F.O. Sobich u.a.: Feinde werden

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Titel
Feinde werden. Zur nationalen Konstruktion existenzieller Gegnerschaft: Drei Fallstudien


Autor(en)
Sobich, Frank Oliver; Bischoff, Sebastian
Erschienen
Berlin 2015: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
361 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Kuß, Historisches Institut, Universität Bern

Ein Krieg ist immer auch ein Diskursereignis. Er steht im Mittelpunkt von jeweils unterschiedlichen, sich teilweise überlagernden Diskursen, zum einen solchen, die seinen Beginn rechtfertigen, zum anderen solchen, die die Ausübung von Gewalt legitimieren. Die Barbarisierung des Gegners dient in der Regel der Rechtfertigung der eigenen grausamen Gewalt. Bei genauerer Analyse solcher Grausamkeits-Diskurse ergibt sich freilich, dass es sich hierbei weniger um eine Wiederspiegelung der Realität als vielmehr um ein erzählerisches Muster handelt, dessen sich die Kriegspropaganda oft gezielt bedient.

In ihrer Studie „Feinde werden“ befassen sich Frank Oliver Sobich und Sebastian Bischoff mit Feindbildern in der Presseberichterstattung des Deutschen Kaiserreichs. Der programmatische Titel verweist auf Carl Schmitt, der Feindschaft als eine existentielle und sich im Krieg auf das Äußerste verdichtende Gegnerschaft verstanden hat.1 Die Autoren stellen die These auf, dass sich im Verlauf der Kriege in der deutschen Presse ein rassistisches Bild des jeweiligen Kriegsgegners durchgesetzt und dieses die mentalen Strukturen der Gesellschaft des Kaiserreichs fortan bestimmt habe. Sie bezeichnen diese Entwicklung als „Savagisierungsprozess“ (S. 19–21 und 121), da erst mit den Kriegen die entsprechenden Feindbilder klar konturiert worden und breitenwirksam in die Bilderwelt des Kaiserreichs eingegangen seien.

Sobich und Bischoff untersuchen den metropolitanen Presse-Diskurs zum Boxerkrieg in China (1900/01), zum Herero- und Nama-Krieg in Deutsch-Südwestafrika (1904–07) und zum so genannten Franktireurkrieg in Belgien (August/September 1914), einem Teilkonflikt des Ersten Weltkrieges. Gemeinsam ist allen drei Kriegsschauplätzen, dass sie ebenso zeitgenössisch wie heute als Schauplätze extremer Gewaltausübung angesehen werden. Hingegen ist ein Unterschied darin zu sehen, dass in Belgien kein Kolonialkrieg geführt worden ist. Quellengrundlage der Untersuchung ist die Presse des Deutschen Kaiserreichs, wobei sowohl die Kriegszensur als auch die Meinungslenkung durch öffentliche Stellen quellenkritisch problematisiert werden. Die herangezogenen Tageszeitungen werden je nach ihrer politischen Verankerung, das heißt in erster Linie nach bürgerlichem bzw. sozialistischem Lager, unterschieden.2

Der Chronologie folgend, beginnt der Analyse-Teil der Studie mit dem Boxerkrieg 1900/01. Hier wird auf zwei bereits vor dem Krieg bestehende China-Bilder hingewiesen, ein determiniertes rassistisch-biologistisches und ein offeneres ethnisch-kulturelles. Bilder „chinesischer Grausamkeit“ seien fast ausschließlich im Juli 1900 – also nach der Ermordung des deutschen Gesandten Clemens von Ketteler und während der Belagerung des Gesandtschaftsviertels in Peking – kolportiert und als Charakterzug der „Gelben Rasse“ zementiert worden (S. 73-75 u. 109). Von den untersuchten Zeitungen habe einzig der sozialdemokratische Vorwärts eine abweichende Position eingenommen und dies besonders in der zweiten Phase des Krieges durch den Abdruck der so genannten „Hunnenbriefe“ dokumentiert.

Auch für die Zeit vor Beginn des Herero- und Nama-Krieges stellen Sobich und Bischoff doppelgesichtige Bilder von Afrikanern als einerseits leidenschaftlich und kindlich, andererseits als „edle Wilde“ heraus (S. 135). Diskurselemente „afrikanischer Grausamkeit“ habe es im Afrika-Diskurs des Kaiserreichs zwar schon gegeben –, ohne dass sich diese jedoch verfestigt hätten (S. 136). Das Bild der „afrikanischen Grausamkeit“ hätten vor allem die vor Ort lebenden deutschen Siedler zu dem der „schwarzen Bestien“ gesteigert. Darauf aufbauend habe die staatliche Propaganda im Reichstagswahlkampf 1906/07 die Konstruktion des inneren Feindbildes gefördert (S. 175). In diesen Passagen entfaltet das Buch seine stärkste Kraft.

Als dritter Kriegsschauplatz wird Belgien dargestellt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde das neutrale Land völkerrechtswidrig von den deutschen Truppen durchquert, die sich mit einem Krieg von Freischärlern (Franktireurs) konfrontiert gesehen haben.3 Bereits mit Beginn der Invasion Anfang August 1914 sei es zu Massakern an der belgischen Zivilbevölkerung gekommen. Diese sind laut Sobich und Bischoff mit Rückgriff auf den Franktireur-Mythos zu erklären, eine in der deutschen Armee wachgehaltene Erinnerung an eine Form der „Grausamkeit“ im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, die dann im Krieg bestätigt worden sei. Dabei sei freilich nicht ganz klar, ob diese Erinnerung bereits mit Kriegsbeginn in den Köpfen gewesen oder erst durch die Berichterstattung aktiviert worden sei (S. 205).

