S. Lehmann (Hrsg.): Authentizität und Originalität

Cover
Titel
Authentizität und Originalität antiker Bronzebildnisse. Ein gefälschtes Augustusbildnis, seine Vorraussetzungen und sein Umfeld


Herausgeber
Lehmann, Stephan; Archäologisches Museum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Erschienen
Dresden 2015: Sandstein Verlag
Anzahl Seiten
260 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sascha Kansteiner, Sonderforschungsbereich Transformationen der Antike, Humboldt-Universität zu Berlin

Der anzuzeigende Band enthält die Beiträge eines „wissenschaftlichen Werkstattgespräches vom 5. Mai 2014“ sowie den Katalog der Halleschen Studioausstellung „Der falsche Augustus“.

Das erste, mit etwas mehr als sechs Seiten (S. 19ff.) gleichzeitig das längste Kapitel des Buches, wird seiner Bezeichnung als „Einleitung“ nicht ganz gerecht, da Bronzebildnisse in ihm nur am Rande besprochen sind. Es handelt sich vielmehr um eine Art Einleitung zum Thema Skulptur mit einem Schwerpunkt auf antiken Großbronzen. Eigentlich hätte am Anfang des Buches thematisiert werden müssen, warum bei der Beschäftigung mit Porträts, deren Datierung umstritten ist, einem bestimmten Material, Bronze, eine maßgebliche Rolle zuerkannt wird. Für die Herstellung von Porträts haben, sowohl in der Antike als auch in der Nachantike, außer Bronze vor allem Marmor und andere Gesteinsarten wie Grauwacke und Porphyr Verwendung gefunden. Und von einigen der im Katalog behandelten Stücke, etwa vom Porträt Alexanders des Großen, sind es gerade marmorne Fassungen, bei denen die Authentizitätsfrage noch schwerer zu entscheiden als bei den Bronzeköpfen dieses Mannes, was damit zusammenhängt, dass nur für die wenigsten der bis heute bekannt gewordenen Marmorköpfe Alexanders Informationen zur Herkunft vorliegen. Vom Alexander in Erbach beispielsweise weiß man lediglich, dass er im Jahr 1791 als „bellissima testa d’Ales(s)andro intierissima“ bei Vincenzo Pacetti in Rom erworben worden ist.

Unklar bleibt auch, welche Relevanz die Mixtur aus Tagung und Ausstellung eigentlich für das Fach, das Lehmann vertritt (Klassische Archäologie), besitzen soll. Die einleitend (S. 9) angesprochene „wissenschaftlich prekäre Situation“, die durch die Aufstellung von Pseudoantiken in öffentlichen und privaten Sammlungen entstehe, ergibt sich aus den von Lehmann ausgewählten Stücken keineswegs: Nicht einmal dem bemerkenswerten Stück, dem Porträt Alexanders (Kat. 5), ist es geglückt, in wissenschaftlichen Abhandlungen Berücksichtigung zu finden, was Lehmann selbst auf Seite 82 und 182 ausdrücklich hervorhebt; andere Köpfe sind längst als neuzeitliche Arbeiten erkannt worden (z.B. Kat. 1). Und bei irgendwelchen Privatporträts ohne Provenienz (z.B. Kat. 32) ist nun wirklich nicht zu befürchten, dass sie jemals irgendwo archäologische bzw. kunsthistorische Forschungen beeinflussen könnten. Auch der immer wieder als „herausragendes Stück“, als „fast perfekte Fälschung“ und als „meisterlich gefälscht“ angepriesene Augustus, um den sich die Kabinett-Ausstellung eigentlich dreht, ist weit davon entfernt, die Erschließung des antiken Augustus-Porträts in irgendeiner Weise zu gefährden. Dem mit der Autopsie antiker Skulpturen vertrauten Auge wird der erstmals im Jahr 1992 bezeugte, vergleichsweise kleine Kopf (die Höhe beträgt ohne den Hals 22 Zentimeter) wegen seiner eigentümlich spannungslosen und von einer unsicheren Hand zeugenden Formgebung keinerlei Kopfzerbrechen bereiten. – Interessant wäre es für den Leser gewesen, nochmals die Argumente vorgeführt zu bekommen, die es erlauben sollen, die wichtigsten Stücke der Publikation, die Porträts Alexanders (Kat. 5–6), mit Gewissheit im 20. Jahrhundert zu verorten. Lehmann beschränkt sich an dieser Stelle (S. 81f.) jedoch auf einen Verweis auf frühere Untersuchungen und den Abdruck einer durchaus skeptischen Beurteilung seines 2009 erschienenen Alexander-Heftes, die Brunilde Sismondo Ridgway verfasst hat (S. 92).

