Nachdem ihre Zugpferde 1741 an einer Seuche verendet waren, weigerten sich ostfriesische „Hausleute“ im Amt Friedeburg, bei der Feldbestellung auf Zugochsen zurückzugreifen, da dieses ihrer Meinung nach ihrem Ansehen „schimpflich“ sei (S. 9). Eher würden sie, so setzten diese Bauern hinzu, ihre Wirtschaft vernachlässigen als ihrer Feldarbeit auf eine nicht standesgemäße Weise nachzugehen. Mit dieser schönen Episode gelingt Jessica Cronshagen der Einstieg in eine eher ungewöhnliche Materie: Ein derart selbstbewusst auftretender Bauernstand konnte sich vor allem dort entwickeln, wo der Landadel nur wenig präsent war, unter anderem auch im friesisch besiedelten Gebiet in der nordwestdeutschen Küstenmarsch östlich der niederländischen Grenze. Die sogenannten „Hausleute“ beherrschten über Jahrhunderte die dörfliche Gesellschaft; sie gestalteten die soziale Ordnung auf dem hier nicht nur sprichwörtlich so zu bezeichnenden platten Land.
Die Verfasserin untersucht in ihrer agrar-, sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Studie zu den Großbauern in der nordwestdeutschen Küstenmarsch, „was die besondere Stellung der ,Hausleute‘ im 17. und 18. Jahrhundert ausmachte: in der Heirats- und Vererbungspraxis, in der dörflichen Politik und Ökonomie sowie in der Bildung und Religion“ (Rückentext). Zunächst ordnet Jessia Cronshagen zu diesem Zweck ihr Thema in den aktuellen Forschungskontext ein. Bis in die 1990er-Jahre hinein wurden Bauern in der sozialgeschichtlichen Diskussion oft nur aus ihrer Untertanenperspektive heraus wahrgenommen. Erst die Einführung des Kommunalismuskonzepts brachte eine Abkehr von dieser einseitigen Betrachtungsweise: Bauern agierten als genossenschaftliche Gruppe; sie übten selbst Herrschaft aus und galten nicht nur als Untertanen eines absolutistischen Landesherrn.1 Während die Agrargeschichtsforschung in dieser Hinsicht in den letzten zwanzig Jahren durch zahlreiche Lokalstudien vorangebracht wurde, war die wissenschaftliche Auseinandersetzung speziell mit „nordwestdeutschen Bauern als Repräsentanten einer von sehr eigenen Strukturen geprägten frühneuzeitlichen Agrarlandschaft“ (S. 19) bisher nur unzureichend. In diese Forschungslücke fügt nun Jessica Cronshagen ihre verdienstvolle Studie ein, die sie in sieben Abschnitte gegliedert hat.
Zunächst werden die friesischen Marschgebiete, die Cronshagen als Grundlage für ihre Untersuchung gewählt hat, in ihrer „politisch-kulturellen Situation und territorialstaatlichen Entwicklung“ (S. 23) vorgestellt. Wichtiger als die Zugehörigkeit zu einem Landesterritorium war für die Gesamtsituation der Hausleute in der Frühen Neuzeit das Leben im Naturraum Marsch. Sie bedeutete Segen und Fluch zugleich, denn der Landbesitz, der die auf fruchtbarem Boden erzielten hohen wirtschaftlichen Erträge erst ermöglichte, war ständig durch Sturmfluten und Überschwemmungen bedroht. Der Deichbau musste daher eines der wichtigsten Anliegen der Hausleute sein, der nur im gemeinschaftlichen Zusammenschluss erfolgreich bewältigt werden konnte. Neben der Geschichte Frieslands und insbesondere der Landesterritorien Ostfriesland, Oldenburg und Jever wird auch die konjunkturelle Entwicklung der Nordseemarschen im 17. und 18. Jahrhundert thematisiert.
Im zweiten Abschnitt „Die Hausleute“ nimmt Cronshagen ihr Untersuchungsobjekt genauer unter die Lupe. Zunächst zeichnet sie die demografische Entwicklung in den friesischen Marschen nach, sodann nimmt sie eine Kategorisierung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Marsch vor. Bei der sozialen Differenzierung innerhalb eines Dorfes machte die Schicht der Hausleute in Ostfriesland nur ungefähr 5 Prozent aus: Die Großbauern bildeten eine endogam ziemlich abgeschlossene herrschaftliche Gruppe in der Marschengesellschaft. Heirat und Erbschaft stehen für die Verfasserin „als Hauptsäulen familiären Standeserhalts“ (S. 87). An ausgewählten Beispielen wird die Entwicklung horizontaler und vertikaler Heiratsmobilität statistisch ermittelt. Bei der Betrachtung von Norm und Praxis der Vererbung ist das Anerbenrecht des jüngsten Sohnes signifikant für die Marsch. Realerbteilungen fanden sich im 17. Jahrhundert nur noch in der Wesermarsch und in Butjadingen.
