Es gibt eine neue Sichtbarkeit der Religion – darüber wird nicht nur in den Medien spekuliert, darin sind sich auch diverse wissenschaftliche Disziplinen seit längerem einig. Tanja Maier prangert jedoch durchaus gerechtfertigt an, dass insbesondere in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft kaum Studien vorliegen, die das Thema „Religion und ihre mediale Präsenz“ – speziell die mediale Sichtbarkeit christlicher Motive im Wandel der Zeit – fokussieren würden. Und wenn, dann würden Zeitschriften, obwohl diese seit jeher mit viel Bildmaterial arbeiteten, kaum betrachtet. Maiers Studie Die (un)sichtbare Religion möchte diese Lücke schließen. Mit einem enormen Untersuchungskorpus, das Ausgaben der drei Zeitschriften Spiegel, Stern und Bunte von 1949 bis 2013 umfasst, geht die Studie zwei Hauptaspekten nach. Einerseits wird die Sichtbarkeit christlicher Bilder in den besagten Medien und ihre Bedeutung für das kulturelle Bildrepertoire analysiert. Denn die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Maier vertritt die Ansicht, dass sich anhand einer diachronen Untersuchung der christlichen Bildmotive in deutschen Zeitschriften und ihrer spezifischen Sichtbar- oder eben Unsichtbarmachung Schlüsse bezüglich eines gesellschaftlichen und medialen Wandels ziehen lassen. Andererseits will die Studie aufzeigen, wie die drei deutschen Zeitschriften Spiegel, Stern und Bunte christliche Bildmotive konkret eingesetzt haben. Diese synchrone Analyse soll erläutern, inwiefern solche Motive in die Alltagskultur Einlass fanden. „Durchgehend forschungsleitendes Interesse ist, welche der Darstellungskonventionen durchgehend gelten (und welche nicht) und welches Bilderrepertoire zwar stabil bleibt, aber gerade dabei durch Veränderungen in der Darstellung auf der einen und dem Sehen auf der anderen Seite sowie des gemeinsamen Kontextes auch eine veränderte mediale Sichtbarkeit erhält […]“ (S. 15).
Maier geht dabei sehr systematisch vor. In elf Kapitel gegliedert, widmet sich die Studie ihrer zweiteiligen Forschungsfrage. Im zweiten Kapitel legt die Autorin die theoretischen Prämissen dar und situiert ihre Studie innerhalb des Forschungsgebiets. Den Ansätzen von Stuart Hall oder Paul Du Gay folgend, erläutert sie ihr Konzept von „Kultur“, das in einem prozessualen Sinne zu verstehen ist und Techniken der Produktion, der Repräsentation, der Rezeption, der Regulation und Identitätsbildung umfasst. Was wem wie wann und warum gezeigt wird, hängt immer von den vorherrschenden Machtverhältnissen ab und entsprechend kann ein Bild nicht außerhalb seines Kontexts gelesen werden. Maier verdeutlicht in diesem Kapitel außerdem, dass die für diese Studie verwendete Bilddefinition als Hybrid zwischen phänomenologischen und semiotischen Ansätzen zu kategorisieren ist. Wenn es also um die „Sichtbarkeit vom Bild her“ und um die „Konventionen der Sichtbarkeit durch Bilder“ (S. 28) gehe, wird auf phänomenologische Theorien zurückgegriffen; wenn es hingegen um die „Sichtbarkeit von den Konventionen her“ und um die „Konventionen der Sichtbarkeit“ (S. 28) geht, da beruft sich Maier auf die semiotischen Theorien aus dem Feld der Visual Culture Studies. Weiterführend sind hier auch die Überlegungen zur Faktizität von Bildern, insbesondere religiösen Bildern, die auf Transzendenz verweisen und dennoch im Journalismus eingesetzt werden. Dadurch erfolgt eine Überlagerung von Bedeutungszuweisungen, die je nach Kontext die eine oder andere Zuschreibung favorisieren. Der anschließende kultur- und religionsgeschichtliche Abriss der Bundesrepublik Deutschland wird sehr passend mit dem Forschungsstand im Bereich Medien und Religion kombiniert.
Wie genau das Material ausgewählt, systematisiert und analysiert wurde, legt Maier im Methodenkapitel ausführlich dar. Die Bilder wurden in ihrem spezifischen medialen Verwendungskontext analysiert, damit die Konventionen der Sichtbarmachung religiöser Motive und ihr Wandel nachvollzogen werden können. Obwohl die Grobeinteilung der Bildmotive trotz der relativ offenen Religionsdefinition nach Riesebrodt1 bisweilen etwas eindimensional wirkt, macht eine solche Vereinfachung Sinn, wenn ein derart umfangreiches Korpus untersucht werden soll. Dies gilt, zumal die zu untersuchenden Zeitschriften solche Rationalisierungen oder Schematisierungen vornehmen, indem sie religiös konnotierte Bilder zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr prominent platzieren oder einem „Medien-Hype“ entsprechend, religiöse Akteur/innen ins Zentrum rücken.
