„Medien sind das, was ihr Gebrauch aus ihnen erst macht“ (S. 9) – mit dieser Kurzdefinition aus der einführenden „Gebrauchsanweisung“ (S. 7–10) des seit Beginn des Jahres 2015 vorliegenden Historischen Wörterbuch des Mediengebrauchs wird deutlich, wie der Schwerpunkt dieses Handbuchs gelagert ist: es geht nicht um gegenwärtige wie historische Medien an sich, sondern darum, was der Benutzer aus ihnen (ge)macht (hat), um Medienpraktiken also, womit sich der Certeau‘sche Begriff des Handelns verbindet. Liegt hier indes ein Wörterbuch, ein Handbuch, ein Begriffslexikon oder ein Lesebuch vor? Beim ersten „Blättern“ – um gleich eines der Lemmata zu benennen 1 – drängt sich sofort die Frage auf, um welches Format es sich hier eigentlich handelt, denn zum einen ist die Auswahl der 46 Lemmata zwar lexikalisch angeordnet, zum anderen erhebt sie jedoch weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Folgerichtigkeit in Bezug auf das implizite Wissen um den Gebrauch der Medien, um dessen Entwicklung und Veränderung.
Durch den lexikalischen Aufbau scheint der historische Aspekt zunächst in den Hintergrund gedrängt. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass in allen Einträgen, die nach demselben Prinzip strukturiert sind, das Historische auf verschiedenen Ebenen fokussiert wird: In einer einführenden Anekdote wird der Begriff bildhaft, oft mit erläuternden Zitaten versehen, in einem Fallbeispiel vorgestellt (vgl. „Einrichten“, „Funken“, „Lesen“, „Tippen“, „Zeichnen“ und andere); seine Herleitung erfolgt in dem Abschnitt Etymologie; die folgenden Kontexte konzentrieren sich auf den historischen Anwendungsfaktor mit veranschaulichenden Beispielen, bei denen ebenfalls das Deskriptive und damit das Unterhaltsame im Zentrum steht; in den sich anschließenden Konjunkturen wird aus gegenwartsbezogener Perspektive diskutiert; im Abschnitt Gegenbegriffe erfolgt ein – manchmal irreführender – sprachlicher oder gedanklicher Abgrenzungsversuch (diese Rubrik scheint am ehesten verzichtbar); in den Perspektiven findet eine (oftmals hypothetische) Vorausschau auf zukünftige Praktiken statt, und im letzten Abschnitt, Forschung übertitelt, erfolgt eine Diskussion aus medien- und kulturwissenschaftlicher Perspektive, die manchmal mit dem Lemma nur im Wortstamm übereinstimmt, wie z.B. in dem kurzen Forschungsabriss zum Begriff „Szene“ im Lemma „Inszenieren“ (S. 316f.), oder etwas weit ausholt wie im Lemma „Klicken“: „So kehrt im klickenden Zeigefinger nicht nur der Abzug der Waffe, sondern auch ein alte[s] Symbol der Autorität, der erhobene Zeigefinger (digitus argumentalis) der rhetorischen Argumentation des Mittelalters, virtuell zurück, der auswählt, hervorhebt und festlegt, was wichtig ist und was nicht.“ (S. 340)
Grundsätzlich handelt es sich bei allen Lemmata um nominalisierte Verben zu gängigen (Medien-)Phänomenen (z.B. „Bilden“ im Begriffsfeld zwischen Bild, Abbild und Bildung, ebd., S. 125ff.), was wiederum den Gebrauchscharakter verdeutlichen soll. Warum Begriffe aus dem Bereich der auditiven Medien (mit Ausnahme des „Aufzeichnens“) nicht auftauchen, wie z.B. das Radiohören oder das Samplen von Musikstücken, warum gegenwärtige Praktiken wie das Skypen, Posten und Googlen, oder ältere, wie das Faxen und das Mailen, nicht vertreten sind, während „Twittern“, „Bloggen“, „Stalken“, „Surfen“, „Zappen“, „Liken“, „Gamen“ oder „Wischen“ aufgenommen wurden, bleibt unklar. Andere Kategorisierungen, wie z.B. das „Faszinieren“ oder das „Bedienen“ erscheinen im medialen Feld allein fast zu eingeschränkt. Die etwas beliebig anmutende Auswahl der Lemmata irritiert bis zuletzt. Der Medienbegriff selbst wird nicht diskutiert, was – zumindest im Eingangskapitel zur „Begriffsgeschichte als Gebrauchsgeschichte“ (S. 11–32) – wünschenswert gewesen wäre.
