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Titel
Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote


Autor(en)
Piontek, Anja
Reihe
Edition Museum 26
Anzahl Seiten
534 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Schwark, Historisches Museum am Hohen Ufer / Leibniz Universität Hannover

Mit „Partizipation“ wird zurzeit gleichermaßen von Politikern, Anbietern von Freizeitangeboten und Marketing-Profis ein vermeintliches (kommerzielles) Erfolgsrezept propagiert, das größtmögliche Ausrichtung an den Interessen und Bedürfnissen des Publikums suggeriert. Inwieweit sich Begriff, dahinterstehende Theorien und bereits erprobte Praxisprojekte für das Arbeitsfeld der Museen als tauglich erweisen, hinterfragt diese – insgesamt vorzügliche – Studie.

Piontek stellt ihr Frageinteresse in den Kontext disziplinübergreifender Beschäftigung mit dem Bemühen um Teilhabe. Etwa seit der Jahrtausendwende zeig sich die Institution Museum zunehmend aufgeschlossen gegenüber der Beteiligung interessierter Laien, wiewohl „Partizipation“ in den Museum Studies als ein erst junger Begriff erscheint. Piontek ist sich kritischer Positionen gegenüber partizipativen Zugängen zu Museumsprojekten durchaus bewusst, insbesondere solchen, die vom „Albtraum Partizipation“ sprechen, inhaltliche Verflachung attestieren und ein absinkendes Angebotsniveau bzw. die Mutation der Museen zu soziokulturellen Treffpunkten befürchten (S. 15; 17). Weil ihr bisherige Erklärungen partizipativer Konzepte als allzu normativ und unspezifisch erscheinen, unternimmt Piontek daher den Versuch einer auf das Museumswesen bezogenen Definition, die sowohl die kognitive wie emotionale Inanspruchnahme als auch die aktive Mitgestaltung von Museumsprogrammen umfasst (S. 16f.). Damit versteht sie ihre Untersuchung als Beitrag zu einer problemorientierten Debatte um den Begriff und seine inhaltlichen Implikationen.

Auch in der Vergangenheit hat es Ideen hinsichtlich einer partizipativen Ausrichtung der Arbeit in Museen gegeben: So orientierten sich etwa die Rezeption der Reformpädagogik, die auf Breitenwirkung zielenden Auffassungen von Alfred Lichtwark, die „Neue Kulturpolitik“ der 1970er-Jahre und vergleichbare Bewegungen in Frankreich, England, Südamerika und den USA am Ziel, mehr und solche Besucher/innen für Museen zu interessieren, die nicht zum Kreis stabiler sozialer Milieus und hoher formaler Bildung gehörten – aktuell käme verstärkt das Kriterium Migrationshintergrund als Kennzeichen für Distanz zum traditionell ortsgebundenen Museum hinzu. Viele der früheren Überlegungen beinhalteten mehr oder weniger auch die (mit)gestaltende Aktivierung der Besucher/innen. Zugleich ist die aktive Beteiligung von Laien immer auch grundsätzlicher Kritik und oft diffusen Befürchtungen ausgesetzt; Piontek stellt die gängigsten der Polemiken eindrucksvoll zusammen (S. 20).

Indessen scheinen als krisenhaft zu beurteilende Erscheinungen die Museen doch ernsthaft und insoweit erfasst zu haben, als unter dem Schlagwort „Audience Development“ zunehmend sowohl nach Gründen als auch nach Lösungen hinsichtlich eines spürbaren Publikumsschwunds gesucht wird. Neben der zunehmenden Zahl an Mitbewerbern am Freizeitmarkt liefern soziologische Aspekte, wie der Rückgang des „Bildungsbürgertums“, die Individualisierung und Säkularisierung der Interessen, (wechselnde) Nachfrage nach unterschiedlichen Kulturformaten, Attraktivität diverser kultureller Inhalte entsprechende Begründungszusammenhänge. Dabei verlieren in der Realität von Migrationsgesellschaften kleinräumig-nationale Identitäten zunehmend an Bedeutung. Zudem sind im Bereich klassischer Museumsinhalte längst andere, ubiquitäre – gegebenenfalls unterhaltsamere – Medien verfügbar, und es besteht der Verdacht, dass ein auf One-Way-Rezeption angelegter Vermittlungsmodus den Interessen des Publikums vielfach nicht (mehr) entspricht.

