Cover
Titel
Alcohol. A History


Autor(en)
Phillips, Rod
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 28,70
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Welskopp, Geschichte moderner Gesellschaften, Universität Bielefeld Email:

Im Begleitinterview zu diesem Band reklamiert der Verlag Rod Phillips’ Überblick über mehr als 3.000 Jahre weltweiten Konsums berauschender Getränke als „die erste Kulturgeschichte des Alkohols“. Das ist ein großer Anspruch, denn in der Kulturgeschichte vieler Länder hat der Alkohol schon seit mehreren Jahrhunderten eine wichtige Rolle gespielt. Man könnte vielleicht mit Recht eher vom ersten Versuch einer langfristig angelegten Globalgeschichte der flüssigen Rauschdroge sprechen, was denn auch sofort auf die Probleme eines solchen Unterfangens verweist. Denn der Stoff, aus dem die Träume sind – und viele Albträume – erweist sich letztlich als zu dünn, um eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, in der es andere und längere Verbindungslinien zwischen den Epochen gibt als die Aufeinanderfolge einer Chronologie, die sich von der Zeit vor dem klassischen Altertum bis in die neueste Zeit mit ihren Erscheinungsformen wie dem jugendlichen „binge drinking“ und „driving under the influence“ erstreckt. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass der Alkohol in den verflossenen und heutigen Gesellschaften vielfältig präsent ist: in Recht und Regulation, in Wirtschaft und Werbung, in der hohen Kultur der Staatsbankette wie den diversen Jugendkulturen, in Sitten und Gebräuchen wie dem „Ballermann“ oder der „Spring Break“, in religiösen und Hygiene- und Gesundheitsdiskursen. Diese zahlreichen Facetten sind, obwohl Rod Phillips sich darum bemüht, schwerlich in ähnlicher Intensität über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg zu erfassen, sodass sich fast notwendig, soll das Unternehmen nicht einen enzyklopädischen Anspruch verfolgen, der sich allein durch die disparate Quellenlage verbietet, ein pointilistischer Eindruck ergibt. Das wird dann noch einmal verstärkt durch Rod Phillips’ an sich verdienstvolles Bemühen, nicht nur auf den Westen oder gar nur die USA zu schauen, sondern eine globale Perspektive einzunehmen, wo immer dies die Überlieferung erlaubt.

Das sind unter dem Strich freilich für eine konzise Gesamtdarstellung allzu viele Gesichtspunkte, zwischen denen der Text dann hin und her springt und ein Unterthema, eine Zeit oder einen Ort gern dort bereits wieder verlässt, wo es beginnt, eigentlich interessant zu werden. Rod Phillips schreibt süffig, das ist ohne Zweifel, und da er einem Gläschen hier und da selbst nicht abgeneigt scheint – jedenfalls widmet er das Buch seiner Frau, die ebenso viele Drinks mit ihm geteilt wie Archive gemeinsam besucht habe –, ist seine Herangehensweise entspannt und wohltuend unideologisch. Doch auch das verhilft dem Band gerade nicht zu größerer innerer Einheit in der Interpretation, sondern öffnet einem noch nicht einmal hedonistischen Gestus des „Schauen wir mal, was es alles gegeben hat“ die Ventile, dem man als Konsument wahrscheinlich am besten lustvoll blätternd am weihnachtlichen Kamin, Whiskyglas in der Hand, gerecht wird. Für interessierte Leser, die nicht vom Fach sind, birgt diese Alkoholgeschichte perlende Anekdoten aus der gesamten Zeit der geschriebenen Menschheitsgeschichte und staunenswerte, punktuelle Fakten, mit denen man am nächsten Stammtisch – so weit es den noch gibt – glänzen kann. Für die Spezialisten kann das Buch zuweilen eher ärgerlich sein, weil es für Vergleiche über den eigenen Untersuchungsbereich hinaus zu oberflächlich und sprunghaft ist und für den eigenen Zuständigkeitsbereich viele Lücken aufweist, mangelnde Literaturkenntnis an den Tag legt und fehlerhaften Interpretationen aufsitzt – wie sollte es bei einer Darstellung mit einer solchen zeitlichen und räumlichen Erstreckung auch anders sein, will sie nicht in Tausende von Seiten aufschäumen?