Gemessen an der Tatsache, dass es seit einigen Jahren eine Konjunktur vor allem von geisteswissenschaftlichen Handbüchern auf dem Markt gibt, zu denen auch Historische Wörterbücher zählen, kommt hier sehr bald der Verdacht auf, dass mit diesem Band die entsprechende Lücke im Medienbereich geschlossen werden sollte. Doch wenn man einmal – zum Vergleich – einen disziplinübergreifenden Sprung in die Naturwissenschaft wagt und dort ein historisches Wörterbuch aufschlägt, wie z.B. das „Historische Wörterbuch der Biologie“2, das sich als Grundlagenwerk für Fachleser, Naturwissenschaftler und Studierende der entsprechenden Disziplinen versteht und sehr systematisch an den Schnittstellen von Biologie, Physik, Chemie und Philosophie einschlägiges Wissen vermittelt (mit erläuternden Bildtafeln, Diagrammen, Begriffskästen sowie einem jeweils chronologischen Abriss zur Begriffsgeschichte jedes einzelnen Lemmas wie „Anpassung“, „Diversität“ etc.), fragt man sich beim „Historischen Wörterbuch des Mediengebrauchs“, an welche Leserschaft es sich tatsächlich richtet. Es scheint auch nicht der Absicht zu folgen, ein Stück Wissenschaftsgeschichte anbieten zu wollen, obwohl es mit Beispielen nicht nur bis in die Zeit Gutenbergs zurückgreift, sondern sogar bis in die Antike.
Ungeachtet des ersten Eindrucks zur Konzeption haben die meisten Beiträgerinnen und Beiträger jedoch gründlich gearbeitet. Dass sie sich als Spezialisten des jeweiligen kulturgeschichtlichen Feldes ausweisen können, wird nicht erst in den abschließenden, ausführlichen und übersichtlichen Bibliographien zu den einzelnen Lemmata deutlich, sondern schon in den Artikeln selbst. Die international und interdisziplinär ausgerichtete Zusammenstellung der Autorinnen und Autoren, in vielen Fällen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, sorgt zudem für umfassende Ausblicke, bei denen nicht nur die Klassiker der Medienkulturgeschichtsschreibung Erwähnung finden (Marshall MacLuhan, Niklas Luhmann, Friedrich Kittler u.a.), sondern auch jüngere Diskurse aus Teilgebieten der Geschichte, Philosophie und Medientheorie sowie einzelner Philologien zur Sprache kommen. So zeigt sich das Lemma „Kompilieren“ im Grenzbereich von „Zitieren“, „Exzerpieren“ und „Plagiieren“ als erstaunlich historisch, obwohl wir es zunächst als neumoderne textuelle Praxis und wenig legitimes künstlerisches Verfahren um den Roman der jungen Helene Hegemann 3 assoziieren oder aus dem Kontext von Programmiersprache und Software-Entwicklung kennen. Doch auch in der Vergangenheit wurde „kompilieren“ (lat.: compilare) meist abwertend verwendet, als „stoppeln“ oder „zusammenstoppeln“, selbst wenn, so heißt es im Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon aus dem Jahr 1837, auf diese Weise „das Gute und Brauchbare aus vielen oft schwer zugänglichen Quellen unter einem klaren Gesichtspunkte“ vereinigt würde (S. 354).
Das Lemma „Tippen“ kommt sehr kurzweilig daher, „Kanalisieren“, „Twittern“ und „Digitalisieren“ erstaunlich informativ, und das „Wischen“, das sich als derzeitig konjunkturell verbreitete „Mediengeste“ erweise, wird im Nachgang von Vilém Flussers Phänomenologie der Gesten und Michel Foucaults Philosophien zum Körper als basale Kulturtechnik verstanden und damit dem „Schreiben“ entgegengestellt (S. 648). Dass jedoch das „Wischen“ nur die Optionen von Festgelegtem und bereits Vorhandenem bedient, während das Schreiben ja (hoffentlich) noch ein kreativer originärer Akt ist (bleibt), wird in prognostischer Vorausschau und technologischer Zukunftseuphorie übersehen. Beim „Löschen“ fehlt das Radieren, beim „Nachahmen“ stiehlt sich der Mimesis-Diskurs etwas zu schnell davon, während das „Protokollieren“ mit seinen zahlreichen Beispielen aus der Römischen Antike in der Abteilung ‚Kontexte’ durchaus gestraffter hätte auftreten können. Grundsätzlich kommen die einzelnen Abteilungen in unterschiedlichster Länge vor, je nachdem – so scheint es – was die Materiallage dafür jeweils hergibt. Einheitlichkeit herrscht hier nicht vor.
