J.-P. Ghobrial: The Whispers of Cities

Cover
Titel
The Whispers of Cities. Information Flows in Istanbul, London, and Paris in the Age of William Trumbull


Autor(en)
Ghobrial, John-Paul A.
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 192 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Kühnel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

„This book is about information flows between Europe and the Middle East in the early modern period.“ (S. viii) So beschreibt John-Paul Ghobrial selbst das Programm seines kürzlich erschienen Buchs „The Whispers of the Cities“. Dabei soll ihm der Informationsfluss als ‚Prisma‘ dienen, durch das die Verbundenheit („connectedness“) von Europa mit dem Osmanischen Reich sichtbar gemacht werden kann (S. 17). Ganz im Sinne neuer Forschungstrends wendet sich Ghobrial damit gegen eine Sichtweise, die kulturelle Unterschiede zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ essenzialisiert und ontologisiert. Stattdessen geht er für die Frühe Neuzeit von einem gemeinsamen europäischen Kommunikationsraum aus, der das Osmanische Reich einschloss und der durch vielfältige Austauschbeziehungen und ein „continuum of practices“ geprägt war (S. 9). Und es sind dann auch die alltäglichen Praktiken der Kommunikation, denen sich Ghobrial in seiner Untersuchung widmet – mit der Absicht, „the meaning of connectedness as it was experienced in everyday life by people living on both sides of the Mediterranean“ aufzudecken (S. 11). Dieses Ziel kann Ghobrial zufolge nur mittels einer mikrohistorischen Analyse und auf Basis einer umfassenden Quellengrundlage erreicht werden. Er hat daher die Überlieferung im Zusammenhang mit William Trumbull gewählt, der zwischen 1687 und 1692 englischer Botschafter in Konstantinopel war und aus dessen Amtszeit besonders viele Quellen vorliegen.

In einem ersten Schritt widmet sich Ghobrial der Frage, welche Möglichkeiten es in Westeuropa gab, an Informationen über das Osmanische Reich zu gelangen. Neben der klassischen Gattung der Turcica, also gedruckter Schriften wie Reisebeschreibungen, identifiziert er dabei zahlreiche weitere Informationsträger. Zum einen waren dies Personen, die aufgrund eigener Erfahrungen über Expertise verfügten und die mündlich oder schriftlich Auskunft geben konnten. Hierbei handelte es sich in aller Regel um Kaufleute oder ehemalige Diplomaten. Zum anderen existierte eine Vielzahl ungedruckter Schriften in verschiedenen Archiven (z. B. die der Regierung, der Handelsorganisationen, aber auch von Privatpersonen). Das englische Archivwesen war allerdings im Vergleich etwa zum venezianischen oder französischen Ende des 17. Jahrhunderts erst relativ wenig professionalisiert und hing eher vom persönlichen Einsatz einzelner Akteure ab.

Im nächsten Schritt wendet sich Ghobrial dem Zusammenleben von Europäern und Osmanen in Istanbul zu, das er durch eine weitreichende gemeinsame ‚Soziabilität‘ geprägt sieht. Europäische Diplomaten, osmanische Amtsträger, Renegaten, Kaufleute, Sklaven, Übersetzer, Ärzte, Sekretäre und Boten – sie alle waren Ghobrial zufolge in ein dichtes Geflecht von persönlichen Beziehungen eingebunden, in dem permanent Informationen ausgetauscht wurden. Nicht zuletzt durch den in der osmanischen Gesellschaft tief verwurzelten Austausch von Geschenken hätten sich die Europäer in das bestehende System integriert und so am alltäglichen Leben teilgenommen. Auch der diplomatische Alltag sei durch regelmäßige Interaktion zwischen Europäern und Osmanen geprägt gewesen, sowohl im Rahmen öffentlicher Zeremonien als auch bei ‚privaten‘ Treffen. Hierbei habe gerade die englische Botschaft in Konstantinopel eine wichtige Bedeutung als Kommunikationsort gespielt.

Als nächstes untersucht Ghobrial, auf welche Weise Informationen die großen Distanzen zwischen England und Osmanischem Reich überbrücken konnten. Ein wesentlicher Faktor war hier das offizielle Nachrichtensystem der Secretaries of State, wie es sich seit der Restauration ausgebildet hatte. Dabei stellten die Secretaries regelmäßig Informationen über die politische Lage in Europa zu handschriftlichen Newslettern zusammen und versandten diese an die Diplomaten im Ausland. Diese schickten im Gegenzug Informationen zurück, die dann wiederum Eingang in die Newsletter fanden. Daneben gab es auch professionelle Händler, die ihr Geld mit dem Vertrieb solcher Newsletter verdienten. Außerdem war es üblich, dass jeder Diplomat selbst in Kontakt mit seinen Amtskollegen an den anderen europäischen Höfen stand und mit ihnen gegenseitig politische Informationen austauschte. Von großer Bedeutung waren schließlich gedruckte Zeitungen, die von Westeuropa nach Konstantinopel gelangten und dort kursierten. Dabei blieben, so Ghobrial, all diese Informationen keineswegs auf die westeuropäischen Kreise beschränkt. Abschriften und Übersetzungen westlicher Nachrichten gelangten regelmäßig in die Hände der osmanischen Obrigkeiten, nicht zuletzt weil die Europäer beim Übermitteln von Informationen maßgeblich auf die Dienste osmanischer Mittelsmänner angewiesen waren. Insgesamt, so ließe sich sagen, kann Konstantinopel somit als Bestandteil der europäischen Höfischen Öffentlichkeit angesehen werden: „News from Istanbul clearly played an important, yet still understudied, role in the ‚media landscape‘ of the early modern period“ (S. 95).

