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Titel
Das amerikanische Museum. Sklaverei, Schwarze Geschichte und der Kampf um Gerechtigkeit in Museen der Südstaaten


Autor(en)
Kogoj, Cornelia; Kravagna, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Etges, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Als Cornelia Kogoj und Christian Kravagna zwischen 2015 und 2018 den US-amerikanischen Süden bereisten, hatte der Deutungskampf um die Geschichte der amerikanischen Südstaaten, der Sklaverei, des Bürgerkriegs und der Bürgerrechtsbewegung, über Denkmäler, Flaggen und Benennungen von Gebäuden und öffentlichen Plätzen bereits einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit Erscheinen des Buches im Mai 2019 hat sich in diesen Fragen noch einmal eine neue Dynamik entwickelt.

Kogoj und Kravagna besuchten für ihre Studie viele verschiedene Museen im Süden der USA, die sich mit den genannten Themen befassen, mit Rassismus und white supremacy, mit afroamerikanischer Kunst und Kultur. Anders als Susan Neiman, die bereits mit dem Buchtitel „Learning from the Germans“1 signalisierte, woran sich die amerikanische Erinnerungspolitik orientieren könnte, war der Ansatz der beiden österreichischen Kuratoren und Kulturwissenschaftler genau andersherum. Sie hatten sich in ihrer eigenen Arbeit „wiederholt mit der Frage des angemessenen Umgangs mit stereotypen Darstellungen von diskriminierten Gruppen (Schwarze, Migrant/innen, Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti und andere) in Ausstellungen und Sammlungspräsentationen konfrontiert“ gesehen und wollten „von amerikanischen Lösungsansätzen […] lernen“ (S. 8).

In insgesamt neun Kapiteln analysieren sie Aspekte wie „Weißer Terror und Kampf um Erinnerung“ oder „Stereotype ausstellen“. Oft wird das beispielhaft an einer bestimmten Region und in ausführlich geschilderten Ausstellungsrundgängen behandelt, immer wieder ergänzt durch kürzere Vergleiche mit bereits besprochenen Museen. Dabei legen sie großen Wert auf die „Betrachtung des amerikanischen Museums im Kontext „des urbanen Raums, der Region, der anderen Museen in seinem Einzugsgebiet, der sozialen Bewegungen und Herausforderungen einer Community“ (S. 13).

Das gelingt immer wieder sehr gut, beispielsweise beim Zora Neale Hurston Museum in Eatonville, Florida, einer der ersten schwarzen Gemeinden der USA und Geburtsort der berühmten Schriftstellerin, das auch aus dem Kampf gegen den Bau einer Schnellstraße entstand; in Dallas, auf den Spuren der nach der Texas Centennial Exhibition von 1936 zerstörten Hall of Negro Life and Culture und mit dem African American Museum, das unter anderem archäologische Ausgrabungen auf dem ehemaligen Freedmen’s Cemetery dokumentiert; und auch für die Kapitel, die sich mit der konträren Museums- und Denkmallandschaft in Louisiana und in Charleston in South Carolina beschäftigen. Während bei Führungen auf der prachtvollen Nottoway Plantation der alte Süden glorifiziert und Sklaverei weitgehend ausgeblendet wird – es ist von „Dienern“ die Rede – versteht sich das aus einer privaten Initiative hervorgegangene Whitney Plantation Museum als erstes inoffizielles Sklavereimuseum der USA. Letzteres konkurriert mit dem finanziell weit schlechter aufgestellten River Road African American Museum um die Darstellung der Gegengeschichte. In Charleston, einer der wichtigsten Sklavenhandelsstädte, zeigen sich die Gegensätze räumlich noch weit näher, ob in Museen, Straßennamen oder Denkmälern für Denmark Vesey, den Anführer eines im Jahre 1822 gescheiterten Sklavenaufstandes, und für John C. Calhoun, einen der einflussreichsten Verteidiger der Sklaverei. Die überlebensgroße Statue des ehemaligen Vizepräsidenten, an der die Autor/innen zurecht besonderen Anstoß nehmen, thront mittlerweile nicht mehr über einem zentralen Platz der Stadt, sondern wurde im Juni 2020 unter großem technischem Aufwand vom Sockel geholt.

Eine Stärke des Buches ist es, dass es den Blick immer wieder auf kleine Museen richtet, die oftmals keine systematische Sammlung haben und völlig unterfinanziert sind, die aber eine wichtige lokale Bedeutung haben und beispielsweise dem Fokus auf die großen Ereignisse der urbanen Bürgerrechtsbewegung die ländliche Perspektive hinzufügen. Dabei geben die Autor/innen aber gelegentlich zu sehr deren Perspektive wider. Dass beispielsweise die Organisation HERO in Greensboro, Alabama keine öffentliche Finanzierung bekomme, „da in den USA die Fördermittelvergabe an die Wahlbeteiligung geknüpft ist“ (S. 175), stimmt so nicht.

