Der Tod war auch in der DDR etwas Alltägliches. Staat und Partei sahen sich ebenso mit pragmatischen Problemen wie der Entsorgung der im Schnitt jährlich über 220.000 Leichname unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft konfrontiert wie mit der politisch-ideologischen Aufgabe, eine spezifisch sozialistische Sepulkralkultur auszubilden, welche den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod in seiner ganzen Spannbreite vom Transport der Leichen über die Friedhofsästhetik bis hin zu Bestattungsritualen umfasst. Zwar liegt bereits eine Reihe von Arbeiten vor, die sich entweder regionalen Fallstudien1 oder einzelnen Facetten des Themas wie den Mauertoten, den Bestattungsritualen oder dem Selbstmord in der DDR widmen.2 Doch der an der Newcastle University lehrende Zeithistoriker Felix Robin Schulz strebt in seiner Studie eine umfassende Analyse des Todes in Ostdeutschland an. Er tut dies auf der Basis einer breiten, in zahlreichen Stadt-, Kreis- und Staatsarchiven zusammengetragenen Quellengrundlage, die ihm eine diachrone Perspektive und synchrone Vergleiche der unterschiedlichen Regionen des Landes, insbesondere eine präzise Erfassung der Stadt-Land-Gegensätze, ermöglicht.
In der knappen Einleitung betont Schulz die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung der ostdeutschen Bestattungskultur im Angesicht einer grassierenden Ostalgie. Er geht von der Prämisse aus, dass der Fokus auf den „normalen Tod“ – jenseits der inszenierten Bestattungen politischer Prominenz, der Erinnerung an Kriegstote oder der Opfer der Staatsgewalt – es erlaube, die Reichweite der Politisierung des Alltagslebens in der DDR zu vermessen. Dies gelte umso mehr, als die Sepulkralkultur in den kommunistischen Diktaturen Ost- und Ostmitteleuropas in einem besonderen Maße zu einem Objekt politischer Interventionen geworden sei. Zugleich müssten jedoch, so Schulz, die Grenzen staatlicher Regulierungsversuche und mögliche gegenläufige Entwicklungen, etwa in Folge der „obstructive powers of communal and institutional traditions“ (S. 9), stärker aufgezeigt werden, als die bisherige Forschung dies getan habe.
Zu diesem Zweck gliedert Schulz seine Analyse systematisch. In insgesamt sechs Kapiteln spürt er den Ursprüngen der modernen deutschen Sepulkralkultur, der Organisation des Bestattungswesens sowie der Geschichte von Friedhöfen, Einäscherung, gemeinschaftlichen Beerdigungsformen und den Bestattungsritualen in der DDR nach. Durchweg müht sich Schulz um den Nachweis, dass der Umgang mit Tod und Toten in Ostdeutschland in längere Strukturen und Traditionen eingebettet war. Das Jahr 1945 habe mit Blick auf die Sepulkralkultur keinesfalls eine „Stunde Null“ dargestellt – eine zentrale These des Buches, mit der sich Schulz gegen die von ihm wahrgenommene Überbetonung der Besonderheiten der DDR-Entwicklung in der bisherigen Forschung wendet.3 Nicht nur, dass etwa die erste der zahlreichen Urnengemeinschaftsanlagen, die später zum Symbol der sozialistischen Bestattungskultur avancieren sollten, bereits 1925 in Magdeburg von Freidenkern erbaut worden war. Auch das Gros der Friedhöfe und fast alle Krematorien waren bereits vor dem Zweiten Weltkrieg angelegt worden. Entscheidende Ausgangsfaktoren der Bestattungskultur in der DDR seien einerseits langfristige strukturelle Entwicklungen wie die Urbanisierung, die Industrialisierung und das Bevölkerungswachstum gewesen. Andererseits habe die um die Jahrhundertwende im Kaiserreich entstandene Friedhofsreformbewegung eine wichtige Rolle gespielt. Diese sollte mit ihren Forderungen nach Ordnung und Homogenität in der Friedhofsästhetik die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus überdauern und sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein als prägend erweisen.
