U. van der Heyden u.a. (Hrsg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter

Cover
Titel
Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergrund – Verlauf – Folgen


Herausgeber
van der Heyden, Ulrich; Semmler, Wolfgang; Straßburg, Ralf
Reihe
Die DDR und die Dritte Welt 10
Erschienen
Münster 2014: LIT Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Sebastian Pampuch, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Geschichte der DDR ist (noch immer) ein politisch umstrittenes Feld. Der hier besprochene Sammelband zu mosambikanischen „Vertragsarbeitern/innen“1 – mit über 15.000 Menschen 1989 die zweitgrößte Gruppe ausländischer Arbeitskräfte in der DDR – stellt dies einmal mehr unter Beweis. Anliegen der Herausgeber ist es, einer Tendenz entgegenzuwirken, wonach bei dieser Thematik primär auf negative oder gar destruktive Seiten fokussiert würde.2 Ulrich van der Heyden insistiert daher darauf, die 1979 beginnende mosambikanische Arbeitsmigration als Teil des außenpolitischen Engagements der DDR in der „Dritten Welt“ zu sehen, was „[…] insbesondere die Unterstützung der dort wirkenden Befreiungsorganisationen zum Inhalt hat“ (S. 184). Entsprechend sind die Herausgeber des Bands um eine Perspektive bemüht, die ein „[…] in der Weltgeschichte wohl einmaliges Arbeitsmigrationsprojekt […]“ (S. 14) nicht als bloße Analogie zur Arbeitsmigration in westlich-kapitalistische Industriestaaten verstanden wissen will.

Auch wenn nicht explizit formuliert, wird auf diese Weise ein Ansatz verfolgt, der mit den Verflechtungen aus Postsozialismus und Postkolonialismus einen marginalisierten Teil europäisch-afrikanischer Geschichte in den Fokus rückt.3 Neben der Geschichte Mosambiks, den Hintergründen zu den Abkommen und den Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR werden auch die Abwicklung der Arbeitsmigranten/innen zur Wendezeit, Bleiberechtsbemühungen, die Rückkehrer/innen in Mosambik („Madgermanes“) sowie ein soziales Projekt aus Ostdeutschland thematisiert. Verweise zu anderen Gruppen von Arbeitsmigranten/innen finden sich ebenfalls. Darüber hinaus wird die Forschungsliteratur zum Thema der Arbeitsmigration in die DDR einer teils etwas zu polemischen, aber anregenden Kritik unterzogen (S. 183–206).4

Der Band enthält acht kurze Beiträge, die unter der Autorenschaft von Mosambikanern/innen verzeichnet sind. Vom Umfang her fallen sie deutlich hinter die Aufsätze der Herausgeber und der anderen ostdeutschen Autoren/innen sowie den Aufsatz einer offenbar österreichischen Ethnologin zurück, die sich mit den Madgermanes befasst.5 Dieses Ungleichgewicht wird etwas ausbalanciert durch den Aufsatz von Anna Mavanga, die als Ehefrau eines mosambikanischen Stipendiaten ihre Beobachtungen der mosambikanischen Arbeitsmigranten/innen sowohl in der DDR als auch nach deren Rückkehr in Mosambik mit zahlreichen Interviewauszügen anreichert. Stärker macht sich daher das Fehlen von Positionen einstiger mosambikanischer Regierungsvertreter bemerkbar; zu den Einschätzungen ehemaliger DDR-Funktionäre wie Ralf Straßburg oder Wolfgang Lange wären sie eine wichtige Ergänzung gewesen. Von den acht mosambikanischen Beiträgen wiederum können nur drei als eigenständige Aufsätze bezeichnet werden. Bei den anderen fünf handelt es sich um von Ralf Straßburg durchgeführte Interviews.

Straßburg interessiert, wie die Interviewten von der Arbeitsmöglichkeit in der DDR erfuhren, welche Informationen sie vor ihrer Abreise erhielten, was sie in der DDR erlebten, ob sie einen Berufsabschluss machen konnten und weshalb einige von ihnen in Deutschland geblieben sind. Auch Fragen nach rassistischen Erfahrungen oder der häufig kritisierten Praxis einbehaltener Lohnanteile spart er nicht aus. Die vorformulierten Fragen wiederholen sich mit nur geringen Abweichungen in den einzelnen Interviews, außerdem verzichtet er auf Nachfragen. Wie es zur Auswahl der Interviewten und der mosambikanischen Autoren/innen kam, bleibt unklar. Drei von ihnen übten als Gruppenleiter eine Schnittstellenfunktion zu den jeweiligen Betrieben aus. Damit sind sie kaum repräsentativ für das Gros der Arbeitsmigranten/innen. In einigen Erzählungen wird deutlich, wieviel Disziplin und Lernkompetenz es bedurfte, um neben der Schichtarbeit einen anspruchsvollen Berufsabschluss zu erlangen. Ob dabei eine Ausbildung zum Bierbrauer, wie sie Luis Mazuze etwas unverhofft erhielt, im Interesse Mosambiks lag oder doch eher Logiken der DDR-Wirtschaft gehorchte, sei dahingestellt (S. 216–225). Die im Band vertretenen Mosambikaner/innen erinnern die DDR überwiegend positiv – und berichten, dass sie bedrohliche Rassismen erst nach der Wende erlebten. So auch die überwiegend am Fließband zur Elektronikfacharbeiterin ausgebildete und heute in Berlin als Altenpflegerin tätige Amina Candida Selemane, „die erste Frau aus Mosambik, die kurz nach der Wende geschlagen wurde“ (S. 240). Wie herausfordernd die Situation für die etwa zehn Prozent weiblichen Arbeitsmigranten gewesen sein muss, zeigt auch eine Interviewpassage, nach der alle acht Frauen einer Kohorte noch im ersten Jahr schwanger nach Mosambik zurückkehren mussten (S. 248).

