In ihrer publizierten Dissertation behandelt Nanni Baltzer eine bisher von der Forschung unterbelichtete künstlerische Gattung und deren propagandistische Nutzung im faschistischen Italien: die Fotomontage. Denn obwohl der Faschismus zu den „Pionieren“ des breiten Einsatzes der Fotografie zu Propagandazwecken gehörte, die gerade aufgrund des vermeintlich dokumentarischen Charakters des Mediums geschätzt wurde, war sie bisher kaum Thema wissenschaftlicher Forschung.
In drei klar gegliederten Teilen widmet sich Baltzer zunächst dem Kontext und Stand der Literatur zur Fotomontage sowie Begriffsklärungen und Definitionen. Im zweiten Teil stehen verschiedene Einsatzorte der Fotomontage, wie Ausstellungen, Publikationen und Architektur, im Vordergrund. Schließlich geht die Autorin im dritten Teil vermehrt auf inhaltliche Aspekte der Fotomontagen ein und wendet bekannte Thesen wie die von der „Sakralisierung der Politik“1 im Faschismus sowie von der Instrumentalisierung der Antike in der faschistischen Propaganda auf Fotomontagen an.
Neben der Definition von Propaganda als „gezielte[m] Versuch von Personen oder Institutionen, einen bestimmten Adressatenkreis durch Informationslenkung für eigennützige Zwecke zu gewinnen und diese Zwecke zugleich zu verschleiern“ (S. 15), entscheidet sich Baltzer für einen breiten Begriff der Fotomontage. Von einer solchen könne die Rede sein, wenn aus zwei oder mehreren Fotografien oder Fotofragmenten eine neue Einheit entstehe. Bezüglich der Geschichte der Gattung erläutert sie deren Ursprünge in künstlerischen Avantgardekreisen in Russland, Deutschland und Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dass die Kunstform aufgrund ihrer Assoziation mit Künstlern wie Alexander Rodtschenko, El Lissitzky oder John Heartfield als tendenziell links galt, schien für ihre Verwendung in der faschistischen Propaganda zumindest bis Ende der 1930er-Jahre kein Problem darzustellen. So war mit Fotomontagen in Italien in futuristischen Kreisen etwa von Bruno Munari oder Fortunato Depero experimentiert worden – von Mitgliedern einer Künstlerbewegung also, die dem Faschismus bekanntermaßen seit seiner Bewegungsphase in den 1910er-Jahren nahestand. Ferner schätzte das faschistische Regime im Rahmen seiner gerade im Vergleich zum Nationalsozialismus sehr viel liberaleren Kulturpolitik die Neuheit der Fotografie und Fotomontage, die in der Sicht des Regimes angemessen die „faschistische Revolution“ repräsentierten. Nichtsdestotrotz kam es im offiziellen Sprachgebrauch des faschistischen Italien – wie in Nazi-Deutschland, wo der Begriff „Aufbaufoto“ geprägt wurde – bisweilen zu Umbenennungen, um sich von den vermeintlich linken Ursprüngen der Fotomontage abzugrenzen: Neben fotomontaggio sollte fotomosaico vielmehr eine Verbindung zu antiken Traditionen evozieren.
Im zweiten Teil geht es nach einem Auftakt über eine frühe Fotomontage von Pier Maria Bardi („Tavolo degli orrori“, dt.: „Tisch des Grauens“) zunächst um den Stand der rationalistischen Architektur im faschistischen Italien, bevor auf die Mostra della Rivoluzione Fascista eingegangen wird. Auf der Jubiläumsausstellung in Rom anlässlich der zehnjährigen Herrschaft des Regimes 1932, die neben „Errungenschaften“ des Faschismus die Geschichte der Bewegung bis zum Marsch auf Rom 1922 nachzeichnete, kamen neuartige Gestaltungsmethoden, unter ihnen die Fotomontage, zum Einsatz. Hauptsächlich zwei Räume nimmt die Autorin in den Blick, für die Marcello Nizzoli und Giuseppe Terragni teilweise raumgreifende dreidimensionale Fotomontagen entwarfen. Diese innovativen Elemente bindet Baltzer wiederum an potentielle Vorläufer, beispielsweise die Gestaltung der sowjetischen Pavillons auf internationalen Messen in Köln und Paris in den 1920er-Jahren, zurück. Des Weiteren stehen drei Publikationen zur Mostra della Rivoluzione fascista im Vordergrund, die allerdings nicht in gleichem Maße von der Fotomontage als Gestaltungsmittel Gebrauch machten.
Im Unterkapitel „Fotomontage und Architektur“ erlaubt die breite Definition der untersuchten Gattung auch neuartige Ausstellungsdesigns wie Gitterausstellungen mit zu berücksichtigen, bei denen die durchsichtigen Stellwände eine Zusammenschau mehrerer und sich mit der Bewegung des Besuchers stets wandelnder Bilder ermöglichte. Beispiele, bei denen diese Ausstellungskonzeption Anwendung fand, waren das sogenannte Castello pubblicitario in der Einkaufspassage Galleria Vittorio Emanuele sowie die Esposizione dell’Aeronautica Italiana 1934 in Mailand. Schließlich führt Baltzer noch die Diskussionen um die Fassadengestaltung der Casa del Fascio in Como ab 1936 an. Ein Entwurf von Terragni und Nizzoli sah als Dekoration eine Montage verschiedener Paneele mit faschistischen Themen vor, wurde jedoch letztendlich nicht ausgeführt.
