Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 stellt eine der ersten zentralen Maßnahmen des NS-Regimes dar, die gezielt auf die Diskriminierung der jüdischen Staatsbürger gerichtet war und ihre Rückstufung zu Bürgern zweiter Klasse als Staatsdoktrin proklamierte. Außerdem sollten demokratische, sozialdemokratische wie kommunistische bzw. allgemein „missliebige“ Staatsbedienstete aus der Verwaltung, der Richterschaft und der Wissenschaft entfernt werden können. Dabei standen die jüdischen Juristen in ganz besonderer Weise im Fokus der NS-Propaganda und Verfolgung. Antisemitische Gewaltwellen im Zusammenhang mit der NS-Machtübernahme wogten insbesondere gegen Justizgebäude.1 Die einschlägige Untersuchung der Ereignisabläufe von Lothar Gruchmann hat nachgezeichnet, dass insbesondere erst die Hetze nationalsozialistischer Aktivisten gegen jüdische Richter die überhastete Verfertigung und Verabschiedung des Berufsbeamtengesetzes maßgeblich vorantrieb und mitbewirkte.2 Das Berufsbeamtentumsgesetz und die entsprechenden Durchführungsverordnungen führten zu massiven Entlassungen und Versetzungen.3 Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ bildet den Flucht- bzw. Ausgangspunkt der beiden zu besprechenden Publikationen.
Für die herausragende Untersuchung der Heidelberger Juristenfakultät und ihrer jüdischen Angehörigen durch Klaus-Peter Schroeder bildet das „Dritte Reich“ den katastrophalen Fluchtpunkt der Darstellung. Dabei erzählt der langjährige außerplanmäßige Professor in der germanistischen Abteilung des Heidelberger Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft zunächst eine Erfolgsgeschichte. Er blickt zurück auf die Heidelberger Juristische Fakultät und ihre jüdischen Mitglieder im 19. und 20. Jahrhundert und beschreibt eine Entwicklung von Emanzipation und Gleichberechtigung der jüdischen Heidelberger Rechtswissenschaftler bis hin zur Vertreibung und Entrechtung von jüdischen Juristen. Schröders Studie beruht auf einer konzisen Auswertung der Akten der Universität Heidelberg und des Generallandesarchivs Karlsruhe. Vorgestellt werden rund zwei Dutzend Persönlichkeiten unter Berücksichtigung des historischen Kontextes der Fakultätsentwicklung und der allgemeinen politischen Situation.
Einleitend wirft Schröder einen kurzen Blick auf Heidelberg, die Universität und die Juden seit dem Mittelalter. Das erste Kapitel ist den gut fünfzig Jahren vom Beginn der Judenemanzipation im Großherzogtum Baden bis zur Gründung des Deutschen Reiches gewidmet. Das zweite Kapitel beschreibt die Juristische Fakultät im Kaiserreich, das dritte behandelt die Jahre der Weimarer Republik und des beginnenden „Dritten Reiches“. Keine Juristische Fakultät im deutschsprachigen Raum, so Schröder, berief bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges so viele Hochschullehrer mit jüdischen Wurzeln auf einen juristischen Lehrstuhl wie die Heidelberger Fakultät. In der Zeit von 1862 bis 1914 lehrten insgesamt 61 Professoren jüdischer Herkunft am Neckar, davon neun Professoren an der rechtswissenschaftlichen Fakultät (S. 5). Aufgrund des „Ersten Konstitutionsedikts“ von 1807 immatrikulierten sich jüdische Studenten für die Rechtswissenschaften. Die Möglichkeit, ohne Bezug auf das Neue Testament den Promotionseid ableisten zu können, ermöglichte den jüdischen Studierenden die Erlangung dieses akademischen Grades. Der erste jüdische Privatdozent (Sigmund Zimmern) habilitierte sich 1818, was innerhalb der Fakultät eine heftige Diskussion darüber auslöste, ob „der Jude auch kanonisches und Kirchenrecht, Rechtsphilosophie und Geschichte“ lesen dürfe (S. 43f.). Diese Kontroverse endete erst mit der Taufe des Kandidaten.