Piontek zielt in ihrer 2010 begonnen Untersuchung auf die kuratorische Mitwirkung von Laien an der Erarbeitung von Ausstellungen ab – das heißt nicht auf klassische Formen ehrenamtlicher Mitarbeit, Zeitzeug/inneninterviews oder Sammler/innenexpertisen. Dazu nähert sich Piontek ihrem Untersuchungsgegenstand zunächst theoretisch an (Kap. II-V), um sodann in einem praxisorientierten Teil (Kap. VI) drei Fallstudienprojekte auszuwerten. Ihr Definitionskapitel zum konnotationsreichen Terminus „Partizipation“ gestaltet Piontek als etymologische, ideengeschichtliche und fachspezifische Begriffsbeschreibung. Inhärent sind seiner Bedeutung gemeinsames Tun, Nutzen und Erleben, Austausch und Interaktion; sprachgeschichtlich liegen die Wurzeln in ökonomischen Zusammenhängen. Seit der Aufklärung steht die gesellschaftlich-politische Perspektive im Vordergrund, die durch Freiwilligkeit, das Grundverständnis gegenseitiger Rechte und Pflichten sowie Gemeinwohlorientierung gekennzeichnet ist. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zielen teilhabeorientierte Aktivitäten auf Emanzipation und Selbstermächtigung ab. Für die Museen bedeuten beteiligungsorientierte Erarbeitungsprozesse ein grundlegend verändertes Aufgabenverständnis, in dem Wissenschaftler/innen die Rolle lernender Partner/innen zuwächst. Konkret konstatiert Piontek, dass erfolgreiche Partizipationsprozesse bei den Beteiligten Einlassen, Zulassen und Loslassen erfordern (S. 89).

Vorzüglich fallen Zusammenstellung, Kommentar und Interpretation der einschlägigen Literatur zur Akzeptanz partizipativer Museumskonzepte aus, die Piontek nach Befürwortung, bedingter Befürwortung und ablehnender Kritik strukturiert – jeweils mit signifikanten Autor/innenzitaten überschrieben. Die Zusammenschau der Argumentationen stellt innovative und postmoderne Aspekte gegenüber und ordnet die Debatte dem in der Arbeit des Museums wirksamen Machtgefüge zu, das konsequente, ernstgemeinte Partizipation von Laien erschwere (S. 145f.). Ergänzend zu ihrer definitorischen Annäherung skizziert Piontek mehrere Modelle museumsspezifischer Partizipation, die sie hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Machtverteilung im Beteiligungsprozess beschreibt (S. 161ff.).

Piontek entwickelt ein eigenes System der Erfassung, Bewertung und Weiterentwicklung von Partizipation im Museum. Wegen der gewählten Struktur von acht Beobachtungskategorien benennt sie es „Dimensionsmodell“. Es dient zur Einordnung und Kategorienbildung bei der Bewertung der im folgenden Praxisbericht vorgestellten Projekte. Zunächst werden Umfang, Intensität und Tiefe der „Beteiligung“ thematisiert und danach gefragt, welche der klassischen Museumsaufgaben (Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln) Beteiligungsformaten geöffnet werden: Bleibt es bei Zuarbeit, gelingt Mitarbeit, entsteht Zusammenarbeit? In der Dimension „Akteure“ wird nach den unterschiedlichen Rollen im Partizipationsprozess gefragt. Die Frage nach dem „Ausstellungsgegenstand“ ist auf die themenbezogene Laienexpertise gerichtet, unter anderem auf die Bereitstellung aussagekräftiger Exponate (S. 219). Mit der Dimension „Raum“ werden ebenso alternative Ausstellungsflächen angesprochen, wie die Beteiligung der Laien-Kurator/innen an Gestaltung und Präsentationsästhetik. „Zeit/Prozess“ beschreibt die Bedeutung des richtigen Zeitpunktes und die Dauer der Mitwirkung. „Kommunikation / Interaktion“ fokussiert Stil und Methoden des Miteinanders und damit wesentliche Erfolgsfaktoren: Wird monologisch-direktoral oder demokratisch-dialogisch verfahren? Werden die Teilnehmenden öffentlich geworben oder kooptativ bestimmt? Welche Kommunikationsstrukturen werden gewählt? Die Dimension „Zielsetzungen“ umreißt den Aushandlungsprozess über diverse Ziele der Beteiligten: Geht es um sammlungs- und forschungsbezogene Absichten, um den Erwerb fachlicher Kompetenzen bei den Teilnehmenden oder um neue Besucher/innen für das Museum? Schließlich richtet sich die Dimension „Selbstverständnis“ auf die Strategie des Museums und seine gesellschaftliche Orientierung.