Deutlich kritischer werden die prominenteren, national bekannten Institutionen beschrieben. Beim Whitney Plantation Museum stoßen sich die Autor/innen an kitschigen Skulpturen. An der Ausstellung des von Coca-Cola geförderten Center for Civil and Human Rights in Atlanta bemängeln sie, dass die Darstellung der Bürgerrechtsbewegung 1968 endet. Für die Zeit danach steht „The Global Human Rights Movement“ im Fokus, anstatt „die institutionelle und alltägliche Dimension des Rassismus in den USA […] einer Aktualisierung zu unterziehen“ (S. 125). Dass das Birmingham Civil Rights Institute und das National Civil Rights Museum in Memphis – letzteres an dem Ort, an dem Martin Luther King 1968 ermordet wurde – ebenfalls die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Rassismus scheuen, führen die Autor/innen auch darauf zurück, dass diese großen Museen zum „Heger des Schwarzen Kulturerbes“ und zu den wichtigsten touristischen Attraktionen der jeweiligen Bundesstaaten gehören. Das Birmingham Civil Rights Institute ist ihnen zudem zu sehr von Design geprägt und baut auf „Techniken der Imitation, Immersion und Interaktion“ (S. 117), die eine videospielhafte Reizüberflutung schaffen. Das Museum in Memphis verbindet dagegen „die Fundierung auf Objekte und Dokumente des einen Typs mit der Orientierung an Erlebnis und Erfahrung des anderen Typs“ (S. 111). Aber die Werbung des Museums, dass die Besucher/innen den brutalen Schiffstransport nach Amerika (Middle Passage) durch eine Inszenierung quasi nacherleben können, weisen die Autor/innen mit guten Gründen deutlich zurück.

Leider haben sich die Autor/innen dagegen entschieden, dem National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) bzw. den nationalen Geschichtsmuseen der Smithsonian Institution in der Hauptstadt Washington ein eigenes Kapitel zu widmen. Das hätte sehr gut an das Ende des Buches gepasst. Zwar gehen sie immer mal wieder auf das architektonisch und inhaltlich herausragende NMAAHC ein, aber sie werden seiner nationalen und auch internationalen Bedeutung nicht gerecht. Eine tiefere Analyse des NMAAHC hätte auch die Gelegenheit geboten, sich mit dessen Museums- und Ausstellungsdesign auseinanderzusetzen. Anders als bei vielen der anderen Institutionen ist der Eintritt in die Washingtoner Museen kostenlos, aber ähnlich wie in den anderen großen Geschichtsmuseen zielt die state of the art-Inszenierung des NMAAHC hier auf ein breites, oftmals weniger gebildetes Publikum. Mit Erfolg: Unter den fast vier Millionen Besucher/innen in den Jahren 2018 und 2019 waren überdurchschnittliche viele junge Menschen, Afroamerikaner/innen und viele, die bislang nicht in Geschichtsmuseen waren.

Insgesamt gelingt es Kogoj und Kravagna sehr gut, die Leser/innen auf ihre Reise(n) mitzunehmen und sie durch die Museen zu „führen“. Dass sie dabei nicht alle der fast 80 besuchten Institutionen besprechen und ihre Studie klug inhaltlich und geographisch untergliedern, waren gute Entscheidungen. Zudem bauen sie für diejenigen, die nicht Expert/innen zur US-Geschichte sind, immer wieder ausführliche historische Einordnungen und Schilderungen ein. Im 7. Kapitel über „Buffalo Soldiers and Black Police“, in dem sie sich mit der unkritischen Darstellung afroamerikanischer Soldaten auseinandersetzen und das hoch interessante Black Police Museum in Miami beschreiben, liefern sie allerdings ein wenig zu viel davon. Und es unterlaufen ihnen kleinere Fehler: Es war nicht Franklin D. Roosevelt, der die Abschaffung der Segregation in der Armee 1941 per Dekret anordnete, sondern das machte erst sein Nachfolger Harry S. Truman 1948, wie sie auch selbst an anderer Stelle richtig schreiben. Kernbestandteile des Wahlrechtsgesetz von 1965 wurden durch einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs von 2013 für verfassungswidrig erklärt, und erst das ermöglichte entsprechende Wahlrechtseinschränkungen auf Einzelstaatsebene. Dass die Demokraten nach 1945 „zur Partei der Afroamerikaner/innen“ wurden (S. 158), ist zwar nicht falsch, aber es waren demokratische Kongressmitglieder und Gouverneure, die bis weit in die 1960er-Jahre mit brutaler Gewalt für die Aufrechterhaltung der Segregation kämpften und Gerichtsbeschlüsse missachteten. Das sind aber nur kleine Kritikpunkte.

Überrascht und auch ein wenig enttäuscht ist man allerdings am Ende des Buches, dem ein Schlusskapitel fehlt. Zwar finden sich zahlreiche Reflexionen in der Einleitung und auch in den Kapiteln, darunter auch zu Vor- und Nachteilen der Darstellung rassistischer Stereotypen in verschiedenen Museen, aber man hätte doch noch gern zusammenfassend und pointiert gewusst, was genau denn in den USA zu lernen war und was und in welcher Form möglicherweise im deutschsprachigen Raum umgesetzt werden könnte.

Anmerkung:
1 Vgl. Andreas Etges, Rezension zu: Susan Neiman, Learning from the Germans. Race and the Memory of Evil, New York 2019, in: H-Soz-Kult, 13.10.2020, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29214 (13.10.2020).

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