Die antiautoritäre Bewegung der Jahre um 1968 hat in Forschung und Medien vielfältige Aufmerksamkeit gefunden. Jürgen Habermas sprach von der „Fundamentalliberalisierung“ der Bundesrepublik. Mehr als im politischen Feld gehörten Änderungen von Lebensstilen und gesellschaftlichen Umgangsweisen zu den Nachwirkungen, vor allem in den jüngeren Generationen. Eine emotions- und geschlechtergeschichtliche Perspektive verspricht daher einen wichtigen Erkenntnisgewinn über gesellschaftliche Wandlungsprozesse zur Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile und zu einer Ausdifferenzierung von Geschlechtervorstellungen. Die von Stefanie Pilzweger in einer politikwissenschaftlichen Dissertation verfolgte Ausgangsthese ist, dass eine solche Perspektive helfen kann, damals entstehende, neue Männlichkeitskonzeptionen zu identifizieren. Als theoretisches Rüstzeug benutzt sie das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, das von der australischen Soziologin Raewyn (früher: Robert) Connell sowie durch den Historiker Wolfgang Schmale definiert wurde.
Die ersten 90 Seiten sind der Fragestellung, dem theoretischen Konzept und einer allgemeinen Literaturdiskussion über das Phänomen ‚1968‘ gewidmet. Pilzwegers knappe Synthese lautet, dass unterschiedliche kulturelle „Männlichkeits- und Gefühlscodes“ in der Bundesrepublik konkurrierten, die „68er-Bewegung“ daher als „gesellschaftliche Subgruppe“ zu verstehen sei (S. 51). Ihre Untersuchungsgruppe schränkt sie auf den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und dabei besonders die Kommunen I und II ein. Einem spezifischen Generationsbegriff von ‚1968‘ steht sie kritisch gegenüber, da meist männliche Akteure im Nachhinein die Deutungshoheit über die Ereignisse zu erlangen gesucht hätten. Bei der Quellenauswahl sei daher besonders bei autobiographischen Rückblicken eine kontextualisierende Bewertung notwendig; Analysen nach „emotions- und geschlechterhistorischen Kriterien“ stellten hohe Anforderungen methodischer und quellenkritischer Art, um „zwischen den Zeilen“ lesen zu können (S. 85).
Der empirische Teil wird anhand von neun Oberbegriffen gegliedert: Utopie, Solidarität, Sprache des Protestes, Provokation, Generationenkonflikte, Psychoanalyse, Sexualität, Gewalt, Scheitern. Diese nicht näher begründete Auswahl verweist wohl darauf, dass es der Autorin vorrangig um die Funktion von Emotionen in politischen Kontexten geht. Die einzelnen Oberbegriffe werden in den Abschnitten noch weiter ausdifferenziert und jeweils in einem Zwischenresümee zusammengefasst. Anschaulich arbeitet die Autorin zum Beispiel die exkludierende Politsprache der meist männlichen Wortführer der Studentenbewegung heraus. Den schon im Titel angedeuteten Spannungsbogen zwischen „Gefühl und Revolution“ deutet sie mehrfach an, da die Revolutionsmetaphorik Disziplin forderte (und damit für die Autorin männliche codierte Verhaltensmuster wie Härte und Kampfbereitschaft), zugleich aber – wie an den Schriften Herbert Marcuses dargelegt – eine Kritik an Patriarchat und traditionellen Männlichkeiten Referenzen im SDS und den Kommunen fand. Die von Pilzweger formulierten Ergebnisse stehen in dieser Spannung. In der maskulin codierten Bewegung waren Emotionserlebnisse untrennbar mit „der Inszenierung männlicher Geschlechtszugehörigkeit verknüpft“ (S. 345), ihre Analyse habe gezeigt, dass die „68er-Generation als politischer Akteur nicht ausschließlich nach zweckrationalen Prinzipien“ handelte, sondern „maßgeblich von kollektiven Emotionen“ geprägt agierte (S. 346). Auch wenn zum Beispiel Reden über Gefühle gefordert wurde, blieben die Akteure – sie zitiert ausführlich aus den gut dokumentierten quälenden Gesprächskreisen der beiden Kommunen – in ihrer sozialen Praxis an männlich codierte Emotionen gebunden. Die letzte kollektive Emotion sei im Jahre 1969 das Gefühl des politischen Scheiterns gewesen.
Allerdings gewinnt Pilzweger diese Erkenntnisse eher aus der Literatur über ‚1968‘, weniger aus zeitgenössischen Quellen, und sie bearbeitet mit den beiden Berliner Kommunen zwar bekannte, aber nicht unbedingt typische Akteure, deren Zurechnung zum SDS zumindest im engeren Sinne fraglich erscheint. Diese Skepsis des Rezensenten nach den ersten hundert Seiten wird beim Lesen des empirischen Teils zu einer grundsätzlichen methodischen Kritik. Pilzweger hält sich nicht an die von ihr anfänglich formulierten Kriterien der Quellenanalyse. Wesentliches Material für ihre Darstellungen sind Zitate aus autobiographischen oder allgemeinen Rückblicken, nur sporadisch werden zeitgenössische Quellen herangezogen. Eingangs hatte sie zu Recht ‚1968‘ als Generationsbegriff als vor allem von späteren männlichen Akteuren formulierte Deutung kritisiert – davon ist allerdings im empirischen Teil nichts mehr zu finden. So basiert das Kapitel über Generationenkonflikte fast ausschließlich auf rückblickenden Feststellungen männlicher Autoren über Konflikte mit ihren Nazivätern. Daraus wird gefolgert, es handele sich bei einem Generationskonflikt um 1968 allein um einen zwischen Vätern und Söhnen, der sich aus der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit speise, die Mütter seien in „geschlechterstereotyper Weise“ ausgeschlossen worden (S. 350). Um einen kollektiven Gefühlshaushalt für eine ganze Bewegung zu konstatieren, reichen ihr wenige autobiographische Skizzen, die allerdings eben nicht kontextualisiert werden, und ein zeitgenössisches Flugblatt gegen die „Nazigeneration“, das viele Fäkalausdrücke enthält. Eine kritische Analyse der biographischen Selbstdeutungen erfolgt nicht.