Im Kapitel „Partizipation in der Praxis“ überprüft Piontek ihr Analysemodell anhand dreier Ausstellungsprojekte: Die Ausstellung „Ostend / Ostanfang. Ein Stadtteil im Wandel“, wurde 2011 vom Team des Historischen Museums Frankfurt am Main durchgeführt. Die (zweite) Ausstellung „NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen“ entstand im Berliner Friedrichshain-Kreuzberg Museum zusammen mit Bewohner/innen des Stadtteils. Als drittes Beispiel wählte Piontek die im Bremer Gerhard-Marcks-Haus kuratierte Ausstellung „gerhardWER? Marcks: mehr als die Stadtmusikanten!“. In ihrer Bewertung konstatiert sie die höchste Partizipationsintensität beim Frankfurter Konzept (S. 317). In Bezug auf das Berliner Projekt goutiert sie die Öffnung und Erweiterung angestammter kuratorischer Perspektiven um die konsequente Erweiterung durch die Sichtweise von Laien (S. 334) und identifiziert beim Bremer Konzept partizipative Zugänge als Chance zur Neubewertung von Objekten (S. 334).

In ihrem Schlusskapitel (S. 373ff.) kommt Piontek zum Fazit, Partizipationsprojekte bereichern die „charakteristische abendländische Institution“ Museum (mit schwindender, passiv-rezipierender Klientel) um neue, auf „aktive Teilhabe an der Kultur“ ausgerichtete Akteur/innengruppen mit ausgeprägtem Bedürfnis nach Selbstartikulation (S. 375). Nachweislich nutzten mit den untersuchten Projekten viele museumsferne Menschen die Möglichkeit, sich konstruktiv einzubringen. Teilhabekonzepte können mithin helfen, neue Besucher/innengruppen zu gewinnen: Dabei profitiert der Projekterfolg von niederschwelligen Zugängen, alltagsrelevanten Themen und emotionalen Bezügen zum Thema (S. 378). Teilnehmende sind dann besonders motiviert, wenn ihnen Themenkompetenz und das Gefühl „sozialer Eingebundenheit“ vermittelt wird (S. 379). Wesentliche Erfolgspotenziale partizipativer Konzepte liegen in der Verbundenheit der Teilnehmenden mit Thema und Institution, mit der Option auf Entdeckung neuer Fähig- und Fertigkeiten (S. 392) sowie neuer (sozialer) Aktionsräume. Insbesondere beim Kreis zugewanderter Einwohner/innen mischen sich deren kulturelle Kompetenz, ihre Bedeutung für die kulturelle Bereicherung der Aufnahmegesellschaft in Gegenwart und Zukunft mit bestätigender Anerkennung als Repräsentant/innen ihrer Kultur.

Das Buch ist ein bemerkenswerter Beitrag zur Debatte um die Erneuerung etablierter Museen angesichts schwindenden Publikumszuspruchs. Beobachtungen und Erkenntnisse beschränken sich auf die Projektarbeit in (Kultur-)Historischen Museen mit stark kleinräumigem Bezug sowie auf das Projekt eines speziellen Kunstmuseums. Die untersuchten Praxisbeispiele erweisen sich dabei als interessant und paradigmatisch, lassen aber die Frage hinsichtlich Nachhaltigkeit und dauerhafter „Bindung“ der gewonnenen Teilnehmer/innen für eine kontinuierliche Mitgestaltung unbeantwortet. Die Horizonterweiterung auf die Vielfalt musealer Sammlungen und Einrichtungen (Kunst-, Naturkunde-, Technik-, Freilichtmuseen) sowie deren je eigene Beteiligungsoptionen in (Laien-)Forschung, Ausstellungs- und Veranstaltungswesen hätte der vorliegenden Arbeit gutgetan und sie zweifellos in den Rang eines Kompendiums gehoben.

Selbst wenn die Bilanz über die Wirkung partizipativer Museumsarbeit eher erwartbar ausfällt, überzeugt Piontek mit ihrer in den ersten Abschnitten nachvollziehbar entwickelten Problemanalyse und der Herleitung wichtiger theoretischer Positionen. Insgesamt stellt sich die Frage – Piontek reißt sie in Kap. VII.11 an – inwieweit auf aktive Mitwirkung ausgerichtete Museumsprojekte tatsächlich den Interessen vieler Museumsbesucher/innen entsprechen oder ob das Museumspublikum nicht überwiegend passiv konsumierbare Edutainment-Formate erwartet. Was die hohe, überzeugende Qualität dieses Buches angeht – Impuls zur Debatte über Möglichkeiten und Grenzen partizipativer Arbeit in Museen – gilt das Wort der Autorin: Die Argumente sind „nicht nur im Fluss und noch lange nicht zu Ende gedacht“ (S. 258).

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