Als das Osmanische Reich in der Mitte des 17. Jahrhunderts europäischen Kaufleuten den Direktimport von Salz aus Nordafrika ermöglichte, stieg auch die Zahl schwedischer Handelsschiffe im Mittelmeer rasant an. Durch neue Handelskontakte und intensivierte diplomatische Beziehungen zum Osmanischen Reich und der sogenannten „Barbarenküste“ fand ein kultureller Austausch statt, der das Bild des „Orients“ in Schweden für lange Zeit prägte. Die Jagd nach dem billigen Salz, das in Nordeuropa zur Konservierung von Lebensmitteln unentbehrlich war, forderte jedoch ihren Tribut: Mehrere Tausend schwedische Seemänner wurden zwischen 1650 und 1770 von nordafrikanischen Korsaren gefangen genommen und versklavt. Das Risiko der Versklavung war zu damaliger Zeit offenbar hinreichend bekannt, blieb in der historischen Forschung jedoch lange Zeit unbeachtet. Eine weitere Folge der neuen Handelsbeziehungen nach Nordafrika stellte die aktive Beteiligung Schwedens am Sklavenhandel auf dem Mittelmeer dar. Im Dienst des Osmanischen Reiches transportierten Schiffe unter schwedischer Flagge neben Waren auch Sklaven aus Schwarzafrika von der nordafrikanischen Küste zum osmanischen Mutterland oder nach Südeuropa.
Diesen Entdeckungen widmet sich der Historiker Joachim Östlund von der Universität Lund im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts, das sich schwerpunktmäßig mit den schwedischen Kontakten zum Osmanischen Reich in der Frühen Neuzeit auseinandersetzt. Die Ergebnisse seiner akribischen Auswertung von Briefen, diplomatischer Korrespondenz, Zeitungsartikeln, Predigten, Abenteuererzählungen und Seemannsliedern fasst Östlund in seiner Monografie „Saltets pris. Svenska slavar i Nordafrika och handeln i Medelhavet 1650–1770“ zusammen („Der Preis des Salzes. Schwedische Sklaven in Nordafrika und der Handel im Mittelmeer 1650–1770“). Ausgehend von früheren Studien zum Sklavenhandel im Mittelmeer und den historischen Entwicklungen in den osmanischen Provinzen Algerien, Tunis und Tripolis sowie dem Sultanat Marokko zeigt das vorliegende Werk aus einer globalhistorischen Perspektive die vielfältigen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zweier so verschiedener Regionen wie Nordafrika und Schweden. Mit dieser Thematik trägt die Monografie einen wichtigen Baustein zur internationalen Forschungslage bei, die schwedische Forschung hat sich dem Osmanischen Reich und dem Sklavenhandel im Mittelmeer bisher jedoch eher am Rande angenommen. Ausnahmen sind beispielsweise Untersuchungen von Dick Harrison, Eskil Borg oder Gustaf Fryskén1, auf deren Erkenntnissen und Theorien Östlund aufbaut.
Das Werk teilt sich in fünf Untersuchungsabschnitte, die durch die Leitfrage nach dem Leben versklavter schwedischer Seemänner in Nordafrika und den Versuchen ihres Freikaufes verbunden sind. Im ersten Kapitel rekapituliert Östlund die Geschichte der osmanischen Provinzen in Nordafrika und skizziert die Hintergründe, Vorgehensweisen und Folgen der Seeräuberei für diese Region. Davon ausgehend widmet er sich, in einer breitangelegten Analyse teilweise erstmalig untersuchter Quellen, der Frage, was es für die Betroffenen bedeutete, Sklave in Nordafrika zu sein, welchen gesellschaftlichen Status sie besaßen und auf welche Weise Kontakt zur Heimat aufgenommen wurde. Briefe an Familie und Behörden in Schweden, politische Kontakte durch die Einrichtung schwedischer Konsulate und des Kommerzkollegiums in Stockholm sowie Sklaven- und Freikauflisten machen den Großteil der untersuchten Quellen aus.
Im zweiten Kapitel werden die Strategien, Bemühungen und möglichen Erfolge des schwedischen Staates beleuchtet, mithilfe diplomatischer Verhandlungen und Geldzahlungen Untertanen freizukaufen. Wer die Verantwortung für das Schicksal der Sklaven trug und wie sich die diplomatischen Kontakte Schwedens zu dem muslimisch geprägten Nordafrika vor diesem Hintergrund entwickelten, sind die Kernfragen dieses Kapitels. Einer großen Bedeutung im Kampf gegen Seeräuberei und dem Freikauf von europäischen Sklaven kam laut Östlund die Zusammenarbeit Schwedens mit anderen europäischen Ländern zu, aber auch das Engagement von Einzelpersonen wie Reisende, Kaufleute oder Konsuln. Im Vordergrund stand dabei stets das gute Verhältnis zum Osmanischen Reich, das als Voraussetzung für die Expansion des schwedischen Handels betrachtet wurde.
