N. D'Acunto u.a. (Hrsg.): Originale – Fälschungen – Kopien

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Titel
Originale – Fälschungen – Kopien. Kaiser- und Königsurkunden für Empfänger in „Deutschland“ und „Italien“ (9.–11. Jahrhundert) und ihre Nachwirkungen im Hoch- und Spätmittelalter (bis ca. 1500) / Originali - falsi - copie. Documenti imperiali e regi per destinatari tedeschi e italiani (secc. IX–XI) e i loro effet nel Medioevo e nella prima età moderna (fino al 1500 circa).


Herausgeber
D'Acunto, Nicolangelo; Huschner, Wolfgang; Roebert, Sebastian
Reihe
Italia Regia. Fonti e ricerche per la storia medievale 3
Erschienen
Leipzig 2017: Eudora
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Rzihacek, Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Im vorliegenden Band sind die Ergebnisse der dritten diplomatischen Fachtagung der Projektgruppe „Italia Regia“ publiziert, die im Juni 2015 in Leipzig stattfand.1 Wie Wolfgang Huschner in der Einleitung (S. 7–14) ausführt, lag der Fokus diesmal auf der Funktion früh- und hochmittelalterlicher Urkunden „in verschiedenen Stadien und Formen ihrer Existenz“ (S. 7). Dabei sollten nicht nur Motive für die Ausstellung bzw. Fälschung von Urkunden mit jenen für die Anfertigung von Kopien in ihren jeweiligen historischen Zusammenhänge verglichen, sondern auch die Bedeutung der äußeren und inneren Urkundenmerkmale in Original und Kopie untersucht werden. Ein den Referenten übermittelter Katalog von 12 Fragen (S. 9f.) spann einen roten Faden, um methodische und thematische Einheitlichkeit zu erzielen. Nachgegangen wurde nicht nur Fragen nach späteren Manipulationen, Verfälschungen und Fälschungen, sondern auch nach der Benützung von Urkunden als Vorurkunden und Inserte, nach Hintergründen und Zeitpunkt der Abschriften sowie Kriterien für die Auswahl der Urkunden und der graphischen Gestaltung in Abschriften.

Die 16 Beiträge in deutscher, italienischer und französischer Sprache sind in zwei Hauptgruppen gegliedert, deren erste den Originalen und Fälschungen sowie ihren späteren Überlieferungen in Einzel- und beglaubigten Kopien gewidmet ist, während die zweite Gruppe Originale und Fälschungen und ihre Abschriften in Kopialbüchern behandelt. Innerhalb dieser beiden Hauptgruppen sind die sechs Aufsätze der ersten und die zehn Beiträge der zweiten Gruppe noch weiter in regionale Untergruppen aufgeteilt. Die Zuordnung zu den beiden Hauptgruppen ist allerdings nicht durchgehend stringent. Während sich die ersten sechs Beiträge tatsächlich ausschließlich mit Urkunden befassen, die später als Inserte, in Form beglaubigter Kopien und Einzelabschriften überliefert sind, trifft dies auch auf vier Beiträge (Carboni S. 145–152, Cossandi S. 152–173, Cavallini-Tomei S. 205–216 und Kälble S. 263–291) zu, die der zweiten Gruppe zugeteilt sind, obwohl die Überlieferung in Kopialbüchern in ihnen nicht berührt wird.

Den Tagungsreferaten vorangestellt ist der Text eines von Theo Kölzer gehaltenen Abendvortrages (S. 15–30), in welchem er Überlegungen zur Wirksamkeit mittelalterlicher Urkundenfälschungen anstellte und dabei anhand des Fälschungskomplexes von St. Maximin in Trier hervorhob, dass für die Akzeptanz aus welchem Grund auch immer gefälschter Urkunden – so wie übrigens auch für die Ausstellung und Durchsetzung echter Urkunden – in erster Linie und vor allem ein „politischer Wille“ (S. 19) und ein „aufnahmebereites politisches Umfeld“ (S. 23) ausschlaggebend waren.

Essentiell für die Frage nach dem Zweck der Herstellung von Fälschungen, Verfälschungen und Urkundenabschriften erweisen sich zwei Voraussetzungen. Zum einen ist dies die gründliche und möglichst lückenlose archivalische (bei Handschriften auch kodikologische) Aufarbeitung der gesamten Überlieferung (Mersiowsky S. 105: „ein genaues Censimento“), zum anderen die Verortung von Beurkundung und Kopie im historischen Kontext, wozu Vorarbeiten zur Geschichte der Empfänger erforderlich sind, die keineswegs immer vorhanden sind. Der vorliegende Band leistet dazu für eine Reihe von Empfängern im Zeitraum vom 9. bis zum 11. Jahrhundert wertvolle Arbeit. Von flächendeckenden Vorarbeiten in beiden Bereichen, besonders auch für Urkunden des Hoch- und Spätmittelalters, ist man heute noch weit entfernt. Selbst bei guter Aufarbeitung lassen sich die Umstände, die zur Anfertigung von Kopien führen, letztlich oft nicht mehr mit Sicherheit aufklären (vgl. De Angelis S. 179: „… non è sempre agevole indicare le circostanze immediate che furono alla base delle iniziative di copiatura“).

