A. Klein: Korruption und Korruptionsskandale in der Weimarer Republik

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Titel
Korruption und Korruptionsskandale in der Weimarer Republik.


Autor(en)
Klein, Annika
Reihe
Schriften zur politischen Kommunikation 16
Erschienen
Göttingen 2014: V&R unipress
Anzahl Seiten
530 S., 25 Abb.
Preis
€ 69,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Kaum eine historische Studie zur Weimarer Republik kann sich dem Menetekel ihres Untergangs entziehen. Aus der Retrospektive gilt sie bis heute meist als eine Republik ohne Republikaner, als ein dem Verfall geweihtes Gebilde. Einer der wichtigsten Diskurse, die diese Sicht bereits zeitgenössisch fundierten, war der über politische Korruption. Nachdem demokratische Politiker wie Matthias Erzberger die Kohlen aus dem Feuer des untergegangenen Kaiserreichs geholt, Waffenstillstand und Friedensvertrag ausgehandelt und unterschrieben hatten, die bolschewistische Revolution abgewendet worden war und die alten Eliten ihre wichtigsten politischen, ökonomischen und kulturellen Besitzstände hatten retten können, begann 1919/20 das Kesseltreiben der alten und der neuen politischen Rechten sowie der extremen Linken auf das demokratische System und seine Amtsträger unter dem Rubrum der Korruption.

Zu dieser zentralen Konfliktlinie der Weimarer Zeit hat Annika Klein an der Universität Frankfurt/Main ihre Dissertationsschrift vorgelegt. In drei großen Abschnitten („Neuanfänge und Altlasten 1919–1923“, „Der Zusammenbruch der Inflationsimperien 1924–1929“ und „Die neuen Machthaber 1930–1933“) nimmt sie Korruptionsfälle aus dem Graubereich von Politik und Wirtschaft in den Blick, darunter die Fälle Erzberger-Helfferich, Sklarz-Parvus, Hermes, Kutisker-Barmat, Sklarek, Reemtsma und Osthilfe. Inhaltlich will sie dabei dem nachgehen, was in den öffentlichen Debatten für „korrupt“ gehalten wurde, nicht den engen und im deutschen Rechtssystem wenig konzisen juristischen Definitionen politischer Korruption. Dabei kann sich Klein auf zahlreiche solide Vorarbeiten zum Themenfeld der politischen Korruption1, vor allem aus französisch-deutschen Forschungskooperationen2 sowie aus der historischen Skandalforschung stützen.3 Hier beginnt allerdings das Grundproblem der Arbeit: Sie kann sich nicht entscheiden, wo sie sich verorten will, ob sie eine thematisch weitgefächerte historische Skandalstudie oder eine Fallstudie zur politischen Korruption sein will. Hinzu treten, trotz der erwähnten Beteuerung, politische Korruption diskursiv verstehen zu wollen, essentialistische und normative Ansprüche. Nicht zuletzt die von der Autorin entworfenen Schaubilder (S. 237, 306) machen deutlich, dass der faktische Kern der Korruptionsfälle geklärt werden soll. Die Schlüsselfrage: Kann Akteur XY nach heutigem Kenntnisstand als „korrupt“ bezeichnet werden?

Konzeptionell unklar und terminologisch unscharf bleibt, ob die einzelnen „Fälle“ als Skandale, Affären oder sensationelle Gerichtsprozesse (causes célèbres) analysiert werden. Für alle Ansätze liegen eingeführte Theorien und Begrifflichkeiten vor, die von der Autorin aber kaum stringent gebraucht oder gar kritisch reflektiert werden (Ausnahme: Der vorwiegend in der Soziologie gebrauchte, unschöne Begriff „Skandalierung“ wird konsequent durchgehalten). Vor allem die in der historischen Skandalforschung erprobten Kategorien „Eigendynamik“, „moralische Fallhöhe“ sowie „Meta-/Subskandal“ hätte sich in den meisten untersuchten Korruptionsfällen angeboten.4 Dagegen ist die nur am Rande gelieferte Definition des politischen Skandals zu eng und nicht auf dem aktuellen Stand der historischen Skandalforschung, wenn die Enthüllung eines Regelverstoßes stets dem „Mitglied einer oppositionellen politischen Gruppierung“ (S. 101) zugeschrieben wird.

Stilistisch fragwürdig ist die allen Korruptionsfällen vorangestellte, der Pitaval-Tradition entlehnte „Dramatis Personae“, die eine gewisse Theatralik suggerieren soll. In einem geschichtswissenschaftlichen Werk wirkt sie jedoch deplatziert. Überdies ist die hierbei vorgenommene personelle Zusammenstellung nicht immer einleuchtend. Beim Sensationsprozess Erzberger-Helfferich etwa taucht neben den beiden namensgebenden Protagonisten der österreichische Diplomat Ottokar Graf Czernin auf. Als handelnder Akteur kommt er in dem Kapitel aber überhaupt nicht vor. Unterbelichtet bleibt dagegen die Bedeutung von Rechtsbeiständen, journalistischen Unterstützern und publizistischen Gegenspielern, Gerichtsgutachtern und wissenschaftlichen Experten während der jeweiligen Gerichtsprozesse; all diese Berufe erlebten im Untersuchungszeitraum einen rapiden Professionalisierungsschub und Bedeutungszuwachs als spezifische Deutungseliten der modernen Gesellschaft.

