Der Band ist aus einer Tagung des DFG-Projektes „Gegenpäpste – Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter“, das an der RWTH Aachen angesiedelt ist, hervorgegangen; die Tagung fand im September 2011 statt, erfreulich schnell liegt die (Teil-)Publikation ihrer Ergebnisse vor. Gleichzeitig eröffnet der Band eine neue deutsche Publikationsreihe zur Geschichte des mittelalterlichen Papsttums. Die Bedeutung des Bandes für deren Erforschung, nicht der Inhalt der einzelnen Beiträge, soll deshalb hier im Mittelpunkt stehen.1
Der von der Benennung des Projektes (und der Tagung) abweichende Titel der Publikation verkündet einen einfachen Befund: In der Neuzeit ist es (bisher) nicht mehr zur Erhebung eines Gegenpapstes gekommen, in der Mitte des 15. Jahrhunderts endet mit Felix V. die Reihe der Gegenpäpste. Wenn im Bandtitel von einem „unerwünschten Phänomen“ die Rede ist, deutet sich eine Arbeitshypothese an: Die Gegenpäpste sind ein integraler Bestandteil des mittelalterlichen Papsttums und eröffnen keine Entwicklung, die diesem eine prinzipiell andere Struktur gegeben hätte. Der Beitrag über den Amtsverzicht (renuntiatio) Felix‘ V. von Ursula Gießmann (geborene Lehmann, S. 391–410) verdeutlicht das. Sie stellt fest: Durch den Ausbau einer eigenen Landesherrschaft habe sich Felix die finanz- und machtpolitische Grundlage für seinen Pontifikat geschaffen als „Substitut für das eigentliche Patrimonium Petri“ (S. 409), das seinem Zugriff entzogen war. Das sei eine offenkundige Parallele zu den in Rom residierenden Päpsten, für die im 15. Jahrhundert die Konsolidierung und Sicherung des Kirchenstaats vordringlich wurde. Rom mit seinen auf Petrus hinweisenden Einrichtungen (Petrusgrab, Peterskirche, Vatikan, Leostadt) wurde nun endgültig zum Zentrum der Papstkirche: „Der universale Anspruch war an ein Territorium und eine evidente materielle Basis gebunden, das nur durch personale Anwesenheit seines Nachfolgers und Stellvertreters wirksam werden konnte“ (S. 410).
Zwei Epochen der Geschichte von Gegenpäpsten stehen im Mittelpunkt des Bandes: die Zeit vom achten bis zum 12. Jahrhundert sowie das Große Abendländische Schisma von 1378. Ein Vortrag zur christlichen Antike (Hippolyt, 217–235, gilt als der erste Gegenpapst) ist zwar auf der Tagung gehalten worden, aber bei der Drucklegung nicht berücksichtigt worden, der von Ludwig dem Bayern eingesetzte Nikolaus V. (1328–1330) wird nur gelegentlich erwähnt. Er ist ein Nachzügler zu den unter kaiserlichem Einfluss erhobenen (Gegen-)Päpsten. Nicht behandelt auf der Tagung wurde das zehnte Jahrhundert, Heribert Müller verweist in seiner Zusammenfassung auf diese Fehlstelle (S. 421). Angesichts der häufig umstrittenen Wechsel im Papsttum ist das bedauerlich, macht doch die offiziöse Papstliste des Annuario pontificio hier eine ihrer wenigen Anmerkungen.2 Wichtig ist aber, dass man im 10. Jahrhundert oft eines „Gegenpapstes“ nur für kurze Zeit bedurfte. Man konnte einen missliebigen Papst (stürzen/absetzen, inhaftieren und) umbringen und dann gleichsam ordnungsgemäß und ohne die Zwischenstufe Gegenpapst sich selbst oder einen anderen als Nachfolger installieren. Der Pontifikat Johannes‘ X. endete so, seit Mai/Juni 928 in Haft wurde er unter seinem zweiten Nachfolger 929 umgebracht; Bonifaz VII. entledigte sich so 984 seines Vorgängers Johannes XIV.
