Angus Deaton singt ein Loblied auf die Leistungen des Kapitalismus, allerdings eines, das dessen Erfolge beschreibt, ohne ihn beim Namen zu nennen. Der Begriff „Kapitalismus“ findet sich im Buch nur einmal, wenn Deaton behauptet, dass Adam Smiths Metapher von der unsichtbaren Hand „für uns zu einem Schlüssel für das Verständnis geworden [ist], wie der Kapitalismus funktioniert“ (S. 82). Deaton spricht ansonsten lieber von der industriellen Revolution, der Aufklärung und den Leistungen der Wissenschaft, wenn die beschriebenen Erfolge zugeordnet werden sollen.
Im Wesentlichen handelt das Buch von der Verbesserung von Einkommen und Überlebenschancen der Menschheit im globalen Maßstab in den letzten 250 Jahren. Im englischen Original wurde es bereits 2013 publiziert, in Deutschland fand sich aber vermutlich erst ein Verlag, nachdem Deaton im Jahr 2015 den Wirtschaftsnobelpreis – vor allem für seine Arbeiten im Bereich der Konsumforschung – erhielt. Weil das Buch für die deutsche Fassung nicht aktualisiert wurde, findet beispielsweise keine ansonsten inhaltlich zu erwartende Auseinandersetzung mit Thomas Pikettys Erfolgsbuch über Ungleichheit und Kapitalismus statt.1 Da zudem inzwischen weitere und ausführlichere Arbeiten zur globalen Einkommensentwicklung erschienen sind,2 liegt der aktuelle Wert des Buches stärker im ersten Teil, der sich mit „Leben und Tod“ befasst, als im zweiten, der unter der Überschrift „Geld“ firmiert. Diesen beiden stark wissenschaftlich argumentierenden und zahlenbasierten Hauptteilen folgt dann ein dritter Teil („Helfen“), der viel stärker politisch argumentiert und ein flammendes Plädoyer für die Abschaffung der Entwicklungshilfe bietet.
Deaton zeigt im ersten Teil, dass die Lebenserwartung des englischen Hochadels von 1550 bis 1750 nicht höher war als jene der englischen Durchschnittsbevölkerung und zwischen 30 und 40 Jahren pendelte. Die sehr viel reichhaltigere Ernährung des Adels führte dementsprechend zu keiner Lebensverlängerung, entscheidend für die Lebenserwartung blieben Infektionskrankheiten, denen auch der Adel nicht entkommen konnte. Erst die Entwicklung erster und zu Beginn sehr teurer Therapien gegen diese Krankheiten brachte eine deutliche Verbesserung für die Wohlhabenden. Um 1850 lag die Lebenserwartung eines englischen Hochadeligen bei fast 60 Jahren, während sie in der Durchschnittsbevölkerung bei unter 40 Jahren verharrte. Erst ab 1850 begann sich langsam auch die Situation für letztere zu verbessern (1900: 45 Jahre), wobei der große Sprung nach vorne erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte (1950: 70 Jahre). Hauptverantwortlich hierfür war die gelungene Reduzierung der vorher sehr hohen Kindersterblichkeit. Die Lebenserwartung von Erwachsenen (gemessen ab der Erreichung des 15. Lebensjahres) nahm demgegenüber geringer zu und stieg von 45 Jahren (1850) auf 57 Jahre (1950). Für die Absenkung der Kindersterblichkeit macht Deaton nicht die mit dem Wirtschaftswachstum verbesserte Nahrungsmittelversorgung hauptverantwortlich, sondern vor allem den Ausbau der sanitären Infrastruktur, insbesondere die hygienischere Trinkwasserversorgung und deren Trennung von der Abwasserbeseitigung. Dementsprechend reicht für ihn nicht das Wirtschaftswachstum allein zur Erklärung aus, sondern Deaton betont nachdrücklich, dass es verantwortliche öffentliche Institutionen brauchte, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Er zeigt dann, dass die Umsetzung der erfolgreichen Maßnahmen in den skandinavischen Ländern etwa parallel mit der englischen Situation verlief, während beispielsweise Italien und Portugal bis 1950 leicht hinterherhinkten und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufschlossen. Auch dort setzte allerdings schon früh ein Verbesserungstrend ein, und letztlich verbreiteten sich die zielführenden Verfahren relativ zügig in Europa.