Auch bei der Vorstellung anderer exzeptioneller Bronzen, etwa einer Statuette der Artemis (ehemals in Buffalo; S. 24 Abb. 19), begnügt sich Lehmann mit Andeutungen: „Klärung könnten vielleicht Material- und Patinauntersuchungen bringen“. Hier hätte der Leser darüber informiert werden müssen, in welchem Verhältnis die Figur zu anderen großen Bronzestatuetten (der Artemis) steht und ob bzw. wie sie in der Forschung diskutiert worden ist. An die Stelle von spannenden Diskussionen von Skulpturen, deren Datierung umstritten ist, treten in Lehmanns Band diverse Essays, die der Veröffentlichung den heutzutage fast unvermeidlichen fächerübergreifenden Rahmen geben sollen. In einem Band, in dem es vor allem um Porträts aus Bronze geht, sind Ausführungen „Zur ästhetischen und wissenschaftlichen Bedeutung der Unterscheidung von Original, Kopie und Fälschung“ (Beitrag Jens Kulenkampff; S. 46–51), die sich auf neuzeitliche Gemälde konzentrieren, jedoch nur von geringem Nutzen. Ähnliches gilt für den Beitrag von Dagmar Stutzinger, in dem unter anderem Methoden der naturwissenschaftlichen Untersuchung von Denkmälern ganz unterschiedlicher Gattungen vorgestellt werden (S. 108–111). Pascal Weitmanns Beitrag zu Metakunst (S. 57–60) ist wortgleich bereits im April 2015 an anderer Stelle erschienen, was eines Hinweises seitens des Herausgebers wert gewesen wäre. Die einzigen Beiträge, die das Thema des Buches unmittelbar betreffen, sind diejenigen von Harald Müller (S. 135–141) und von Uwe Peltz (S. 117–120). Während Müller auf der Basis naturwissenschaftlicher Untersuchungen zu zeigen versucht, dass die alt anmutende Oberfläche des Augustus nicht zur Gänze das Resultat natürlicher Korrosion sein kann, zeigt Pelz’ Besprechung des Goldenen Nero (S. 119f. mit Abb. S. 133), dass Beobachtungen zur Herstellungstechnik von Bronzen nicht immer endgültigen Aufschluss in der Frage antik oder nachantik? erbringen. Die Abteilung der Essays wird durch Überlegungen abgeschlossen, die Lehmann zu den Herstellern der in den Katalog aufgenommenen Köpfe angestellt hat (S. 180–183). Sie münden in die These, dass im „Spanish workshop“ mit einer Ausnahme (Kat. 1) keine Duplikate antiker Vorbilder produziert worden seien. Hier fehlt ein Hinweis darauf, dass Eberhard Paul bereits vor 35 Jahren die Existenz einer „spanischen Bildhauerwerkstatt“ postuliert hat (Eberhard Paul, Gefälschte Antike, Wien 1981, Abb. 158–160). Sie soll im frühen 20. Jahrhundert Porträtköpfe aus Porphyr hergestellt und dabei gleichfalls das Duplizieren vermieden haben.

Der „Katalog“ (S. 190–253) ist eigentlich nur eine Sammlung von Fotos von 32 Objekten, die gelegentlich mit Literaturangaben versehen sind, die wiederum nur ausnahmsweise eine wissenschaftliche Relevanz besitzen (Kat. 6, 11, 13 und 20). Besonders irritierend sind die wohl ausnahmslos falschen Datierungen, die lediglich ausdrücken sollen, wie die Händler das jeweilige Objekt datiert haben, bzw. einen Hinweis darauf geben, wann vergleichbare antike Werke entstanden ist. Bei Katalog 1, dem einzigen (!) Werk, bei dem das antike Vorbild bestimmt werden kann, fehlen Inventarnummer und Literatur zum Vorbild. Was diese Imitation mit den übrigen Stücken, die dem „Spanish workshop“ zugewiesen werden, zu tun haben soll, bleibt unklar (vgl. S. 182: „gleichsam aus der Findungsphase der Fälscherwerkstatt“). – Sinnlos ist die Wiederholung der spärlichen Informationen der einzelnen Katalogeinträge in englischer Sprache, die dem Umstand geschuldet ist, dass auch die einzelnen Kapitel des Bandes – für amerikanische Museen und Privatsammler? – in einer englischen Fassung präsentiert werden, die mit rund 60 Seiten etwa die Hälfte des gesamten Textteils einnimmt.

Bei der Lektüre des Bandes wird der Leser immer wieder mit Lehmanns persönlicher Auseinandersetzung mit dem Winckelmann-Museum konfrontiert (z. B. S. 168ff.), was nichts zur Frage der Authentizität von Bronzen beiträgt. Was am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass sich Lehmann über die Wichtigkeit der Möglichkeit der Autopsie auch nach vielen Jahren der Beschäftigung mit Fälschungen immer noch nicht im Klaren zu sein scheint. Wie, wenn nicht im Rahmen von Sonderausstellungen, soll denn ein Stück, das eine Reihe von Fragen aufwirft, angemessen beurteilt werden können? Dürfen Stücke ohne Fundort nur dann ausgestellt werden, wenn sie wie der Augustus auf den ersten Blick als Fälschungen zu erkennen sind?

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