Nach der Diskussion der These Emilio Gentiles von der „Sakralisierung der Politik“ im Faschismus behandelt Baltzer im dritten Teil „Der Duce im Wettstreit mit Papst und Antike“ eine Lichtprojektion auf dem Mailänder Dom am 28. Oktober 1933, die ein Porträt Mussolinis zeigte. Durch diese wortwörtliche Überlagerung von Ideologie und Religion in einem Lichtspektakel wurde der Machtanspruch der Faschisten unmittelbar deutlich. Der Rückbezug auf die Antike in der Propaganda sollte ebenfalls der Legitimation des Faschismus dienen. In von Baltzer untersuchten Publikationen zu städtebaulichen Veränderungen in Rom vom Ende 1930er-Jahren sowie auf der Mostra Augustea della Romanità 1937 aus Anlass des 2000. Geburtstags des römischen Kaisers Augustus trat der Versuch des Regimes, Kontinuitätslinien zwischen beiden Epochen zu konstruieren, besonders hervor. In der letztgenannten Ausstellung kam die Fotomontage jedoch nur in einem Raum in Form eines Frieses zum Einsatz. Auch bei der Neuauflage der Mostra della Rivoluzione Fascista im selben Jahr waren sämtliche avantgardistischen Elemente und mit ihnen die Fotomontage als Raumgestaltung auf ein Minimum reduziert. In der kommerziellen Werbung hingegen spielte die Gattung in Italien, vielfach auch unter Rückgriff auf antike Themen, weiterhin eine wichtige Rolle.
Insgesamt gelingt es Nanni Baltzer in ihrer Studie, bisher unbeachtete Aspekte der faschistischen Propaganda zu Tage zu fördern. Unter einem breiten Begriff der Fotomontage bespricht sie so erstmals neuartige Ausstellungsdesigns wie Gitterausstellungen oder Lichtprojektionen am Mailänder Dom. Obwohl die Autorin die Gattung in der Einleitung schon bestimmt hat, wäre eine weitere definitorische Einordnung der jeweiligen Phänomene, bei denen es sich nicht um konkret zweidimensionale klassische Fotomontagen handelt, hilfreich. Dem Leseverständnis hätten außerdem die Explizierung einer konkreten Leitfrage und des Erkenntnisinteresses sowie die Formulierung einer aus dem Gegenstand der Fotomontage entwickelten These zu Anfang jedes Kapitels geholfen. Da solche Orientierungshilfen vielfach ausbleiben, fragt man sich beispielsweise bei den sehr ausführlichen, aus der Sekundärliteratur geschöpften Einführungen zu bestimmten Themen wie der Mostra della Rivoluzione fascista, worin genau der Zusammenhang mit der Fotomontage besteht. Denn im Falle der Mostra werden schließlich nur zwei Säle unter der Themenstellung behandelt, wobei unklar bleibt, ob die Fotomontage in der restlichen Ausstellungsgestaltung auch Anwendung fand.
Lobenswert sind die erhellenden transnationalen Vergleiche mit sowjetischen Künstlern oder internationalen Ausstellungen, durch die Baltzer vor allem im zweiten Teil potentielle formale Vorläufer aufdeckt. Anstatt diese Präzedenzfälle jedoch in Exkurse auszulagern, wäre es von Vorteil gewesen, sie durchweg in Vergleiche mit dem eigentlichen Gegenstand, der Fotomontage im faschistischen Italien, zu integrieren (wie es stellenweise auch durchaus geschieht).
Im dritten, stärker inhaltlichen Teil wäre die Autorin dazu zu ermuntern gewesen, die Thesen eher aus dem innovativen Gegenstand zu entwickeln, statt solche, die bereits für andere propagandistische Genres vorgebracht wurden, zu bestätigen. Zum Beispiel hätte man den Punkt ausbauen können, dass die mit der Avantgarde assoziierte Fotomontage auch nach der klassizistischen Wende, die viele staatlich geförderte Kunstrichtungen in den 1930er-Jahren in Italien nahmen, weiterhin benutzt wurde. Schließlich bleibt unklar, warum die Studie trotz der Relevanz, die die Gattung in verschiedenen Feldern wie der kommerziellen Werbung offenbar weiterhin hatte, nicht über 1937 hinausgeht. Der Untersuchungszeitraum wird an keiner Stelle begründet. Was passierte mit der Fotomontage beispielsweise in der Kriegspropaganda? Einen solchen Ausblick hätte man in einem Fazit liefern können, auf das – womöglich den Vorgaben des Verlags bzw. der Reihen-Herausgeber geschuldet – ebenfalls verzichtet wurde. In formaler Hinsicht wäre es sinnvoll gewesen, auf stichwortartige Zwischenüberschriften, die teilweise zu nur halbseitigen Kurzkapiteln führen, zu verzichten. Als positiv hingegen ist die reiche Bebilderung hervorzuheben.
Insgesamt schmälern die vorgebrachten Kritikpunkte formaler und konzeptioneller Art das Verdienst Nanni Baltzers jedoch kaum: Als Erste hat sie die propagandistische Verwendung des vermeintlich linken Genres der Fotomontage im italienischen Faschismus einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen. Neben der Beleuchtung bisher unbekannter Aspekte der faschistischen Propaganda kann sie überzeugend aufzeigen, dass die Gattung nicht per se einer bestimmten Ideologie zuzuordnen ist, sondern nahezu systemübergreifend eingesetzt wurde.
Anmerkung:
1 Emilio Gentile, The sacralization of politics in fascist Italy, Cambridge 1996.