Dass dies bei günstiger archivalischer Überlieferung und entsprechender Aufarbeitung der historischen Zusammenhänge sehr wohl gelingen kann, zeigen die Beiträge Giacomo Vignadellis zu den Herrscherurkunden im Archivio Capitolare von Vercelli (S. 53–80), Wolfgang Huschners zu den ottonischen und salischen Herrscherurkunden für Merseburg, Meißen und Naumburg (S. 117–142), Guido Carbonis zur Abtei SS. Leone e Marino di Pavia (S. 145–152), Nicolangelo D´Acuntos zu Sansepolcro (S. 195–204) und Simone Collavinis und Paolo Tomeis zu San Ponziano di Lucca (S. 205–216). Dies trifft ebenso auf die Erforschung der Motive zu, die hinter der Anlage von Kopialbüchern stehen, deren Entstehung Thomas Vogtherr für die Osnabrücker Herrscherdiplome (S. 217–228, hier S. 221), Andrea Stieldorf für Bamberger Empfänger (S.229–241) und Mathias Kälble für die Transsumpte von Herrscherurkunden für das Bistum Meißen (S. 263–291) erfolgreich untersuchen konnten, wobei Kälble einräumt, dass es selbst bei gut erforschter Urkundenlage „aus gegenwärtiger Perspektive […] freilich nicht immer möglich [ist], zu eindeutigen Aussagen [über die Gründe für die Herstellung von Kopien] zu gelangen“ (S. 287). Die Beiträge von Vogtherr und Stieldorf sowie jener von Francesco Roberg über Abschriften und Fälschungen von Herrscherurkunden für Hersfeld (S. 293–299) können als mustergültig in Hinblick auf die systematische und geschichtliche Aufarbeitung der archivalischen Überlieferung der Herrscherurkunden und ihrer kopialen Überlieferung gelten.

Während sich manchmal „konzertierte Aktionen“ (Mersiowsky S. 109) feststellen lassen, mit welchen eine Reihe von Einzelkopien (mitunter vom selben Schreiber) angefertigt wurde, bleiben bei Kopialbüchern und Chartularen Zweck und Ordnungsprinzipien allerdings mitunter unklar. Manche scheinen für den Gebrauch schlichtweg ungeeignet und lassen so „keine belastbare Aussage“ über ihren Zweck zu (Klimm S. 255). Anhand seiner Untersuchung mittelalterlicher Kopien von Karolingerurkunden für „deutsche“ und „österreichische“ Empfänger (S. 105–116) geht Mark Mersiowsky der Vielzahl von Gründen für die Herstellung von Fälschungen, Verfälschungen und Urkundenabschriften nach (hier S. 106–113, vgl. zu dieser Frage auch Stieldorf S. 237). Sie dienten zur Vorlage in Gerichtsprozessen, der Dokumentation, Sammlung und Ordnung von Rechtstiteln, als Nachweis des hohen Alters von Rechtstiteln (Stichwort Fälschungen) oder der großen Bedeutung und Herrschernähe der Institution, als konservatorische bzw. Sicherheitskopien, als Arbeitstexte oder Stilübungen. Manche Handschriften entsprangen archivalischer Ordnung und systematischer Verzeichnung, bei anderen handelt es sich um zu Verwaltungszwecken angelegte Gebrauchshandschriften.

Bei der Beschäftigung mit den äußeren Merkmalen der Abschriften zeigt sich, dass diese – besonders die Monogramme – in besonderem Maße dann imitiert wurden, wenn die Abschriften das Prestige des Ausstellers (und damit des Empfängers) demonstrieren sollten (vgl. Cossandi S. 167). Besonders feierlich gestaltete „Paradestücke“ (Mersiowsky S. 109) wurden häufig auch zur Legitimation und Identitätsstiftung kopiert (Stieldorf S. 237) und etwa auch in liturgische Handschriften eingetragen.2 Mit dem Ziel, sie ideologisch zu überhöhen und weiteren Kreisen bekannt zu machen, wurden Urkundentexte auch zusammen mit hagiographischen Texten überliefert (Stieldorf S. 231). Der Vorlage bzw. Verlesung echter und gefälschter Urkunden im Original, selten in Kopie, für die Ausstellung italienischer Gerichtsurkunden widmen sich die ersten beiden Beiträge des Bandes (Bougard S. 33–38 und Mezzetti S. 39–52).