Demgegenüber setzte der Kampf gegen Infektionskrankheiten außerhalb Europas, Nordamerikas und Ozeaniens weitgehend erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Eine wichtige Rolle spielte dabei UNICEF, die für Gesundheit und Wohlergehen zuständige UN-Organisation, die die bekannten Impf- und Hygieneprogramme globalisierte. Zudem verbesserten die Einführung des Penicillins sowie die chemische Bekämpfung der Malaria auslösenden Stechmücke recht bald nach 1945 die Situation in vielen Ländern. In allen Kontinenten ist die Lebenserwartung seitdem relativ kontinuierlich angestiegen, allerdings in Asien sehr viel schneller als in Afrika. Dies entspricht in etwa auch den Unterschieden im Wirtschaftswachstum beider Regionen, wobei Deaton aber erneut die große Bedeutung von Institutionen bei der Krankheitsbekämpfung betont. Er stellt fest, dass in den ärmsten Ländern der Welt immer noch eine Kindersterblichkeit von über 10 Prozent herrscht und dies aufgrund von Krankheiten, die in reichen Ländern nur noch äußerst selten einen tödlichen Verlauf nehmen. Deaton findet dies zweifelsohne bedauerlich, bietet hier aber wenig Verbesserungsvorschläge. Implizit tendiert er dazu, beispielsweise den Menschen in Afrika selbst die Schuld hierfür zu geben, unter anderem weil sie schlechte Regierungen wählen oder in Gallup-Umfragen der Schaffung von Arbeitsplätzen eine sehr viel höhere Dringlichkeit beimessen als der Verbesserung der sanitären Bedingungen. Auch den US-Amerikanern und Europäern macht er jedoch den Vorwurf, sich mitunter nicht ausreichend um ihre Gesundheit zu kümmern, was er insbesondere am zu langsam sinkenden Tabakkonsum festmacht. Dieser ist seiner Meinung nach auch hauptverantwortlich für die höhere Lebenserwartung von Frauen in den führenden OECD-Nationen, denn deren Tabakverbrauch war lange Zeit deutlich geringer als derjenige der Männer.
Die beiden Kapitel über Einkommensverteilung bieten dagegen wenig Überraschendes. Im ersten Kapitel werden die Einkommenssteigerung in den USA sowie die viel diskutierte Zunahme der Ungleichheit ab den 1970er-Jahren beschrieben. Deaton erweist sich auch hier nicht als Neoliberaler, sondern als Institutionalist, der beispielsweise eine stärkere Anbindung des Mindestlohns an Wirtschaftswachstum und Inflationsrate befürwortet, um die ärmere Bevölkerung besser an den Zugewinnen des Bruttoinlandsprodukts zu beteiligen. Auch sieht er Gefahren für Demokratie und Wohlstand, wenn sich eine reiche Elite zunehmend des Staates bemächtigt. Aber er verbleibt hier vorwiegend auf der analytisch-deskriptiven Ebene und hat wenig konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation zu bieten. Das zweite Kapitel dieses Teils dreht sich um globale Einkommensungleichheit. Es hält sich lange mit der Frage nach den richtigen Messgrößen auf, die bei Branko Milanovic (siehe Anmerkung 2) in überzeugenderer Form erörtert wird. Auch die Reduktion globaler Einkommensungleichheiten seit 1975 durch das Wirtschaftswachstum in Indien und China ist bei Milanovic analytisch besser abgehandelt worden.
