E. Makhotina u.a. (Hrsg.): Krieg im Museum

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Titel
Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa


Herausgeber
Makhotina, Ekaterina; Keding, Ekaterina; Borodziej, Włodzimierz; François, Etienne; Schulze Wessel, Martin
Reihe
Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 131
Erschienen
Göttingen 2015: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
VI, 376 S.
Preis
€ 69,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, Tradicia History Service, Berlin

Der 70. Jahrestag des Kriegsendes hat gezeigt, wie aktuell und politisch brisant das Thema „Erinnerung und Museum“ dieses Sammelbandes ist. Während sich für das westliche Europa bereits in den vergangenen Jahren ein wachsendes Forschungsfeld eröffnet hat, gibt es für Ost- und Ostmitteleuropa noch immer einen Nachholbedarf. Es ist daher zu begrüßen, dass sich das Collegium Carolinum an der Universität München der „Musealisierung der Erinnerung. Zweiter Weltkrieg und nationalsozialistische Besatzung in Museen, Gedenkstätten und Denkmälern im östlichen Europa" in einem Forschungsprojekt gewidmet hat (Oktober 2008 – September 2012), aus dem auch die vorliegende Publikation von ausgewählten Konferenzbeiträgen aus dem Jahr 2011 hervorgegangen ist.

Das zentrale Thema aller Texte ist die Bedeutung des Holocaust und der Verbrechen des Stalinismus bzw. Kommunismus für die Erinnerungskultur(en) in Europa und die Frage, wie sich die Diskussion darüber in Museen und Gedenkstätten abbildet. Das von den westlichen Nationen formulierte Postulat des verbindenden Charakters der Erinnerung an die Schoah wird dabei zunehmend von den ost- und ostmitteleuropäischen Staaten mit dem Verweis auf die Erfahrungen mit der kommunistischen Diktatur als ebenfalls wesentlichen Teil des europäischen Gedächtnisses herausgefordert.

In ihrem einleitenden Artikel zeichnen die Herausgeber Martin Schulze Wessel und Ekaterina Makhotina diese „neuen Konfliktlinien in den Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg im östlichen Europa“ nach. Welche Funktion dabei Museen, Gedenkstätten und Ausstellungen als „Leitmedien der Erinnerung“ (S. 2) zukommt, ist Gegenstand der zweiten Einleitung von Thomas Thiemeyer, einer der wenigen Historiker, die sich in ihren Publikationen sowohl mit Erinnerung und Gedächtnis als auch mit Museen befassen und dabei selber über praktische Ausstellungerfahrung verfügen. Leider reflektiert der ansonsten analytisch luzide und thematisch erhellende Beitrag ausschließlich die Realität westeuropäischer Museen (von Gedenkstätten ist hier gar nicht die Rede) und geht an den spezifischen Bedingungen osteuropäischer Museen fast vollständig vorbei. So benennt er das „Verschwinden der Zeitzeugen“ als Problem für die sich verändernde Darstellung des Krieges in den Museen (S. 20). In vielen osteuropäischen Museen ist es genau umgekehrt, der „politische Druck durch Lobbygruppen und Überlebende“ auf die Ausstellungen (S. 21) erschwert weiterhin eine freiere Darstellung. Ein anderes Beispiel: Die für „den Westen“ selbstverständliche Verortung von Museen in der Erinnerungskultur sollte mit Blick auf Osteuropa selbst zum Thema gemacht werden: In den meisten Ländern geht es bisher um die Aufarbeitung von historischen Zusammenhängen, weniger um die Frage einer Kultur des Erinnerns und Gedenkens. Schließlich ist das „finanzielle und institutionelle Gefüge“ von Geschichtspolitik und Museen, das Thiemeyer zu Recht anführt, in Ost- und Ostmitteleuropa mit dem in Westeuropa kaum zu vergleichen. Wenigstens bei der Heranziehung von Beispielen hätte man sich anstelle von Enola Gay oder der Wehrmachtsausstellung den Hinweis das „Haus des Terrors“ in Budapest, das GULag-Dokumentationszentrum in Perm oder das Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk gewünscht. Am Ende lässt Thiemeyer Fragen und Überlegungen vermissen, was die Veränderungen der Museums- und Gedenklandschaft im Westen für Osteuropa bedeuten, wo vielleicht die Chancen liegen, welche Kriterien zur Analyse der Museen und Ausstellungen sich daraus ableiten lassen. Was durchaus instruktiv als Folie für den Blick „nach Osten“ hätte sein können, zeigt somit, dass dieser Blick noch lange nicht selbstverständlich in die Gesamtbetrachtung einfließt, sondern bisher nur ein additiver ist.

