M. Vaisse u.a.: La diplomatie française face à l’unification allemande

Cover
Titel
La diplomatie française face à l’unification allemande. D’après des archives inédites présentés par Maurice Vaïsse et Christian Wenkel


Herausgeber
Vaïsse, Maurice; Wenkel, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
398 S.
Preis
€ 25,36
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Thiemeyer, Historisches Seminar, Universität Siegen

Die welthistorische Wende der Jahre 1989/90 mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums kann bereits nach gut zwanzig Jahren auf einer vergleichsweise breiten Quellenbasis erforscht werden. Grundlage hierfür sind neben einer Vielzahl von Memoiren der Beteiligten vor allem die Veröffentlichungen regierungsinterner Dokumente. Den Anfang machte die Bundesregierung, die bereits 1998 Akten des Bundeskanzleramtes publizieren ließ.1 Die britischen Dokumente zum Prozess der deutschen Vereinigung folgten 2010.2 Ein Jahr später wurden sowjetische Dokumente in deutscher Sprache vorgelegt.3 Etwa gleichzeitig veröffentlichte auch die französische Regierung einzelne Quellen im Internet, nun folgt eine etwas umfangreichere Publikation aus den Akten des französischen Außenministeriums zum Problem der deutschen Einheit.4

Als Konsequenz aus diesen Veröffentlichungen haben sich bereits erste historiographische Debatten um die Deutung der Quellen entwickelt. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang ist jene nach der Rolle des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand im Kontext des deutschen Vereinigungsprozesses. Bereits 1996 publizierte Mitterrands Berater Jacques Attali tagebuchartige Aufzeichnungen, die nahelegten, dass François Mitterrand lange versucht habe, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu verhindern. Eine skeptische Einschätzung gegenüber Mitterrand zeigte zuletzt auch Ulrich Lappenküper.5 Demgegenüber hat der französische Historiker Frédérik Bozo argumentiert, dass Mitterrand der deutschen Einheit keineswegs ablehnend gegenüber stand, gleichwohl auf eine europäische Einbindung des vereinigten Deutschland gedrängt habe.6 Die Bearbeiter Maurice Vaïsse und Christian Wenkel greifen in ihrer Einleitung in diese Debatte ein und bezeichnen die Ablehnung der deutschen Einheit durch Mitterrand als Mythos. Mitterrand habe die Einheit weder verhindern noch verzögern wollen, so ihre These.

Die in diesem Band versammelten Dokumente stammen im Wesentlichen aus den Beständen des französischen Außenministeriums. Sie sind chronologisch angeordnet, wobei der Zeitraum zwischen April 1989 bis Oktober 1990 von den Bearbeitern in vier Phasen eingeteilt wird, die die verschiedenen Kapitel bilden: Das erste Kapitel befasst sich mit der Entwicklung vor der Öffnung der Berliner Mauer, das zweite behandelt die Zeit zwischen der Grenzöffnung und dem Besuch François Mitterrands in der DDR vom 20. bis 22. Dezember 1989. Im dritten Abschnitt geht es um die Entwicklung zwischen Dezember 1989 und den ersten freien Volkskammer-Wahlen in der DDR am 18. März 1990 während das letzte Kapitel Dokumente aus den so genannten 2+4-Verhandlungen umfasst.

Es handelt sich im Wesentlichen um zwei Typen von Dokumenten: Die überwiegende Anzahl der Quellen sind Berichte aus den französischen Botschaften in Berlin, Bonn, Moskau, Washington und London an die Pariser Zentrale. Es handelt sich um Lageberichte vor allem aus der DDR, um Aufzeichnungen über Gespräche mit anderen Botschaftern oder – insbesondere in Ost-Berlin – Protagonisten der „friedlichen Revolution“. Eine zweite Gruppe von Dokumenten besteht aus Aufzeichnungen aus dem Pariser Außenministerium, in denen grundsätzlich über die Ereignisse und mögliche französische Reaktionen hierauf reflektiert wird. Vor allem letztere geben Auskunft über die französische Perspektive auf den Prozess der deutschen Einheit.

Schon im April 1989 reflektierte der Leiter des „Centre de l’analyse et de prévision“, Jean-Marie Guéhenno sehr grundlegend über eine Neuorientierung in den deutsch-französischen Beziehungen. In Bonn habe sich ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber Frankreich und den anderen Großmächten entwickelt, vor allem weil die wirtschaftliche Weltmacht Bundesrepublik Deutschland kein vollständig souveräner Staat sei. Bonn sei auf der Suche nach seiner Identität und es bestehe die Gefahr, dass die Bundesrepublik in der Europäischen Einigung zunehmend einen technischen Mechanismus sehe, der ihre Entwicklung mehr behindere als fördere. Er schlug vor, gemeinsam mit der Bundesrepublik über eine Neuausrichtung der Europäischen Gemeinschaften nachzudenken. Damit war angedeutet, was dann nach der Beschleunigung der Ereignisse in der DDR zur Grundkonstante der hier publizierten Aufzeichnungen der französischen Diplomaten wurde: Die Entwicklung und Vertiefung der europäischen Integration als Instrument zur Überwindung der Instabilität. Dies bezog sich keineswegs alleine auf die Europäische Gemeinschaft, sondern auch auf die KSZE.

