Stärken des klassischen Vergleichs zu verzichten. Vielmehr entscheidet sie je nach Thema, ob vergleichende oder überkreuzende Ansätze eher für die jeweilige Darstellung geeignet sind. Da sie diese Überlegungen transparent macht, lässt sich der Band auch als Lehrstück der transnationalen Geschichtsschreibung mit Gewinn lesen.

Gegliedert in zwei Hauptteile präsentiert die Autorin zunächst einen chronologischen Überblick, um sich dann mit ausgewählten Forschungsschwerpunkten und zeitgenössischen Debatten intensiver auseinanderzusetzen. Gleich zu Beginn zeigt sich die komplexe Herausforderung des Ansatzes, wenn es um eine gemeinsame Periodisierung geht. 1968 war in vielerlei Hinsicht beiderseits des Rheins ein Wendepunkt; auch die krisenhafte Wahrnehmung der 1970er-Jahre zeigt Ähnlichkeiten. Obwohl Miard-Delacroix den Zäsurcharakter von Regierungswechseln nicht überbetonen will, sieht sie die Wahl des ersten sozialistischen Präsidenten der V. Republik 1981 als einschneidendstes Ereignis, während dies für Deutschland zweifellos die Wiedervereinigung war. Die Autorin gibt offen zu, dass die „Zeitmarke 1963, an der dieses Buch ansetzt“ (S. 19) gegenüber diesen Ereignissen verblasst; für die Konzeption der deutsch-französischen Geschichte zum Zeitraum seit Kriegsende liegt es zwar nahe, die Bände mit dem Élyseevertrag von 1963 zu unterteilen, es ist jedoch erfreulich, dass nicht versucht wird, diese vor allem editorische Entscheidung durch die Konstruktion und Überhöhung einer Zäsur 1963 zu rechtfertigen.3

Im Kapitel über „Wirtschafts- und Währungskrisen“ wird eine doppelte Herausforderung und interpretatorische Gratwanderung deutlich: Vergleichbare Handlungen wie „Krisenmanagement“ werden je nach Land unterschiedlich verstanden, Begriffe wie „Modernität“ sind jeweils semantisch aufgeladen. Selbst wenn vermeintlich gleiche Begriffe verwendet werden, muss somit stets hinterfragt werden, ob auch das gleiche gemeint ist: Hat „gauche“ den gleichen politischen Sinngehalt wie „links“? Inwieweit sind in beiden Sprachen (fast) gleichlautende Begriffe wie „Technokrat“ Ausdruck vergleichbaren Denkens? Auf diesen „Silberblick im wechselseitigen Verständnis“ weist die Autorin am Ende des Bandes ausdrücklich hin, „denn viele Begriffe bezeichnen einfach nicht dieselbe Wirklichkeit“ (S. 342).4 Während die Teilung sich als zentrales Thema durch die gesamte bundesrepublikanische Geschichte zieht, führte vor allem die Neuorientierung der Ostpolitik unter Brandt dazu, dass Frankreich intensiv die innerdeutschen Entwicklungen verfolgte. Die „andere“ deutsch-französische Beziehung – so die gut gewählte Überschrift – untersucht die Autorin in einem eigenen Kapitel. Diese Entscheidung, die DDR nicht als dritten Erzählstrang in die ohnehin schon komplexe Narration einzubinden, erscheint angemessen, zumal in der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte viele parallel oder zumindest mit gleichen Maßstäben beschreibbare Vorgänge zwischen Frankreich und Westdeutschland unter ganz anderen Vorzeichen zu betrachten wären.

