Cover
Titel
Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle


Autor(en)
Wolf, Thomas
Reihe
Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968, 9
Erschienen
Anzahl Seiten
563 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Wagner, Dresden

In rascher Folge publiziert die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes seit Oktober 2016 ihre Ergebnisse in umfangreichen Monographien, von denen inzwischen zehn vorliegen. Begleitend sind von 2013 bis 2015 fünf kleinere Studien erschienen.1 Mit der als Dissertation bei Klaus-Dietmar Henke (Zweitgutachter: Andreas Hilger, beide ebenfalls Mitglieder der Kommission) entstandenen Arbeit von Thomas Wolf liegt nun eine systematische Übersicht zu den organisatorischen, personellen und finanziell-materiellen Grundlagen von Organisation Gehlen (Org) und frühem BND vor. Erste Resultate seiner Recherchen hatte Wolf bereits 2016 in einem pointiert argumentierenden Aufsatz veröffentlicht.2

Es ist das Privileg dieser Reihe, dass ihre Autoren durch die reiche Auswahl an völlig neuen, erstmals zugänglichen Archivalien verschiedener Provenienz, vornehmlich des BND selbst und des vorgesetzten Bundeskanzleramtes, durchgängig unbekannte Fakten präsentieren, so bislang nicht gesehene Zusammenhänge erschließen und daraus abgeleitete, zum Teil für Aufsehen sorgende Interpretationen zur Frühgeschichte der Bundesrepublik liefern können. Dies haben bisherige Rezensenten in den letzten beiden Jahren immer wieder hervorgehoben. Dabei haben sie, positiv gewendet, auf die Akribie und Detailfreudigkeit der Forschungsleistungen verwiesen, oder, kritischer, Längen und Redundanzen der quellengesättigten Texte vermerkt und mehr Stringenz angemahnt. Letzteres allerdings gilt für Wolfs Buch entschieden nicht – wo die detaillierte Beschreibung und Analyse notwendig ist, wird die Leserschaft von ihm bedient, ohne dass jedoch dieser „Einblick in den Maschinenraum des Geheimdienstes“ (so der Verlagsprospekt vom Herbst 2018) überfrachtet wirkt.

Der Autor portioniert seine Untersuchung in vier Teile: die Organisation Gehlen unter Schirmherrschaft der U.S. Army (1946–1949), unter Kontrolle der ihrerseits neu gegründeten Central Intelligence Agency (CIA; bis 1956), dann – zeitlich parallel – die schon mit Gründung des westdeutschen Staates einsetzenden Bemühungen Reinhard Gehlens zur Eingliederung seines Dienstes in dessen Behördenapparat; schließlich die sich zeitlich streckende Umwandlung der amerikanisch geführten Org in den Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik von 1956 bis in die frühen 1960er-Jahre. Innerhalb dieser Abschnitte werden dann jeweils Struktur, Finanzierung und politische Kontrolle sowie die quantitative und qualitative Personalentwicklung von Org und BND thematisiert. Nur im dritten Teil über die Integration in den Bundesdienst wird die Betrachtung zugunsten einer Analyse des Entscheidungsprozesses pro Gehlen in Bonn und der Frage nach dem Status des Dienstes im westdeutschen Institutionengefüge aufgebrochen.

Für die Organisationsgeschichte dieser klandestinen Truppe gibt es eine Reihe von Vorarbeiten, die man bislang summarisch lesen und gegeneinander abgleichen konnte, um wenigstens zu halbwegs stimmigen Konturen eines Bildes von den Anfängen der Org zu gelangen. Hier kann Wolf quellenmäßig aus dem Vollen schöpfen. Für Budgetfragen fehlten empirisch unterfütterte Darstellungen bislang gänzlich. Die Lücken werden nunmehr geschlossen, frühere Erkenntnisse zusammengeführt, revidiert, ergänzt und erweitert, ein neues Gesamtbild entworfen. Die Vielzahl einzelner Erträge aus dem erstmals ausgewerteten Quellenkorpus soll im Folgenden in einigen zusammenfassenden Bemerkungen gebündelt werden.