Die folgenden Beiträge zu den Museen gliedern sich in vier Abschnitte, gemeinsame Themen sind die Opferhierarchie, die jeweils eigene, nationale Täterrolle sowie Kollaboration und der Holocaust. Der erste Abschnitt „Musealisierung des Zweiten Weltkriegs im Spannungsfeld staatlicher, lokaler und individueller Erinnerungsdiskurse“ umfasst einen Beitrag zu Rumänien nach 1989 (Martin Jung), hat aber seinen Schwerpunkt auf Museen in Russland und Belarus. Positiv hervorzugeben ist, dass der Fokus mal nicht auf die Metropolen, sondern die sogenannte Provinz ins Gebiet Vitebsk (Ekaterina Keding), nach Brest (Christian Ganzer) und die Ladoga-Region (Ekaterina Melnikova) und zudem, in letztgenanntem Fall, auf die bei uns weithin unbekannten Schulmuseen gerichtet wird. Leider ist die Ukraine nur mit einem Blick in die sowjetische Zeit vertreten. Allerdings ist dieser Artikel von Iryna Sklokina besonders gut; selten wird mit Fragen nach Zielen und Methoden so konkret analysiert, was wir stets als selbstverständlich voraussetzen, nämlich das sowjetische Narrativ des Großen Vaterländischen Krieges.

Der zweite Teil „Semantiken der Kriegsdarstellung in den Gedenkstätten zur Erinnerung an niedergebrannte Dörfer“ greift ein hierzulande vernachlässigtes Thema auf. In den beiden Beiträgen von Ekaterina Makhotina zur litauischen Gedenkstätte Pirčipius und von Petr Koura zum tschechischen Lidice geht es um die Instrumentalisierung der Opferrolle der von den Nationalsozialisten niedergebrannten Dörfer in der Sowjetunion und den Versuch, dort heute zu einem differenzierten Gedenken zu kommen. Interessant wäre hier eine ergänzende Information zur zunehmenden Vernetzung dieser Erinnerungsorte in West- (Oradour unter anderem) und Osteuropa (Chatyn unter anderem) sowie zu einem durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft geförderten Projekt in Belarus mit eben diesem Zweck gewesen.

Die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden ist Gegenstand des dritten Teils „Exklusion oder Integration: Die Darstellung des Holocaust in Museen in Ostmitteleuropa“. Die häufig pauschale Klage darüber, dass diese Erinnerung verdrängt werde, erfährt hier eine differenzierte und kritische Analyse von Hintergründen und Motiven an drei konkreten Beispielen. Regina Fritz stellt das Holocaust-Gedenkzentrum in Budapest und den ungarischen Pavillon im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau vor. Mit den detailreichen Texten von Hannah Maischein über die „Apotheke zum Adler“ in ehemaligen Krakauer Ghetto und von Monika Heinemann über die „Emaillewarenfabrik Oskar Schindler“ in Krakau liegt der Schwerpunkt auf Polen. Angesichts der häufig angespannten deutsch-polnischen Diskussion, ist dieser doppelte Blick in das Nachbarland zu begrüßen, zumal die Analyse des gesellschaftlichen Kontextes und der innerpolnischen Debatte über die Wahrnehmung der Opferrolle der Juden zum gegenseitigen Verständnis beiträgt.