Wie schwedische Behörden und gesellschaftliche Einrichtungen wie die Kirche auf die Herausforderung reagierten, und mit welchen Mitteln sie ihre Landsleute in nordafrikanischer Gefangenschaft unterstützten, ist Gegenstand des dritten Kapitels. Besondere Beachtung verdient Östlunds Analyse der Sklavenfrage als Völkerrechtsfrage, die zeigt, dass Zeitgenossen die Sklaverei nicht nur als individuelles Schicksal verstanden, sondern zunehmend auch als politische Aussage. Als problematisch stellt Östlund die unscharfe Trennungslinie zwischen Gefangenschaft und Sklaverei heraus, welche die diplomatischen Bemühungen um einen Freikauf häufig erschwerten. Die vielfältigen Kontakte, die sich aus der Bemühung um eine Lösung der Sklavenfrage nach Nordafrika ergaben, hatten laut Östlund auch Einfluss auf die schwedische Gesellschaft: „Zahlreiche Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen engagierten sich: die Lokalgesellschaft, Kirchenversammlungen, Magistrate, Provinzialregierungen, Seemannshäuser, die Admiralität, die Königsmacht und viele mehr.“ (S. 186)
Der vierte Abschnitt beleuchtet die Einrichtung von schwedischen Konsulaten in Nordafrika und untersucht deren Positionen und Möglichkeiten in der Ökonomie des Sklavenfreikaufs und im transmediterranen Sklavenhandel. Dank der ausführlichen Dokumentation durch schwedische Konsulatsmitarbeiter gelingt es Östlund, ein detailliertes und lebendiges Bild der nordafrikanischen Sklavenwirtschaft und des Alltagslebens europäischer Sklaven zu zeichnen. Im Vordergrund des Kapitels steht jedoch die aktive Beteiligung Schwedens am transmediterranen Sklavenhandel durch den Transport schwarzafrikanischer Sklaven auf schwedischen Schiffen: Diese Entdeckung ist zugleich eine der wichtigsten Erkenntnisse in Östlunds Monografie, gibt sie doch einen wichtigen, bisher unbekannten Beitrag zur Kolonialgeschichte sowohl des Osmanischen Reiches als auch Schwedens. Durch die dürftige Quellenlage zum subsaharischen Sklavenhandel vermag es Östlund nicht, ein vollständiges Bild der schwedischen Beteiligung am Sklavenhandel zu geben, bietet jedoch Raum für weiterführende Forschungsprojekte. Hervorzuheben ist seine Schlussfolgerung, dass im 17. und 18. Jahrhundert in Schweden ein Sklavenbegriff vorherrschte, der direkt an die politischen Konflikte in Nordafrika geknüpft war: „Nach diesem Verständnis war die Sklaverei das Resultat eines feindlichen Überfalls durch nordafrikanische Korsaren. Sie wurde weder mit Ethnizität oder Hautfarbe verknüpft, sondern war allein das Ergebnis unglücklicher Umstände.“ (S. 323)
Im letzten Kapitel stellt Östlund die zeitgenössische schwedische Sicht auf Nordafrika anhand unterschiedlicher Schriftstücke und Medien heraus. Die Analyse zeigt, dass schwedische Zeitungsleser und vermutlich auch die einfache Bevölkerung über die Sklaverei im Mittelmeer im Bilde waren, dies jedoch nur einen geringen Einfluss auf die schwedische Wahrnehmung des Osmanischen Reiches insgesamt ausübte, welches im 17. und 18. Jahrhundert vornehmlich positiv betrachtet wurde. Die These Edward Saids2, dass die europäischen Länder einen eurozentrischen und kulturell überlegenen Blick auf das Osmanische Reich gehabt hätten und sich in Polarität zu diesem betrachteten, lehnt Östlund ab. Stattdessen präsentiert er Nordafrika überzeugend als einen bedeutenden Treffpunkt zwischen Afrika, Asien und Europa, in welchem neben anderen europäischen Ländern auch Schweden intensiv eingebunden war.
Der Analyse folgt ein zusammenfassendes Fazit und eine umfassende Auflistung der verwendeten Quellen und Literatur. Positiv hervorzuheben ist eine Liste von 181 namentlich bekannten schwedischen Sklaven in Nordafrika, die Östlund im Rahmen seiner Archivuntersuchungen zusammenstellte und die einen Einblick in die Herkunft der Beteiligten geben können. Durch das Personenregister, welches das Werk abschließt, lassen sich die in den einzelnen Kapiteln genannten Einzelschicksale, Berichte, Positionen und Erfahrungen leicht nachverfolgen. Insgesamt betrachtet ist Östlund ein wichtiges und umfangreiches Werk zu einem bisher vernachlässigten, in Teilen sogar gänzlich unbekannten Themenbereich gelungen, das Anstoß gibt zu weiteren Forschungen über den Sklavenhandel im Mittelmeer – und möglichen Beteiligungen europäischer Staaten. Die Monografie vermag mit ihrer ambitionierten Quellenauswertung und Interpretation das gängige Bild der Beziehungen zwischen Schweden und dem Osmanischen Reich um wesentliche Komponenten zu erweitern.
Anmerkungen:
1 Dick Harrison, Slaveri. En världshistoria om ofrihet. 1500–1800, Lund 2007; Eskil Borg, Svenska konsuler och slavar i Barbareskstaternas Tripoli: en studie i makt, girighet, våld och förtryck, Kristianstad 1987; Gustaf Fryskén, I skuggan av global rivalitet och maritim handel. Svenska sjömän i marockansk fångenskap, 1754–1763, Diss. Univ. Lund, 2011.
2 Edward Said, Orientalism, New York 1978.