Erhellend ist die Einsicht, dass sich eine seit den 1970er-Jahren zunehmende Präsenz religiöser Bildmotive im Zusammenhang mit nicht primär religiös konnotierten Bereichen, hier explizit dem Technik- und Wissenschaftsdiskurs, feststellen lässt. Auch führt die Beobachtung weiter, dass sich mit dem sogenannten „hyper-picture“ (hypermediales Bild) eine neue Möglichkeit bietet, Bedeutungsüberlagerungen und ein Nebeneinander mehrerer religiöser Traditionen insbesondere auf Titelbildern sichtbar zu machen. Diese Collagen oder Bildserien nehmen zwar Motive aus dem religiösen, hier christlichen Bildrepertoire auf, kombinieren sie jedoch mit anderen Bildern und öffnen sie dadurch für die Verwendung in Diskursen, die über eine bestimmte religiöse Tradition hinausgehen und ihre polyseme Grundanlage verdeutlichen. Gleichzeitig wird dadurch das Bildreservoir aktualisiert und die „alten Bilder“ werden revitalisiert und zu „neuen Bildern“ gemacht.2 Hier könnte man ergänzen, dass der Einbezug bildanthropologischer Ansätze die Studie hätte bereichern können, weil sie die Körperlichkeit des Bildes, seine Medialität und den menschlichen Körper zueinander in Beziehung setzen, und nicht nur dem Produktions- und Rezeptionskontext eine große Bedeutung zumessen, sondern auch die (technische) Veränderung der „Trägermedien“ als möglichen Ursprung von Bedeutungsverschiebungen eines Bildmotivs betrachten. So ließen sich Transformationen hinsichtlich der Konventionen zur (Un-)Sichtbarmachung von christlichen Bildmotiven noch auf einer weiteren Ebene erschließen.
Die äußerst anregenden Case Studies untersuchen die Bildmotive „Papstbildnis“, „Marienbilder“, „Jesusbilder“ und „Schöpfungs- und Paradiesbilder“ dia- und synchron. Ikonografische Traditionen werden aufgezeigt und ihre Veränderungen kommentiert. Das Bildmaterial ist dabei weit mehr als bloße Illustration: Anhand der Abbildungen zeigt Maier etwa sehr prägnant auf, wie sich die Zeitschriften Papstbildnisse aneignen und je nach Inszenierungsstrategie eine bejahende oder kritisch-distanzierte Haltung gegenüber dem Papst oder der Katholischen Kirche als Institution vermitteln. Hier hätte eine Aktualisierung bzw. Ergänzung um den „Medienpapst“ Franziskus aufschlussreich sein können – insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern sich die Befunde von der Ära Benedikt XVI. zu Franziskus verändern. Sehr interessant sind die Schlüsse, die die Autorin aus der Fallanalyse „Marienbilder“ zieht: „Anhand der Madonnenbilder wird [...] sichtbar, dass das kulturelle Bilderrepertoire durch christliche Vor-Bilder geprägt ist, denen wiederum Geschlechterbilder eingeschrieben sind, die sich auch durch veränderte Zuschreibungen fortschreiben.“ (S. 233)
Anhand des Fallbeispiels „Jesusbilder“ zeigt Maier anschaulich auf, wie vormals dominante Bedeutungszuschreibungen von anderen – nicht unbedingt neuen, aber weniger populären – abgelöst werden und hebt dadurch noch einmal die Vieldeutigkeit religiöser Motive hervor. Dabei spielt die jeweilige mediale Inszenierung eine bedeutende Rolle, da insbesondere im Zeitschriftenjournalismus auch auf Bilder aus anderen Medien (Theateraufführungen, Kinofilme etc.) zurückgegriffen wird, was zu einer zusätzlichen Erweiterung von Bedeutungszuschreibungen führt. Und mit dem Fallbeispiel „Schöpfungs- und Paradiesbilder“ unterstreicht die Studie, wie variabel und undogmatisch der Einsatz von religiösen Motiven im Zeitschriftenjournalismus ab den 1990er-Jahren gehandhabt wurde. Es zeichnet sich nämlich ab, dass „die christlichen Bildmotive auch in den Wissenschafts- und Technikdiskursen Ambivalenzen und Unübersichtlichkeiten selbst sichtbar machen und darüber innerhalb der umstrittenen Diskurse Orientierung zumindest über diese Ambivalenz zu versprechen scheinen […].“ (S. 291)
Im Fazit unterstreicht Maier die Erkenntnis, dass die Inszenierung eines religiösen Motivs durch eine Zeitschrift neue Perspektiven eröffnen kann – und zwar nicht nur auf die – hier – christliche Tradition, sondern auch auf die spezifische mediale Bild-Verwendung und die damit verbundenen Prozesse der Überlieferung und der Bedeutungszuschreibung. Ob diese Öffnung des Bildes im Falle des Madonnenbildes tatsächlich zur Feminisierung des Frauen- und Familienbilds führt, darüber lässt sich streiten. Dass damit jedoch auch Machtverschiebungen einhergehen, die die Deutungshoheit über das Bild und die Wahl des „richtigen“ Trägermediums betreffen, steht außer Frage. Die Studie überzeugt in der Akribie und Dichte der Fallanalysen und wirft interessante Fragen auf, die nicht nur im Bereich der Kommunikations- und Medienwissenschaft weiterführend sind. Das ist auch deshalb der Fall, weil sie deutlich macht, dass die mediale Inszenierung von Religion nicht länger nur an genuin religiöse Themen gebunden ist, sondern auch für religiöse und nicht-religiöse Akteure zunehmend eine Rolle spielt, wenn es darum geht, bestimmte (politische) Ziele zu verfolgen und thematische Schwerpunkte zu setzen.
Anmerkungen:
1 Martin Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München 2007.
2 Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Hans Belting erklärt in seiner vielbeachteten Monografie Bild-Anthropologie: „Alle alten Bilder sind gewesene neue Bilder. Manches Bild mag nur deshalb als ein neues wirken, weil es ein neues Medium benutzt oder auf eine neue Praxis der Wahrnehmung reagiert.“ Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 54–55.