Über die Perspektiven des Projektes, der Tagung und des Bandes handelt einleitend Harald Müller (S. 13–53). Es geht nicht um Prüfung oder Entscheidung, ob ein Papst als legitim oder als Gegenpapst zu gelten habe. Jeder Papst, der einen Konkurrenten hatte, sah sich selbst als legitim in das Amt gekommen und vor der Aufgabe stehend, dieser Legitimität Anerkennung zu verschaffen. Kommunikation (und ihre bürokratischen Voraussetzungen in Kurie und Kanzlei), Selbstdarstellung und Delegitimierung des Gegenspielers in Propaganda, einem Absetzungsritual oder der kirchlichen und politischen Memoria bilden deshalb zentrale Untersuchungsfelder. Die Vielfalt der Bezeichnungen für den Konkurrenten, die Entstehung des Begriffs „Gegenpapst/antipapa“ erst im 12. Jahrhundert (der zu signalisieren scheint, dass „organisatorische Reife, überörtliche Verankerung und damit Wirksamkeit“ [S. 32] personenbezogene Kriterien überwölbten) sprechen für den Forschungsansatz, das „unerwünschte Phänomen“ nicht auf die Frage „legitim–illegitim“ zu reduzieren. Schwierig bleibt aber die Begriffsbildung. Denn „Gegenpapst“ ist auch ein wertender Begriff. Ob er deshalb brauchbar sei, führt in den Beiträgen immer wieder zu Diskussionen, für die frühe Zeit auch deswegen, weil es sich hier oft um innerrömische Konkurrenz um ein nur durch eine Person zu besetzendes Bischofsamt handelt – ohne (längerfristige) Auswirkungen auf die lateinische Christenheit. Als etablierten Begriff wird man ihn – wie Heribert Müller in der Tagungszusammenfassung (S. 411–421, hier S. 420f.) meint – nicht aufgeben können. In den einzelnen Beiträgen des Bandes wird er pragmatisch verwendet. Doch fällt auf, dass die Beiträge zum Großen Abendländischen Schisma auf die Bezeichnung verzichten können. Die räumliche Trennung der jeweiligen Papstsitze in Rom, Avignon und später auch Pisa sowie die Scheidung der jeweiligen Obödienzen erübrigt offenbar in der wissenschaftlichen Diskussion dieses Identifikationsmerkmal, das nur noch als Element von zeitgenössischer Propaganda und kirchlicher Traditionsbildung zur Sprache kommen muss. „Ein ‚Gegenpapst‘ wird kreiert“ überschreibt deshalb Andreas Rehberg seinen Aufsatz (S. 231–259) zu den Vorgängen von 1378, in dem er die „rechtmäßige“ römische Wahl Urbans VI. in den Mittelpunkt rückt. Der Wandel der Rolle Roms für die Stellung des Papstes ist bei der Etablierung von Gegenpäpsten mitzubedenken. Es scheinen zunächst die legitimen Nachfolger Petri gewesen zu sein, die am wenigsten auf Präsenz in Rom angewiesen gewesen waren.
Zeiten, in denen mehrere Gegenpäpste in direkter Legitimationslinie aufeinander folgten und die Papstwürde über längere Zeit behaupten konnten, beginnen erst mit dem gregorianischen Reformpapsttum und dessen Gegenpäpsten, was Rudolf Schieffer behandelt (S. 71–82). Die Reformer selbst hatten 1059 in dem Papstwahldekret festgelegt, auch eine Papstwahl außerhalb von Rom sei gültig. Urban II., Gregors VII. zweiter Nachfolger, wurde 1088 in Terracina gewählt, Paschalis II. (1099–1118) wieder in Rom, wo er auch geweiht wurde, Gelasius II. (1118–1119) musste für seine Weihe nach Gaeta ausweichen, Calixts II. Aufstieg erfolgte in Frankreich, wohin Gelasius hatte fliehen müssen. Die Gegenpäpste Clemens III. und seine beiden direkten Nachfolger sowie Silvester IV. (1105–1111) und Gregor VIII. (1118–1121) blieben an Rom gebunden – mehr oder weniger abhängig von lokalrömischen Machtkonstellationen und kaiserlicher Unterstützung. Nicht Rom, die urbs, sondern die lateinische Christenheit, der Weltkreis (orbis) bildete zunehmend die unersetzliche Bezugsgröße für das Papsttum.