Organisation und Personalpolitik: In erstaunlichem Maße war die Organisation Gehlen tatsächlich eine Desorganisation, mit weitgehend selbständig agierenden Außenorganisationen („Generalvertretungen“). Nicht vor 1948 begann der Aufbau einer Zentralkartei für festes Personal und V-Leute, so dass erst seitdem ein Überblick über die Gesamtstärke existierte. Ab Mitte 1951 gab es endlich eine reguläre Gehaltsregelung, ab Anfang 1953 Stellenpläne. Diese Maßnahmen stärkten den Einfluss der Zentrale auf die Außenorganisationen. Doch bis in die 1960er-Jahre hinein geschah die Mitarbeiterrekrutierung fortgesetzt auf Basis persönlicher Kenntnis und Empfehlung – und im Kern gab bei Personalüberprüfungen nicht die Sicherheit, sondern die politische Einstellung den Ausschlag, was die nationalkonservative Prägung des BND festigte. Der Behördenunterbau sei aus dem Organisations- und Stellenplan „nicht ersichtlich, obwohl er vorhanden ist“, hieß es intern in Pullach im Jahr der Übernahme in den Bundesdienst (S. 499). Das war nur zu einem kleinen Teil Unvermögen, im Kern aber gewollt: Abschottung, Zersplitterung, „zum System erhobene Systemlosigkeit“ (S. 388) sollten den Dienst für alle Außenstehenden – die Spione aus dem Osten wie die Kontrolleure aus dem Westen – undurchschaubar machen.

Institutioneller Wandel: Nicht die U.S. Army, erst die CIA nahm sich der Org ab 1949 intensiver an. Wolf spricht von einem „Kulturbruch“ in deren Verwaltungstätigkeit beim Übergang vom amerikanischen Heer zum US-Geheimdienst (S. 218). Aus zwei Gründen drängte die Agency auf Reformen: die Steigerung der nachrichtendienstlichen Leistungsfähigkeit durch Rationalisierung und Professionalisierung war einer der beiden, aber fast der geringere – denn die CIA-Kontrolleure erkannten recht bald, dass hochrangige politische Aufklärung von Gehlens Dienst nicht zu erwarten war („poor showing in the strategic field“, S. 146). Dessen Stärke lag vielmehr beinahe ausschließlich in der grenznahen militärischen Aufklärung in der DDR. Wichtiger war die US-Aufsicht über Pullach: Es ging hier also um den Fuß, den die CIA unter anderem durch ihre Budgethoheit über Gehlen in der Tür der Bonner Sicherheitsarchitektur – und im operativen Geschäft der Org! – hatte. Denn die Amerikaner registrierten die zunehmend stabile Position von Gehlens Dienst im bundesdeutschen Politikgefüge. Bereits im Mai 1951, so kann der Autor herausarbeiten, hatte sich Bundeskanzler Adenauer auf diesen als Nukleus eines kommenden deutschen Nachrichtendienstes festgelegt – ein recht früher Teilsieg für den ehemaligen General, der damit verhinderte, dass diese Aufgabe dem künftigen Verteidigungsministerium zugeschlagen wurde (S. 288).

Politischer Prozess: Reinhard Gehlen schaffte es, in Bonn die Vorstellungen davon zu prägen, was ein staatlicher Nachrichtendienst überhaupt ist, und seine Vorstellungen einer integrierten Beschaffung und Auswertung auf politischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet durchzusetzen. Schon in seinem früheren Aufsatz hat Wolf festgehalten, dass eher zufällige Strukturen der Org von Gehlen als ideale Form eines Nachrichtendienstes und dessen Schwächen gerade als Leistungen herausgestellt.3 Obwohl die Org in den zehn Jahren ihres Bestehens ein amerikanisch dominierter Dienst ohne eigene „deutsche Konzeption“ war, gelangen Gehlen schlussendlich die Abkopplung von seinen US-Mentoren und der Übertritt in den Bundesdienst. Nur die angestrebte offizielle Verknüpfung von Inlands- und Auslandsdienst blieb ihm versagt, was aber durch die vielseitigen geheimen Aktivitäten der Org in der Auskundschaftung und Beeinflussung im innenpolitischen Raum kompensiert wurde.4 Adenauers Kalkül, sich auf die Org zu stützen, war nicht vorrangig ein genuin sicherheitspolitisches, sondern schielte auf die außenpolitische Hebelfunktion: Der Kanzler betrachtete einen eigenen Nachrichtendienst – wie einen militärischen Verteidigungsbeitrag – als weiteren Schritt zur Aufhebung der eingeschränkten Souveränität des jungen westdeutschen Teilstaates.

