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Titel
Hitlers adliger Diplomat. Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich


Autor(en)
Büschel, Hubertus
Reihe
Die Zeit des Nationalsozialismus
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Fischer Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckart Conze, Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Der Herzog sei in „seinem guten Glauben, seinem aufrechten und edlen Sinn und seiner unerschütterlichen Treue missbraucht und schließlich im Stich gelassen“ worden, betonte der Dekan des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Coburg auf der Trauerfeier für den am 6. März 1954 verstorbenen Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Und der Kirchenmann, der sein Amt schon in der Zeit des Nationalsozialismus bekleidet hatte, vergaß nicht, seine Abscheu darüber zum Ausdruck zu bringen, „welche Schmach und welche Demütigung Seine Königliche Hoheit […] nach dem Zusammenbruch durch die brutale und rücksichtslose Siegermacht zu erdulden hatte“. So wurde der „Herzog von Coburg“, wie ihn die Nationalsozialisten nannten, posthum zum Opfer stilisiert, nachdem schon das 1950 abgeschlossene Entnazifizierungsverfahren in ihm lediglich einen Mitläufer und Minderbelasteten gesehen hatte. Weder die Geschichtsschreibung noch die lokale Öffentlichkeit interessierten sich in den folgenden Jahrzehnten sonderlich für den letzten Herzog des kleinen thüringischen Fürstentums. Ein Laienhistoriker aus der Coburger Honoratiorengesellschaft veröffentlichte 1977 eine über weite Strecken apologetische Biographie und bemühte dabei die in diesen Zusammenhängen stets beliebte Kategorie der Tragik.1 Dass Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha zwischen 1933 und 1945 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes gewesen war, wurde ihm lange Zeit eher zugutegehalten. Man hielt es dabei mit dem Schweizer Diplomaten und Völkerbundkommissar Carl Jakob Burckhardt, der dem Coburger Herzog schon während der Entnazifizierung ein humanitäres Engagement in den Kriegsjahren und eine zunehmende Distanzierung von Hitler und dem NS-Regime attestiert hatte. Erst die jüngere Forschung zum DRK hat hier ein kritischeres Bild gezeichnet, das allerdings mit Blick auf die nationalsozialistische Belastung Carl Eduards lediglich die Spitze eines Eisbergs freilegte.

Für Karina Urbach war Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha einer der in ihrer jüngsten Studie untersuchten „Go Betweens“, einer jener Hochadeligen, die nicht zuletzt auf Grund ihrer dynastischen Verbindungen immer wieder als Vermittler zwischen europäischen Regierungen wirkten, insbesondere im deutsch-britischen Kontext und auch in der Zeit des Nationalsozialismus.2 An der völkisch-nationalistischen Orientierung des Coburger Herzogs und seiner Nähe erst zum aufsteigenden Nationalsozialismus und dann zum NS-Regime und zu Hitler persönlich hat Urbach dabei keinen Zweifel gelassen. Hubertus Büschel, der jetzt die erste wissenschaftliche Biographie Carl Eduards vorlegt, schließt hier an, stellt sein Buch aber ausdrücklich in den Kontext der jüngeren Täterforschung. Denn als Täter wird Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha charakterisiert, als „Täter der zweiten Reihe“, wie der Verfasser es nennt, ein Begriff, den er leider kaum weiter ausbuchstabiert. Die Täterschaft, die Büschel dem Herzog zuschreibt, geht in seinen diplomatischen Missionen, offiziell oder inoffiziell, beauftragt oder auf eigene Initiative, nicht auf. Natürlich begegnet uns Carl Eduard auch bei Büschel als DRK-Präsident, der bis zum Ende des Krieges die nationalsozialistischen Verbrechen – von der „Euthanasie“ bis zum Holocaust – leugnete und ausländische Regierungen und internationale Organisationen zu beschwichtigen versuchte. Und auch seine Bemühungen, das NS-Regime in Großbritannien salonfähig zu machen, erhalten angemessenen Raum. Auf Grund seiner englischen Herkunft und seiner Zugehörigkeit zum englischen Königshaus – er war ein Enkel Queen Victorias – hielt nicht nur Carl Eduard selbst sich für geradezu prädestiniert, als deutsch-britischer Vermittler zu wirken. Auch Hitler, Goebbels und Ribbentrop sahen das so, genau wie wichtige Angehörige des Appeasement-Lagers in Großbritannien bis hin zu dem mit den Nationalsozialisten sympathisierenden kurzzeitigen König Edward VIII., der auch als Duke of Windsor in London eine einflussreiche Figur blieb.