Tatsächlich schränkt Schulz die Bedeutung ideologischer Erwägungen in vielen Punkten stark ein. Zwar waren zentrale Bestandteile der ostdeutschen Sepulkralkultur wie die Kommunalisierung des Bestattungswesens, die Einäscherung oder anonyme Beerdigungen durchaus anschlussfähig an marxistisches Gedankengut. Sie verdankten ihre Forcierung in der DDR jedoch primär ihrer Wirtschaftlichkeit und entsprangen einem Zwang zur Rationalisierung im Angesicht der Masse an Toten und knapper Ressourcen in Form von Särgen und Grabstellen: So wurden beispielsweise im Jahre 1960 nur 180.000 Särge für über 230.000 Verstorbene produziert (S. 58). Effektivität und ökonomische Profite seien pragmatische Notwendigkeiten gewesen, um das Bestattungssystem vor dem völligen Kollaps zu bewahren. Immer wieder hätten die ostdeutschen Planer denn auch die Ideologie wirtschaftlichen Gesichtspunkten untergeordnet.
Entsprechend ambivalent beurteilt Schulz die Frage nach den Erfolgen. Zwar habe es durchaus eine spezifisch ostdeutsche Sepulkralkultur gegeben, die bis heute fort- und nachwirke. Diese sei jedoch weitaus weniger radikal und ideologisch durchdrungen gewesen als häufig angenommen werde.4 Zahlreiche Fehlschläge etwa bei der nur inkonsequent durchgesetzten Verstaatlichung privater Bestattungsunternehmen oder kirchlicher Friedhöfe kennzeichneten die Reformversuche. Nur langsam und niemals vollständig gewannen SED und Staat laut Schulz Zugriff auf diese Bereiche, vor allem über regional das Bestattungswesen koordinierende Leitbetriebe. Auch Einäscherung und Urnengemeinschaftsanlage seien nicht aufgrund von Parteibeschlüssen, sondern vielmehr „despite the lack of political direction“ (S. 147) zu Aushängeschildern des Bestattungswesens in der DDR geworden. Ihre Bedeutung müsse ferner relativiert werden, da sie sich in ländlichen Regionen sowie im Norden niemals so stark durchsetzen konnten wie im Rest des Landes.
Ein gewisses Maß an Steuerung gelang erst mit der Gründung des Dresdner Instituts für Kommunalwirtschaft (IfK) im Jahr 1962, das akademische und professionelle Experten in einer Art Think Tank vereinte. Doch auch danach sei nie eine klare Definition entwickelt worden, was überhaupt eine sozialistische Sepulkralkultur ausmache – sieht man einmal von einigen eher kruden Verweisen ab, denen zufolge die gesellschaftliche Solidarität über eine Gemeinschaft der Trauernden und Verstorbenen zu stärken sei. Da zudem zu keinem Zeitpunkt eine klare Initiative „von oben“ kam, scheiterten weitergehende Reformen des Bestattungswesens nach Schulz folgerichtig. Gerade die Religion konnte ein bedeutender Faktor bleiben, da etwa 60 Prozent aller Friedhöfe in der DDR stets in kirchlicher Hand waren und somit nicht direkt unter staatlicher Kontrolle standen. Auch in der Praxis erwiesen sich die Kapazitäten des Regimes letztlich als unzureichend: Ein administratives Chaos, flächendeckende Mängel an qualifiziertem Personal und Krematorien sowie eine „culture of neglect“ (S. 69) bestimmten den alltäglichen Tod in der sozialistischen Diktatur. Wütende Beschwerden von Angehörigen über den Ablauf von Begräbnissen oder über unvorbereitete Trauerredner waren keine Seltenheit.