Sobich und Bischoff legen für die bislang ungeschriebene Geschichte von Grausamkeit im Krieg eine gleichermaßen arbeitsintensive und vielschichtige Studie vor. Allerdings wird „Grausamkeit“ ohne nähere Definition implizit als normativer Begriff verstanden und erscheint damit als nahezu autonomes Handlungsmotiv, das kaum mit Rache und Abschreckung verbunden wird. Doch bei dem Motiv der Rache und dem des grausamen Feindes handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille.

Unschärfen finden sich auch bei Termini wie etwa „Massaker“, „Gräueltaten“ und „Vernichtungskrieg“, die allesamt in kein heuristisches Gefüge gestellt werden. So verwenden die Autoren den Begriff „Vernichtungskrieg“ nach heutiger Lesart im Sinne eines Krieges, der eine vollkommene Vernichtung sowohl der Truppen als auch der Zivilbevölkerung des Gegners intendiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das semantische Feld dieses Begriffs jedoch wesentlich breiter. Dessen ungeachtet spricht – im Sinne der Autoren – einiges dafür, dass in Deutsch-Südwestafrika bereits im Frühjahr 1904 ein von den deutschen Siedlern vorangetriebener Genozid praktiziert worden ist. Allerdings hätten Kontext, Chronologie und Reichweite der extremen Gewalt anzeigenden Begrifflichkeit stärker reflektiert und in Beziehung gesetzt werden müssen. Schließlich stellt sich die weitergehende Frage, ob die über das eigentliche Thema der Studie hinausgehende, aber dennoch immer wieder thematisierte Gewaltbereitschaft der Bevölkerung des deutschen Kaiserreichs allein durch eine Presse-Diskursanalyse ausgelotet werden kann. So betonen die Forschungen der Gewaltgeschichte und -soziologie, dass Diskurs und Ideologien notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen extremer Gewaltanwendung seien.4

Zu Recht stellen Sobich und Bischoff die zentrale Rolle des bereits vor den Kriegen grassierenden und sich in den ersten Kriegsmonaten radikalisierenden Rassismus in China und in Deutsch-Südwestafrika in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Auch besteht kein Zweifel an der Hauptthese, dass die koloniale Erfahrung mit dem europäischen Rassismus und dessen Auswirkungen auf den NS-Vernichtungskrieg zusammenhängt, weshalb diskursive Zusammenhänge anhand in Zeitungen repräsentierter Feindbilder und Stereotypen herauszustellen sind.

Dabei wäre freilich auch zu fragen, inwieweit entsprechende Feindbilder auf allgemeine Wissenskontexte rekurrierten und somit in die Konstruktion von kolonialer Wirklichkeit eingeschrieben waren. Legitimatorische und entlastende Textmuster, wie sie im kolonialen Diskurs damals üblich waren, können ohne solche Fragen nicht ausgemacht werden. So vermitteln die Autoren ein sehr statisches Bild von Rassismus und einer mit ihm verbundenen „Grausamkeit“, obwohl dieser insofern stets in Bewegung war, als er zwischen verschiedenen Interessen von Siedlern, Militär, Administration, Unternehmen und den Einheimischen geregelt werden musste. Feindbilder scheinen, zumindest an ihren Rändern, weniger statische und homogene als vielmehr zerfranst-hybride Gebilde gewesen zu sein. Gegen die klare Durchsetzung einer sich nach dem Boxerkrieg im Kaiserreich durchsetzenden Lesart der „chinesischen Grausamkeit“ spricht zum Beispiel, dass wenige Jahre nach Ende des Krieges in der deutschen Stützpunktkolonie Qingdao eine Kulturpolitik eingeleitet wurde, die auf einem anderen China-Bild beruhte.

In dem während der beiden Kolonialkriege und dem Franktireurkrieg in Belgien geführten Presse-Diskurs finden sich fraglos das deutsche Kaiserreich prägende Savagisierungsmomente; ob dadurch jedoch ein flächendeckender Savagisierungsprozess eingeleitet worden ist, muss weiter diskutiert werden. Mit ihrem sehr anregenden Buch führen Sobich und Bischoff gleichwohl nicht nur neue empirische Daten in den Kolonialkriegs-Diskurs ein, sondern verbinden vor allem auch den europäischen und außereuropäischen Kriegsschauplatz diskursiv miteinander.

Anmerkungen:
1 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1963 und drei Corollarien, Berlin 1963, S. 27 und 31.
2 Eine andere Form der Presseanalyse findet sich in Merle Zeigerer, Kriegsberichterstatter in den deutschen Kolonialkriegen in Asien und Afrika. Augenzeugen, Anstifter, Komplizen?, Kiel 2016.
3 John Horne / Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004. Auf die aktuelle Debatte zu diesem Thema kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.
4 Matthias Häusler / Trutz von Trotha, Brutalisierung „von unten“. Kleiner Krieg, Entgrenzung der Gewalt und Genozid im kolonialen Deutsch-Südwestafrika, in: Mittelweg 36 2 (2012), S. 57–89, bes. S. 57; Jörg Baberowski / Gabriele Metzler, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Gewalträume. Soziale Ordnungen im Ausnahmezustand, Frankfurt am Main 2012, S. 2–27.

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