Doch Büschel bleibt dabei nicht stehen, denn anders als es der Buchtitel nahe legt, war Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha nicht nur „Hitlers adeliger Diplomat“. Der angebliche „Mitläufer“ war SA-Obergruppenführer, Ehrenvorsitzender des NS-Kraftfahrkorps, Senator der gleichgeschalteten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Präsident der Deutsch-Englischen Gesellschaft, Mitglied des Aufsichtsrats wichtiger Banken und Unternehmen, nicht zuletzt im Rüstungsbereich. All diesen Organisationen und Institutionen verlieh er Glanz, ließ sie teilhaben an seinen transnationalen Netzwerken und seiner Nähe zu den Spitzen des NS-Regimes, zu Göring, Goebbels, Himmler und zu Hitler selbst. Die Kontakte des Herzogs zu führenden Nationalsozialisten reichten zurück in die 1920er-Jahre, in die Frühphase der NS-Bewegung, deren Aufstieg Carl Eduard zunächst mit distanzierter, noch abwartender Sympathie verfolgte, bald aber schon mit aktiver Unterstützung. Dass das ehemalige Residenzstädtchen Coburg in den Jahren vor 1933 zu einem Zentrum des völkischen Nationalismus und bald zu einer Hochburg des Nationalsozialismus wurde, lag auch an Carl Eduard. Der Beistand freilich, den er der NS-Bewegung gewährte, war Teil eines Geschäfts auf Gegenseitigkeit, eines Gabentauschs, von dem der letzte Coburger Herzog insbesondere nach 1933 selbst profitierte – auch finanziell.

Den privaten Herzog, wenn es ihn denn gegeben hat, mehr oder weniger ausblendend, schreibt Büschel zielstrebig auf 1933 zu. Nach den Motiven für die völkisch-radikale politische und ideologische Orientierung Carl Eduards fragt er nur in Ansätzen. Vermutlich hat hier eine Kombination mehrerer Faktoren die größte Erklärungskraft: ein auf den Ersten Weltkrieg und den deutsch-britischen Antagonismus zurückgehendes Bestreben des noch lange mit dem Stigma des „Engländers“ versehenen Herzogs, als vaterländisch zuverlässig zu erscheinen; die auch antisemitisch gedeutete Erfahrung von Revolution und Thronverlust 1918/19; die republikfeindliche Hoffnung auf eine Restauration der Monarchie, aber auch ein im deutschen Adel weit verbreitetes Führerideal, das nicht zuletzt in der faschistischen Diktatur in Italien einen wichtigen Referenzpunkt fand. All diese Aspekte tauchen in dem Buch auf, werden aber nur in Ansätzen systematisiert. Das hat wohl mit der Perspektivierung der Studie zu tun, die von Anfang an auf die Zeit des Dritten Reiches zusteuert und sich in erster Linie für den „Täter“ Carl Eduard nach 1933 und vor allem nach 1939 interessiert. Für diese Zeit freilich zeichnet der Verfasser auf breiter archivalischer Quellengrundlage (darunter das in den einschlägigen Beständen erstmals von einem Historiker konsultierte Hausarchiv der Stiftung Sachsen-Coburg und Gotha sowie die Royal Archives in Windsor) dann ein Bild des Herzogs, das seinen Anteil an den nationalsozialistischen Verbrechen klarer herausarbeitet und deutlicher beim Namen nennt, als es andere Arbeiten bislang getan haben.

