Nostalgie ist ein facettenreiches Phänomen, das die heutige Medienkultur durchzieht, Anwendung bei der Vermarktung von Produkten findet und in der Politik instrumentalisiert wird. Dabei ist die gesellschaftliche Faszination von Nostalgie keine neue Entwicklung, sondern ein wiederkehrendes Muster, das in der Nostalgieforschung untersucht wird: In Zeiten starken Wandels steigt die Sehnsucht nach dem, was durch den Wandel (vermeintlich) verloren wurde. Angesichts der Kontinuität solcher Erfahrungen in spätmodernen Gesellschaften ist es überraschend, dass dieser international vielseitig untersuchte und intensiv diskutierte Forschungsgegenstand bisher in keinem deutschsprachigen Werk eine grundlegende Aufarbeitung und historische Einordnung erfahren hat.
Es ist daher das Verdienst Dominik Schreys, systematisch Ansätze und Erkenntnisse der kultur- und medienwissenschaftlichen Nostalgieforschung in seiner am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eingereichten Dissertation aufbereitet zu haben und nun einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Während der Autor damit in den ersten Abschnitten insbesondere Leserinnen und Lesern entgegenkommt, die sich vielleicht erstmals mit Nostalgie befassen, legt er gleichzeitig die Grundlagen für die im Zentrum des Buchs stehende Perspektive auf die titelgebende „analoge Nostalgie“. Sie wird von Schrey als gesellschaftliche und mediale Reaktion auf die Digitalisierung konzeptualisiert, mit der „nicht nur der Effekt der beschleunigten medientechnologischen Entwicklungen für die Konsumentin abgemildert, sondern auch der Prozess des Medienwandels innerhalb der Artefakte selbst reflektiert wird“ (S. 12). Diese leitende Hypothese erweist sich als Ausgangspunkt einer medienwissenschaftlich geprägten Nostalgieforschung, in der die Bedeutung von Medien ebenso wie der Medienwandel als ein Nexus zu verarbeitender Wandelerfahrungen aufgegriffen wird.
Die umfängliche Einleitung fungiert als konzeptionelles Kernstück, in welcher der Autor darlegt, warum Medienwandel Nostalgie evoziert und wie sie sich in verschiedenen Spielarten medialer, künstlerischer und alltäglicher Auseinandersetzung mit dem Analogen in Abgrenzung zum Digitalen äußert. Eine Kritik an dieser Dichotomie ist naheliegend, wurde vom Autor aber antizipiert: Schrey argumentiert, dass die gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Debatten über den Medienwandel, seine Abläufe und Folgen häufig entlang von Dichotomien verliefen und insbesondere die zwischen analogen und digitalen Medien für Nostalgie ein Narrativ der Kontrastierung und normativen Aufladung zwischen alt und neu böten (S. 14 / S. 130). Erfreulicherweise entsteht aus der daraus hervorgehenden analytischen Trennung zwischen analog und digital im Zugang Schreys keine unterkomplexe Konzeptualisierung analoger Nostalgie. Hier erweist sich der Autor als bewandert in aktuellen Debatten der Nostalgieforschung und folgt Katharina Niemeyers Anregung, den Begriff im Plural als „Nostalgien“ zu denken 1, d.h. als einen „Schirmbegriff für verschiedene, zwar miteinander verwandte, aber eben nicht identische Formen des Rückbezugs auf eine historische oder imaginierte Vergangenheit“ (S. 15). Der kleinste gemeinsame Nenner verschiedenster analoger Nostalgien liege somit „in der rückblickenden Aufwertung oder Fetischisierung des Analogen bzw. spezifischer analoger Medienformationen und deren Interfaces sowie ästhetischen Oberfläche“ (S. 16). Die Einleitung endet mit dem begrüßenswerten Anspruch, zu einer wissenschaftlich fundierten Neubewertung von Nostalgie beizutragen, die bisher zu häufig eindimensional „mit Rückständigkeit, Eskapismus, Kitsch und Oberflächlichkeit assoziiert“ werde und letztlich unter „einer Art ideologischem Generalverdacht“ stehe (S. 30–32).
