Albert Einstein war der Ansicht, die Massen seien niemals kriegslüstern, sofern sie nicht durch Kriegspropaganda dazu gebracht würden. Doch er forderte nicht nur die Abwesenheit von Bellizismus, sondern die aktive Erziehung zum Frieden. Dieses Diktum Einsteins versteht Wolfram Wette als den Ausgangspunkt einer modernen Friedenspädagogik. Sein Beitrag ist Teil eines Sammelbandes, der einen Überblick über Friedensarbeit und Friedenspädagogik im 20. Jahrhundert bietet. Damit versammelt das Buch die Ergebnisse der Jahrestagung des Arbeitskreises für Historische Friedensforschung von 2011. Der Band bietet einen sehr spannenden, kohärenten und gut lesbaren Einstieg in die historische Entwicklung der Friedenspädagogik. Leider kann hier nicht auf alle sechzehn Beiträge einzeln eingegangen werden, von denen allerdings jeder einzelne lesenswert ist.
In der Einleitung von Till Kössler wird der Begriff der Friedenpädagogik eingehend reflektiert. Ist das Ziel der Friedenspädagogik die Herauslösung des Menschen aus Gewaltverhältnissen oder geht es nur um die Abwesenheit von militärischen Konflikten? Friedenssicherung als Aufgabe von Armeen stellt schließlich immer noch ein hegemoniales Konzept der westeuropäischen Friedenspolitik dar. Kann also Frieden letztlich nur durch militärische Gewalt gesichert werden? Eine eindeutige Arbeitsdefinition bleibt der einführende Autor schuldig. Er schlägt dagegen vor, gerade die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz des Begriffs als Konzept zu verwenden.
Der daran anschließende Beitrag von Uli Jäger berichtet aus der historischen Praxis der Friedenspädagogik in der Bundesrepublik und zeigt, wie sich hier diese Disziplin zwischen Schule, Jugendarbeit und allgemeiner Aufklärungsarbeit herausgebildet hat.
Die Stärke des Bandes liegt auch darin, dass er sich nicht nur auf Friedenserziehung als Teil der Bildungsforschung bezieht, sondern das Feld gezielt in einem weiteren Sinne versteht. Dadurch wird deutlich, dass Friedenserziehung nicht in jedem Falle mit fortschrittlichen oder radikalpazifistischen Konzepten einhergeht.
Diese inhärente Widersprüchlichkeit zeigen für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa die Beiträge von Andrew Donson und Arndt Weinrich. Donson stellt Verbindungen von Reformpädagogik und Kriegsbegeisterung während des Ersten Weltkriegs heraus, während Weinrich einen Überblick über Friedensvorstellungen in der Weltkriegserinnerung verschiedener Jugendorganisationen liefert. Er kann zeigen wie ein „heroisierender Minimalkonsens“ in der Weltkriegserinnerung von katholischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen jeweilige pazifistische Vorstellungen zumindest in Frage stellen musste. Alle Beiträge in dieser Sektion steigen überzeugend in die Historisierung der jeweils zeitgenössischen Friedenskonzepte ein.
Der Beitrag von Alexander Schwitanski vergleicht das sozialistische Jugendprojekt Kinderrepublik Seekamp aus der Weimarer Zeit mit dem sogenannten ‚Falkenstaat Junges Europa‘ in der frühen Bundesrepublik. Er stellt heraus, dass die Seekamprepublikaner davon ausgingen, dass nur durch sozialistische Systemüberwindung Frieden möglich sein würde. Hier wurde der Frieden weniger als Ziel, sondern vielmehr als Argument eingesetzt. Im Falkenstaat dagegen hatte sich schon stärker der Gedanke des Kinderschutzes durchgesetzt und die Jugendlichen sollten nicht zu sehr mit dem Thema Atomkrieg beschäftigt werden. Als praktisches und naheliegendes Ziel wurde vor allem der Friede mit den westeuropäischen Nachbarn formuliert.
