Obwohl es innerhalb der Ethnologie mittlerweile eine lange Tradition gibt, die Fokussierung auf das Beforschen der vermeintlich „Anderen“ zu kritisieren, wird dennoch in Forschungen an „anderen“ Orten bislang selten das „Eigene“ in den Blick genommen. Die Arbeit „ReiseReflexionen – SelbstBilder. Eine rassismuskritische Studie über Ethnotourismus in Tana Toraja“ von Mechthild von Vacano liefert hierzu einen erfreulichen – klar und gut geschriebenen – Beitrag, indem sie sich einer solchen Umkehrung des Blickes der traditionellen Ethnologie bedient und Praktiken und Sichtweisen „weißer“ Tourist_innen ins Zentrum ihrer Arbeit stellt.1
Das Buch ist 2010 im regiospectra-Verlag erschienen. Der für eine Monographie relativ geringe Umfang von 134 Seiten erklärt sich daraus, dass es sich um die Magisterarbeit der Autorin handelt, die damit 2008 ihr Ethnologiestudium an der Freien Universität Berlin abgeschlossen hat. Grundlage für die Arbeit war ein Forschungsaufenthalt 2005 in Tana Toraja auf Sulawesi, Indonesien, bei dem sie leitfadengestützte Interviews mit deutschsprachigen Tourist_innen durchführte. Zum Forschungskorpus trugen zudem zahlreiche informelle Gespräche und teilnehmende Beobachtungen als Touristin in der Region bei.
Im Zentrum der Studie steht die Frage nach dem Selbstverständnis deutscher Ethnotourist_innen in Tana Toraja, das sich in Auseinandersetzung mit den erlebten touristischen Erfahrungen und dem Kontakt zu den Tourat_innen – gerade auch in Abgrenzung zu diesen – entwickelt. Den Begriff „Tourat_innen“ verwendet von Vacano unter Bezug auf den von Andrew Causey als Bezeichnung für die den Tourist_innen gegenüberstehenden Personen geschaffenen Begriff „tourate“, mit dessen Hilfe die agency der so Bezeichneten in touristischen Prozessen begrifflich repräsentiert werden soll.2 Mit der Frage nach dem Selbstverständnis sind weitere Forschungsfragen verbunden, beispielsweise danach, wie Tourist_innen die gewonnen Eindrücke zu sich selbst in Verbindung setzen, von welchen Idealen die touristischen Begegnungen geprägt sind und welche Brüche, aber auch Kontinuitäten hierbei entstehen. Letztlich streben die miteinander verknüpften Fragestellungen auf die im Fazit verhandelte Debatte hin, ob und durch welche gesellschaftlichen Faktoren und Denkweisen die touristische Begegnung in ihrer Wahrnehmung und Erfahrungsproduktion strukturiert und begrenzt wird.
Die Arbeit lässt sich zweifach verorten: Zum einen im Bereich „klassisch-ethnologischer“ Ansätze, in dem sie die „kulturellen Praktiken meiner Zielgruppe der deutschen Tourist_innen“ untersucht, „um anhand dieser und der Weise, wie über sie gesprochen wird, die Bedeutungszusammenhänge dieser Praktiken aufzudecken“ (S. 7). Der zweite, die Arbeit merklich prägende Ansatz ist der der Critical Whiteness Studies. Die Autorin verweist hierbei insbesondere darauf, dass dieser Ansatz davon ausgeht, dass Rassismus, der die Welt grundlegend strukturiert, eben nicht nur auf die dadurch Diskriminierten, sondern auch auf die Privilegierten wirkt. Eine zentrale Herausforderung stellt sich zudem für von Vacano darin, nicht nur zu untersuchen, wie bestimmte gesellschaftliche Bilder die Wahrnehmung der Tourist_innen strukturieren, sondern vor allem wie diese Bilder mit der subjektiven Ebene ihrer Selbstwahrnehmung korrespondieren. Der explizit gewählte Ansatz der Critical Whiteness Studies wirkt sich auch dahingehend aus, dass sich die Autorin nicht außerhalb des von ihr untersuchten Forschungsfeldes stellt, sondern eigene Erfahrungen und Reflexionen bezüglich ihrer „weißen“ Positionierung als Ethnologin, aber auch als Touristin mit in die Studie einfließen lässt. Im Verlauf der Arbeit gelingt es ihr auf angenehm nüchterne Art dies in die Analyse der touristischen Selbstbilder einzubauen, ohne sich selbst als Person ins Zentrum der Studie zu drängen, so dass sich dieser Zugang letztlich als deutliche Bereicherung der Untersuchung darstellt.
