Cover
Titel
Der Drehbuchautor. USA – Deutschland. Ein historischer Vergleich


Autor(en)
Scholz, Juliane
Reihe
Histoire 86
Anzahl Seiten
412 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andre Dechert, Institut für Medien, Wissen und Kommunikation, Universität Augsburg

Im Mittelpunkt von Juliane Scholz’ in überarbeiteter und aktualisierter Form veröffentlichter Dissertationsschrift stehen nicht Schauspieler/innen oder Regisseur/innen, die Stars der Filmwirtschaft. Sie fokussiert vielmehr eine Berufsgruppe, die oftmals im Schatten ihrer berühmteren Kolleg/innen stand bzw. steht und doch von essentieller Bedeutung für die Filmbranche ist: die Drehbuchautor/innen. Das Interesse der Kultur- und Medienwissenschaftlerin Scholz gilt der Frage nach der Entwicklung dieser Profession in Deutschland und den USA im Laufe des 20. Jahrhunderts. Ihr Ziel ist es, die Geschichte der Drehbuchautor/innen in vergleichender Perspektive „als Entfaltung eines spezialisierten, modernen Kreativberufs an der Schnittstelle von Ökonomie und Kultur“ (S. 12) zu erzählen. Die Autorin definiert dabei den Begriff Drehbuchautor/innen weit als „alle schriftstellerischen Tätigkeiten, die dem Zweck der Stoffentwicklung eines Films dienen“ (S. 16), um den Wandel des Berufsfeldes in seiner Komplexität aufzeigen zu können. Der Vergleich diene nicht nur dazu, Transferprozesse herauszuarbeiten. Es solle so auch der Kontrast zwischen der Entwicklung in den demokratisch verfassten USA und einem kontinentaleuropäischen Land analysiert werden, dessen Geschichte im 20. Jahrhundert durch verschiedene politische Systeme geprägt war.

Scholz nähert sich ihrem Thema über die historische Professionalisierungsforschung. Sie begreift Drehbuchautor/innen „als sozialen und kulturellen Akteur“ (S. 15) und betont, dass eine „sozialhistorische Erforschung des Drehbuchautorenberufes im 20. Jahrhundert [...] die sozialen und ökonomischen Strukturen, das Organisations- und Produktionssystem, die Arbeitsbedingungen und die Arbeitspraxis der Berufsgruppe behandeln“ (S. 17) müsse. Dementsprechend kreist ihre Monographie primär um die Frage, inwiefern sie als selbstbestimmte Berufsgruppe agieren konnten bzw. äußeren Einflüssen und Eingriffen unterworfen waren. Oder in Scholz’ Worten: „Es geht letztendlich [...] darum, mit welchen Strategien und Programmen er [der Drehbuchautor, A.D.] seine soziale Stellung, Prestige und wirtschaftliche Lage sowie sein Ansehen aufwertete, wie und warum er sich als erfolgreicher anerkannter Kulturberuf etablieren konnte oder ob dieses Ansinnen gescheitert ist.“ (S. 21)

Nach einer Einleitung, in der die Ansätze und Ziele der Studie teils knapp aber überzeugend dargelegt werden, widmet sich Scholz direkt der Geschichte des Berufes. Sie beschreibt zunächst im zweiten Kapitel jene Tätigkeiten in der Ära des Stummfilms, die als Vorläufer des heutigen Arbeitsfeldes zu betrachten sind, um sich dann im dritten Kapitel den Drehbuchautor/innen im Zeitraum von 1920 bis 1933 zuzuwenden: Sowohl in den USA als auch in der Weimarer Republik versuchten sie sich in diesem Zeitraum innerhalb kommerzieller Produktionssysteme als Berufsgruppe zu profilieren und zu positionieren, griffen dabei aber auf unterschiedliche Strategien zurück. Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang für die USA von einer „kollektiven, gewerkschaftsähnlichen Strategie“ und für die Weimarer Republik von einer „individuell künstlerischen Strategie“.

Diese beiden ersten thematischen Kapitel begreift Scholz trotz ihrer Länge von über 120 Seiten und dem damit verbundenen Reichtum der Information wohl als eine Art Hinleitung, stellt sie doch in der Einleitung fest, dass erst Kapitel 4 und 5 mit ihrem Fokus auf den Zeitraum 1933 bis 1945 den „Hauptteil der Studie“ (S. 29) bilden. Auf insgesamt etwa 100 Seiten kontrastiert sie dort die Erfolge von gewerkschaftlich organisierten Drehbuchautor/innen in den USA mit den Eingriffen des nationalsozialistischen Regimes und dem daraus resultierenden Einfluss auf das Berufsfeld in Deutschland. Während Drehbuchautor/innen in den USA bis in die späten 1940er-Jahre weiterhin austauschbare Teamarbeiter/innen waren, die keine Kontrolle über ihre Werke besaßen und mit gewerkschaftsähnlichen Strategien teils erfolgreich um bessere Arbeits- und Vertragsbedingungen kämpften, konnten sie in einem nationalsozialistischen Deutschland nicht länger als autonome Künstler/innen agieren. Sie waren, so sie denn nicht vor nationalsozialistischer Verfolgung, Willkür und Unterdrückung geflohen waren oder ihren Beruf zumindest nicht offen weiter ausüben konnten, opportunistische oder linientreue Auftragsarbeiter/innen. Warum Scholz Kapitel 4 und 5 allerdings als Hauptteil ihrer Studie positioniert, erschließt sich Leser/innen weder bei deren Lektüre noch im Gesamtkontext – die Monographie ist insgesamt als Längsschnittstudie angelegt.