Das ist zugleich mehr und weniger als eine „transnationale Kulturgeschichte der Diplomatie des Dritten Reiches“, wie Büschel seine Untersuchung einleitend charakterisiert. Mehr, weil es nicht nur um die im weitesten Sinne diplomatischen Aktivitäten des Herzogs geht und auch weil der Begriff „Kulturgeschichte“, selbst wenn er primär methodisch gemeint sein sollte, der Beteiligung Carl Eduards von Coburg an den NS-Verbrechen nicht gerecht wird; weniger, weil der diplomatiegeschichtliche Rahmen, in den der Verfasser den Herzog stellt, allenfalls angedeutet wird. Der kurze Hinweis auf „Das Amt und die Vergangenheit“3 reicht nicht aus, um die Entwicklung und Transformation von Diplomatie und Diplomaten in der Zeit des Nationalsozialismus so darzustellen, dass der Ort des Coburger Herzogs darin präzise erkennbar wird. Das Verhältnis von „Kulturgeschichte der Diplomatie“ und „Täterforschung“ – und in beide Forschungskontexte stellt sich der Autor – bleibt unterbestimmt. Fraglos steht auch die „diplomatische“ Karriere Carl Eduards für jenen – tatsächlichen oder vermeintlichen – Funktionsverlust der offiziellen Diplomatie, gegen den sich die Angehörigen des Auswärtigen Amtes nicht zuletzt durch jenen vorauseilenden Gehorsam zur Wehr setzten, der auch sie zu Mittätern machte. Aber das ist nur ein Aspekt.

Der noch immer nicht hinreichend untersuchten Adelsgeschichte des Dritten Reiches fügt Büschel eine wichtige Studie hinzu, die zusammen mit den Arbeiten von Karina Urbach und Jonathan Petropoulus4 vor allem die spezifische Entwicklung von Angehörigen des Hochadels klarer hervortreten lässt: eine wichtige Ergänzung zu den von Stephan Malinowski (im Kern allerdings nur bis 1933/34) untersuchten Vertretern des niedrigen Adels.5 Für beide Adelsgruppen kann mittlerweile der Zusammenhang zwischen Verlusterfahrungen und politischer Radikalisierung als etabliert gelten. Auch das zeigt das Beispiel Carl Eduards von Coburg, dessen Biographie in ihrer transnationalen Ausprägung freilich auch Auskunft gibt über die hohe Attraktivität von Faschismus und Nationalsozialismus im Adel und in den gesellschaftlichen Oberschichten überall in Europa. Vermutlich ist es auch diese Frage, die in jüngerer Zeit zu gleich zwei Studien über den Coburger Herzog Carl Eduard geführt hat: der englischsprachigen Studie von Karina Urbach und dem hier besprochenen Buch von Hubertus Büschel. Die zwei Arbeiten, jede für sich und beide zusammen, können sich eines auch über die Wissenschaft hinausreichenden Interesses sicher sein, und zweifellos vertragen Thema und Protagonist nach Jahrzehnten des Desinteresses, wenn nicht der Apologetik, nun auch zwei kurz hintereinander erschienene Werke. Für Konkurrenzgezänk gibt es da eigentlich keinen Anlass.6 Beide Bücher haben ihre Stärken, beide ihre Schwächen.7 Bei allen Überschneidungen, die sich zwangsläufig ergeben, setzen die Autoren unterschiedliche Akzente und rahmen ihre Untersuchungen ganz anders. In der Summe ergänzen sich deshalb beide Werke. Lokal, national und transnational: analytisch sind diese Ebenen nicht immer leicht zu verbinden. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ein biographischer Zugang die Verknüpfung ermöglicht. Auch deswegen reicht die Studie von Büschel über ihren Gegenstand hinaus.

Anmerkungen:
1 Rudolf Priesner, Herzog Carl Eduard zwischen Deutschland und England. Eine tragische Auseinandersetzung, Gerabronn 1977.
2 Karina Urbach, Go Betweens for Hitler, Oxford 2015.
3 Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, rez. von Gisela Diewald-Kerkmann in: H-Soz-Kult, 15.02.2011, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-15773 (21.10.2016).
4 Jonathan Petropoulos, Royals and the Reich. The Princes von Hessen in Nazi Germany, Oxford 2006.
5 Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003.
6 Diesen Eindruck erweckt eine Auseinandersetzung der beiden Autoren in den „Sehepunkten“ anlässlich einer Rezension des Büschel-Buches durch Urbach. Vgl. http://www.sehepunkte.de/2016/09/28779.html (21.10.2016) sowie http://www.sehepunkte.de/2016/10/kommentar/hubertus-bueschel-ueber-rezension-von-hitlers-adliger-diplomat-93/ (21.10.2016).
7 Vgl. auch meine Rezension der Studie von Urbach, in: H-Soz-Kult, 03.02.2016, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-24866 (21.10.2016).

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