Anschließend wird eine Kultur- und Mediengeschichte der Nostalgie geboten. Der Autor zeichnet die historischen Anfänge der Nostalgieforschung nach und arbeitet deren Diskursstränge in unterschiedlichen Disziplinen auf. Dazu gehört auch eine Auswahl einschlägiger theoretischer Ansätze von Fred Davis ästhetischen Modalitäten der Nostalgie2 über Paul Grainges Nostalgie Mood und Nostalgie Mode3 sowie Svetlana Boyms restaurative und reflexive Nostalgie4, die prägend für das heutige wissenschaftliche Verständnis von Nostalgie sind. Vermissen lässt sich lediglich ein Abschnitt zur sozialpsychologischen Forschung der letzten Jahre, die hinsichtlich der individuellen Funktionen von Nostalgie im Umgang mit Wandel die kulturwissenschaftlichen Ansätze gewinnbringend ergänzt hat. Sich auch hier die Interdisziplinarität der Nostalgieforschung zunutze zu machen hätte der medienwissenschaftlich orientierten Arbeit durchaus gestanden und die Argumentation stärken können. Davon abgesehen wird einerseits ein wertvoller Überblick geboten, der sich durch gekonnte Verschränkungen der mittlerweile unzähligen internationalen Arbeiten zum Thema auszeichnet, und andererseits werden die Konzepte eingeführt, entlang derer in den späteren Kapiteln die „phänomenorientierten Einzelanalysen“ (S. 17) anschließen. Dabei bietet insbesondere das Kapitel zu Techniknostalgie und Mediennostalgie eine Hinführung, in der aus verschiedenen Blickwinkeln das Zusammenspiel zwischen Medien und Nostalgie beispielsweise anhand der Bedeutung von Obsoleszenz, Authentizität und Medienästhetik diskutiert wird.
Im analytischen Teil verfolgt der Autor zwei Perspektiven auf analoge Nostalgie, die in „diskursiv“ und „ästhetisch“ unterteilt sind. Die erste befasst sich mit sogenannten „Diskursformationen“, um zu zeigen, dass „Nostalgie nicht zuletzt ein durchaus prominenter Modus der theoretischen Auseinandersetzung mit Prozessen medialen Wandels ist“ (S. 13). Hier zieht Schrey Walter Benjamins Konzept der Aura heran, um zu zeigen, wie auch die Medienwissenschaft immer wieder auf nostalgische Argumentationsmuster bei der Beschreibung des Medienwandels rekurriere. Im Kern repräsentieren diese Muster die Kritik, dass neue Formate, Prozesse und Technologien Medien oder Kunstwerke ihrer ursprünglichen Aura beraubten und zudem einen weniger ursprünglichen „Weltbezug“ im Sinne der Indexikalität von Medien aufweisen würden. Beispiele dieser Lesart finden sich in den Reflexionen über Wandel von analogen zu digitalen Medien in den Einzelfallanalysen, wie z.B. CD vs. Schallplatte oder analoge vs. digitale Bilder.
Neben den Diskursformationen wurden außerdem die „nostalgischen Reflexionen von Prozessen des Medienwandels in den Medien selbst“ untersucht (S. 131). Akribisch und vielseitig arbeitet Schrey Phänomene analoger Nostalgie auf, die quer durch die Populär- und Medienkultur verlaufen. Dabei liegt der Fokus sowohl auf Medieninhalten wie Serien und Kinofilmen als auch auf der Materialität von Medien bei Retrofotografie, Polaroids, Foto-Apps, Celluloid und Schallplatten aus Eis. Anhand dieser Beispiele wird analoge Nostalgie beschrieben und eingeordnet. Dabei gelingt es dem Autor in seiner Analyse stets, zwischen den Ebenen ästhetischer Ausdrucksformen und gesellschaftlicher Sinnzuschreibungen zu changieren. Der Detailreichtum, mit dem die Einzelfälle ausgebreitet werden, macht die Lektüre wissenschaftlich wertvoll und wartet mit unterhaltsamen Einblicken auf. Das Buch löst somit das Versprechen ein, dass anhand der Beispiele die „Bandbreite des Phänomens“ demonstriert wird (S. 16).
Die Schlussbetrachtungen umfassen sowohl einen Rückblick als auch einen Ausblick. Besonders relevant ist dabei die Einordnung der vielen vorangegangenen Einzelfallanalysen in eine Matrix „diskursiver Leitparadigmen“, in welcher der Autor von seinen Beispielen abstrahiert und übergeordnete Strukturen aufzeigt, die sich zwischen bestimmten Polen aufspannen. Dazu gehören u.a. Obsoleszenz/Musealisierung/Widerstand, Entzauberung/Wiederverzauberung, Gegenkultur/Kommerzialisierung, Entropie/Kontingenz und Materialität/Verfall (S. 356). Analytisch ist dieser Abschnitt ein spannender Beitrag zur Nostalgieforschung, der ein eigenes Kapitel und eine vertiefte Darlegung verdient hätte und an dieser Stelle etwas unterzugehen droht. Nichtsdestoweniger überzeugt das Buch insgesamt durch seine Reichhaltigkeit und dichte Analyse. Damit wird es der medienwissenschaftlichen Nostalgieforschung im deutschsprachigen Raum Vorschub leisten und es könnte sich durchaus als ein zentrales Referenzwerk etablieren.
Anmerkungen:
1 Katharina Niemeyer, Introduction. Media and nostalgia, in: Katharina Niemeyer (Hrsg.), Media and nostalgia. yearning for the past, present and future, Houndmills [u.a.] 2014, S. 1–26.
2 Fred Davis, Yearning for yesterday. a sociology of nostalgia, New York 1979.
3 Paul Grainge, Monochrome memories. nostalgia and style in retro America, Westport 2002.
4 Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York 2001.