In zwei weiteren Kapiteln wendet sich Scholz dem Zeitraum nach 1945 zu. Dabei analysiert sie den Beruf für die Bundesrepublik zunächst im Kontext der Entnazifizierung (Kapitel 6). Sie zeigt, dass der Beruf sowohl im geteilten Deutschland als auch in den USA durch politische und wirtschaftliche Eingriffe in das Arbeitsfeld bestimmt war und in Zeiten des Kalten Krieges im Zeichen einer durch den Systemkonflikt eingeschränkten Autonomie stand. Vor dem Hintergrund der Zerschlagung des Studiosystems galt die individuell-künstlerische Strategie US-amerikanischer Drehbuchautor/innen zunehmend als ernstzunehmende Alternative. Kapitel 7 behandelt den französischen Autorenfilm der späten 1950er- und der 1960er-Jahre und zeigt dessen Bedeutung für die USA und die Bundesrepublik auf. Die Autorin beschreibt hier in transnationaler Perspektive beeindruckend, wie der französische Autorenfilm den Beruf und vor allem sein Standing in Deutschland und den USA negativ beeinflusste – eine Entwicklung, die bis heute nachwirkt. Indem der / die Regisseur/in als eigentliche/r Autor/in des Filmes positioniert und so in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt wurde, erfuhren Drehbuchautor/innen einen „Status- und Prestigeverlust“ (S. 340).

Während die Studie als Gesamtüberblick über die Entwicklung des Berufes in den USA und Deutschland sehr überzeugt, stellt sich bei der Lektüre aber doch die Frage, ob der Ansatz, Drehbuchautor/innen als „sozialen und kulturellen Akteur“ (S. 15) zu begreifen, in der tatsächlichen Umsetzung nicht noch ‚aktiver‘ verfolgt hätte werden können. So ist es zwar plausibel und sinnvoll, im Rahmen einer Studie zur Professionalisierung eines Berufes diesen ‚kollektiv‘ in den Fokus zu nehmen, wie es Scholz unter anderem mit einem Blick auf Verbände und Gewerkschaften oder Ausbildungsangebote gelingt – auch wenn der Inhalt letzterer an der ein oder anderen Stelle hätte näher beschrieben werden dürfen (siehe beispielhaft S. 165–167). Andererseits kommen die Drehbuchautor/innen selbst in der Monografie wenig zu Wort. Hier hätte ein Ansatz die Studie bereichert, der – etwa durch den stärkeren Einsatz von Zitaten – ihre Agency stärker betont und den Aus- und Verhandlungscharakter kollektiver Überzeugungen und Ziele paradigmatisch verdeutlicht hätte. Der eingeschränkte Gebrauch direkter Zitate kann natürlich auch in der Quellenlage begründet sein. Diese wird in der Monographie jedoch nur äußerst knapp beschrieben (S. 30–31).

Insgesamt ist die Monografie auch abseits der historischen Professionalisierungsforschung als wertvoller Beitrag zu werten. Nicht nur im Forschungsfeld der transnationalen Medien- und Kommunikationsgeschichte allgemein, sondern vor allem auch in den Production Studies regt sie zu weiteren Arbeiten an. Ausgehend davon, dass hiermit auch eine Geschichte des Standings von Drehbuchautor/innen in der Filmwirtschaft vorliegt, kann sich die Forschung verstärkt der Frage nach den individuellen Handlungsspielräumen der Angehörigen dieser Berufsgruppe innerhalb spezifischer Produktionskontexte zuwenden – ein Desiderat, das generell in den Production Studies hervorgehoben wird.1 Scholz hat hierfür mit ihrer Geschichte der Professionalisierung des Drehbuchautor/innen-Berufes eine wichtige Grundlage geschaffen.

Anmerkung:
1 Amanda D. Lotz / Horace Newcomb, The production of entertainment media, in: Klaus Bruhn Jensen (Hrsg.), A Handbook of Media and Communication Research. Qualitative and quantitative methodologies, London 2012, S. 71–86, hier S. 71.