Dass sich eine exakte Kategorisierung der vielen verschiedenen Überlieferungsformen häufig als schwierig erweist, wird in fast allen Beiträgen thematisiert. Ob es sich bei einem Dokument nun tatsächlich um eine Kopie oder um einen unausgefertigten Empfängerentwurf (vgl. Ghignoli S. 98–101), um eine Nachzeichnung oder eine Fälschung (Mersiowsky S. 107), um eine Kopie oder eine Zweitausfertigung (ebenda S. 108) handelt, lässt sich auch nach eingehenden Untersuchungen nicht immer beantworten. Und ein zentrales Problem stellen nach wie vor Fälschungen und deren Nachweis dar. Auch hier spielen Abgrenzungsfragen eine Rolle, wie Kölzer S. 17f. mit Hinweis auf „Kanzleifälschungen“, Blankette und Pancartae zeigt. Immer wieder (vgl. etwa Kölzer S. 19 oder De Angelis S. 183) wird die Frage berührt, ob Fälschungen, die später bestätigt oder abgeschrieben wurden, als solche erkannt wurden oder überhaupt erkannt werden konnten bzw. prinzipiell zwischen echten und gefälschten Urkunden unterschieden wurde – eine Frage, die Empfänger dieser Urkunden vielleicht vorsichtshalber lieber gar nicht stellten, lag es doch jedenfalls in ihrem Interesse, dass die derart verbrieften Besitzungen und Rechte Anerkennung fanden.

Auch die große Unbekannte hinter allen Quellenstudien wird im Band wiederholt angesprochen. Es sind dies die Überlieferungslücken, mit welchen sowohl bei Originalen, Einzelkopien als auch bei Kopialbüchern (ganz oder einzelne Teile, Lagen oder Blätter, vgl. Roberg S. 296) zu rechnen ist. Das durch Forschungen gewonnene Bild hängt immer von der Überlieferungslage ab, insbesondere wenn etwa die Frage gestellt wird, warum bestimmte Urkunden (häufig) abgeschrieben wurden, andere (gar) nicht. Auch dazu stellen die Autoren mehrerer Beiträge wertvolle Überlegungen an. Abgesehen von der bekannt günstigeren Überlieferung der Archive kirchlicher Institutionen und von sachlich-inhaltlichen Gründen sind es auch Sonderfälle, die das Spektrum des Möglichen illustrieren, wie etwa Urkunden, die zu Einbänden verarbeitet wurden (vgl. Vogtherr S. 220), oder die vermutliche Abschrift von nach den Vorstellungen des Empfängers entworfenen, aber in dieser Form nicht beurkundeten Konzepten im Liber privilegiorum sancti Mauritii Magdeburgensis (Klimm S. 243–261, hier S. 253f.).

Insgesamt geben die methodisch einheitlichen Beiträge einen guten Überblick über die Mannigfaltigkeit und Vielschichtigkeit der Verwendung sowie Überlieferung von Herrscherurkunden – und deren Probleme. Neben der hochwertigen Ausstattung und den zahlreichen durchwegs qualitativ hervorragenden Urkundenabbildungen ist auch die sorgfältige Redaktion der Texte hervorzuheben.3 Quellen- und Literaturverzeichnisse finden sich praktischerweise jeweils am Ende der Beiträge. Sehr nützlich sind die Register der Urkunden (S. 307–318), Handschriften (S. 319f.) und Personen und Orte (S. 321–330) am Schluss des Bandes.

Anmerkungen:
1 Zum Projekt „Italia Regia“ vgl. die Rezension zum ersten Band der Reihe: Andrea Stieldorf: Rezension zu: Ghignoli, Antonella / Huschner, Wolfgang / Jaros, Marie Ulrike (Hrsg.): Europäische Herrscher und die Toskana im Spiegel der urkundlichen Überlieferung (800–1100). I sovrani europei e la Toscana nel riflesso della tradizione documentaria (800–1100). Leipzig 2017, in: H-Soz-Kult <http:/hsozkult.de/publicationreview/id/reb-25814> (28.09.2020).
2 Mersiowsky S. 112 nennt als Beispiel dafür den bekannten Kremsmünsterer Codex millenarius, während Andrea Stieldorf S. 238 auf die vermutlich hohen Verluste in diesem Bereich hinweist.
3 Einzelne Tippfehler (wie S. 90: „Vorurukunde“; S. 107 „verwahrten“ statt „verwahrte“; S. 205 Anmerkung 2 und S. 216 „Pohl/Weser“ statt „Pohl/Wieser“ und „Veronika Weser“ statt „Wieser“) fallen dabei nicht ins Gewicht.

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