Im Oktober 1862 trat in Baden das „Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten“ in Kraft. Damit stand der Berufung des ersten Ordinarius jüdischen Glaubens an der Universität Heidelberg nichts mehr Wege. Levin Goldschmidt habilitierte sich 1856 in Heidelberg. Nach einigen Jahren als Privatdozent wurde er außerordentlicher und 1866 ordentlicher Professor an der Universität am Neckar. Goldschmidt hat mit seinen Forschungen dem Handelsrecht in Deutschland entscheidende Impulse gegeben. Er selbst wiederum habilitierte 1861 Paul Laband in Baden, der später der wichtigste Staatsrechtler des wilhelminischen Kaiserreichs werden sollte. Labands von 1875 bis 1882 publiziertes dreibändiges „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ war das Standardwerk des Öffentlichen Rechts.
Mit der legislativen Umsetzung der vollständigen bürgerlich-politischen Emanzipation der jüdischen Deutschen (1862 in Baden und 1869 im Norddeutschen Bund) begann auch die Zeit des Antisemitismus. Die Ruperto Carola wurde von dieser Feindseligkeit nicht angekränkelt. Ein Streit zwischen Universitätsleitung und akademischen Selbstverwaltungsorganen führte zu Beginn des Kaiserreichs zum professoralen „brain drain“ (Treitschke, Helmholtz u.a.) und zu einem Rückgang der Immatrikulationen. In den 1880er-Jahren konnte Heidelberg seine Stellung als größte Jura-Fakultät des Reiches mit Weltrang bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wieder behaupten. Zwischen 1879 und 1914 überstieg die Zahl der ausländischen Studierenden immer zehn Prozent. Um 1910 waren 50 Prozent aller juristischen Lehrstühle in Heidelberg mit jüdischen Professoren besetzt. Im gleichen Zeitraum lag der Anteil jüdischer Studierender bei 16 Prozent. Für diesen Zeitraum geht Schroeder auf Habilitationen von Siegfried Brie, Edgar Loening, Max Cohn, Richard Loening, Georg Ludwig Cohn, Julius Karl Hatschek und Leopold Perels sowie auf die Neuberufungen von Georg Jellinek, Karl August Hensheimer und Otto Gradewitz ein. Jellineks 1900 vorgelegte „Allgemeine Staatslehre“ wurde in viele Sprachen übersetzt. Das Werk ist für die Entwicklung der deutschen Staatsrechtslehre kaum zu überschätzen.
Im dritten Kapitel befasst sich Schroeder mit den Neuberufungen und Habilitationen in der Weimarer Republik. Der studentische Antisemitismus war im Kreis der juristischen Dozenten verpönt (S. 269), weil man nur zu gut wusste, dass die „weltweite Ausstrahlung der Fakultät“ hauptsächlich auf den Rechtsgelehrten jüdischer Herkunft beruhte (S. 274f.). Die übrige Universität zeigte allerdings ein anderes Gesicht: Der Privatdozent der Philosophischen Fakultät Arnold Runge und der Physiker und Nobelpreisträger Phillipp Lenard waren in der Universitätsöffentlichkeit agierende Antisemiten. Die Affäre um den Privatdozenten für Statistik und Pazifisten Emil Julius Gumbel entzweite die Ruperto Carola (S. 271ff.). Neu berufen wurden der Romanist Ernst Levy, der Verwaltungsrechtler Walter Jellinek und Landgerichtsrat Friedrich Ludwig Wilhelm Darmstaedter. Leopold Perels, Ernst Levy, Walter Jellinek, Karl Geiler und Friedrich Ludwig Wilhelm Darmstaedter mussten ihre Posten aufgrund rassischer Gründe im „Dritten Reich“ räumen. Das Ziel, die Heidelberger Fakultät zu einer „Stoßtruppfakultät“ neben Breslau, Kiel und Königsberg zu machen, forcierte die personalpolitischen Wechsel noch.
Auch die Studierenden halfen an diesem personellen Revirement mit. Hatten im August 1819 noch 200 Studenten innerhalb einer Viertelstunde die antisemitischen Hep-Hep-Unruhen mit Hiebern, Säbeln und Rapieren beendet (S. 24f.), boykottierten sie 1935 Lehrveranstaltungen jüdischer Dozenten (S. 276). In den „Schlussbetrachtungen“ geht es um die „jüdisch versippten“ Hochschullehrer und deren prekäres Schicksal: Eberhard Freiherr von Künßberg, Karl Geiler und Max Gutzwiller. Abgeschlossen wird das Werk mit einem umfassenden Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister (S. 347–372).