Die bisherigen Darstellungen der UHK-Reihe haben, und das bekräftigt auch Wolf, unzweifelhaft und zu Recht auf das problematische personelle NS-Erbe von Org und BND, deren massive Einmischung in die Innenpolitik, ein besonders ausgeprägtes antikommunistisches Weltbild, eine bestenfalls vordergründige Demokratieaffinität, die eingeschränkte strategische Leistungsfähigkeit und große organisatorische Defizite hingewiesen. In einer institutionell-politischen Deutung kann jedoch, was dort beinahe als Pathologie von Gehlens Dienst zu lesen ist, gegen den Strich auch als Erfolgsgeschichte verstanden werden: Als selbstreferentieller Schöpfer und „Influencer“ in eigener und seiner Leute Sache war Gehlen außerordentlich begabt, weniger als fein taktierender Diplomat und kluger analytischer Kopf, sondern aufgrund von Beharrungsvermögen, Intrigenkompetenz und Netzwerkbildung.5 Der effektivste Mann der Organisation Gehlen hieß Reinhard Gehlen – allerdings nur im politischen Raum, nicht beim nachrichtendienstlichen Auftrag. Letzten Endes wurde der BND weithin nach Gehlens Vorstellungen in die Regierungsstruktur eingepasst, als „Behörde sui generis“, im Unterschied zum Bundesverfassungsschutz nicht mit einem Gesetz grundiert, sondern mit einem Organisationserlass und damit politisch flexibel. Auch gelang es, den ganzen Eingliederungsprozess mit einer nur minimalen Beteiligung des Parlamentes umzusetzen. Gehlens enge Kooperation mit Kanzleramtschef Hans Globke war lange bekannt – Wolf kann ergänzend die für die finanzielle Ausstattung von Org und BND wichtige vertrauliche Zusammenarbeit mit dem ersten Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Josef Mayer, belegen, die eine beinahe vergleichbare Bedeutung wie die Kontakte zu Globke gewann.

Dem Buch gelingt die recht plastische Schilderung einer Materie, die es aus der reinen Institutionengeschichte stets an die politische Gesamtsicht anzukoppeln vermag und auch mit dem nachrichtendienstlichen Geschäft zu verbinden weiß, etwa wenn der Verfasser das Wechselspiel von Strukturen und Strukturreformen mit der operativen Leistungsfähigkeit der Org und des BND zeichnet. Er leistet damit einen Beitrag zur Genese der frühen bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur über die Geschichte Pullachs hinaus. Bisherige Arbeiten haben keine vergleichbare Innenansicht der „black box“ BND erlaubt, die es kompensatorisch nur in der sehr überschaubaren Memoirenliteratur gibt. Wolf gewinnt tatsächlich über die Organisationsstruktur auch Einblicke in die Organisationskultur des Dienstes, wenngleich zum Beispiel die mentalen Dispositionen in ihrer zeitlichen Entwicklung oder die Auswirkungen von Weltbildern, Denkweisen und überlieferten Routinen auf den nachrichtendienstlichen Alltag noch einer ausgiebigeren Untersuchung harren.6 Aber darüber zu handeln war nicht selbstgestellte Aufgabe dieser ausgewogenen und trotz des scheinbar sperrigen Stoffs gut lesbaren Studie.

Anmerkungen:
1 Als PDF downloadbar unter http://www.uhk-bnd.de/?page_id=340 (Zugriff am 13.01.2019).
2 Vgl. Thomas Wolf, Die Anfänge des BND. Gehlens Organisation – Prozess, Legende und Hypothek, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), S. 191–225.
3 Vgl. Wolf, Die Anfänge des BND, S. 217ff.
4 Vgl. dazu Klaus-Dietmar Henke, Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946–1953, Berlin 2018; ein Folgeband für die Jahre bis 1960 ist angekündigt.
5 Vgl. Rolf-Dieter Müller, Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie, Band 1: 1902–1950 & Band 2: 1950–1979, Berlin 2017. Dazu auch die Rezensionen von Matthias Uhl, in: H-Soz-Kult, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28646, und Armin Wagner, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], http://www.sehepunkte.de/2018/09/31212.html (Zugriffe am 13.01.2019).
6 Für antikommunistische Denkweisen im Dienst vgl. allerdings Gerhard Sälter, Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes „Rote Kapelle“, Berlin 2016. Dazu auch die Rezension von Matthias Uhl, in: H-Soz-Kult, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26855 (Zugriff am 13.01.2019).

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