Jochen Johrendt bringt das in seinem Beitrag über das Schisma von 1130 (S. 127–163) auf die Formel von einer „Überwindung der urbs durch den orbis“, durch die sich Innozenz II. gegen Anaklet II. durchsetzen konnte, die „Gewichte zwischen Rom und der christianitas“ verschoben sich „nochmals deutlich zuungunsten der Ewigen Stadt“ (S. 161). Werner Maleczek führt das in seinen Ausführungen zum Alexandrinischen Schisma (1159–1177) weiter (S. 165–204), aber mit einer überraschenden Volte. Wie Johrendt analysiert er die konkreten Momente, die zu einer Anerkennung Alexanders III. führten. Aber als erstes nennt er den „Zufall“ (S. 168–177; es folgen Analysen zu „2. Rechtsstandpunkte“, „3. Qualität des kurialen Apparates“, „4. Päpstliche Gerichtsbarkeit“, „5. Unterstützung durch die Kardinäle“, „6. Gewinnen der Obödienzen“). In der Tat ist es zufällig, dass Alexander III. 1167 in letzter Minute der Gefangennahme durch Friedrich Barbarossa entkommen konnte und das kaiserliche Heer (erst) kurz danach der (ebenso zufälligen) Seuche zum Opfer fiel, die den Herrscher aber verschonte. Kontrafaktische Überlegungen lassen sich jedoch in weitere Fragen überführen. Hätte das siegreiche Papsttum Victors IV. den gleichen Charakter besessen wie das Alexanders III. oder wäre ein strukturell anderes Papsttum entstanden? Hätte ein auf den Kaiser gestütztes Papsttum überhaupt „universale Autorität“ gewinnen können in einer Zeit, in der die westeuropäischen Könige dem Kaiser in der Papstfrage keine „universale Autorität“ mehr zugestanden? Wäre ein von Barbarossa gestütztes Papsttum fast ausschließlich zu einem Bestandteil eines von Königen getragenen „Mächteeuropa“ geworden, im 12. Jahrhundert also ein Zustand eingetreten, den Maleczek in einem Diskussionsbeitrag im Großen Schisma gegeben sieht?3
Generell ist bei dem Untersuchungsfeld „Gegenpäpste“ zu fragen, ob sich hinter ihnen ein anderes Modell von Papsttum und päpstlicher Herrschaft verbirgt, wie es Nicolangelo D’Acunto (für sein Thema beiläufig) bei Clemens III./Wibert von Ravenna annimmt (S. 84). Für das Große Schisma zeichnen die Beiträge eher das Bild von zwei oder drei parallelen Papstwelten. Das Avignoneser Papsttum besaß hierbei anfänglich einen Vorsprung, weil Clemens VII. auf eine funktionierende Kanzlei zurückgreifen konnte, während Urban VI. eine solche in Rom erst aufbauen musste, wie Patrick Zutshi in seiner Untersuchung über beide Papstkanzleien (S. 285–313) herausstellt.
Die „Gegenpäpste“ beeinflussten insgesamt die Ausgestaltung päpstlicher Autorität. Bistümer und Klöster Norditaliens vernichteten Urkunden, die Clemens III. ihnen ausgestellt hatte, um ihre Beziehungen zu diesem zu verschleiern, was Nicoangelo D’Acunto (S. 83–96) darstellt. Ähnliches gilt für die antigregorianischen Streitschriften. Sich auf einen Papst zu stützen, dessen dauerhafte Legitimation nicht abzusehen war, schien wenig opportun, wie es der Rückgang der Ersuchen um Heiligsprechungen zeigt, denen sich Otfried Krafft insgesamt widmet (S. 363–389). Derartigen Relativierungen päpstlicher Autorität steht ein gesteigerter Autoritätsanspruch in dem Vorgehen gegen den jeweiligen Kontrahenten gegenüber. Kai-Michael Sprenger zeigt das am Beispiel Clemens‘ III. (S. 97–125). Paschalis II. ließ seinen in Civita Castellana beigesetzten Gegner exhumieren und den Leichnam in den Tiber werfen, was wohl in Rom geschah. Aber diese Damnatio memoriae war „weniger die Auslöschung der Erinnerung an die ehemaligen Gegner an sich als die Etablierung einer diffamierenden Negativerinnerung“ (S. 125). Gerald Schwedler geht einer so verstanden „Damnatio memoriae bei Gegenpäpsten“ von der Spätantike bis Felix V. nach (S. 205–229) und weist auch auf Zwischentöne in der zeitgenössischen Historiografie hin. Ein Gegenpapst bildete die „negative Folie zum idealen Wirken des römischen Bischofs in der Welt“ (S. 227), in der Rückschau oft selbst dann, wenn er sich wie Felix V. mit dem „legitimen“ Papst ausgeglichen hatte.
Leider konnten nicht alle Beiträge der Tagung für den Druck berücksichtigt werden (eine spätere Publikation ist angekündigt). Mag es sich bei den Gegenpäpsten auch um „ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen“ gehandelt haben, seine weitere Erforschung ist hoch erwünscht. Denn das zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes sowohl in ihren einzelnen Ergebnissen als auch in einer Zusammenschau: Ein derartiger Zugriff eröffnet neue Perspektiven auf die mittelalterliche Papstgeschichte überhaupt; Gegenpäpste sind überflüssig geworden, Kirchen ohne Papst führten die grundlegenden Wandlungen herbei.
Anmerkungen:
1 Wie in der Publikation gehandhabt, übernehme ich die Namen und Zählungen der Päpste, ohne Hinweis, ob diese heute „offiziell“ als „Gegenpapst“ gelten. Zu den einzelnen Vorträgen vgl. inhaltlich: Tagungsbericht Gegenpäpste – Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter. 08.09.2011–10.09.2011, Aachen, in: H-Soz-u-Kult, 04.01.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3976>; zuletzt eingesehen am: 19.03.2012.
2 Annuario pontificio per l’anno 2012, Città del Vaticano 2012, S. 13* Anm. 20. Die Liste führt die Päpste Johannes XII., Leo VIII. und Benedikt V. als legitim, obwohl sich deren Amtsdaten überschneiden.
3 Diese Formulierung greift Heribert Müller in seiner Zusammenfassung auf, vgl. S. 415.