S. Niederacher: Eigentum und Geschlecht

Titel
Eigentum und Geschlecht. Jüdische Unternehmerfamilien in Wien (1900–1960)


Autor(en)
Niederacher, Sonja
Reihe
L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft 20
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benno Nietzel, Arbeitsbereich Historische Politikforschung, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Geschlechtergeschichtliche Perspektiven auf Unternehmertum und Eigentumsstrukturen im 20. Jahrhundert sind bisher in der Forschung nicht oft zum Tragen gekommen. Häufig lassen sich entsprechende Fragen nur an Einzelbeispielen aus der wirtschaftlichen Oberschicht überhaupt quellenmäßig bearbeiten. Sonja Niederacher setzt sich mit ihrer 2009 an der Universität Wien eingereichten Dissertation das Ziel, den Horizont dieses Forschungsfeldes zu erweitern und zu empirisch breiter abgesicherten Aussagen über die Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern und die Vermögensstrukturen entlang der Geschlechtergrenzen zu gelangen, als dies bisher möglich war.

Niederacher macht sich für ihr Vorhaben einen Quellen- und Datenbestand zu Nutze, der ursprünglich in einem ganz anderen Zusammenhang entstanden ist. Sie greift auf die Vermögensanmeldungen jüdischer Bürger in Wien zurück, zu denen diese 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich von den nationalsozialistischen Machthabern gezwungen worden sind. Diese Meldungen wurden im Rahmen der Arbeit der Österreichischen Historikerkommission über den Raub des Vermögens der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit und dessen Rückgabe nach 1945, an der auch die Autorin beteiligt war, bereits umfassend ausgewertet und statistisch aufbereitet.1 Die Arbeit kann somit auf eine von Michael Pammer erstellte und vom Projektteam um Helen Junz modifizierte Stichprobe zurückgreifen, die 788 jüdische Personen umfasst. Dieses Sample bildet die Grundlage für quantitative Untersuchungen. Darüber hinaus hat die Autorin aus diesem Sample nochmals eine Stichprobe von 78 Personen gezogen, zu denen tiefergehende Quellenrecherchen angestellt und weitere Quellen wie die Matriken der Jüdischen Gemeinde Wien, Gerichtsakten, Handelsregisterakten und Akten der NS-Vermögensverkehrsstelle herangezogen wurden.

Diese Quellengrundlage bringt Begrenzungen in der Reichweite der Untersuchung mit sich, welche die Autorin auch benennt. Nur die jüdische Bevölkerung der Stadt Wien wird in den Blick genommen, die sich in ihren geschlechtsspezifischen Erwerbstätigkeitsmustern von der übrigen Bevölkerung klar unterschied. Zudem waren nur Personen mit einem Vermögen über 5.000 Reichsmark ab 1938 gezwungen, dieses Vermögen anzumelden, so dass sich die Untersuchung allein auf den vergleichsweise wohlhabenden Teil der jüdischen Bevölkerung beziehen kann. Eine weitere Eingrenzung folgt aus der methodisch sinnvollen Entscheidung der Autorin, sich in ihren Falluntersuchungen auf Unternehmerfamilien zu konzentrieren. Eine gewisse Unschärfe ergibt sich dabei aus dem Quellenmaterial selbst, denn an zahlreichen Beispielen lässt sich beobachten, dass Frauen ihre Sichtbarkeit im Geschäftsleben oftmals selbst begrenzten und sich auch dann nicht öffentlich als „Handelsfrauen“ oder „Geschäftsfrauen“ bezeichneten, wenn sie dies de facto waren. Dies stellt eine Schwierigkeit, gleichzeitig aber auch ein Ergebnis der Untersuchung dar.

In ihrer Analyse des Zusammenhangs von Eigentum und Geschlecht setzt die Arbeit drei Schwerpunkte. Zunächst wird dem Umstand Rechnung getragen, dass männliche und weibliche Vermögenssphären sich kaum trennen lassen, sondern vielfach durch Ehe und Verwandtschaft verflochten sind. Gerade für den Bereich der unternehmerischen Selbständigkeit waren Ehe- und Verwandtschaftsnetzwerke oftmals entscheidend; Frauen, die an Unternehmen beteiligt waren, waren deutlich öfter verheiratet als im Durchschnitt des Samples. Eine besondere Rolle kam dabei dem sogenannten Heiratsgut, der Mitgift, zu, welches von Frauen in die Ehe und oftmals als finanzielle Einlage in ein bestehendes oder zu gründendes Familienunternehmen eingebracht wurde. Da nach österreichischem Recht in der Ehe Gütertrennung herrschte, stellte das Heiratsgut für Frauen eine zentrale Säule ihres Vermögens dar. Niederacher kann jedoch an Beispielen zeigen, dass sich hieraus keine ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten ergaben, denn es bestand de facto kein Zugriff auf das Heiratsgut. Auch eine betriebliche Leitungsbeteiligung leitete sich aus ihm in aller Regel nicht her, oftmals wurde nach dem Tod eines Kaufmanns das Heiratsgut der Witwe wieder ausbezahlt anstatt es im Unternehmen zu belassen.