Ein gutes Beispiel dafür ist die National Prohibition in den USA, das konstitutionelle Alkoholverbot, das von 1920 bis 1933 Bestand hatte. Rod Phillips will in seinem Kapitel zu staatlichen Alkoholverboten, die sich tatsächlich in der Zwischenkriegszeit häuften, den Blick auch auf andere Versuche lenken, den Alkoholkonsum ganz oder zumindest großenteils durch staatliche Intervention und rechtliche Bestimmungen zu unterbinden. Das gilt vor allem für die nachrevolutionäre Sowjetunion, die ein im Ersten Weltkrieg erlassenes zaristisches Alkoholverbot gewissermaßen ideologisch umdeutete, aber auch für Länder wie Finnland und Schweden, Kanada oder Mexico. Aber so wichtig diese Weiterung des Blicks von der Fixierung auf die amerikanische Prohibition auch ist, so sehr wirkt das Kapitel letztlich wie eine Trivialisierung der Lage in den USA, die von den Folgen des gesetzlichen Alkoholverbots in den 1920er-Jahren regelrecht zerrissen wurden, mit solchen gravierenden sozialen, kulturellen und politischen Konsequenzen, wie sie nicht auch nur im Entferntesten andere Prohibitionsländer erlebt haben dürften. Man könne letztlich nicht beurteilen, ob die Prohibition in den USA gescheitert oder als bescheidener Erfolg zu gewichten sei, sagt Rod Phillips und unterschlägt dem Leser dabei das doch eindeutige und von der Beweislage kaum bestreitbare Urteil in der Forschungsliteratur, die er lediglich in homöopathischen Dosen zur Kenntnis genommen hat. Daraus ergeben sich auch gravierende Fehldeutungen – die überragende Bedeutung des Schmuggels für die illegale Alkoholversorgung für das Amerika der Prohibitionszeit heute noch zu behaupten, ist ein Anachronismus, tatsächlich kamen selbst in den Hochzeiten des illegalen „kleinen Grenzverkehrs“ nie mehr als zwei Prozent des im Inland konsumierten Stoffes aus anderen Ländern –, die eine realistische Einordnung dieses amerikanischen Sonderphänomens jedenfalls nicht befördern.

Die Erschließung über die langfristige Kontinuität des Alkohols als eines umstrittenen Phänomens in vormodernen und modernen Gesellschaften gelingt nicht. Für die frühe Zeit folgt dann Rod Phillips auch, wie er selbst zugesteht, den eingefahrenen Periodisierungen, und die Kapitel bis zum Einsetzen der Neuzeit erstrecken sich denn zwangsläufig über Jahrhunderte, während die Taktung für die Moderne fast der Natur der Sache und der Quellenlage folgend, wesentlich enger wird. Mit eigenen Schlussfolgerungen hält sich der als Weinhistoriker hervorgetretene Verfasser – der dann auch über Wein am kompetentesten berichten kann und von dorther seine Kompetenzen in der Antike bezieht – wiederum arg zurück, sein Fazit bleibt trocken und ernüchternd. Eine Konstante sei die Dialektik zwischen der Ausbreitung und Förderung des Alkoholkonsums und seiner Regulation bzw. der Bekämpfung seiner Auswüchse gewesen. Der Gender-Aspekt scheint sich durch die Geschichte des Alkohols hindurchzuziehen, die Bekämpfung weiblichen Alkoholkonsums seit der Antike, mit unterschiedlichen Argumenten, die sich in der früheren Zeit auf die sexuelle Kontrolle über Frauen konzentrierten, in späteren Jahrhunderten auf die Rolle der Frau als Mutter. Das beinhaltete ebenso eine restriktive Politik gegenüber dem Alkoholgenuss von Kindern, wobei natürlich die Altersgrenzen der Kindheit bis ins 19. Jahrhundert sehr weit vorgeschoben blieben. Die Gender-Orientierung der Alkoholregulation soll sogar lange Zeit den Einsichten gegenüber, dass Alkoholgenuss gesünder sei als das Trinken des bis ins 19. Jahrhundert hinein gesundheitlich unsicheren Wassers, die Oberhand behalten haben: „Man war lieber ein Witwer als ein Gehörnter.“ (S. 320) Was die absoluten Größenordnungen des Alkoholkonsums angeht, verweist Rod Phillips auf die Unmöglichkeit verlässlicher Statistiken, die wohl systematisch, das ist glaubhaft, die Möglichkeiten der Armen und Unterprivilegierten, sich überhaupt regelmäßig Alkohol zu verschaffen, nicht in Betracht ziehen und deshalb den Durchschnittskonsum pro Kopf in den tatsächlich im Zentrum stehenden mittleren und oberen Gruppierungen untertreiben. Anzeichen mehren sich, dass viele Gesellschaften heutzutage in das Zeitalter einer „post-alcohol society“ eingetreten seien, in der aber nur andere Rauschmittel – hier wird die schleichende Vergiftung zunehmend fettsüchtiger Jugendlicher durch hoch zuckerhaltige Getränke ignoriert – an die Stelle des flüssigen Nervengifts träten.

Gerauscht wird immer und gegen alle Widerstände, ist die libertäre Botschaft dieses Buches. Es ist unterhaltsam, aber kaum analytisch wertvoll, und es eignet sich auch wenig als Nachschlagewerk für entlegene Fakten. Letztlich: wenig berauschend.

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