Eine Opposition der französischen Regierung gegen die deutsche Einheit lässt sich aus diesen Quellen in der Tat nicht erschließen. Jacques Blot, Direktor der Europa-Abteilung, sprach in einer Aufzeichnung vom 5. Dezember 1989 dagegen aus, die Stellung Frankreichs als Siegermacht in Berlin auszunutzen, um den Prozess der Vereinigung zu behindern. Am 20. Dezember, unmittelbar vor dem berühmten Besuch Mitterrands in der DDR, warnte er, dass der Besuch „ne doit pas se faire au détriment de l’entente franco-allemande, ni préjuger du choixque le peuple allemand pourra faire de son destin“. Und weiter: „Ce pourrait être l’occasion de rappeler la vision française de l’architecture future du continent : priorité à la construction communautaire, liens nouveaux avec les autres Etats européens, rôle du Conseil de l’Europe, développement du processus CSCE sur la base des principes de l’Acte final d’Helsinki.“ (Dok. Nr. 29, S. 172) Bei diesem Besuch erklärte Mitterrand anlässlich der Tischrede, „que c’est d’abord l’affaire des Allemands, qui auront à se prononcer librement sur ce que sera leur destin. La voie démocratique est la seule qui soit ouverte. Démocratique et pacifique. Car c’est aussi l’affaire de vos voisins qui cherchent à préserver, avec l’équilibre européen, la paix que connait notre continent depuis ces dernières décennies. Disant cela, je pense au respect des accords et des traités. Je pense surtout à l’inviolabilité des frontières, principe si précieux qu’il a été consacré, il y a quatorze ans, dans l’Acte final de la conférence d’Helsinki.“ (Dok. Nr. 30, S. 176) War Mitterrand also tatsächlich ein Befürworter der deutschen Einheit, wenn auch unter den genannten Voraussetzungen, wie die Herausgeber des Bandes erklären? Hier muss man vorsichtig sein. Bei dem Zitat handelt es sich um eine öffentliche Äußerung des Staatspräsidenten in der DDR. Wie Mitterrand intern über diese Dinge sprach, geht aus den hier publizierten Dokumenten leider nicht hervor. Bekannt sind seine sehr skeptischen Äußerungen über eine mögliche deutsche Einheit gegenüber der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in dem Gespräch vom 20. Januar 1990 aus den britischen Akten. Vaïsse und Wenkel argumentieren in der Einleitung, dass dies ausschließlich aus der britischen Version des Protokolls hervorgehe, die französische Version sei wesentlich anders, in dieser werde deutlich, dass der französische Präsident lediglich Verständnis für seine britische Gesprächspartnerin habe zeigen wollen. Das Dokument selbst wird leider nicht gedruckt, wie überhaupt alle Papiere aus dem Nachlass Mitterrands in den Archives Nationales. Die Bearbeiter konnten diese Quellen zwar einsehen, erhielten aber nicht die Publikationserlaubnis. So hängt ihre These vom Mythos der Opposition Mitterrands gegen die deutsche Einheit ein wenig in der Luft. Die hier publizierten Quellen zeigen lediglich, dass es im französischen Außenministerium keine Opposition gegen die deutsche Einheit gab.

Insgesamt jedoch ist der Band wertvoll. Er zeigt die Diskussionen um die deutsche Frage zwischen April 1989 und Oktober 1990 im französischen Außenministerium sowie die französische Perzeption der Ereignisse in Deutschland. Er dürfte damit eine Grundlage künftiger Forschungen werden.

Anmerkungen:
1 Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann, München 1998.
2 Documents on British Policy Overseas, Serie III, Vol. VII: German Unification, 1989-90, London 2010.
3 Aleksandr Galkin / Anatolij Tschernjajew (Hrsg.), Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991, München 2011.
4 <http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/ministere_817/archives-patrimoine_3512/chute-du-mur-berlin-ouverture-anticipee-archives-diplomatiques_19850/index.html> (20.01.2012).
5 Ulrich Lappenküper, Mitterrand und Deutschland. Die enträtselte Sphinx, München 2011.
6 Frédéric Bozo, Mitterrand, la fin de la guerre froide et l’unification allemande. De Yalta à Maastricht, Paris 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension