Es gibt mehrere Gründe, warum eine Überblicksdarstellung zum Kriegsgedenken in Deutschland nottut: Zum einen findet das Sonderthema „Krieg“ innerhalb der Forschung zur Erinnerungskultur nach wie vor nicht genügend Aufmerksamkeit, zum anderen sind in den letzten Jahren zahlreiche Monographien zu einzelnen Erinnerungsorten (dies sowohl topographisch als auch kulturgeschichtlich) erschienen, die eine systematisierende Analyse geradezu einfordern. Drittens bleibt das Thema mit Blick auf die Bundeswehr virulent; aktuell entsteht in Potsdam am Einsatzführungskommando mit dem „Wald der Erinnerung“ ein Gedenkort, der an die Bundeswehrangehörigen erinnern soll, die im Einsatz gestorben sind. Den Versuch einer Zusammenschau aus kulturgeschichtlicher Perspektive hat jetzt der Gymnasiallehrer Jörg Koch unternommen und ist damit leider gescheitert. Die Publikation greift viele wichtige Aspekte auf und trägt interessantes Material zu einzelnen Fällen zusammen. Es gelingt jedoch nicht, diese zu systematisieren und in einen übergreifenden Kontext zu stellen.
Auf den ersten Blick lässt die Gliederung von den Napoleonischen Kriegen (I) über die „Kriegerdenkmäler für 1870/71, 1866, 1864 und 1848“ (II), „Denkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges“ (III) bis zu den „Denkmäler[n] für die Gefallenen und Opfer des Zweiten Weltkrieges“ (IV) eine umfassende Bearbeitung des Themas vermuten. Bei näherer Betrachtung der Unterkapitel jedoch fällt eine nicht immer nachvollziehbare Gruppierung auf, die sich durch den ganzen Text zieht: Es gibt räumliche und zeitliche Sprünge und einen häufigen Wechsel inhaltlicher Ebenen. In Kapitel II überrascht die umgekehrt chronologische Reihenfolge, hinzu kommt, dass „1848“ einen Sonderfall darstellt, der aber als solcher nicht behandelt wird. Man vermisst einen eigenen Abschnitt zu der Zeit nach 1945 und die Erinnerung an die Toten der Bundeswehr. Beides wird innerhalb des Kapitel IV im Kontext des Volkstrauertages abgehandelt. Allein aus dem Hinweis auf den (nur zweiseitigen) „Exkurs: DDR“ ist zu ersehen, dass es in Deutschland lange eine geteilte Erinnerung gegeben hat, die selbst aber nicht zum Thema gemacht wird. Weder die Einleitung noch der Schluss sind geeignet, systematisch in das Thema einzuführen, zu einer Bestandsaufnahme oder perspektivischen Fragen für die Forschung und weiteren Diskussionen zu kommen.
Diese Mängel gehen auf zwei Versäumnisse des Autors zurück. Zum einen findet keine Auseinandersetzung mit der bisher erschienenen, in der umfassenden Bibliographie aufgeführten Literatur statt. Zum anderen entwickelt Koch weder eine theoretische Basis noch eigene Thesen, die seinen detailreichen Ausführungen ein Fundament geben könnten. Allgemeine Aussagen und Schlussfolgerungen für das Kriegsgedenken in Deutschland sind so nicht möglich, zumal die häufig willkürliche Auswahl der Orte fast ausschließlich auf den Südwesten des Landes beschränkt bleibt. Warum wurden diese Orte ausgewählt, was zeichnet sie aus und was lässt sich an ihnen exemplarisch darstellen? Wünschenswert wären eine Tabelle zur Übersicht und eine Karte gewesen. Auffällig ist die häufige Hervorhebung von Worms und seiner Umgebung, die der Autor, im Unterschied zu anderen Orten mit zu vielen Details (S. 22, 39f., 74ff., 81f., 136, 172ff.) beschreibt. Neben der topographischen Auswahl bleibt auch die Systematik der Erinnerungsorte unklar: Zwar weist der Autor darauf hin, dass es ihm um „Kriegerdenkmäler“ geht, definiert diese Kategorie jedoch an keiner Stelle. Der Hinweis, es gehe um „Zeugnisse der Vergangenheit, die in der Regel der Herrschaftssicherung dienten“ (S. 7), hilft nicht weiter, da zahlreiche Beispiele im Buch, darunter die vielen Denkmälern in den Dörfern, dieser Kategorie nicht entsprechen. Die Unsicherheit in der Begrifflichkeit zieht sich durch den gesamten Text. Immer wieder wechselt Koch zwischen Denkmal, Gedenkort, Gedenkstätte, Ehrenmal, Mahnmal, Siegesdenkmal, Deserteurdenkmal, ergänzt um Exkurse zu Nationaldenkmälern (S. 46/47, 85/86). Dies vermischt er mit Beschreibungen offizieller Geschichtspolitik (Eröffnung von Denkmälern, Paraden, Feiertage, Jubiläen, Kranzniederlegungen) und gesamtgesellschaftlicher Erinnerungskultur (Kriegervereine, Initiativen zu Denkmälern, Friedensbäume, Literatur, Musik und Gesänge, Tourismus, Symbole, Gebete, Gedenkbücher). Hinzu kommt, dass er häufig Denkmäler anführt, die „nicht zu seiner Auswahl gehören“ (S. 35, 43, 73, 74, 147, 149, 159, 169), diese dann aber ausführlich bespricht. Ausgeschlossen aus der Betrachtung sind ausdrücklich Kriegsgräberfriedhöfe, ohne zu erklären, warum diese offenbar keine Form des Kriegsgedenkens darstellen.
