Jene Zeit, die wir den „Kalten Krieg“ nennen, war mehr als eine Periode konfrontativer Spannungen zwischen den Großmächten. Selbst aus der Sicht von Washington und Moskau hatte der Kalte Krieg genauso viel mit dem Wettrüsten wie damit zu tun, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen. Es gab keine Grenze zwischen der Außen- und Innenpolitik, zwischen dem, was die Regierungen taten, und dem, was in den Gesellschaften vor sich ging. Diese in den Cold War Studies mittlerweile auf breiter Basis akzeptierte Prämisse strukturiert auch die Dissertation der britischen Historikerin Linda Risso, die nun als Buch vorliegt. Darin geht es um „Propaganda and Intelligence in the Cold War“, also darum, wie das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) im Kalten Krieg Öffentlichkeitsarbeit betrieb.
Risso, die schon in den vergangenen Jahren zu diesem Thema publiziert hat, schließt mit ihrem Buch an neuere geschichtswissenschaftliche Forschungen an, die auf den Kalten Krieg durch eine gesellschafts- und kulturgeschichtliche Linse blicken. Dabei versteht Risso die NATO als imaginierte Sicherheitsgemeinschaft, die gemeinsame Identitäten und Werte entwickelte. Im Kern zielt ihre Fragestellung darauf ab, wie sich die NATO selbst wahrnahm, wie sie ihre Stellung in der Welt definierte und wie sie sich nach außen präsentierte.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Geschichte des NATO Information Service (NATIS), einem 1950 gegründeten Dienst, der die nationalen Öffentlichkeitsarbeiten der Mitgliedsstaaten koordinierte und ihnen Argumente, Themen und Impulse gab. NATIS sollte den ideologischen Zusammenhalt des Bündnisses stärken, indem es das kommunistische Feindbild beschwor. In diesem Sinne war der Dienst ein Forum für den Austausch von Ideen und Praktiken. Sie zirkulierten von Westeuropa nach Nordamerika und zurück, weshalb Risso ihre Analyse auch als einen Beitrag zur Debatte um „Amerikanisierung“ und „Westernisierung“ versteht. Mehrmals unterstreicht sie die produktive Aneignung von Werten, Ideen und Praktiken auf beiden Seiten des Atlantiks.
Die Begriffe Propaganda und Information verwendet Risso als Synonyme, auch wenn die Zeitgenossen stets nur davon sprachen, dass die NATO die Öffentlichkeit „informierte“, während der Warschauer Pakt „Propaganda“ betrieb. Mit dieser Dekonstruktion von Quellenbegriffen gelingt es ihr, das zentrale Moment der Öffentlichkeitsarbeit im Kalten Krieg freizulegen: Über den ideologischen Gegner zu sprechen bedeutete, Stereotypen, Vorurteile und andere kulturelle Konstrukte zu aktualisieren, die für die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Akteure zentral waren. Und das betraf beide Seiten des Ost-West-Konflikts.
Die Studie besteht aus zwei großen Teilen. Zunächst untersucht Risso auf der Basis von Quellen aus den NATO-Archiven die institutionelle Geschichte des Dienstes von den 1950er-Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges. Sie unterstreicht dabei, dass sich NATIS zunächst fast ausschließlich an die Meinungsführer in den Mitgliedsstaaten gewandt und Deutungs- und Argumentationsmuster entwickelt habe, die einer klaren anti-kommunistischen Stoßrichtung folgten. Im zweiten Teil des Buches analysiert sie konkrete Beispiele der NATIS-Propaganda, nämlich die wichtigsten Textpublikationen des Dienstes, die Filme und Wanderausstellungen, die von Brüssel aus ihren Weg durch Westeuropa und Nordamerika nahmen, sowie die Programme, welche NATIS für den wissenschaftlichen und universitären Sektor auflegte.
Dabei folgt Risso dem mittlerweile etablierten geschichtswissenschaftlichen Narrativ, welches in den frühen 1970er-Jahren einen tiefen Bruch aufspürt, der den Ideenhaushalt im „Westen“ veränderte. Weil sie ihren Untersuchungsgegenstand fest im Blick behält, gelingt es ihr, einen Wandel neu zu erzählen, den andere Historikerinnen und Historiker schon vor ihr identifiziert haben. Während die Öffentlichkeitsarbeit der NATO in den 1950er- und 1960er-Jahren vorwiegend nach innen gerichtet war und diejenigen adressierte, die ohnehin in der Gedankenwelt der Allianz lebten, veränderte sich diese Stoßrichtung ab den 1970er-Jahren. Denn nun betraten neue soziale Bewegungen die politische Bühne und forderten die Allianz heraus. Insbesondere die Umwelt- und die Friedensbewegung überzogen die gedanklichen Prämissen der „westlichen Welt“ mit Zweifeln. Dass das Wachstum an Grenzen stoße und die Menschheit dabei sei, ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen, waren die beiden bekanntesten Figuren, durch die die Öffentlichkeitsarbeiter der NATO in die Defensive gerieten.