Den Kern der Studie stellen zwei Kapitel zum Beerdigungstourismus und zur Critical-Whiteness-Analyse dar. Nachdem die Autorin im Kapitel zum Beerdigungstourismus diesen spezifischen Tourismusbereich in Tana Toraja kontextualisiert und eine Übersicht über seine verschiedenen Formen geliefert hat, beschäftigt sie sich mit den Sichtweisen von Tourist_innen auf sich und auf die Tourat_innen und den damit in Zusammenhang stehenden Praktiken. Vor dem Hintergrund der Beteiligung an Begräbnisfeiern untersucht sie unter anderem, wie Tourist_innen damit umgehen, in einem touristischen Rahmen an einer als privat konnotierten Begräbniszeremonie teilzunehmen, welche Rolle dem Fotografieren in der Wahrnehmung und Dokumentation der Feier zukommt und wie sich Tourist_innen gegenüber anderen Tourist_innen verorten. Weiter analysiert von Vacano, wie sich die Beforschten hinsichtlich der Tieropfer positionieren, die als ein Höhepunkt der Begräbnisfeiern wahrgenommen werden, und wie sie anhand dieser Praxis Bilder von sich selbst und ihrer „eigenen“ Kultur und von einer als klar different gesehenen Kultur der Tourat_innen konstituieren. Dieses Kapitel ist sicherlich einer der stärksten und kompaktesten Abschnitte der Arbeit, da es der Autorin hier gelingt, gleichzeitig ein sehr intensives Bild der Begräbnisfeiern zu schaffen, trotz des Fokus auf die Tourist_innen immer wieder die agency der Tourat_innen deutlich herauszustellen und eine Analyse der touristischen Praktiken und Bilder zu liefern, die stimmig erscheint und Strukturierungen nachzeichnet, ohne die Gruppe der Beforschten zu homogenisieren.
Im zweiten Kernkapitel nimmt die Autorin vor dem Hintergrund der von ihr geführten Interviews und ihrer teilnehmenden Beobachtung eine Analyse verschiedener Diskursfragmente vor, bei der sie sich der kritischen Forschung zum „Weißsein“ als Zugang bedient. Nach einem kurzen Abriss darüber, wie die Tourist_innen Selbstzeichnungen wie „weiß“, „Tourist_in“ oder „Deutsche(r)“ verwenden, bearbeitet sie nacheinander drei Diskursfelder: den Bereich der Körperdiskurse, der Kulturdiskurse und der Diskurse über ökonomische Verhältnisse. Vielleicht gerade weil sich die Autorin hier unter Zuhilfenahme der Critical Whiteness Studies etwas von deren gängigen Analysefeldern – worauf sie selbst verweist – entfernt, befinden sich in diesem dritten Feld einige der vielleicht spannendsten und, ohne die Schlüssigkeit und Relevanz der Analysen in den anderen Diskursfeldern schmälern zu wollen, produktivsten Abschnitte dieses Kapitels. So zeigt von Vacano hier unter anderem, wie mitunter recht systematisch die asymmetrischen ökonomischen Verhältnisse zwischen Tourist_innen und Tourat_innen von ersteren gerade unter Anwendung kulturalisierender Argumentationsweisen abgeschwächt oder aus der Begegnung herausgeschrieben werden.
Die beiden Kernkapitel bleiben in mancher Hinsicht jedoch etwas zu sehr nebeneinander stehen. Ein stärkeres Ineinanderschreiben hätte hier möglicherweise geholfen, die Arbeit noch runder und in sich geschlossener zu machen. Letztlich bietet jedoch das kurze Fazit einen verbindenden Abschluss der Arbeit. So wird die Feststellung, dass neben generelleren rassistischen Strukturierungen globaler Verhältnisse gerade auch in den propagierten Idealen des Ethnotourismus, wie dem Wunsch nach einer hierarchiefreien Begegnung auf Augenhöhe und der Betonung der Erfahrung kultureller Differenz, eine Ursache darin zu suchen ist, dass die touristische Wahrnehmung letztlich innerhalb der gängigen Bilderwelten verbleibt und die Möglichkeit begrenzt, ein differenzierteres und komplexeres Bild der Tourat_innen zu erlangen, durch die vorhergehenden Kapitel eindrücklich herausgearbeitet.
Die Studie von Mechthild von Vacano stellt einen produktiven und erfolgreichen Versuch dar, Ansätze der Critical Whiteness Studies mit ethnologischer Tourismusforschnung zu kombinieren. Der eher geringe Umfang der Studie begrenzt sie sicherlich hinsichtlich einiger Aspekte, so wäre ein Eingehen auf die mögliche Relevanz der Geschichte kolonialer Herrschaft in dieser Region von zusätzlichem Interesse gewesen. Dies vermindert jedoch nicht die Kohärenz der Studie und ihres Fazits. Besonders positiv fällt auf, dass es der Autorin gelingt, selbstreflexive Elemente über die eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen mit in die Arbeit einzubinden. Sie kann damit auch ein überzeugendes Plädoyer für ein vorsichtiges Einschreiben der eigenen Positionierung in wissenschaftliche Studien liefern.
Anmerkungen:
1 Vgl. auch die Überlegungen von: Katharina Schramm, Weißsein als Forschungsgegenstand. Methodenreflexion und „neue Felder“ in der Ethnologie, in: Maureen Maisha Eggers u.a. (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 460–475, bes. 470–471.
2 Vgl. Andrew Causey, Hard Bargain in Sumatra. Western Travellers and Toba Bataks in the Marketplace of Souvenirs, Honolulu 2003.