Auch bei den anderen Kapiteln besteht die vorrangige Materialgrundlage aus autobiographischen Rückblicken, zumeist von Männern, Quellen also, die hervorragend dafür geeignet wären, zu interpretieren, wie ehemalige Akteure ihre Vergangenheit ausdeuten. Die von Pilzweger herausgearbeiteten Ermächtigungen und Allmachtsphantasien waren auch Teil von jugendlichen und jungerwachsenen Erfahrungen – die Kategorie Jugend nutzt sie jedoch nicht. Eine Emotionsgeschichte von ‚1968‘ wäre ein gewinnbringender Teil einer solchen Analyse. Weibliche Autorinnen kommen dagegen nur selektiv vor. Zitate aus einem Buch von Ulrike Heider werden dazu genutzt, unromantisches Verhalten von Männern zu skizzieren (S. 264). Heider spiegelt aber die Vielfalt von biographischen Verarbeitungen wider, verteidigt sie doch gerade die sexuelle Befreiung der Bewegung.1 Die Darstellung im Buch bleibt stereotypen Deutungen verhaftet, wo differenzierte Darstellungen und Abwägungen notwendig gewesen wären. Diese methodischen Schwächen möchte ich an zwei Beispielen aufzeigen.
Im Abschnitt zur Solidarität zitiert die Autorin Cordt Schnibben, der 2002 einen Text im Spiegel über seine Zeit in der Bremer Schülerbewegung schrieb, um eine „Gemeinschaftssehnsucht“ zu skizzieren. Schnibben nennt „San Francisco, Havanna oder Paris“ als Orte, in denen er damals überall Mitkämpfer vermutete. Pilzweger hält es für notwendig, Schnibben für die Nennung der drei Orte zu kritisieren, denn „die nationalpolitischen Spezifika der genannten Länder und die Verschiedenheit der aufbegehrenden Protagonisten verschwimmen in Schnibbens Aussage“ (S. 129). Warum der Journalist Schnibben über dreißig Jahre später nur eingängige Ortsmarker suchte, nicht analytische Präzision, und was und ob über Emotionshaushalte der späten 1960er-Jahre daraus etwas zu lernen ist – diese naheliegende Frage bleibt unbeantwortet.
Nicht überzeugend ist auch ein kurzer Abschnitt zu Musik, die als Emotionsverstärker und Distinktionsmittel in jugendkulturellen Vergemeinschaftungen eine wichtige Rolle spielte. Pilzweger nennt aber nur die Internationale und ein vom AStA München in einem Liederbuch abgedrucktes Lied von Ernst Busch (der als „sozialistischer Schauspieler und Sänger“ eher undeutlich charakterisiert wird) über Solidarität mit Schwarzen als Beleg dafür, dass die emotionale Solidarität sich nur auf Männer bezog und – dafür druckt sie die erste Strophe der Internationalen ab – die Texte „Kampfeslust und Revolutionseuphorie“ (S. 122) auslösen sollten. Ob es überhaupt entsprechende Praktiken gab, erfährt man nicht, stattdessen werden autobiographische Rückblicke unmittelbar als Beleg für Vergangenes genommen oder wenige Textquellen als pars pro toto kollektiver Sehnsüchte und Gefühlshaushalte gelesen.
Weitere wenig überzeugende Wertungen runden das unbefriedigende Bild ab. So meint Pilzweger mehrmals, dass mit dem Schlagwort der ‚internationalen Solidarität‘ eine Gemeinschaftssehnsucht verbunden gewesen sei, in der sich die zerstrittenen Fraktionen der Neuen Linken zusammenfinden konnten. (S. 347) Welche Fraktionen bestanden, die sich verbrüderten, oder welche öffentlichen Gelegenheiten denn genutzt wurden, wird von Pilzweger nicht thematisiert. Allerdings gibt es für diese Wertung realgeschichtlich auch keine Grundlage. Durch ihre Konzentration auf die beiden Kommunen und den Berliner SDS übersieht sie vollständig die Auseinandersetzung zwischen dem antiautoritären und traditionalistischen Flügel im SDS, von Gewerkschaften oder anderen undogmatischen Linken ganz zu schweigen. Die ganze Breite der Forschung zu anderen Orten und Gruppen, die eben nicht alle in Berlin angesiedelt waren, nimmt Pilzweger nicht zur Kenntnis.
Es ist bedauerlich, dass die Potentiale und Chancen einer emotions- und geschlechtergeschichtlichen Perspektive hier fast vollständig zu Gunsten stereotyper und oberflächlicher Deutungen verschenkt werden. Eine historisch fundierte Darstellung der Emotionsgeschichte der 68er-Bewegung steht daher noch weiter aus.
Anmerkung:
1 Ulrike Heider, Keine Ruhe vor dem Sturm, Hamburg 2002 sowie dies., Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt, Berlin 2014.