Im Kapitel „Die Hausleute und ihr Dorf“ wird die Position der Großbauern im Geflecht der dörflichen Gesellschaft näher bestimmt. Bereits die Überschrift eines Unterabschnitts bringt das Ergebnis auf den Punkt: „Bauern als Herrscher“ (S. 130ff.) standen ihrer eigenen Familie und ihrer Dienstbotenschaft vor. Sie konnten Grundherren von Kötern sein. In der Bauerschaft nahmen die Hausleute als Entscheidungsträger eine herrschaftliche Position ein und schließlich repräsentierten sie ihren Stand auch auf der Ebene der landschaftlichen Vertretung. Im Abschnitt „Die Bauern und das Meer“ (S. 168ff.) beschreibt Cronshagen die Zusammenhänge zwischen dem Hausmannsstand und dem Deichwesen.
Beim Thema „Die Ökonomie der Marschen“ wirft sie die Frage auf, wie die Bauern es verstanden, ihre führende Stellung im Dorf auch ökonomisch vorteilhaft in der Konkurrenz um den Marktzugang zu nutzen. Hauptsäulen der großbäuerlichen Wirtschaft in den Marschen waren Ackerbau und Viehzucht. Die Hausleute waren dabei aber immer auch „nicht nur Produzenten, sondern auch Händler ihrer Produkte“ (S. 194). Signifikant für die konstant florierende wirtschaftliche Situation der Hausleute war nicht nur die Eigenwirtschaft, sondern auch die lukrative Verpachtung von und der Handel mit Ländereien, deren Umfang durch Kultivierungsmaßnahmen wie Moorkolonisation und Einpolderung von Neuland maximiert werden konnte.
Durch ihre Positionierung im überregionalen sozialen und wirtschaftlichen Geflecht erkannten die Hausleute, dass „Bildung und Ausbildung“ (S. 241ff.) unabdingbar waren für einen ökonomischen Erfolg. Schulische Bildung genoss folglich einen hohen Rang und die Alphabetisierung unter den Hausleuten dürfte hoch gewesen sein. Ein weiteres wichtiges „Reservoir repräsentativer Verhaltensweisen“ (S. 24) bildeten „Religion, Gemeinde und Kirche“ (S. 262ff.). In einem kirchengeschichtlichen Exkurs wird die religiöse Vielfalt im Untersuchungsraum beschrieben. Die Ausprägungen religiöser und kirchengemeindlicher Lebenspraxis wird freilich vergleichsweise kurz abgehandelt.
Für ihre Selbstinszenierung als ländliche Elite standen den Hausleuten verschiedene Mittel der Repräsentation zur Verfügung. Cronshagen nennt das Gulfhaus, den Besitz wertvoller Hausratsgegenstände und den Konsum von Luxusgütern. Als Grenzen ihres Untersuchungsraumes – der nordwestdeutschen Küstenmarsch – hat die Verfasserin das Gebiet zwischen der niederländischen Grenze und der Weser gewählt. Dass die Weser im Hinblick auf die Verbreitung der Hausleute friesischen Typs gar keine Grenze bildete, lässt sie leider unberücksichtigt. Cronshagen setzt vielmehr den Elbe-Weser-Raum unzutreffend mit dem „Land Hadeln“ gleich (S. 21). Dass auch am rechten Ufer der Unterweser – im Land Wursten, im oldenburgischen Land Würden und in Osterstade – die Hausleute in der frühneuzeitlichen Gesellschaft dominierten, hätte zumindest am Rande Erwähnung finden müssen, zumal der im Osterstader Rechtenfleth ansässige Marschendichter Hermann Allmers (1821–1902) als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Vertreter des Hausmannsstandes, der sich selbst als Abkömmling friesischer Häuptlinge verstand, mit seinem umfangreichen Werk einiges zum Thema hätte beitragen können. Bedauerlich ist auch, dass dem Buch ein Register fehlt.
Insgesamt betrachtet hat Jessica Cronshagen jedoch mit ihrer Studie einen wichtigen Baustein zur überregionalen ländlichen Sozialgeschichte sowie zur Agrargeschichte der Frühen Neuzeit abgeliefert und im souveränen, kenntnisreichen Umgang mit dem Material ein umfassendes Gemälde einer sich als „einfach vornehm“ betrachtenden frühneuzeitlichen Gesellschaftsgruppe entworfen.
Anmerkung:
1 Michael Ehrhardt, Die Börde Selsingen. Herrschaft und Leben in einem Landbezirk auf der Stader Geest im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Stade 1999.