Die Frage „Lehrstätte oder Trauerort? Formen der Visualisierung des Zweiten Weltkrieges in KZ-Gedenkstätten“ behandeln die letzten vier Beiträge. Hier geht der Blick nach Dachau in Deutschland (Barbara Distel), Treblinka und Kulmhof/Chelmo (Piotr Majewski) sowie Sobibor (Sabrina Lausen) in Polen und Theresienstadt (Ulrike Lunow) in Tschechien. Es ist gut und wichtig, auch diesen Einrichtungstyp der Erinnerungslandschaften in den Sammelband mit einbezogen zu haben. Was aber fehlt, ist eine Reflexion der Unterschiede zu Museen, des spezifischen Beitrags von Gedenkstätten zu Erinnerung und Gedächtnis sowie die Geschichte des Umgangs mit diesen historischen Orten im östlichen Europa. Weder der Einführungs- noch der Schussbeitrag gehen darauf näher ein.

Damit ist ein generelles Defizit des Bandes angesprochen. Er betrifft die Auseinandersetzung mit und die Analyse der Methode. Zwar steht diese Diskussion, nämlich die Frage nach den Kriterien und der Vergleichbarkeit der wissenschaftlichen Betrachtung von Ausstellungen und Museen, noch am Anfang, und sie ist auch nicht das Thema dieses Bandes. Dennoch hätte die Publikation von einem bewussten und abgestimmten Umgang der Beschreibungen von Ausstellungstexten, Gestaltung, Exponatauswahl und Vermittlung profitiert.

Auch Etienne François beschränkt sich in seinem Resümee „Vergleichen, um besser zu verstehen: Die Gegenwart der Vergangenheit zwischen Vielfalt und Wandel“ auf historische Inhalte der verschiedenen Erinnerungen. Zu Recht verweist er darauf, dass die Vielfalt (oder auch Disparität) der hier vorgestellten Einrichtungen eine „Warnung gegen jede Versuchung zur Vereinfachung“ sei (S. 363) und die Veröffentlichung dazu diene, die „lebendige Vielfalt der osteuropäischen Museumslandschaft zu veranschaulichen“ (S. 367). Nicht zuzustimmen ist François in seiner Forderung, diese vergleichenden Beobachtungen in „einem Abstand von zehn bis zwanzig Jahren wieder […] in Angriff zu nehmen“ (S. 367). Vielmehr müsste dies viel früher geschehen bzw. schlicht mit weiteren Beispielen fortgesetzt werden.

Insgesamt ist der Sammelband ein wertvoller Beitrag sowohl zu den nationalen Erinnerungskulturen als auch zum Museumswesen dieser Länder. Neben Holocaust und Kommunismus kommen spezifisch nationale Bezugspunkte der Erinnerungskulturen zu Wort, die häufig quer zu eindeutigen Narrativen liegen und angesichts des „Erinnerungsimperativs an die Schoah“ (S. 13) an Kraft gewinnen. Auf Südosteuropa musste man vermutlich aus systematischen Gründen verzichten, nicht nachvollziehbar dagegen ist, dass eine Betrachtung der Ukraine in der Gegenwart fehlt, wie die Herausgeber überhaupt eine Erklärung der Auswahlkriterien schuldig bleiben. Wünschenswert wären weiterhin eine stärkere Einbeziehung von Museumspraktikern im Vergleich zu Autoren aus der Forschung gewesen sowie deutlich mehr Fotos und Abbildungen der Ausstellungen. Schließlich findet sich ein häufiges Problem von Sammelbänden auch hier: Das Projekt strebt den Vergleich an (S. 7, 8/9, 10, 361), kommt aber letztlich über eine Aneinanderreihung von Länderstudien nicht hinaus, auch dies eine Frage der Methode. Damit legen die Herausgeber eine vorläufige Bilanz zum Thema vor, die hoffentlich ein Anstoß zu nachfolgenden Publikationen sein wird.

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