Beim wichtigsten Fall der Studie, dem Sensationsprozess Erzberger-Helfferich, der die Grundlage für das Korruptionsverständnis der Weimarer Zeit legte, fällt die generell fehlende Auseinandersetzung mit dem Korruptionsverständnis des gerade erst untergegangenen Kaiserreiches besonders scharf auf. Quellen, die einen vergleichenden Blick anbieten, wurden sogar bewusst außer Acht gelassen wie ein Artikel der Vossischen Zeitung vom 6. Februar 1920 (S. 91, Anm. 75). Dabei kann die – imaginierte – Dichotomie zwischen korruptem Berufspolitiker und unkorrumpierbarem Beamten auf eine Traditionslinie bis mindestens zu Bismarck zurückblicken. Er und seine Nachfolger im Amt des Reichskanzlers liebten es, sich je nach Situation als „oberste Reichsbeamte“ zu gerieren, die den schmutzigen Kämpfen der Parteipolitiker entrückt waren. Dass solche entscheidenden Zusammenhänge unerklärt bleiben, hat gewiss auch damit zu tun, dass die einschlägige Forschungsliteratur in der Einleitung zwar erwähnt (S. 31, Anm. 62–67), im Hauptteil der Studie selbst allerdings kaum genutzt wurde.5

Erst im Fazit der Arbeit erfolgt die wichtige Feststellung, dass in den untersuchten Korruptionsfällen gesellschaftliche Grundfragen über die Milieu- und Parteigrenzen der zerklüfteten Weimarer Gesellschaft hinweg verhandelt wurden. Im Fall Erzberger-Helfferich etwa ging es um nichts Geringeres als die Frage: Warum hat Deutschland den Krieg verloren? Welche Politiker und welche politischen Kräfte sind daran schuld? Es hätte nahegelegen, alle ausgewählten Korruptionsfälle anhand der jeweils virulenten gesellschaftlichen Konfliktlinien zu strukturieren und analytisch zu fassen. Stattdessen verliert sich die Studie immer wieder im Klein-Klein des Prozessgeschehens; mitunter werden dabei mehrere Seiten in Folge auf der Grundlage eines einzigen zeitgenössischen Pamphlets dargestellt.

Doch auch wichtige, an den untersuchten Fällen erhärtete Erkenntnisse finden sich in der abschließenden Analyse: So habe sich der Korruptions-Diskurs, katalytisch befördert durch Weltkrieg und Revolution, gleichsam als Trägerdiskurs für übergreifende politische Fragen etabliert. Auf diese Weise seien „Republik“ und „Korruption“ in öffentlichen Debatten zunehmend miteinander verknüpft worden, wobei auch die Gegner der Republik genug eigene Korruptionsfälle aufzuweisen hatten. Hinzu sei gekommen, dass Korruption in inter-, aber auch innerparteilichen Machtkämpfen quer durch das Weimarer Parteienspektrum genutzt worden sei, wofür sich eine eigene Sprache etabliert habe. Am Ende habe dies jene politischen Heilslehren und Erlöserfiguren begünstigt, die einen radikalen Ausweg aus der steten Abfolge von realen und imaginierten Krisen der Republik versprachen.

Bei einer in einem internationalen Graduiertenkolleg („Politische Kommunikation von der Antike bis in das 20. Jahrhundert“) entstandenen Dissertation ist die fehlende mediale Außenperspektive besonders schmerzlich. Die ausländische Presse wird nur punktuell beachtet. Wenn einmal der britische Guardian erwähnt wird, ist es in einer Rückzitierung aus der Chemnitzer Volksstimme (S. 205), was unfreiwillig komisch wirkt. Dabei hat die amerikanische, britische und französische Presse – um nur die bedeutendsten Weltkriegssieger zu nennen – alle untersuchten Korruptionsfälle, in denen vielfach die internationale Lage Deutschlands eine Rolle spielte, ausgiebig kommentiert. Unverständlich bleibt auch, warum die süddeutsche, besonders die bayerische Presse, fast komplett ausgespart wurde, obgleich die Korruptionsfälle im vorwiegend preußischen Machtbereich dem Partikularismus der Weimarer Zeit enormen Auftrieb gegeben haben dürften.

Die Studie von Annika Klein ist ein gutes Nachschlagewerk zu Fällen politischer Korruption in der Weimarer Republik, das durch eine fleißige Archiv-Arbeit entstanden ist. Gerade darum ist es schade, dass die Arbeit kein innovativer Beitrag zur historischen Skandalforschung oder zur historischen Erforschung politischer Korruption geworden ist, der einen neuen medialen, vielleicht sogar transnationalen Blick auf diese Schlüsseljahre der deutschen und europäischen Geschichte ermöglichen würde.

Anmerkungen:
1 Etwa Jens Ivo Engels / Andreas Fahrmeir / Alexander Nützenadel (Hrsg.), Geld – Geschenke – Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa. München 2009 (Historische Zeitschrift, Beiheft 48).
2 Aktuell der deutsch-französische Forschungsverbund: „Politische Korruption: Praktiken der Begünstigung und öffentliche Debatten in Deutschland und Frankreich (19. – 20. Jahrhundert)“, <http://www.korruptionsforschung.tu-darmstadt.de> (23.07.2014).
3 Frank Bösch, Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880–1914, München 2009. Zur politischen Korruption S. 421–468.
4 Vgl. Norman Domeier, Rezension zu: Luc Boltanski / Élisabeth Claverie / Nicolas Offenstadt / Stéphane van Damme (Hrsg.), Affaires, scandales et grandes causes. De Socrate à Pinochet. Paris 2007, in: H-Soz-u-Kult, 12.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-121> (23.07.2014).
5 Nicht rezipiert wurden die Beiträge in: Christopher Dowe (Hrsg.), Matthias Erzberger. Ein Demokrat in Zeiten des Hasses, Stuttgart 2013.

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