Einen über tausend Seiten starken Band „Fasse Dich kurz!“ zu betiteln, zeugt entweder von erstaunlicher Ironieresistenz oder von beachtlicher Chuzpe. Hinter dem Titel verbirgt sich ein Band, der die Telefonüberwachung der DDR-Opposition durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in den 1980er-Jahren zum Thema macht und ausführlich dokumentiert. Es ist nicht das erste Buch über das Telefonabhören in der DDR. Sein besonderer Wert liegt in seinem dreifachen Zugriff auf das Thema: Es beschreibt nicht nur die Planung der Überwachung, sondern auch die Praktiken der Staatssicherheit. Es verschränkt zweitens die Geschichte der mit dem Abhören verbundenen Repression mit einer der Opposition und der Lebenswelt ihrer Protagonisten. Schließlich bettet es die Abhörmaßnahmen in eine Fragestellung ein, die technische Rahmenbedingungen von Überwachung erläutert, nach der Funktionalität von Repressionsmaßnahmen fragt und die Weiterverarbeitung der gewonnenen Daten einbezieht. Die Autoren des Bandes entwickelten eine differenzierte Fragestellung, der sie für eine Zeitspanne von fünf Jahren am Ende der 1980er-Jahre detailliert nachgehen konnten.
In seinem einleitenden Essay verbindet Ilko-Sascha Kowalczuk eine Geschichte der Anfang der 1980er-Jahre in Berlin entstehenden Opposition gegen die SED mit einer Darstellung der Repression. Integriert sind Ausführungen zum Alltag des Telefonierens in der DDR und zur Rolle des Abhörens im Maßnahmenkatalog der Staatssicherheit. Kowalczuk verdeutlicht den Stellenwert der Abhörprotokolle in der justiziellen und geheimpolizeilichen Strategie, beschreibt die technischen und praktischen Umstände des Abhörens und problematisiert die Verarbeitung des dadurch gewonnenen Materials im Apparat des MfS. Dabei wird deutlich, dass Abhören im Innern der DDR nicht zum Standardrepertoire der Staatssicherheit gehörte. Aufgrund des damit verbundenen Aufwands, aufgrund von personellen Engpässen und einer beim MfS angesichts der Westverbindungen der Opposition zu beobachtenden Scheu vor dem damit einhergehenden Rechtsbruch (S. 49) beschränkte sich die Telefonüberwachung auf als besonders bedrohlich wahrgenommene Gegner. Bei diesen aber wurde sie gelegentlich exzessiv betrieben. Insofern sind die im Buch dokumentierten Abhörmaßnahmen also nicht repräsentativ für die Repressionspraxis des MfS, sondern galten einem von diesem als besonders gefährlich markierten Personenkreis in Ost-Berlin.
Die Hauptabteilung III des MfS besaß, wie Andreas Schmidt und Arno Polzin ausführen, Ende der 1980er-Jahre eine ganz beträchtliche Kapazität zum Abhören von Telefonen, Fernsprechleitungen, westlichem Behördenfunk und weiteren Nachrichtenverbindungen. Sie konzentrierte sich bei ihrer Tätigkeit auf das Ausspionieren westlicher Institutionen und Politiker, insbesondere in der Bundesrepublik. Dabei war sie nicht nur vom Gebiet der DDR aus tätig, sondern auch von staatlichen Vertretungen der DDR in der Bundesrepublik aus. Sie war in der Lage, mittels Selektoren zahlreiche Anschlüsse in der Bundesrepublik und West-Berlin, aber auch in der DDR, dauerhaft anzuzapfen und die gewonnenen Informationen teils maschinell, teils händisch auszuwerten. Diese Fähigkeiten wurden flankiert von den Möglichkeiten, Funkverkehr und einzelne Telefonanschlüsse systematisch zu stören.
Für die Überwachung der Opposition war demgegenüber die Abteilung 26 des MfS zuständig, die 1.400 von knapp 400.000 Anschlüssen überwachen konnte, die in Ost-Berlin existierten. Angela Schmole beschreibt kenntnisreich die Abhörpraxis in den 1980er-Jahren vor allem in ihren technischen Aspekten: vom Zustand des Telefonnetzes über die Praktiken des Abhörens bis zur Verschriftlichung der Gespräche.
Wolfgang Templin schließlich erzählt mit großer Detailgenauigkeit die brisante Phase der Oppositionsbildung in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre am Beispiel der Gruppe „Initiative Frieden und Menschenrechte“, der er selbst angehörte. Wie schon Kowalczuk verknüpft Templin das Agieren der sich zwischen Staat, Kirche und wachsender Alternativszene entwickelnden Berliner Gruppe mit dem des MfS und der SED. Hierbei nutzt er die Abhörprotokolle einerseits als Quelle für die wachsende Vernetzung der Aktivisten in Ost-Berlin mit der sich ausdifferenzierenden Opposition in der DDR und mit Akteuren im Westen. Bei Letzteren handelte es sich zumeist um exilierte DDR-Bürger wie Roland Jahn und Jürgen Fuchs. Andererseits macht Templin anhand dieser Form der Überwachung die intensive Repression der Gruppe deutlich, deren zentrale Akteure nach der Razzia auf die Umweltbibliothek und der Beteiligung an der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 zur Ausreise gezwungen wurden.
Das Buch trägt erheblich zum Verständnis der Opposition in der DDR im zeitlichen Vorfeld der Massenproteste vom Herbst 1989 bei. Insbesondere die Verschränkung von Aufbegehren einerseits und staatlicher Repression andererseits wird noch einmal deutlich vor Augen geführt. Das besondere Verdienst liegt jedoch darin, dass es erstens die technischen Bedingungen und politischen Kontexte von Repression systematisch mit einbezieht und zweitens die Verarbeitung von geheimpolizeilichen Informationen mit in den Blick nimmt. Das ist ein Themenkomplex, von dem man sich wünschte, dass sich die Forschungsabteilung der Stasiunterlagenbehörde, in der dieses Buch entstanden ist, ihm systematischer zuwenden würde. Gelegentlich wäre eine synthetisierende Verdichtung der Texte und die stärkere Orientierung am roten Faden sinnvoll gewesen. Ob der ausführliche Dokumentenanhang (zumeist Verschriftlichungen von Abhörprotokollen) zur weiteren Verbreitung und intensiveren Nutzung auch außerhalb von Forschungskontexten nicht besser, mit einer Datenbank hinterlegt, im Internet aufgehoben wäre, ist eine andere Frage – aber das ließe sich ja noch nachholen. Gerade im beginnenden Jubiläumsjahr ist das Buch sicherlich noch und wieder eine lohnende Lektüre.