Bereits im Vorwort ist ein Unbehagen darüber zu merken, dass die neuen Bundesländer zum Synonym für vergleichsweise aggressive Rassismen geworden sind und die Arbeitsmigration in die DDR als Ursachenforschung dient. Doch Ulrich van der Heydens Definition eines latenten Rassismus ist zu sehr um Abgrenzung zur alten BRD bemüht, als dass er ihn für die DDR überzeugend ausschließen könnte (S. 54). Er steht zudem im Widerspruch zu Joerg Roeslers Aufsatz, der in seinem gelungenen Abriss der Einwanderungspolitik der DDR auf einer latenten Fremdenfeindlichkeit beharrt – die aber bis 1989 zumeist gewaltfrei geblieben sei (S. 140). Vor allem im Beitrag von Ralf Straßburg wird deutlich, wie selbst aufrichtige DDR-Funktionäre in der späten DDR damit überfordert waren, rassialisierten Menschen aus den ehemaligen Kolonien Europas ein Leben in der DDR – und sei es auch nur temporär – ohne Formen erneuter Diskriminierung zu gewährleisten.

Erhellend ist hier ein von Straßburg während seiner Tätigkeit im Staatssekretariat für Arbeit und Löhne geschriebener Bericht über den Einsatz von Mosambikanern/innen in DDR-Betrieben (S. 109ff.). Christiane Mende zitiert daraus in ihrer Magisterarbeit und meint, Spuren eines „paternalistischen-einladenden“ bzw. „wohlwollenden“ Rassismus herauslesen zu können.6 Straßburg leitet seine damaligen Berechnungen über den Nutzen der Arbeitsmigration für die DDR mit folgendem Satzgebilde ein: „Ohne den Hauptgedanken des Einsatzes mocambiquanischer Werktätiger – die Solidarität mit dem mocambiquanischen Volk – zu negieren, sollen in diesem Abschnitt in dialektischer Einheit zum politischen Anliegen, Aussagen zu ökonomischen Kennziffern getroffen werden.“ (S. 116)

Solche und ähnliche Widersprüche lassen die Einbeziehung kritischer Theoriebestände vermissen. So macht etwa Stuart Halls Analyse rassistisch strukturierter Gesellschaftsformationen einen Zusammenhang zwischen der Annäherung an Kapitalismen und der Zunahme von Rassismen – Phänomene, die in der späten DDR zusammentrafen – durchaus plausibel.7 Dass der Transformationsschock allein die höhere Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern nicht erklärt, wie es das Vorwort suggeriert (S. 9), sollte mittlerweile eigentlich Konsens sein. Positiv gewendet verdeutlicht der Sammelband daher auch die Notwendigkeit, Rassismen mithilfe geeigneter Theorien zu reflektieren. Dass sogar dieser Aspekt der Lektüre noch zum weiterführenden Verständnis der mosambikanischen Migration in die DDR beiträgt, ist bemerkenswert. Den Herausgebern ist somit ein wichtiger Beitrag sowohl zur DDR- als auch zur Migrationsforschung gelungen.

Anmerkungen:
1 Die begriffliche Anlehnung an Werkvertragsarbeiter/innen habe die Aufenthaltsbefristung betonen sollen und sei auf den Einfluss der BRD im Beitrittsprozess zurückzuführen; in der DDR wurde z.B. von „ausländischen Werktätigen“ gesprochen. Vgl. Christiane Mende, (Arbeits-)Migration aus der Volksrepublik Mocambique in die Deutsche Demokratische Republik (1979–1989/90), Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S. 5, <https://www.projekte.hu-berlin.de/migrationddr/projekte/mosambique/mende> (23.12.2014).
2 In diesem Sinn konstatiert auch Urmila Goel ein Interesse seitens der Politik, das Bild der DDR als Aufnahmeland für Opfer rechter Diktaturen zu vermeiden. Urmila Goel, Ungehörte Stimmen. Überlegungen zur Ausblendung von Migration in die DDR in der Migrationsforschung, in: Duygu Gürsel / Zülfukar Çetin / Allmende e.V. (Hrsg.), Wer Macht Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen, Münster 2013, S. 138–150, hier S. 139, <http://www.urmila.de/forschung/ostwest/texte/ungehoert.html> (29.12.2014).
3 Vgl. Shalini Randeria und Regina Römhild, Das postkoloniale Europa: Verflochtene Genealogien der Gegenwart – Einleitung zur erweiterten Neuauflage (2013), in: Sebastian Conrad / Shalini Randeria / Regina Römhild (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, 2. überarb. Aufl., Frankfurt am Main 2013 (1. Auflage 2002), S. 9–31, hier S. 19.
4 Die Kritik gilt insbesondere dem Sammelband von Almut Zwengel (Hrsg.), Die „Gastarbeiter“ der DDR. Politischer Kontext und Lebenswelt, Münster 2011.
5 Vgl. Theresia Ulbrich, „Madgermanes“ – moçambicanische VertragsarbeiterInnen in der DDR und ihre Rückkehr nach Moçambique. Zur kollektiven Identität der Madgermanes, Diplomarbeit, Wien 2009 <http://othes.univie.ac.at/5083/1/2009-05-11_0306344.pdf> (06.01.2015).
6 Mende, (Arbeits-)Migration, S. 110 und 115.
7 Stuart Hall, ‚Rasse‘, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante, in: ders., Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg 1994, S. 89–136, bes. S. 129ff.; für einen Zusammenhang zwischen der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung und der Annäherung an die Migrationspolitik kapitalistischer Staaten vgl. auch Mende, (Arbeits-)Migration, S. 138f.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/