P. Nielsen: Between Heimat and Hatred

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Titel
Between Heimat and Hatred. Jews and the Right in Germany, 1871–1935


Autor(en)
Nielsen, Philipp
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
£ 47.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lieven Wölk, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin / Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk

Studien über konservative, nationalgesinnte sowie rechte jüdische Individuen und Vereinigungen im Deutschen Reich und der Weimarer Republik sind rar. Fernab von einigen Dissertationen blieb dieses Feld in der englisch- und deutschsprachigen Historiographie ein Desiderat.1 Auffällig ist, dass auf frühe Schriften ein langes Schweigen folgte.2 Die Zaghaftigkeit, mit der das Themenfeld bearbeitet wurde, lässt sich auch damit erklären, dass deutschgesinnte Juden nach der Shoah kritisch betrachtet wurden. Dieser Blick verkehrt allerdings ex post die Richtung, aus der Geschichte zu betrachten ist.

Philipp Nielsen hat mit seiner 2019 veröffentlichten Dissertation „Between Heimat and Hatred: Jews and the Right in Germany, 1871–1935“ erstmals eine umfassende historiographische Studie vorgelegt, die sich deutschgesinnten Juden strukturiert und kenntnisreich widmet. Das Konzept „Heimat“ übersetzt Nielsen als: „a term for home imbued with a deep sense of belonging“ (S. 2). Es ist denkbar, das Streben nach Zugehörigkeit von Juden als ein „element of the German people (Volkselement)“ (S. 27) inklusiv aufzufassen. Als Schlagworte der Rechten waren „Volkselemente“ und „Volksgemeinschaft“ ebenso Marker der Ausgrenzung bei der Imagination einer homogenen deutschen Gemeinschaft.3

Die Studie ist an der Aufschlüsselung von Nuancen interessiert. Daher werden hier Annahmen abgelehnt, denen folgend die Rechte im Kaiserreich und der Weimarer Republik durch „Antisemitismus als kulturellen Code“ geeint gewesen sei. Sonst wäre das Engagement von jüdischen Deutschen in rechten Sphären nur durch eine Theorie vom „jüdischen Selbsthass“ begründbar. Nielsen nimmt hingegen bekennende Juden als rechts-konservative partizipierende Deutsche ernst, da es bis zur Radikalisierung vieler rechter Gruppen Mitte der 1920er-Jahre keinen gemeinsamen judenfeindlichen Nenner gab.

Der Abschnitt „Belonging, 1871–1914“ befasst sich mit agrarromantischer Rückbesinnung, insbesondere der jüdischen Mittelschicht. Der 1897 gegründete Verein zur Förderung der Bodenkultur unter den Juden Deutschlands sollte die deutsche Landesverbundenheit und Festigung jüdischer Identität durch Siedlungsprojekte und Berufsumschichtung befördern. Insbesondere die Jugend war Ziel dieser Bestrebungen, sie sollte die Regeneration von vornehmlich geistig tätigen jüdischen Deutschen hin zu kräftigen Ackerbauern vollziehen. Neben der Annäherung deutsch-jüdischer Zeitgenossen an den Heimatboden, wollte der Verein osteuropäische Juden nach ihrer Einwanderung mit dem deutschen Boden in Verbindung bringen. Die jüdischen Siedlungsbestrebungen waren an die staatliche Siedlungsaktivität und Bevölkerungspolitik, die „innere Kolonisation“ im „Osten“, angelehnt.

Nachdem Heimatvereine sich im Kaiserreich für Juden öffneten, konnte lokale Verbundenheit zum Teil konfessionelle Unterschiede überlagern und verbindend wirken. Neben der Zugehörigkeit auf regionaler Ebene – ausgedrückt durch die Erforschung der „eigenen“ Lokalgeschichte – waren es der klassische höhere Bildungsweg und die erfolgreiche Militärlaufbahn, die deutschgesinnten Juden die Teilhabe in konservativen Kreisen sichern sollten. Die judenfeindliche Diskriminierung im Militär schuf ein Problem, da der Erwerb von männlicher Ehre durch den höheren Militärdienst unter Monarchisten bedeutend war. Dabei offenbart sich eine ambivalente Position: Wenngleich der Parlamentarismus häufig zugunsten einer starken personellen Führung und einem Staat auf der Basis von privilegierten Eliten abgelehnt wurde, machten sich jüdische Konservative demokratische Neuerungen zu Nutze, um über ihre Vertreter im Reichstag eine Öffnung im Militär anzuregen.

