Titel
Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs


Autor(en)
Weinberg, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
1174 S.
Preis
DM 128,00 (€ 19,95)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Scheil, Historisches Institut, Universität Karlsruhe

Dieses Buch verschafft sich schon beim bloßen Ansehen Respekt. 1174 dichtbedruckte Seiten würden den Leser auch dann beeindrucken, wenn ihm Gerhard L. Weinberg nicht schon aus etlichen anderen Untersuchungen und damit als einer der besten Kenner der Materie und inhaltsschwerer Autor bekannt sein würde. Sechzehn Jahre hat er nun an diesem Buch geschrieben, das 1994 unter dem Titel "World at Arms, A Global History of World War II" erschienen ist und seit 1995 in Deutscher Übersetzung vorliegt. Nun besteht an Handbüchern und Gesamtdarstellungen des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Mangel und so stellt sich denn die Frage, was Weinberg an den vorliegenden Darstellungen so vermißt hat, daß er sie um eine eigene ergänzen mußte. Der Untertitel deutet es an: Eine "globale" Geschichte des Zweiten Weltkriegs soll hier vorgelegt werden.

Man sollte meinen, daß alle Abhandlungen über den "Welt"- Krieg prinzipiell eine globale Perspektive beinhalten, aber tatsächlich weist Weinberg hier doch auf eine erstaunliche Lücke der Geschichtsschreibung hin. Die Interdependenz der Kriegsschauplätze ist bisher wenig behandelt und kaum je systematisch untersucht worden - schon gar nicht in einer Gesamtdarstellung. Das hatte Gründe, die zunächst in den Schwierigkeiten einer einheitlichen Zusammenfassung der langen Kette von jenen Gewaltaktionen zu suchen sind, die wir im allgemeinen unter dem Begriff "Zweiten Weltkrieg" subsummieren. Es gibt hier einen deutlichen Widerspruch zwischen dem öffentlichen Gebrauch des Begriffs und den Diskussionen innerhalb Geschichtswissenschaft, wo seine exakte Eingrenzung immer wieder umstritten war.

So ist verschiedentlich die Ansicht geäußert worden, der Weltkrieg beginne mit der Auflösung der Nachkriegsordnung aufgrund der immer mehr um sich greifenden internationalen Mißachtung der Verträge von Versailles und Washington und also eigentlich mit dem japanischen Einmarsch in die Mandschurei im Jahr 1931. Als direkte Folge dieses Vorgehens wurde bekanntlich in England der Grundsatz aufgegeben, man müsse innerhalb der nächsten zehn Jahre mit keinem großen Krieg rechnen. Dann werden der japanische Angriff auf China 1937 als Beginn der Weltkriegs genannt, mit Sicherheit am häufigsten der 1. September 1939, das Datum des deutschen Angriffs auf Polen, dann das Jahr 1941 mit dem Kriegseintritt der USA und UdSSR und dem Ende des "Last European War" (John Lukacs). A.J.P. Taylor machte sogar den 5. Juni 1944, den Tag der Invasion in der Normandie, als Beginn des wirklichen Weltkriegs aus. Es liegt also sehr im Standpunkt des Betrachters, welches Datum er wählt und seine Wahl resultiert aus den Prämissen, unter denen man den Zweiten Weltkrieg sieht: Als eine Strukturkrise des Staatensystems, einen Krieg zwischen Imperialisten, einen "Weltbürgerkrieg der Ideologien", einen irrationalen Aufstand eitler Diktatoren oder eine im wesentlichen militärische Auseinandersetzung, die sich - einmal entfesselt - nach eigenen Gesetzen entwickelte.

Weinberg wählt nun aus all diesen Daten und Perspektiven - leider ohne allzu umfangreiche Begründung - im wesentlichen folgende aus: der Weltkrieg sei am 1. September 1939 ausgebrochen, er sei am Anfang eine "Inszenierung" Hitlers gewesen und er entwickelte als militärische Auseinandersetzung schnell "seine eigene Dynamik" (S. 12). Andere Erklärungsmuster klammert er aus und zitiert als Erläuterung demonstrativ aus dem Vorwort seiner eigenen zweibändigen Geschichte der nationalsozialistischen Außenpolitik "Unabhängig von den Zielen, Rivalitäten und Ideologien, die das Verhältnis zwischen den Großmächten in den zwanziger Jahren und dreißiger Jahren prägten" (S.11) sei der Krieg eine Folge der deutschen Politik gewesen. Damit sind wesentliche Vorentscheidungen getroffen, deren Folgen sich durch die ganze Darstellung ziehen - nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, muß man leider sagen.

Denn Weinberg verbaut sich durch dieses Vorgehen schon im Ansatz sein eigenes Anliegen. Das trifft zunächst die postulierte Wechselwirkung zwischen den Kontinenten. Wenn der deutsche Angriff auf Polen allein für einen "Weltkrieg" verantwortlich sein soll, den die japanischen (und die italienischen) Aktionen zuvor nicht auslösen konnten, dann war dieser Weltkrieg natürlich eine zutiefst europäische Angelegenheit. Dieser eurozentrische Standpunkt macht die anderen Ereignisse vom Geschehen in Europa abhängig und von wirklicher globaler Interdependenz kann unter solchen Vorzeichen keine Rede sein. Weinberg hat es wohl auch deshalb schwer, solche Wechselwirkungen im Auge zu behalten und sie als roten Faden in seine Darstellung einzubauen. Im Grunde beschränkt er sich dabei auf einige marginale und bloß militärische Zusammenhänge wie den Transfer von fünf deutschen U-Booten nach Japan oder die bereits im Vorwort erwähnte Reise eines militanten indischen Widerstandskämpfers von Berlin nach Burma, um dort gegen britische Truppen zu kämpfen. Das wichtigste Ereignis in diesem Kontext dürfte die Verlegung russischer Truppen von Ostasien nach Europa im Frühherbst 1941 gewesen sein, als Folge der japanischen Entscheidung für einen Krieg gegen die USA.