Den zweiten Schwerpunkt bildet die Weitergabe von Vermögen durch Vererbung. Erbschaften waren für die Personen des Untersuchungssamples ein wesentlicher Grundstock ihres Vermögens, wobei insbesondere Immobilien eine tragende Rolle spielten. Dass Immobilienvermögen in aller Regel an sämtliche Erben gemeinsam vererbt wurde, hatte einen stark nivellierenden Effekt auf die Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern. Immobilienbesitz war damit aber immer familiär gebunden und eröffnete kaum individuelle Möglichkeiten der Verwaltung und Mehrung des eigenen Vermögens. Deutlich anders präsentiert sich die Vererbungspraxis bei Familienunternehmen. Hier herrschte die klare Tendenz vor, die Leitung und oftmals auch das Kapital eines Betriebes nur an männliche Erbfolger zu übertragen. Niederacher kann anhand von Beispielen jedoch auch zeigen, dass viel von der persönlichen Einstellung der Beteiligten und der Familienkonstellation abhing. So traten in einigen Fällen auch die Witwen verstorbener Unternehmer in die Führungsnachfolge eines Betriebes ein, in anderen Fällen wurden Unternehmen unter Umgehung der männlichen Nachfolger und entgegen der Konvention an Töchter übergeben, wofür es verschiedenste Gründe geben mochte.

Als dritter Schwerpunkt stehen die geschlechterspezifische Vermögensverteilung und die Vermögensstruktur im Blickpunkt, wie sie sich in den Vermögensanmeldungen von 1938 manifestieren. Hier zeigt Niederacher zunächst, dass das Vermögen von Frauen, wenn es denn über der erwähnten Mindestgrenze von 5.000 Reichsmark lag, keineswegs geringer, sondern im Durchschnitt sogar etwas höher war als das von Männern. Bei der Zusammensetzung des Vermögens fallen aber wiederum klare Differenzen zwischen den Geschlechtern ins Auge. Während für Frauen Immobilien fast die Hälfte ihres Vermögens ausmachten, war diese Kategorie für Männer nicht so zentral, deren Vermögen zu einem viel größeren Teil aus Unternehmensanteilen und Wertpapieren bestand. Männer hatten außerdem fast dreimal höhere Verbindlichkeiten als die weiblichen Personen des Samples. Insgesamt ergibt sich hieraus das Bild klar nach Geschlechtern spezifizierter ökonomischer Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Männern erlaubte die Struktur ihres Vermögens in erheblich höherem Maße, es zu vermehren und Einkommen daraus zu erzielen. Sie trugen dabei aber auch ein höheres Risiko als Frauen, deren Vermögen überwiegend in langfristigeren Anlageformen sowie familiär gebunden war. Ihnen diente dieses Vermögen in erster Linie zur Versorgung.

Abschließend widmet sich die Arbeit noch der NS-Raubpolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung und der Restitution von Vermögen nach 1945. Hier bietet die geschlechtergeschichtliche Perspektive auf Vermögen allerdings nur noch begrenzte Erkenntnisgewinne, denn für die nationalsozialistischen Machthaber spielte das Geschlecht der jüdischen Bürger keine Rolle. Sämtliches Vermögen wurde ohne Ansehen der Person entzogen. Eine Ausnahme stellen nur die jüdisch/nicht-jüdischen Mischehen dar, in denen es entscheidend darauf ankam, welcher der Ehepartner jüdisch war, weil patriarchale Vorstellungen der NS-Machthaber antisemitische partiell überlagerten. In Mischehe lebende Jüdinnen konnten ihr Vermögen auf den nicht-jüdischen Ehemann übertragen, während dies umgekehrt seit Ende 1938 gesetzlich nicht mehr möglich war. Niederacher schildert aber ein Beispiel, in dem eine Frau Vermögen ihres verfolgten Ehemanns erfolgreich übernehmen konnte und damit eine neue soziale Rolle als Besitzerin und Verwalterin dieses Vermögens annahm. Faktisch schließt sich mit dem NS-Vermögensentzug die analytische Klammer der Arbeit, während das Kapitel zur Restitution, bei der sich keine geschlechtsspezifischen Effekte ausmachen lassen, keinen rechten Zusammenhang mehr zur übrigen Darstellung aufweist.

Ihre zentralen Untersuchungsfragen nach der Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern und den geschlechtsspezifischen Vermögensstrukturen kann Sonja Niederacher klar beantworten und bringt damit die Forschung zu Gender-Aspekten in der Wirtschaftsgeschichte ein gutes Stück voran. Jenseits dieser recht trockenen quantitativen Ebene reißt sie eine Fülle von Aspekten und Fragen an, die aufgrund der Quellenlage aber oftmals nur eingeschränkt in den Griff zu bekommen sind. Zwar holt sie in ihren qualitativen Fallgeschichten das Mögliche aus den Quellen heraus, doch kommt sie an die Praktiken der Bildung, Verwaltung und Weitergabe von Vermögen und die damit verbundenen Wahrnehmungen, Aushandlungen und Konflikte zwischen den Geschlechtern allenfalls punktuell empirisch heran. Hierzu formuliert die Arbeit aber zahlreiche Hypothesen und Forschungsperspektiven, die sich lohnen würden, an anderer Stelle aufgegriffen zu werden.

Anmerkung:
1 Michael Pammer, Jüdische Vermögen in Wien 1938, Wien 2003; Helen B. Junz u.a., Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945, Wien 2004.

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