Spannend sind auch die Beiträge über die Friedenspädagogik in der Jugendarbeit. So liefert Christine G. Krüger einen Überblick über die frühe Workcamp-Bewegung, die von europäischen Jugendorganisationen angeboten wurde. Sie kann in einem Vergleich deutscher und britischer Beispiele zeigen, wie in den 1950er-Jahren vor allem das Gemeinschaftskonzept dieser Reisegruppen Anziehungskraft auf deutsche Teilnehmer ausgeübt hat. Auch Sonja Levsen zieht einen gelungenen Vergleich der Motivationen für Jugendaustauschreisen in der frühen Bunderepublik und Frankreich. Sie macht deutlich, dass die Reisen in der deutschen Öffentlichkeit doch recht umstritten waren. Immer wieder wurde kritisiert, dass die Kinder eher das benachbarte Ausland kennenlernen würden, anstatt ihre nahe Heimat zu erwandern. Während in Deutschland eher mit dem Argument der Friedenspädagogik Akzeptanz für diese Reisen geschaffen werden konnte, wurde in der französischen Öffentlichkeit die Neugierde auf das Ausland und das Bedürfnis, den Horizont durch Fernreisen zu erweitern dagegen stärker anerkannt. Beide Arbeiten zeigen, wie schwer es den deutschen Jugendlichen fiel, sich von nationalsozialistisch geprägten Sinnstiftungsmustern in Bezug auf ‚Gemeinschaft‘ oder ‚Heimat‘ nachhaltig zu lösen. Diesen Beiträgen folgt nun eine Sektion zur Friedenserziehung während des Kalten Krieges. In diesem Kapitel wird nach der Überblicksdarstellung von Wolfram Wette die Friedenspädagogik im Schulbuch (Romain Faure) und in der Militärpädagogik (Detlef Bald) thematisiert. Der Letztgenannte kann zeigen, dass sich in der Bundeswehr ein demokratisches Verständnis vom ‚Staatsbürger in Uniform’ jedenfalls erst mit deutlicher Verzögerung durchsetzte. Anschließend folgt noch ein Einblick in unterschiedliche Friedenserziehungskonzepte in der DDR, der einmal mehr deutlich macht, dass die Berufung auf Frieden, der in der DDR sogar Verfassungsrang besaß, keinen Garant für die Abwesenheit von Gewalt oder militärischer Kultur bildet. Diese vier Beiträge zeigen, dass Frieden in den Nachkriegsgesellschaften kein konkretes, naheliegendes Ziel war, sondern vor allem ein politisches Argument mit durchaus widersprüchlichen Potentialen.
Wolfram Wette zieht schließlich eine grundsätzlich positive Bilanz der Entwicklung der Friedenspädagogik, warnt aber auch davor, ihre konkrete Wirkung für die Demokratisierung zu überschätzen: „Die gründliche historische Aufarbeitung der NS-Zeit und der beiden Weltkriege in der politischen Bildung war ein weiterer maßgeblicher Faktor, der dazu führte, dass sich in den Köpfen und Emotionen der Deutschen nach und nach eine Grundstimmung der Friedfertigkeit verfestigte.“ (S. 218) Das ist eine Bilanz, die Historikern allerdings nur recht sein kann.
Am Ende des Bandes benennt Holger Nehring in der Rückschau die Ergebnisse der Beiträge und ordnet sie in ein Konzept einer „Praxeologie des Friedens“ ein. Ihm kann in der Beurteilung in wesentlichen Punkten zugestimmt werden. Der Verdienst des Bandes liegt in jedem Fall darin, unterschiedliche Praktiken der Friedenspädagogik als Untersuchungsgegenstand deutlich zu machen, in der klaren Historisierung des Gegenstandes, die Frieden eben nicht oder nicht nur als hehren moralischen Imperativ versteht, sondern auch als politisches Argument, das kritisch hinterfragt werden muss. Nur so kann gesehen werden, dass die Geschichte des Friedens nicht ohne den parallelen Blick auf die jeweiligen Gewaltpotentiale einer Gesellschaft zu verstehen ist. Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Hier liegt ein wirklich gelungener Sammelband vor, in dem nicht nur der gegenseitige inhaltliche Bezug der Aufsätze stimmt, sondern auch das Verhältnis zwischen spezialisierenden und generalisierenden Beiträgen ausgewogen ist.