T. Tolsdorff: Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern

Cover
Titel
Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern. Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945


Autor(en)
Tolsdorff, Tim
Reihe
Öffentlichkeit und Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wigbert Benz, Karlsruhe

Bis heute dominiert im öffentlichen Diskurs Henri Nannens Erzählung, die Gründung der Zeitschrift STERN 1948 sei ein von ehemaligen NS-Zeitschriften unabhängiges, ja im Vergleich zu diesen ein konträres Aufklärungsprojekt gewesen; der Name einem plötzlichen Einfall geschuldet. An diesem Mythos kratzte Nils Minkmar 2002, der auf strukturelle Ähnlichkeiten und personelle Verbindungen mit einer auflagenstarken 1938/39 bestehenden Zeitschrift gleichen Namens verwies.1 Nun legt Tim Tolsdorff mit seiner 2013 von der Fakultät Kulturwissenschaften der Universität Dortmund als Dissertation angenommenen Studie eine auf umfassender Quellengrundlage vorgenommene Untersuchung zur gemeinsamen Geschichte dieser zwei Zeitschriften vor. Zwar verwehrte Nannens Witwe Eske Nannen Tolsdorff den Zugang zum Nachlass des STERN-Gründers, doch stand ihm neben den einschlägigen Archiven unter anderem auch der Nachlass Karl Beckmeiers, von 1948 bis 1961 (mit einjähriger Unterbrechung) Bildredakteur und Stellvertreter Nannens, zur Verfügung. Zu Recht weist Tolsdorffs Doktorvater Horst Pöttker in seinem Vorwort darauf hin, dass die Dissertation schon vor ihrer Publikation durch einen ganzseitigen FAZ-Artikel ihres Autors „eine für akademische Qualifikationsarbeiten ungewöhnliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit“ erhielt (S. 19).2

Tolsdorff, der als „Leitmotiv für diese Studie“ das Bemühen „der Komplexität des Geschehenen gerecht zu werden“ (S. 503) nennt, kommt trotz oder gerade wegen seiner abwägenden, differenzierten Herangehensweise zu eindeutigen Ergebnissen. Die von Herbst 1938 bis Ende 1939 bestehende als „Filmillustrierte“ konzipierte Zeitschrift STERN erschien im Deutschen Verlag, wie der Ullstein Verlag nach dessen Arisierung hieß. Sie wurde von Goebbels wegen ihrer positiven Darstellung der angeblich guten Seiten des Regimes geschätzt. Ihre entscheidenden Akteure waren auf Verlagsseite Carl Jödicke, der die Zeitschriftensparte des Verlags leitete sowie der erfolgreichste Bildjournalist des Unternehmens Kurt Zentner, die das Zeitschriftenprojekt gemeinsam durchsetzten. Zentner war von 1930 bis 1933 Mitglied der SPD, dann ab Mai 1933, vermutlich aus Gründen des beruflichen Fortkommens, der NSDAP beigetreten. Er hatte im Auftrag des Verlags in der zweiten Jahreshälfte 1937 in den USA das dortige Zeitschriftenwesen studiert und insbesondere die Zeitschrift LIFE mit ihrem aufgelockerten Layout zum optischen Vorbild des projektierten STERN genommen. Als nach seiner Rückkehr aus den USA durch eine vom „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ durchgeführte Überprüfung von Kirchenbüchern festgestellt wurde, dass Zentners Großmutter Jüdin war, schadete dies seiner Karriere zunächst nicht. Mit Zentner als Chefredakteur zielte die sogenannte Integrationspropaganda des STERN, der eine Auflage von 750.000 Exemplaren erreichte, darauf ab, die Leser mit Berichten und Bildern über die filmische Traumwelt der Babelsberger UFA-Studios zu erfreuen. Die Ideologie der Volksgemeinschaft wurde nicht mittels dumpfer antisemitischer oder antiamerikanischer Hetzartikel propagiert, sondern neben einer intensiven Behandlung militärischer Filme durch Berichte über Künstler, die Wehrmachtsoldaten unterstützen und die Illusion der Volksgemeinschaft als militärische Kampfgemeinschaft erzeugen sollten. Ende 1939, also wenige Monate nach Kriegsbeginn, wurde die Zeitschrift dennoch durch die Soldatenzeitschrift ERIKA ersetzt. Dem mächtigen NS-Presselenker Max Amann gefielen weder die freizügigen Fotos weiblicher Künstlerinnen noch die aus seiner Sicht fehlende weltanschaulich-moralische Rigidität und mangelnde Kriegsrhetorik. Goebbels, in der zweiten Jahreshälfte 1939 wegen privater Affären in der Defensive, drückte im Januar 1940 sein Missfallen über die Einstellung der Zeitschrift aus. Tolsdorff verortet das Ende der Zeitschrift als „symbolisch für den Übergang von der Integrations- zur Kriegspropaganda“ (S. 146). Zentner verlor nicht nur seinen Posten als Chefredakteur, sondern wurde im April 1940 auch aus der NSDAP ausgestoßen.