Schließlich widmet sich Ghobrial noch einmal intensiv der Frage, welche Personen Informationen in der alltäglichen Kommunikation in Konstantinopel verbreiteten. Eine herausgehobene Rolle bei der Überwindung sprachlicher Grenzen spielten hier die Dragomane, also osmanische Dolmetscher oder Übersetzer. Diese stützen sich jedoch wiederum auf weitere ‚Intermediäre‘, so dass von einem „collaborative process“ zu sprechen sei (S. 107). Weitere wichtige ‚Go-Betweens‘ waren außerdem Ärzte, weil auch sie gleichermaßen mit den westlichen wie den osmanischen Eliten in Kontakt standen.

In seinem letzten Kapitel spielt Ghobrial seine vorher gefundenen Erkenntnisse noch einmal an einem sehr anschaulichen Beispiel durch – man könnte geradezu von einer Mikrogeschichte in der Mikrogeschichte sprechen. In „The Life of a Story“ verfolgt er den Weg der Geschichte über die Absetzung Sultan Mehmets IV im Jahr 1687 von Konstantinopel in die europäische Öffentlichkeit. Die in Konstantinopel kursierenden Gerüchte über Mehmets Absetzung wurden in der englischen Botschaft erstmals verschriftlicht und um Kontextinformationen für die europäischen Leser ergänzt. Der Botschafter William Trumbull berichtete sie dann an die Regierung in London. In England erschien wiederum bereits kurze Zeit später ein Zeitungsbericht in der London Gazette, der zum Großteil diesem Wortlaut Trumbulls folgte. Von dort aus fand die Geschichte schließlich Einzug in zeitgenössische Bücher über das Osmanische Reich wie diejenigen von John Phillips und Paul Rycaut.

Insgesamt, so betont Ghobrial in seinem Fazit noch einmal deutlich, waren die Menschen in London, Paris und Konstantinopel in der Frühen Neuzeit durch einen permanenten Informationsfluss miteinander verbunden (hier sei angemerkt, dass Paris – obwohl dies der Buchtitel anders vermuten lässt – auf der Analyseebene praktisch keine Rolle spielt). Und dieser Informationsfluss war eben nicht allein an gedruckte Medien gebunden, sondern zeichnete sich durch eine Vielzahl verschiedener anderer Kommunikationspraktiken aus: „even distant ‚worlds without print‘ like the Ottoman Empire were integrated into the emerging system of scribal and print communication in seventeenth-century Europe“ (S. 162).

Ghobrial ist ein großartiges Buch gelungen, das deutlich zeigt, welcher Erkenntnisgewinn durch eine praxeologische Neuperspektivierung der frühneuzeitlichen Kommunikationsgeschichte möglich ist. Beschränkt man sich bei der Analyse eben nicht nur auf die Zirkulation gedruckter Medien, sondern bezieht auch die alltägliche (das heißt häufig mündliche) Kommunikation mit ein, dann geraten herkömmliche Sichtweisen wie etwa die einer Kommunikationsgrenze zwischen Europa und Osmanischem Reich schnell ins Wanken. Das große Problem eines solchen Ansatzes besteht allerdings darin, dass alltägliche Kommunikation nur wenig Spuren in den Quellen hinterlässt. Dem kann auch Ghobrial nicht entgehen, und so bleiben seine Aussagen in diesem Bereich häufig etwas spekulativ. Dies betrifft etwa die von ihm sehr stark gemachte gemeinsame Soziabilität in Konstantinopel. Zwar gab es ohne Frage regen Austausch zwischen den Beteiligten, selbstverständlich auch über sprachliche Grenzen hinweg. Ob man aber wirklich von einer „world of intimacy“ ausgehen muss (S. 66), ist nicht eindeutig zu beantworten. So spricht Ghobrial beispielsweise etwas unbestimmt davon, festliche Veranstaltungen in der englischen Botschaft „might attract the interests of Ottoman subjects“ (S. 80). Konkrete Beispiele nennt er jedoch nicht. Auch kursierende Gerüchte, wie etwa diejenigen über die Absetzung Mehmets IV, erschließt Ghobrial eher indirekt und eben erst dadurch, dass sie in der englischen Botschaft verschriftlicht worden sind. Auch die angebliche „close friendship“ zwischen William Trumbull und Receb Pascha (S. 65–67) müsste deutlicher am Quellenmaterial nachgewiesen werden. Eine gewisse – für angelsächsische Autoren nicht ganz ungewöhnliche – Theorieferne zeigt sich zudem darin, dass solche Kategorien relativ selbstverständlich verwendet werden. Es wäre aber etwa zu klären, was ‚Freundschaft‘ in der höfischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit überhaupt heißen konnte.1

Ghobrial hat für sein Buch bewusst einen anderen Weg gewählt – er selbst nennt es ein „extended essay“ (S. viii). Es ist unterhaltsam und sprachlich ausgezeichnet geschrieben, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Großteil der Detail- und Quelleninformationen in die Fußnoten ausgelagert ist. Wenn es auch in vielen Bereichen zwangsläufig spekulativ bleiben und mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten muss, so trägt es doch dazu bei, neu über den Informationsfluss im frühneuzeitlichen Europa nachzudenken – und dieses Europa schloss eben das Osmanische Reich mit ein.

Anmerkung:
1 Zu diesem Problem etwa Christian Kühner, ‚Quand je retournai, je trouvai toutes les cabales de la cour changées‘: Friendship under the Conditions of Seventeenth-Century Court Society, in: Ronald G. Asch / Birgit Emich / Jens Ivo Engels (Hrsg.), Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt a. M. 2011, S. 59–75.

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