Dass Schulz in seiner ohnehin schon materialreichen Studie keinen deutsch-deutschen Vergleich anstrebt, ist zweifelsohne legitim, zumal ihm der vergleichsweise gute Forschungsstand zur Geschichte der bundesdeutschen Sepulkralkultur immer wieder kursorische Seitenblicke ermöglicht.5 Jedoch schwächt dieser Umstand die Thesenbildung, in der Schulz wiederholt auf strukturelle Ähnlichkeiten von Bestattungskultur, Trauerritualen und Friedhofsgestaltung in Ost und West abhebt. Zweifelsfrei wären an einigen Stellen tiefergehende Informationen und Belege zur Situation im Westen von Vorteil gewesen: So kommen etwa argumentativ zentrale Passagen, in denen Schulz transnationale Trends im Bestattungswesen wie die Spezialisierung oder Rationalisierung als Folge eines Zwangs zur Hygiene sowie eines Strebens nach Effizienz in der modernen Industriegesellschaft beschreibt, ohne eine einzige Fußnote aus (vgl. S. 71). Zwar mögen die Probleme letztlich vielerorts ähnlich gewesen sein und fraglos nahm die Zahl der Einäscherungen und anonymen Bestattungen auch in anderen Staaten sukzessive zu. Doch die in dem Buch vorgebrachte starke These, dass die Entwicklung der Bestattungskultur in der DDR weitgehend mit der in der Bundesrepublik und in ganz Westeuropa korrespondierte, erscheint nur im Rahmen eines etwas differenzierteren Vergleichs schlüssig zu belegen zu sein.
Insgesamt liefert Schulz einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Todes in der DDR. Er kann zeigen, dass die Sepulkralkultur stets ein Thema war, über das die Folgen des gesellschaftlichen und politischen Wandels, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, Fragen der kollektiven Erinnerung, aber auch die strukturellen Herausforderungen der Moderne ausgehandelt wurden. Die Studie unterstreicht damit nicht zuletzt das sozial- und kulturhistorische Potential einer Zeitgeschichte des Todes, das in der neueren Forschung zunehmend ausgelotet wird.6 Unverständlich ist, warum sich Autor und Verlag gegen einen präzisierenden Untertitel entschieden haben. Der Haupttitel, der eine umfassende Beschäftigung mit dem facettenreichen Phänomen „Tod“ suggeriert, führt jedenfalls in die Irre, da sich Schulz wie dargelegt „nur“ mit Aspekten der Bestattungskultur befasst und auch hier einen klaren Fokus auf die administrativ-organisatorische Seite legt, persönliche Erfahrungen und Praktiken dagegen weitgehend ausblendet. So regt das handwerklich gut gemachte, reichhaltig illustrierte und mit zahlreichen Statistiken versehene Buch eher zu weiterführenden, vergleichenden Forschungen an, als dass es eine abschließende Darstellung des Themas bietet.
Anmerkungen:
1 Monica Black, Death in Berlin. From Weimar to Divided Germany, Cambridge 2010.
2 Pertti Ahonen, Death at the Berlin Wall, Oxford 2011; Udo Grashoff, „In einem Anfall von Depression“. Selbsttötungen in der DDR, Berlin 2006; Hans-Hermann Hertle / Maria Nooke, Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961–1989. Ein biographisches Handbuch, Berlin 2009; Jane Redlin, Säkulare Totenrituale. Totenehrung, Staatsbegräbnis und private Bestattung in der DDR, Münster 2009.
3 Schulz nennt in diesem Zusammenhang namentlich die im Kontext der Kasseler Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (AFD) entstandenen Studien westdeutscher Forscher, vgl. etwa Barbara Happe, Grabmalgestaltung in der DDR – Der erzwungene Abschied vom persönlichen Grabmal, in: AFD (Hrsg.), Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler, Berlin 2009, S. 189–214; Reinhard Schelenz / Simone Meinel: „Sozialistische“ Friedhofskultur in der DDR, in: Friedhof und Denkmal 41 (1996), Nr. 1, S. 12–15.
4 Vgl. Barbara Happe, Die Nachkriegsentwicklung der Friedhöfe in den beiden deutschen Staaten, in: Norbert Fischer (Hrsg.), Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung, Braunschweig 2003, S. 195–224; Reiner Sörries, Herzliches Beileid. Eine Kulturgeschichte der Trauer, Darmstadt 2012, S. 117–121.
5 Vgl. exemplarisch für die Friedhofsgeschichte: Norbert Fischer, Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, Köln 1996; Reiner Sörries, Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs, Kevelaer 2009.
6 So widmet sich etwa der diesjährige Band (55) des Archivs für Sozialgeschichte dem Thema Tod.