Die Gründung des neuen STERN erfolgte im Sommer 1948 zunächst über den Umweg der Übernahme der Lizenz einer Jugendzeitschrift mit dem Titel Zick-Zack. Henri Nannen nutzte das Kompetenzwirrwarr bei den alliierten Genehmigungsbehörden, um letztendlich den Titel STERN und den Charakter als allgemeine Illustrierte durchzusetzen. Beraten wurde er dabei von dem ehemaligen Manager des Deutschen Verlags Carl Jödicke, der schon bei der Durchsetzung des alten STERN 1938 eine wesentliche Rolle spielte. Nannen selbst war zu diesem Zeitpunkt Redakteur der im nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlag erscheinenden Zeitschrift Die Kunst im Dritten Reich gewesen (S. 155). Jödicke, der ab September 1947 als Prokurist im selben Hannoveraner Zeitungsverlag arbeitete, in dem Nannen nun Lizenznehmer der Hannoverschen Abendpost war, versorgte diesen mit den erforderlichen politischen und markenrechtlichen Expertisen, damit die Lizensierung des Projekts gelingen konnte und Nannen von späteren Restitutionsforderungen der Familie Ullstein unbehelligt bleiben würde. Das Betriebskapital für den neuen Verlag Henri Nannens lieferten zunächst die Unternehmer Walter Heise und Willy Wohlrabe, ehe Gerd Bucerius vom ZEIT-Verlag und Richard Gruner die Hauptanteile übernahmen. Redakteure des neuen STERN waren mit Ausnahme Nannens Journalisten, die schon den alten STERN sehr gut kannten, so etwa der stellvertretende Chefredakteur Karl Beckmeier, der seine Ausbildung unter Kurt Zentner bei der Berliner Illustrierten Zeitung absolvierte. Zentner selbst übernahm Nannens Posten als Chefredakteur kommissarisch als dieser in der zweiten Jahreshälfte 1951 auf beiden amerikanischen Kontinenten weilte und schrieb auch später als freier Autor für das Magazin.

Beide Zeitschriften zeigen erhebliche Kontinuitäten im Hinblick auf formale und inhaltliche Gestaltung. Sowohl das STERN-Logo als auch die Präsentation weiblicher Reize auf den Titelbildern war von frappierenden Ähnlichkeiten geprägt. Die Summe der gestalterischen Übereinstimmungen und Parallelen bei Rubriken, wie z.B. „Sternschnuppen“ oder „Der Stern lacht“, dem Arrangement von Romanen, Gewinnspielen, Witzeseiten und sogenannten Tatsachenberichten spreche, so Tolsdorff, für eine Übernahme des Grundgerüsts des alten STERN als „Blaupause des Vorkriegsblatts“ (S. 409). Statt primär Berichte über Stars der Filmbranche lieferte der neue STERN jetzt mehr Sensationsgeschichten von Hochadel und Jetset. Die im alten STERN propagierte Ideologie der Volksgemeinschaft als militärische Kampfgemeinschaft mündete nun in den Mythos des Volkes als Opfergemeinschaft im Krieg, die sich gegen Zumutungen der alliierten Sieger wehren müsse. In den 1950er-Jahren publizierte der STERN einseitige Darstellungen zum schweren Schicksal der unterstellten deutschen Opfergemeinschaft. Diese reichten vom angeblich auf Seiten der Wehrmacht ritterlich und ehrenvoll geführten Krieg, dem Beklagen ungerechter Schuldzuschreibungen, da man ja selbst Opfer von Hitler und seiner Clique gewesen sei, entwürdigenden Entnazifizierungsverfahren, dem aufrechte und tadellose Deutsche ausgesetzt gewesen seien (dazu schrieb Kurt Zentner eine Serie) und von allen Kausalitäten entsorgten, affektiv aufgeladenen sogenannten Tatsachenberichten zu Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit.

Gelegentlich hätten Tolsdorffs akribischer Studie Straffungen und mehr Achtsamkeit auf redundante Ausführungen gutgetan, auch wenn diese teilweise insofern begründet scheinen, als er keine chronologische Darstellung, sondern eine strukturell vergleichende Analyse präsentiert, die Rückgriffe auf schon in anderem Kontext Behandeltes benötigt. Zudem schiebt er wiederholt längere Passagen zum Forschungsstand der sein Thema berührenden Rahmenbedingungen ein, seien sie pressepolitischer, vergangenheitspolitischer oder wirtschaftlicher Art. Die wiederholte Falschschreibung des ehemaligen NS-Pressechefs im Auswärtigen Amt, Paul Carell (Pseudonym für Paul Karl Schmidt) mit „rr“ hätte vermieden werden können. Bei der Angabe, Kurt Zentner habe es „einem Oberst Hesse“ (S. 149) zu verdanken, dass er nach seiner Entfernung als „Vierteljude“ aus der Propagandaabteilung der Wehrmacht 1941 die Aufnahme in dessen Einrichtung fand, fehlt die Präzisierung, dass es sich bei diesem Hesse konkret um den ehemaligen Chef der Propagandagruppe V der Wehrmacht, Kurt Hesse, handelte, für den Zentner nun bei der Heeresausbildung Schriften verfasste.3 Die Detailkritik ändert jedoch nichts an dem überaus positiven Gesamteindruck dieser faktenreichen und im besten Sinne diskursiv abwägenden, alles im allem sehr erhellenden Studie zum doppelten STERN vor und nach 1945.

Anmerkungen:
1 Nils Minkmar, Die doppelte Wundertüte. Wie Henri Nannen den „Stern” erfand, in: Lutz Hachmeister / Friedemann Siering (Hrsg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002, S. 185–195. Vgl. die Rezension von Bernd Stöver, in: H-Soz-Kult, 13.05.2003, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-2301> (06.01.2015).
2 Tim Tolsdorff, Die braunen Wurzeln des „Stern“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2013, S. 29.
3 Tolsdorff gibt als Beleg in Fußnote 419 an: Daniel Uziel, The Propaganda Warriors: The Wehrmacht and the Consolidation of the German Home Front, Oxford 2008, S. 132–134. Uziel schreibt auf S. 133, dass Hesse Zentner anforderte, um bei dessen neuem Tätigkeitsfeld („OKHs training command“) Schriften für ihn anzufertigen („Hesse knew him before and now wanted him to write a series of books for the commander of the army“).

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