Der programmatisch ausgerichtete zweite Teil des Bandes beginnt mit dem für beide Staaten bereits als Wendepunkt ausgemachten Jahr 1968. Miard-Delacroix arbeitet Unterschiede im zeitlichen Ablauf und den räumlichen Schwerpunkten heraus; zudem stellt sie eine stärkere Radikalisierung der 68er-Bewegung sowie der höheren Intensität staatlicher Gewaltausübung in Deutschland fest. Umgekehrt gab es hier keine Verbindung von Studenten- und Arbeiterprotest, die in Frankreich zum Generalstreik führte. Die Beschäftigung mit dem Terrorismus ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Autorin methodisch kontextabhängig vorgeht und Vergleich mit histoire croisée kombiniert, indem sie neben der historischen Gegenüberstellung auf „sich wechselseitig beeinflussende Vorgänge“ (S. 172) verweist, konkret geht es um den Einsatz in Fahndungsplakaten – in Frankreich zunächst verpönt und als Zeichen des deutschen Denunziantentums verbrämt, Mitte der 1980er-Jahre aber selbst in großem Stil eingesetzt. Im Kapitel zum Wandel der Arbeitsgesellschaft sticht vor allem eine bemerkenswerte Erkenntnis des transnationalen Ansatzes heraus, nämlich eine negative Transfergeschichte: Die Autorin beschreibt, wie gerade das Bewusstsein der gegensätzlichen Gewerkschaftstraditionen die jeweils abgegrenzten Modelle festigte; für die eher klassenkämpferisch geprägten französischen Syndikalisten galt die „vorbildliche“ Sozialpartnerschaft eher als abschreckendes Beispiel einer „Kollaboration“ mit den Arbeitgebern (S. 244). Besonders schwer ist zweifellos das Thema „Geschichte und Erinnerung“ mit dem doppelgleisigen Ansatz des Bandes in Einklang zu bringen, und auch die Autorin stellt gleich klar, dass man nicht „im direkten Vergleich das Verhältnis zu zwei Vergangenheiten analysieren“ und folglich keine „deutsch-französische Geschichte der Erinnerung an erlebte Ereignisse“ schreiben könne (S. 211). Sehr wohl lassen sich aber Parallelen und Unterschiede der Gesellschaften (und ihrer Historiker) im Umgang mit der jeweiligen Vergangenheit beobachten. Besonders mustergültig durchgehalten findet sich der doppelte Erzählstrang schließlich im Kapitel zur Staatsangehörigkeit und Integration. Bei allen nationalen Besonderheiten und Unterschieden wird die deutsch-französische Geschichte aus einem Guss erzählt. Beide Staaten waren zunächst um Arbeitskräfte und später um Begrenzung der Zuwanderung bemüht; deutliche Unterschiede zeigen sich in der kulturellen, sprachlichen, sozialen und beruflichen Integration, wobei Frankreich eher in den erstgenannten Bereichen erfolgreicher erscheint.

Das einzige weniger überzeugende Kapitel nimmt allein schon in der Überschrift zu viele Fäden auf, wenn „Regierung und politische Kultur im Vergleich: der Parlamentarismus und die komplexe Rolle des Kommunismus“ dargestellt werden sollen. Es ist zumindest gewagt, die Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der politischen Kultur vor allem anhand der Rolle des Kommunismus aufzuziehen. Vielleicht wäre hier der „schulmäßige Ansatz“, wie Miard-Delacroix ihn selbst expliziert aber bewusst nicht durchführt, gewinnbringender gewesen: Einen solchen „Vergleich des semantischen Gehalts von Begriffen wie Republik, Parlament, Exekutive oder sogar Demokratie in Deutschland und Frankreich“ hätte man im luziden Stile der sonstigen Kapitel gerne gelesen (S. 179). Denn sind nicht die manifesten Gegensätze zwischen kommunistischen Parteien in der BRD (verboten oder marginalisiert) und Frankreich (Ausdruck einer eigenen, zumindest regional und lokal mehrheitsfähigen Lebensart) vielmehr durch die unterschiedliche Situation der Staaten im Ost-West-Konflikt geprägt und somit gerade nicht primär Ausdruck längerfristig geprägter politischer Kulturen? Besser gelungen ist der zweite Teil des Kapitels, wo die in der Kapitelüberschrift versprochenen großen Themen behandelt werden, der bundesrepublikanische Parlamentarismus mit bewusst schwacher Exekutive und demgegenüber die unmittelbare Autorität des französischen Präsidenten, der seine ohnehin schon außerordentlichen verfassungsgemäßen Kompetenzen in der Praxis gewohnheitsmäßig noch übertrifft. Dabei bleibt die Autorin nicht auf dieser hinlänglich bekannten Ebene stehen, sondern sucht auch nach Unterschieden in der „Ausübung der Staatsmacht“ (S. 196) auf weniger sichtbaren institutionell-administrativen Ebenen.