Die Verwaltungsrichter Renate Citron-Piorkowski und Ulrich Marenbach beschreiben anhand von 14 Einzelschicksalen die nationalsozialistischen „Säuberungen“ am höchsten preußischen Verwaltungsgericht in Berlin. Fast ein Viertel aller Richter musste sich Maßnahmen aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Form der Versetzung, Entlassung oder Zurruhesetzung unterziehen. Drei Oberverwaltungsgerichtsräte wurden entlassen, acht Richter wurden auf Verwendungen in die Provinz versetzt, und schließlich gingen drei Mitglieder des Gerichts unfreiwillig in den Ruhestand. Betroffen waren Vertreter aller politischen Schattierungen und Religionen: Protestanten, Katholiken und Juden genauso wie Vertreter der Sozialdemokratie, der Liberalen und des Zentrums. Die Lebensschicksale werden – bebildert mit Originaldokumenten – detailliert und präzise vornehmlich aus den Akten des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und den Entschädigungsakten herausgearbeitet. Dazu gehören auch die drei Schicksale der in der NS-Terminologie sogenannte „Volljuden“: der Vorsitzende des „Republikanischen Richterbundes“, Wilhelm Kroner, der Münsteraner Völkerrechtler Ernst Isay sowie der Experte für Genossenschaftsrecht Fritz Citron. Citron nahm sich auf Grund der Verfolgungen 1938 das Leben, Isay starb 1943 entkräftet im brasilianischen Exil und Kroner 1942 in Theresienstadt. Aber nicht nur jüdische Richter waren von den Auswirkungen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ betroffen: Der katholische Richter Max Kürten wurde gemäß § 5 BBG wegen seiner Zentrumsmitgliedschaft nach Magdeburg in das Regierungspräsidium versetzt; ebenso traf die Maßnahme der Strafversetzung den zum politischen Katholizismus zugehörigen Richter Kuno Lougears. Sozialdemokraten wie Gerhard Müller, Hans-Wilhelm Schrader oder Georg Struckberg sowie Mitglieder der Deutschen Demokratischen Partei wie Rudolf Roeckner wurden ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen „Säuberungen“.
Der Sammlung dieser richterlichen Lebensbilder ist ein Vorwort von Ingo Müller vorangestellt. Müller ist der Autor des 1987 erschienen Standardwerks „Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz“. Er erinnert daran, dass im „Dritten Reich“ mit „Führerbefehl“ und Polizeiwillkür für eine rechtsstaatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit kein Platz mehr war. Einleitende Bemerkungen zum „Berufsbeamtengesetz“ und zu den Akteuren in der Gerichtsleitung (Bill Drews, Präsident des Preußischen Oberverwaltungsgerichts) und Heinrich Schellen (zuständiger Personalreferent im Reichsministerium des Innern) beleuchten die Täterperspektive, deren Personalentscheidungen teilweise aus persönlichen Animositäten gespeist waren.
In ihren unterschiedlichen Fokussierungen auf die 150-jährige Entwicklung einer Juristischen Fakultät zum einen und zum andern auf die Lebensbilder der preußischen Oberverwaltungsrichter in Berlin, deren juristischen Karrieren im April 1933 zerstört worden sind, fügen sich diese Untersuchungen zusammen und zeigen den Verlust jüdischer, demokratisch-liberaler sowie katholischer Juristen für die deutsche Rechtswissenschaft und Judikative auf und verdeutlichen damit die humanitäre Katastrophe des „Dritten Reiches“ sowie die Zerstörung des Rechts und der freien Wissenschaft durch den Nationalsozialismus.
Anmerkungen:
1 Benno Nietzel, Die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der deutschen Juden 1933–1945. Ein Literatur- und Forschungsbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 561–613.
2 Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 2001, hier S. 124–168.
3 Michael Grüttner / Sven Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S. 123–186; Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919–1945, Frankfurt am Main 1990, hier S. 50–56.