S. Ritter: Facetten der Sarah Baartman

Titel
Facetten der Sarah Baartman. Repräsentationen und Rekonstruktionen der ‚Hottentottenvenus‘


Autor(en)
Ritter, Sabine
Reihe
Racism Analysis, Series A, Volume 1
Erschienen
Berlin-Münster 2010: LIT Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Schramm, Seminar für Ethnologie, Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg

Kaum eine Figur der Kolonialgeschichte hat einen so hohen Symbolcharakter wie Sarah Baartman. Geboren in der südafrikanischen Kapkolonie im späten 18. Jahrhundert, trat sie zwischen 1810 und 1815 als „Hottentottenvenus“ in London und anschließend in Paris auf, wo sie im Dezember 1815 verstarb. Ihr Körper, der in den öffentlichen Darbietungen als exotisch-erotische „Attraktion“ vermarktet worden war, wurde durch den französischen Anatomen und Rassewissenschaftler Georges Cuvier bereits zu ihren Lebzeiten vermessen, mit ihrem Tod erfuhr Baartman jedoch die endgültige Einverleibung durch Cuvier und die Wissenschaft – eine Abformung wurde genommen, Gehirn und Geschlechtsteile wurden seziert und präpariert und der Rest des Körpers wurde skelettiert. Bis in die 1980er-Jahre hinein konnte man ihren Gipsabdruck im Pariser Musée de l’homme betrachten, bevor er aufgrund von Protesten dem öffentlichen Blick entzogen und ins Depot verbracht wurde. 2002 schließlich wurden nach zähen Verhandlungen die sterblichen Überreste Sarah Baartmans und die Abformung ihres Körpers nach Südafrika überführt und mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt.

Zwischen den zeitgenössischen Darstellungen der „Hottentottenvenus“ und dem späteren rassismuskritischen Diskurs des 20. Jahrhunderts, in dem die wissenschaftliche und künstlerische Beschäftigung mit Sarah Baartman eine Renaissance erfuhr, gab es eine Vielzahl von Rezeptionen, Übersetzungen und Interpretationen ihrer Person und ihrer Rolle im jeweiligen Kontext. Sabine Ritter stellt eben diese zweihundertjährige Repräsentations- und Aneignungsgeschichte ins Zentrum ihrer kritischen Analyse. Dabei hält sie zunächst fest, dass es das vermeintliche Oxymoron der „Hottentottenvenus“, wonach „HottentottIn“ für Hässlichkeit und Abstoßung steht, Venus hingegen für Anmut und Schönheit, aufzulösen gilt. Denn „(v)on Anfang an […] trat sie nicht allein als Repräsentantin eines bis an die Grenzen des Menschlichen diskreditierten, vermeintlich bestialischen ‚Stammes‘ in Erscheinung, also als Verkörperung des Abnormen […] Immer wurde sie auch als attraktiv wahrgenommen“ (S. 10). Diese Attraktivität wurde nicht aus einer Verbindung zu einem klassisch-europäischen Schönheitsideal abgeleitet, sondern war Teil eines herrschaftlichen Begehrens, das sich „in der Regel auf sexualisierte, rassisierte oder deklassierte Körper richtete“ (ebd.). Das hieraus resultierende Spannungsverhältnis, das Ritter zwischen den Polen abnorm und cupidonorm ansiedelt, sei in den bisherigen Untersuchungen zu der Trope „Hottentottenvenus“ nur wenig beachtet worden. In ihrer Auseinandersetzung folgt Ritter einem intersektionalen Ansatz, der die Interdependenzen zwischen rassischen, geschlechtlichen und kulturellen Zuschreibungen betont und in postkolonialer Perspektive eruiert, wie die Repräsentation eines überlegenen europäischen Selbst mit der Konstruktion eines differenten Anderen einhergeht.

Das Buch fußt auf einer detaillierten Recherche und umfassenden Aufarbeitung des vorhandenen Bilderkanons und Literaturkorpus, wie er seit den ersten Auftritten Baartmans in Europa zirkulierte: von den zahlreichen Karikaturen und Bildkommentaren der Anfangszeit bis hin zu künstlerischen Werken der Gegenwart; von Zeitungskommentaren über die „Hottentottenvenus“ bis zum heutigen akademischen Diskurs. Im ersten Teil ihres Buches widmet sich Sabine Ritter den dominanten Repräsentationen, die Sarah Baartman als „Hottentottenvenus“ im 19. Jahrhundert erfuhr. Dabei werden anhand zeitgenössischer Darstellungen und Diskurse drei wesentliche Elemente der Repräsentation herausgearbeitet. Zum Ersten geht es um die Konstruktion des Rasse- und Geschlechter-Stereotyps „Hottentottenvenus“ zwischen Bestialisierung und Sexualisierung. Ritter arbeitet überzeugend heraus, wie in der Fixierung auf Baartmans als deviant empfundene Körperlichkeit dieser Stereotyp überhaupt erst geschaffen wurde (und nicht umgekehrt). Zum Zweiten stellt sie die europäische Schaulust in den Mittelpunkt, die sich in den Präsentationen Baartmans auf dem Podest, im Käfig und vor Gericht spiegelt. Dominierten auf der einen Seite ethnopornographische Ausstellungsformen der „Hottentottenvenus“, so war Baartman auf der anderen Seite stets auch Ziel paternalistischer Vereinnahmung, wie der Londoner Prozess von 1810 um ihre Zurschaustellung zeigt. Zum Dritten steht in diesem Teil die wissenschaftliche Praxis zur Debatte. Ritter zeigt, dass der wissenschaftliche Blick, mit dem Sarah Baartman vermessen, seziert und schließlich typisiert wurde, nicht neutral und objektiv war, auch wenn er seine Autorität aus dieser Annahme bezog. Vielmehr war „der anthropologische Blick […] ein männlicher, europäischer Herrschaftsblick auf einen von vornherein als minderwertig qualifizierten Frauenkörper, dessen Verborgenstes man zu sehen bekommen wollte“ (S. 96).