Der meist ausführlichen Beschreibung von Gedenkfeiern und -orten folgt in nur sehr wenigen Fällen eine Analyse, zu der eine Einordnung in die jeweilige Epoche und die Interpretation der Erinnerungsformen gehört hätten. Stattdessen äußert der Autor vielfach seine persönliche Meinung zu den Orten und Ritualen, sowie dem Umgang mit den Denkmälern, wobei die heutige Sicht dem historischen Gedenken nicht gerecht werden kann. Der gelegentliche Hinweis auf die „Irrungen und Wirrungen der Zeit“ oder den „Zeitgeist“, den er mal positiv mal negativ beurteilt, kann eine Einbettung in den historischen Kontext sowohl der Ereignisse als auch der zeitspezifischen Erinnerung und ihres Wandels nicht ersetzen. So sucht man auch einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus auf das Kriegsgedenken in anderen Ländern vergeblich, sieht man von einer pauschalen Auflistung ab (S. 171/172). Sobald an einigen Stellen der Eindruck einer systematischen Herangehensweise entsteht – etwa durch Fragen wie: Woran und wie wird erinnert? Wie wandelt sich diese Erinnerung und warum? – verzettelt sich Koch wieder im Detail bei der Beschreibung eines Denkmals.
Nun muss eine Einführung in das Kriegsgedenken ja durchaus nicht akademisch-wissenschaftlicher Natur sein. Vielmehr kann dieses gesellschaftspolitische Thema auch in populärer Form bearbeitet werden. Doch auch bei einem solchen Herangehen wird die Lektüre getrübt durch häufig pauschale Urteile, banale Hinweise, seltsam anmutende Verweise wie etwa die Assoziation der Siegessäule in Berlin mit der Loveparade oder der Rede Obamas (S. 70) und blumige Formulierungen, die an einen Reiseführer denken lassen („prachtvolle Gedenkstätte“, „sagenhafter Blick in die Rheinebene“, „beliebtes Fotomotiv“, „anmutiger Kriegerfriedhof“, „wild-romantische Anlage“). Der Autor kommt oft unvermutet auf Themen zurück, die er kurz zuvor ausführlich dargelegt hat, so als ob davon bisher keine Rede war (Kriegervereine, S. 48/39f.; Sedantag S. 65/51f., Volkstrauertag S. 171, 164f.). Spätestens hier entsteht der Eindruck, als handele es sich bei der Publikation um eine Aneinanderreihung von einzelnen Vorträgen, was auch die regionale Auswahl erklären kann. Dazu passt der Stil im Geiste der Friedensbewegung, vor deren Hintergrund man ein gewisses grundsätzliches Unbehagen des Autors bei der Behandlung des Themas spürt, mit dem man sich wohl oder übel befassen muss („Denkmäler […] dienen noch im 21. Jahrhundert als schaurig-schöner Geschichtsunterricht“ (S. 7)). Dies führt dann zu Urteilen wie: „In dieser Form kann den geschätzten 55 Millionen Toten der Jahre 1933/39–1945 nicht angemessen gedacht werden.“ (S. 161)
Auch wenn der Autor vielleicht selber keinen wissenschaftlichen Anspruch verfolgt hat, so verwundert es, dass sein Buch im Verlag der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist. Die aufgezeigten Mängel hätten sich in den meisten Fällen durch ein kompetentes Lektorat beheben lassen: Eine doppelt gedruckte Bildunterschrift (S. 8), missverständliche Angaben zu territorialen Zugehörigkeiten im 19. Jahrhundert, militärischen Rängen, Orden- und Ehrenzeichen sowie inhaltliche Widersprüche (Die „Zahl der deutschen Gefallenen [hielt] sich in Grenzen“ (S. 38) und „mit großen Verlusten“ (S. 43) in Bezug auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71). Bei den insgesamt zu wenigen Abbildungen fehlen eindeutige Quellenhinweise, außer einem Ortsregister hätte ein thematisches Register die Orientierung sehr erleichtert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Veröffentlichung viele regionalgeschichtliche Mosaiksteinchen zum Kriegsgedenken in Deutschland beiträgt, das Buch aber nicht hält, was der Titel verspricht. Das „Durcheinander hinsichtlich der Denkmalsgestaltung“ im Ersten Weltkrieg (S. 113) lässt sich auch auf diese Publikation übertragen, die überfällige systematische Darstellung bleibt offen.