Trotz alledem verführen die erwähnten Auslassungen zum Weiterdenken, und hierin scheint mir der entscheidende produktive Ansatz des Buches zu liegen: interessante historische Streifzüge, fast immer aufschlussreiche etymologische Herleitungen und schöne Ideen regen zum Assoziieren und vernetzenden Denken an. Insgesamt muss gesagt werden, dass es Spaß macht, in diesem „Wörterbuch“ zu blättern, was für dieses Genre im herkömmlichen Sinne ja meist nicht gilt, da man sich damit in der Regel in einen Wald von Abkürzungen und Unverständlichkeiten begibt, deren Aufklärung die Benutzung weiterer Wörterbücher und Lexika erforderlich macht. Das hier vorliegende „Wörterbuch“, das Begriffsgeschichte an der „populären Formel des Gebrauchs“ festmacht (S. 19), erweist sich als verständlich, unterhaltsam und überall benutzbar (parallel dazu ist ein E-Book erschienen). Wie in einem theatralischen Reigen präsentieren sich die lexikalischen Einträge als kleine Genusshäppchen in vielfältigstem Gewande, zur Anregung, Stimulation und zur Reflexion. Dem Klappentext zufolge ist die Narrativität auch beabsichtigt: Das Buch erzähle „anregende und kuriose Geschichten aus der Welt der medientechnischen Apparate“ (Umschlagseite 4).
Bevor nun aber diese Rezension auf dem Internet-Portal von H-Soz-Kult kursiert, das vor allem dem „Archivieren“, „Benachrichtigen“, „Zerstreuen“ und im weiteren Sinne auch dem „Serialisieren“ dient, und bevor sie zu diesem Zweck dem „Formatieren“ und „Edieren“ anheim gegeben wird, muss noch auf das Lemma „Speichern“ eingegangen werden: Ähnlich dem „Teatro della memoria“ von Giulio Camillo Delminio (1480–1544), das hier im Abschnitt ‚Kontexte’ zur Sprache kommt (eine dem Vitruvschen Theater nachempfundene Konstruktion, die das gesamte Weltwissen versammelte und einer szenischen Aneignung zugänglich machte, indem ihre „memorabilia“ in hölzernen Kästen mit symbolischen Aufschriften im Zuschauerraum arrangiert wurden), folgt auch die Matrix dieses Buches einer zwar nicht räumlich-performativen Speicher- und Wissensarchitektur wie in Delminios Theater, doch zumindest einem sprachlich-ideellen enzyklopädischen Anspruch mit chronotopischer Ungeregeltheit, vergleichbar dem Speicherprinzip der Gesnerschen „Bibliotheca Universalis“ (1545/49), einer ausgefeilten Zetteltechnik und Vorläufer des Zettelkastens als Hilfsmittel und Gedächtnisstütze bzw. der Schachtel mit alphabetisch angeordneten Fächern.
Natürlich ist ein Buch kein Zettelkasten und auch keine Schachtel, seine Notate stehen in semantisch besetzten Zusammenhängen und ordnen sich einer spezifischen Intention unter; es will also mehr sein als ein „simpler Container für Wissen“ (S. 7). Doch da für die Benutzung auch dieses Wörterbuchs ein lineares Lesen weder nötig noch sinnvoll ist, und sein historisches Wissen nicht nur aus Vergangenem, sondern auch „aus der Gegenwart heraus gewonnen“ ist (S. 8), entstehen in der Tat voneinander unabhängige „Wort- und Sachgeschichten“ (S. 27f.), die die Formen des Mediengebrauchs transparent machen, und zwar vor dem Hintergrund, Technik als etwas Natürliches, Habituelles zu begreifen (S. 22f.). Dass dabei eine „kultur- und medienwissenschaftliche Beschreibbarkeit“ angesteuert wurde (S. 25), die sich an der „Durchdringungsintensität“ (S. 16) der Artikel diverser historischer Handbücher orientiert, welche als Vorbild dienten4, steht außer Zweifel, wenngleich sich an manchen Stellen das Essayistische überaus stark aufdrängt. Ob sich jedoch die Gebrauchsgeschichte der Medien im Umkehrschluss auch als Begriffsgeschichte derselben wird etablieren können, muss sich erst zeigen. Die Herausgeber setzen auf eine „Mischform der aufklärerischen Tradition des Dictionnaire und einer ‚Theorie in Geschichten’“ (S. 18f.), gedacht für die Lehre und das Selbststudium in den Studiengängen des Medienbereichs, aber auch für Nichtakademiker (S. 7). Dann ist zu hoffen, dass der Gebrauch dieses ambitionierten Wörterbuches ebenfalls Spuren hinterlassen und sich nicht nur ins Gedächtnis der Medienbenutzer, sondern auch der Medienexperten einschreiben wird.
Anmerkungen:
1 Alle hier in Anführungsstriche gesetzten nominalisierten Verben kommen im vorliegenden Historischen Wörterbuch des Mediengebrauchs als eigenständige Lemmata vor.
2 Vgl. Georg Toepfer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, 3 Bde., Stuttgart 2011.
3 Helene Hegemann wurde für ihren Debütroman „Axolotl Roadkill“ (2010) zunächst hochgelobt, später aber, als deutlich wurde, dass aus verschiedenen Quellen vor allem aus dem Internet ungekennzeichnet abgeschrieben worden war, entstand eine Plagiatsdebatte darum. Vgl. Helene Hegemann, Axolotl Roadkill, Berlin 2010.
4 So etwa Joachim Ritter u.a. (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1971ff.; Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931.