Wie deutete das „Establishment“ den Protest? Für die NATO-Regierungen stand fest: Er war ein generationelles Phänomen und die neuen sozialen Bewegungen das Sammelbecken junger Erwachsener. Ronald Ingleharts These vom Wertewandel und der „successor generation“ erlaubte es, den Protest als altersabhängige Variable zu relativieren. Die jungen Erwachsenen mussten nur richtig erzogen werden, damit sie für zentral hielten, was die Welt ihrer Eltern konstituierte. Aus Sicht von NATIS reichte es deshalb nicht mehr aus, auf die Schrecken des Kommunismus zu verweisen, um die Existenzberechtigung der NATO zu beweisen.
In den spannendsten Passagen ihres Buches erzählt Risso davon, wie nun auch die westlichen Gesellschaften selbst zum Objekt der Öffentlichkeitsarbeit wurden. Erziehungs- und Austauschprogramme traten an die Stelle von anti-kommunistischen Verlautbarungen, die den NATIS-Output in den 1950er-Jahre beherrscht hatten. Überhaupt: Von Anti-Kommunismus sprach jetzt kaum noch einer, und der Begriff verschwand aus dem Sprachrepertoire der Öffentlichkeitsarbeiter. Nicht nur nahmen die Initiativen von NATIS in den 1970er- und 1980er-Jahren jährlich zu, auch das Spektrum derjenigen vergrößerte sich beständig, die von der Öffentlichkeitsarbeit aus Brüssel angesprochen werden sollten. Alles in allem wollte NATIS sowohl die politischen Eliten mit Argumenten versorgen, als überhaupt das gesellschaftliche Vertrauen in den „Westen“ rehabilitieren.
Doch wie verhält es sich mit dem Ertrag dieser Offensive? Risso beschränkt sich klugerweise auf das, was ihre Quellen hergeben. Sie argumentiert, dass wir nur untersuchen können, wie die NATO-Offiziellen über den Erfolg der Programme urteilten, wie sie ihn wahrnahmen. Die Quellen, die Risso ausgewertet hat, lassen Rückschlüsse über das Weltbild der NATIS-Mitarbeiter zu; die gesellschaftliche Rezeption ist mit ihnen kaum zu erforschen. Und hier gilt es ernüchtert festzustellen, dass zwischen Anspruch und Realität eine große Lücke klaffte. Allzu häufig verhinderten ein miserables Zeitmanagement und beschränkte finanzielle Möglichkeiten, dass die Kampagnen Früchte tragen konnten.
So lesenswert und so überzeugend die Studie auch daherkommt – die Verbindung von „Propaganda“ zu „Intelligence“ bleibt unterbelichtet. Zwar haben beide Begriffe einen prominenten Platz im Titel des Buches, aber eigentlich untersucht Risso ausschließlich die Öffentlichkeitsarbeit der NATO. Nun ist es nicht so, dass unklar wäre, wie Propaganda und Aufklärung – um diese schwache Übersetzung für Intelligence zu verwenden – zusammenhingen. Risso hat recht, wenn sie schreibt, dass „an effective propaganda campaign required an insight both into the aims and methods of the opponent and into the audience’s sensibilities and concerns“ (S. 251). Doch wird dem Leser das Ausmaß, in dem NATIS tatsächlich selbständig Aufklärung betrieb, nicht so richtig klar. Wer beobachtete den Gegner und das Publikum und wie weit gingen diese Maßnahmen? Unternahm NATIS auch geheimdienstliche Operationen, wie der Begriff „Intelligence“ nahelegt?
Das mindert aber keinesfalls den Wert dieses Buches, das die erste umfassende und quellengestützte Untersuchung des Dienstes darstellt, mit dem die NATO in der Öffentlichkeit für sich und das Projekt des „Westens“ warb. Jeder, der sich für die Geschichte dieser Allianz interessiert und wissen möchte, wie der Krieg um die Köpfe und Herzen der Menschen ausgetragen wurde, sollte es lesen.