Während die beiden Hauptteile zahlengesättigt sind, bleibt Deatons Plädoyer für die Abschaffung der Entwicklungshilfe weitgehend datenfrei. Nur zwei Grafiken finden sich, die zeigen sollen, dass Zeiten, in denen in Afrika viel Entwicklungshilfe floss, Zeiten schwachen Wachstums waren. Doch diese Korrelation ist schwach und für andere Kontinente nicht einmal in dieser schwachen Form belegt. Deaton weiß selber, dass andere Studien hier zu weit günstigeren und besser belegten Ergebnissen über die Auswirkungen der Entwicklungshilfe kommen, meint aber, dass diese Zahlen zu geringe Aussagekraft hätten. Seiner Meinung nach fördert die Entwicklungshilfe fast immer die Korruption der empfangenden Regierungen und erhöht die Gefahr, dass sich diese vom Willen ihrer Bevölkerung abkoppeln. Dass dies tatsächlich häufig der Fall gewesen ist, bestreitet kaum jemand, doch Deaton ignoriert die ebenfalls vorhandenen positiveren Erfahrungen weitgehend. Deswegen kommt er zu dem Fazit, dass die Entwicklungshilfe drastisch reduziert und an strikte Bedingungen geknüpft werden sollte. Warum die reichen Länder dies bisher nicht getan haben, bleibt wenig analysiert. Daneben betont Deaton, dass es wichtiger für die armen Länder wäre, dass die reichen Länder ihre Handelsschranken gerade im Landwirtschaftsbereich senken und die Migration aus ärmeren Ländern, insbesondere wenn sie mit einem Hochschulstudium in reichen Ländern verbunden werden würde, stärker fördern. Wenn Deaton das Buch heute unter einem Präsidenten Trump verfassen würde, hätte er den entgegenstehenden politischen Problemen in den reichen Nationen vielleicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Deaton hat ohne Zweifel ein engagiertes Buch geschrieben und eines, an dessen Erkenntnissen keine Studie über den Kapitalismus vorbeigehen kann. Ganz zu Recht weist er darauf hin, wie bedeutsam es für Eltern ist, dass sie heute fast überall auf dem Planeten nicht mehr damit rechnen müssen, dass die Hälfte ihrer Kinder stirbt, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben. Ebenso dürfte es die Mehrheit der Menschen begrüßen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit länger leben wird als ihre Großeltern und in größerem materiellen Wohlstand als diese. Deaton hat zudem ein optimistisches Buch verfasst, das der Hoffnung Ausdruck gibt, dass die Entwicklung so weitergehen kann. So geht er fest davon aus, dass sich die Situation in Afrika bald verbessern wird, wenn die Entwicklungshilfe gekürzt wird. Dafür braucht es nach Deaton weiter Wirtschaftswachstum. Inwieweit dies angesichts des Klimawandels möglich und wünschbar ist, bleibt aber unerörtert. Insgesamt kommen die dunklen Flecken und Probleme des Wachstums in diesem grundoptimistischen Buch häufig etwas zu kurz.
Anmerkungen:
1 Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014. Siehe dazu auch das Review-Symposium auf H-Soz-Kult: http://www.hsozkult.de/searching/id/texte-2642?title=redaktionsnotiz-review-symposium-zu-thomas-piketty-das-kapital-im-21-jahrhundert&q=piketty&sort=&fq=&total=34&recno=20&subType=fd;recno=20&subType=fde=fd;recno=20&subType=fd (07.09.2016).
2 Marc Buggeln, Rezension zu: Milanovic, Branko: Global Inequality. A New Approach for the Age of Globalization. Cambridge 2016, in: H-Soz-Kult, 13.10.2016, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26633 (02.03.2017). Für das Unterkapitel 4 zum materiellen Wohlstand in den USA nun vor allem: Peter H. Lindert / Jeffrey G. Williamson, Unequal Gains. American Growth and Inequality since 1700, Princeton 2016.