Das ist zu wenig, um den Anspruch einer globalen Perspektive wirklich einlösen zu können, und so bleibt nach der Lektüre ein gewisses Bedauern in dieser Hinsicht zurück, das auch durch die ansonsten detailreiche und umfassende Darstellung der militärischen Operationen und allgemeinen strategischen Überlegungen aller Seiten nicht ganz aufgehoben wird. Dies alles hat man doch schon an anderer Stelle gelesen (auch bei Weinberg selbst) und es bleiben Zweifel, ob sich Weinberg mit einem abschließenden und zusammenfassenden Extrakt einer lebenslangen Forschungsarbeit in dieser Form einen Gefallen getan hat. Weniger hätte mehr sein können und eine Beschränkung etwa auf einige Fallstudien zu nachweisbaren Wechselwirkungen zwischen dem asiatischen und dem europäischen Krieg hätte seine These besser illustriert, die auf diese Weise reichlich verwässert, an manchen Stellen geradezu in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Ein gutes Beispiel dafür ist etwa Weinbergs Schilderung von Hitlers Motiven für den Krieg gegen Rußland. Seine Interpretation enthält keinen Zweifel daran, daß die Entscheidung für das "Unternehmen Barbarossa" die Folge von Hitlers ideologischen Dispositionen, der strategischen Gesamtlage und zunehmenden deutsch-sowjetischen Spannungen während des Jahres 1940 war und damit eine ureuropäische Angelegenheit zwischen Rußland und Deutschland. Von einer Wechselwirkung mit anderen Kriegsschauplätzen ist keine Rede. Wenn es sie gegeben hätte, so hätte sie auch eher negativ auf diesen Entschluß wirken müssen, denn Japan schloß bekanntlich gerade 1940 einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR - mit der Absicht, sich daran zu halten.

In einem Buch dieses Umfangs lassen sich Fehler und wohl auch Inkonsistenzen nicht vermeiden. Zwei davon seien hier erwähnt, da Weinberg selbst ausdrücklich um solche Kritik gebeten hat:

"Hitler hielt auch weiterhin die Vereinigten Staaten nicht für wichtig", schreibt Weinberg mit Blick auf das Jahr 1940 (S.173). Das ist zum einen ein von der Forschung mittlerweile revidiertes Urteil, ein Prozeß, an dem Weinberg selbst seinen Anteil hatte. Schließlich ist er der Herausgeber von Hitlers zweiten Buch, in dem Hitler von der "drohenden Überwältigung der Welt durch die amerikanische Union" geschrieben hatte und seine eigene Politik - auch seinen Rassismus - als Antwort auf dieses Problem interpretiert wissen wollte. 1 Zum anderen widerspricht Weinberg hier seiner eigenen Darstellung dieses Jahres an anderer Stelle, wo er viel über die Aktivitäten deutscher Agenten in den USA zu berichten weiß. Mit allen Mitteln wollte das NS-Regime Franklin D. Roosevelts Wiederwahl verhindern, nach der man mit Sicherheit den Eintritt Amerikas in den Krieg erwartete, den man in Berlin durchaus fürchtete.

"Auf wirtschaftlichem Gebiet setzten die Russen ihre Kooperation fort; sie lieferten große Mengen wichtiger Rohstoffe. Schwierigkeiten machten nur die Deutschen bei den versprochenen Lieferungen zur Bezahlung der Rohstoffe." (S. 222) Auch dies im Blick auf das Jahr 1940 ausgesprochene Urteil ist mittlerweile überholt und ging immer an der Realität der spannungsreichen deutsch-russischen Beziehungen nach dem Nichtangriffspakt vorbei. Die russischen Lieferungen waren im Frühjahr 1940 phasenweise eingestellt worden und blieben auch nach Wiederaufnahme hinter den vereinbarten Mengen zurück.

Zum Schluß noch eine Bemerkung zur Arbeit des Verlags: Auch wenn dies Buch ein Standardwerk ist, das sich nicht nur an die Fachwelt, sondern auch an interessierte Laien wenden soll, hätte an der Ausstattung nicht so gespart werden dürfen. Der bibliographische Essay am Ende kann eine eigene Bibliographie nicht ersetzen, da sich alle Angaben zur verwendeten Literatur auf diese Weise in den Anmerkungen verstecken und durch kein Register zu finden sind. Der Text selbst läßt sich ebenfalls durch das angebotene Register in keiner Weise erschliessen, da entscheidende politische Ereignisse nicht erwähnt werden. Das "Hoßbach-Protokoll" taucht ebensowenig auf, wie der "Antikomintern-Pakt", der "Dreimächtepakt" und der "Stahlpakt". Begriffe wie Faschismus, Nationalsozialismus, oder gar Antisemitismus sucht man ebenfalls vergeblich. So bleibt der Eindruck nach der Lektüre zwiespältig. Der großen Gesamtleistung und der teilweise glänzenden Darstellung stehen konzeptionelle Schwächen und manche bestreitbare Aussagen gegenüber.

Anmerkung:
1 Weinberg, G.L. (Hrsg.): Hitlers Zweites Buch, Stuttgart 1962, S. 218.

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