Im zweiten Teil ihres Buches betrachtet Sabine Ritter die Rekonstruktionen, die die Person Sarah Baartman und die „Hottentottenvenus“ im 20. Jahrhundert erfahren haben. Dabei zeigt sie immer wieder die Bezüge zu den frühen Repräsentationsmustern auf: Entweder im Sinne der Bestätigung einer weißen normativen Ordnung (gerahmt von den Kapitelüberschriften „im Museum“, „in der Bibliothek“, „im Herrenzimmer“), oder auch, oft unbeabsichtigt, in der Neuaneignung durch einen rassismuskritischen Diskurs. Vor allem die Auseinandersetzung mit letzterem, wozu neben der kritischen Lesart bisheriger Forschungen auch die Interpretation politischer, künstlerischer und literarischer Projekte zu Sarah Baartman zählt, ist relevant. Ritters Augenmerk richtet sich dabei vor allem auf Sander Gilman und Stephen Jay Gould, deren Arbeiten zur „Hottentottenvenus“ wesentlich zum Boom der Adoption der Geschichte Sarah Baartmans seit den 1980er-Jahren beitrugen.1 Insbesondere Gilman wirft sie vor, er habe mit seiner These der Gleichsetzung von schwarzer Frau und Prostituierter, die er am Beispiel der „Hottentottenvenus“ aufzieht, nicht zur Dekonstruktion geführt, sondern das Stereotyp eher verfestigt. Indem er die körperliche Andersartigkeit Baartmans als gegeben voraussetze und zum Ausgangspunkt seiner Argumentation mache, verbleibe er auf dem Boden des biologischen Essentialismus. Darüber hinaus fixiere er die „Hottentottenvenus“ auf das Element der Abnormität und mache sie zur Ikone rassischer und sexueller Differenz, ohne dabei ihrer Ambivalenz gerecht zu werden. Einen Gegenentwurf zu dieser vereinnahmenden Darstellung sieht Ritter in der künstlerischen Arbeit Renée Greenes, die dem Kapitel wie ein Leitmotiv vorangestellt wird. Greenes Installation „Sa main charmante“ bezieht sowohl die Bilder der „Hottentottenvenus“ als auch deren BetrachterInnen in ihre Darstellung ein, mit dem Ziel, beide zu historisieren und in ihrer jeweiligen politischen Verortung zu reflektieren. Hier wird auch die Rückführung und Beerdigung des Leibes von Sarah Baartman als Teil einer politischen Inszenierung deutlich, die ihre Vereinnahmung keinesfalls beendet, sondern unter anderen Vorzeichen fortgeschrieben hat.

Durch ihre Fokussierung auf Repräsentations- und Rekonstruktionspraktiken gelingt es Ritter, einen umfassenden und neuen Blick auf Sarah Baartman und ihre komplexe Geschichte zu eröffnen. Allerdings wäre zur Stärkung ihrer Argumentation eine genauere Theoretisierung von Körper / Rasse / Geschlecht im Sinne des von ihr präferierten intersektionalen Ansatzes wünschenswert gewesen. Denn die gehäufte Verwendung von Begriffen wie „vermeintlich“ oder „angeblich“ reicht ja nicht aus, um die Produktion von Differenz zu dekonstruieren. Auch wirkt der wiederholte Bezug auf Gilman und seinen vielrezipierten Text in Teilen etwas ermüdend. Im Fazit jedoch handelt es sich bei „Facetten der Sarah Baartman“ um eine lohnende und anregende Lektüre, die sowohl für LeserInnen in den Bereichen Genderstudies, Rassismusforschung und Wissenschaftsgeschichte relevant ist, als auch für ein breites Publikum von Interesse sein dürfte.

Anmerkung:
1 Sander L. Gilman, Hottentottin und Prostituierte. Zu einer Ikonographie der sexualisierten Frau, in: ders., Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur, Reinbeck 1992, S. 119-154. Stephen Jay Gould, Die Venus der Hotentotten, in: ders., Das Lächeln des Flamingos. Betrachtungen zur Naturgeschichte, Frankfurt am Main 1995, S. 229-240.