Gegen Ende ihres Werkes zeigt sich Miard-Delacroix vielleicht etwas zu begeisterungsfähig für ihren Untersuchungsgegenstand als „Motor Europas“ (S. 307ff.) ebenso wie für ihre eigene Narration. Dass sie ihre Zusammenfassung mit dem Untertitel „Erschütterte Gewissheiten und Kontraste“ versieht, suggeriert etwas mehr Dramatik, als das Buch und sein Resümee liefern können. Für Kenner der deutsch-französischen Geschichte weichen die Erkenntnisse nicht so überraschend von gängigen Vorstellungen ab, wie es die Autorin herausstellen möchte. Dies gilt allenfalls im Kontrast zu wechselseitigen medialen Zerrbildern. Der Band sollte aber auch nicht mit dem Anspruch gelesen werden, sensationelle Enthüllungen vorzufinden; vielmehr fasziniert die konzeptionell inspirierende erzählerische Darstellungsform.

Auch Requates Band revolutioniert nicht unser bisheriges Wissen und Denken über die französische Nachkriegsgeschichte, er liefert aber eine bislang in deutscher Sprache in dieser thematischen Breite und zugleich kompakten Tiefe nicht verfügbare Synthese. Der Autor umreißt zunächst die zentralen Themen Republik und Staatlichkeit und die in diesem Zusammenhang ausgetragenen Kämpfe und symbolischen Überhöhungen; zur internationalen Einordnung Frankreichs seit 1945 schlägt er den Begriff des „anderen Westens“ (S. 18) vor, um das stetige Bemühen um Abgrenzung insbesondere zu den USA hervorzuheben. Die Ausprägung der politischen Parteien steht am Anfang der Untersuchung, Requates Blick bleibt aber nicht auf eine politikhistorische Perspektive beschränkt: Der wirtschaftlichen, kulturellen und intellektuellen Neuorientierung der Nachkriegsjahrzehnte wird mindestens ebenso viel Raum zugestanden. Klassisches begriffliches Pendant zum deutschen „Wirtschaftswunder“ sind die „Trente Glorieuses“, Requate nennt aber auch die alternative Periodisierung der „Vingt décisives“ (1965–1985) sowie das Paradigma einer „Seconde Révolution française“. Auch wenn diese sich nicht durchgesetzt haben, sind sie in der Tat inspirierender als die für die Bundesrepublik etablierte „etwas ermüdende Einteilung in Dekaden“ (S. 100). Einen treffenden Kommentar findet Requate auch für seine Betrachtung des Übergangs von der IV. zur V. Republik: „Es gibt historisch nur wenige Beispiele dafür, dass sich demokratisch verfasste Ordnungen zugunsten einer neuen, ebenfalls demokratischen Ordnung gleichsam 'wegreformieren'.“ (S. 89)

Der Autor liefert eine kritische Analyse der französischen Gesellschaft und ihrer teils überkommenen, teils neu hervortretenden Ungleichheiten; überzeugend arbeitet er heraus, wie sich eine spezifisch französische Oberschicht bis in die Gegenwart „ihre Exklusivität bewahren oder gar noch ausbauen“ (S. 113f.) konnte. Zwar ist insgesamt eine soziale Öffnung des Bildungssystems allein schon durch die massive Ausweitung der Universitäten nicht zu leugnen; die weitgehende Reproduktion der bestehenden Eliten im System der Grandes écoles bleibt jedoch ein Problem, das im französischen Bewusstsein tief verankert ist und gleichwohl kaum Reformen erkennen lässt. Die bekannte Folge fasst Requate treffend zusammen als außerordentlich „enge Vernetzung zwischen den Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung, wie sie in kaum einer anderen westlichen Demokratie zu beobachten ist“ (S. 120). Auch im Blickwinkel der audiovisuellen Ausdrucksfreiheit war Frankreich im Untersuchungszeitraum durchaus kritikwürdig: Rundfunk und Fernsehen wurden de facto als staatliche – das heißt: regierungsamtliche – Verlautbarungsorgane angesehen, die nur zögerlich und restriktiv der Opposition eine Stimme gaben. Vorsichtigen Liberalisierungen in den 1970er-Jahren folgte schließlich nach dem Wahlsieg der Sozialisten die Zulassung privater Radiostationen, Mitte der 1980er-Jahre entstanden die ersten privaten Fernsehsender. Die gedruckte Presse sah sich weniger als investigativ denn als Teil einer „elaborierten Debattenkultur“ (S. 155) ohne Drang zur Skandalisierung – abgesehen von dem in vieler Hinsicht einzigartigen „Canard Enchaîné“, der als Satireblatt daherkommt, vor allem aber für seine kenntnisreichen Enthüllungen berüchtigt ist. Requate wagt sich auch an eines der heikelsten Themen der französischen Nachkriegsgeschichte, den bekanntermaßen viele Jahrzehnte offiziell „namenlosen“ Algerienkrieg. Dieser spielt auch später im Kapitel zur „französischen Konfliktgesellschaft“ eine zentrale Rolle, haben doch die politischen Auseinandersetzungen um den Umgang mit dunklen Flecken der republikanischen Erinnerung die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren in Atem gehalten. Der Band schließt mit einem knappen Ausblick, der überwiegend den Umgang mit ökonomischen Herausforderungen in den Mittelpunkt stellt.

Die Gliederung des Bandes folgt überwiegend einer „heimlichen“ Chronologie: Die Kapitel sind nach Themenblöcken unterteilt, allerdings liegen die Schwerpunkte jeweils in aufeinander folgenden Zeiträumen. Diese inhaltliche Struktur ist einerseits anregender als ein chronologisches Vorgehen, führt aber zwangsläufig zu Überschneidungen, Doppelungen und auch Lücken. Die Rolle der Intellektuellen, Außen- und Europapolitik sowie die Entwicklung von Parteien sind auf jeweils mindestens zwei Kapitel verteilt; die Entstehung grüner Bewegungen fehlt völlig. Die Überschrift zur „Ära Mitterrand/Chirac“ passt nicht zu den sonst durchweg nach Sachthemen benannten Kapiteln.

Während die Gliederung also zumindest nicht zwingend erscheint, sind die inhaltlichen Ergebnisse sehr überzeugend und der Zielgruppe eines Einführungswerkes angemessen. Erfreulich ist, wie immer wieder kurze Bezüge zur bundesrepublikanischen Geschichte hergestellt werden, besonders in Bezug auf die zeitliche Einordnung der beschriebenen Entwicklungen: So zeigt sich eine im Vergleich zur bismarckschen Tradition recht junge Sozialversicherung; die Familienpolitik wurde in Frankreich hingegen bereits 1939 und damit weltweit führend als „eigenständiger Politikbereich mit klar definierten Zielen und Maßnahmen“ (S. 186) kodifiziert. In angemessener Kürze werden Hinweise auf Forschungsdiskussionen und Desiderata gegeben; die kommentierte Bibliographie ermöglicht weiterführende Lektüre, allerdings verhindert der – editorische – Verzicht auf Fußnoten eine gezielte Vertiefung und Überprüfung. Hier hat die mit Nachweisen gesättigte Deutsch-Französische Geschichte den akademischeren Zugang, ohne auf eine ausführliche und thematisch gegliederte Bibliographie zu verzichten. Beide Bände haben allerdings auch unnötige Anhänge: Die Karten bei Miard-Delacroix (S. 398f.) sind doch relativ banal – sie zeigen das Europa der Sechs und das Europa der 27 – und die Kurzlebensläufe der französischen Staatspräsidenten bei Requate (S. 250–252) räumen den „großen Männern“ eine Bedeutung ein, die dem Ansatz des Buches widerspricht. Ähnlich ist es mit der Umschlagillustration bei Miard-Delacroix, die mit Mitterrand und Kohl Hand in Hand in Verdun symbolisch treffend, dabei aber ein staatstragendes Geschichtsbild vermuten lässt, dass die Narration (glücklicherweise) nicht einhält. Natürlich ist auch für die Illustrationen im Buch zu fragen, wie sich überhaupt die deutsch-französische Geschichte der letzten 50 Jahre auf jeweils ein Bild pro Hauptteil reduzieren lässt? Im ersten Fall ist das gelungen, auch wenn wieder die „großen Männer“ dargestellt werden, diesmal in Gestalt von Schmidt und Giscard, vertieft ins Zweiergespräch, während US-Präsident Jimmy Carter in Interviewmikrofone spricht. Die symbolische Botschaft dieser Momentaufnahme expliziert die Bildunterschrift: „Das deutsch-französische Tandem wird eigenständig.“ (S. 15) Dies ist der rote Faden – oder besser: einer der roten Fäden, denn die Themen sind zu vielschichtig, um auf eine Geschichte reduziert zu werden – der den Überblick durchzieht. Der zweite Teil „Fragen und Perspektiven“ ist mit nebeneinander im Bahnhof stehenden TGV und ICE illustriert; mangels Bildunterschrift muss der Leser selbst interpretieren, ob er in die etwas lustlos wirkende Illustration eine tiefere Botschaft hinein interpretiert: Kooperation und Wettbewerb? Vergleichbare Entwicklung mit jeweils nationaler Ausprägung? Modernisierung und technischer Fortschritt als Motor?

Diese Detailkritik soll keinesfalls überdecken, dass mit den besprochenen Werken zwei erfreulich gute Bücher zur (deutsch-)französischen Geschichte der vergangenen Jahrzehnte vorliegen, die bestenfalls auch Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern neue Lust auf die akademische Beschäftigung mit dem Nachbarland machen. Miard-Delacroix liefert eine erfreulich durchmischte Narration, die eben nicht Deutschland und Frankreich einander gegenüberstellt, sondern Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Widersprüche in eine Erzählung zusammenfasst. Die besten Passagen sind jene, wo diese Prämisse beim Lesen in Vergessenheit gerät und sich aus der im Titel noch doppelt benannten deutsch-französischen eine „deutschösische“ Geschichte formt. So gelingt es der Autorin, eine überzeugende Alternative zum klassischen Ansatz zu liefern, nach dem „Geschichtsschreibung mit Geografie beginnt und es dabei um Staaten geht“ (S. 344). Es bleibt höchstens dahingestellt, inwieweit sich diese Erkenntnis in absehbarer Zeit herumsprechen wird – gerade im Heimatland der Autorin, wo histoire-géographie als Schulfach ebendiese vermeintliche Einheit perpetuiert. Während innerfranzösische Themen ohne Bezug zur deutschen Geschichte bei Miard-Delacroix konzeptbedingt ausgeblendet werden, finden sie bei Requate angemessene Beachtung. Wer also einen fundierten und vielseitigen Überblick zur französischen Geschichte sucht, bekommt mit dem UTB-Band eine überwiegend flott und interessant zu lesende Handreichung. Dank der unterschiedlichen Herangehensweise lohnt es also durchaus, ohne große Redundanzen beide Bücher zu lesen.5

Anmerkungen:
1 Aus der politikhistorisch geprägten Reihe „Nouvelle Histoire de la France contemporaine“ die Bde. 15–19; eher sozialgeschichtlich die Reihe „La France contemporaine“ mit einem Band zur IV. und zwei zur V. Republik.
2 Erste Überlegungen bei Michael Werner / Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636.
3 Der Vorgängerband von Corine Defrance und Ulrich Pfeil trägt den Titel „Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963“, vgl. die Rezension von Guido Thiemeyer, in: H-Soz-u-Kult, 13.03.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-1-177> (09.08.2013).
4 Eben dieser Problematik widmete sich ein Kolloquium, das französische und deutsche Institutionen in Paris zwischen 2004 und 2012 gemeinsam organisierten: „Les Mots de l'histoire“; eine Bilanz erscheint in der Revue de l'Institut Français d'Histoire en Allemagne 4 (2012), S. 152–213, unter Federführung von Gudrun Gersmann und Falk Bretschneider.
5 Preislich ist freilich nur das UTB-Buch für Studierende geeignet – es mag typisch für den deutschen wissenschaftlichen Buchmarkt sein, dass die parallel im französischen Verlag Septentrion erscheinende Ausgabe der Deutsch-Französischen Geschichte pro Band durchweg 20,00 € günstiger ist.

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