„War, 1914–1918“ beleuchtet jüdische Soldaten, die die Kriegsteilnahme als integrative Chance begriffen. Der Autor vertritt die These, die „Judenzählung“ von 1916 habe in der Sekundärliteratur mehr Empörung ausgelöst, als im historischen Geschehen (S. 77–78, Fußnote 23). Zumindest für die hier porträtierten Feldrabbiner und höherrangigen Soldaten verzeichnet er die positive Bezugnahme auf eine überkonfessionelle Frontgemeinschaft. An prominenter Stelle berieten Rabbiner gar den Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte im Osten. Die Befreiung der osteuropäischen „Glaubensbrüder“ von russischer Herrschaft wurde als Wohltat propagiert und die Jiddisch-sprachigen Einwohnern des Ansiedlungsrayons von jüdischen Deutschen aus dem Bodenkulturverein als ein deutsches Bollwerk gegen das Slawentum im Osten stilisiert. Nielsen merkt an, dass die Begegnungen von den Soldaten und Einwohnern an der östlichen Front selten so idealisiert brüderlich verliefen. Vielmehr herrschte unter den deutschen Juden häufig Abscheu gegenüber der Armut und dem Elend der osteuropäischen Juden.

Da sich die Militärlaufbahn der konservativ Orientierten häufig als Erfolg darstellte, wurde die geteilte Fronterfahrung als positive Einheit gegenüber dem antisemitischen Phantasma der „jüdischen Drückeberger“ in der Heimat positioniert. Das Ende des Ersten Weltkrieges und der Monarchie war für rechts-konservative jüdisch Deutsche mit Angst vor Statusverlust und Trauer um die elitistische Ordnung verbunden. Hinzu gesellten sich Scham aufgrund der Kriegsniederlage und Furcht vor revolutionärer Gewalt. Gerade in der frühen Weimarer Republik wurde das einigende Kriegserlebnis entgegen der „neuen Unordnung“ verklärt.

Nielsen beweist eine profunde Kenntnis der schnelllebigen Geschichte in der Weimarer Republik. „Turmoil, 1918–1924“ und „Struggle, 1924–1929“, beschreiben die vielschichtigen politischen Partizipationsmöglichkeiten von deutschgesinnten Juden aber auch antijüdische Ausschlusstendenzen. Ein besonderes Beispiel stellt die Teilnahme von jungen Juden an konterrevolutionärer Gewalt dar, wenngleich die Zahl der Partizipierenden verschwindend gering blieb. Die traditionalistische Verachtung der Linken aufgrund ihres propagierten Antimonarchismus, sowie der Nähe der SPD zur Arbeiterklasse und Gewerkschaften, teilten hingegen viele konservative Juden.

Beide Kapitel widmen sich dem Engagement des jüdischen Veteranenbundes. Unter Berufung auf die Kriegsteilnahme jüdischer Soldaten und ihre deutsche Ehre engagierte sich der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gegen öffentliche antisemitische Anfeindungen. Seine Zusammenarbeit mit dem Stahlhelm und Kyffhäuserbund zum Entwurf eines nationalen Ehrenmals der Gefallenen, aber auch die wiederkehrenden Forderungen nach einem „Arierparagraphen“ von Ortsgruppen innerhalb des Stahlhelms machen deutlich, wie spannungsreich die Kooperation von jüdischen und nicht-jüdischen Konservativen war.

Für konservative Juden wurden Teilhabemöglichkeiten zunehmend vom Antisemitismus in Parteien und Organisationen abhängig. Ihre Heimatszugehörigkeit gründeten sie nicht auf einem biologischen Determinismus, die ideelle Grundlage bildete keine staatsbürgerrechtliche Gleichheit, sondern die Zugehörigkeit zur deutschen Gemeinschaft wurde durch die individuelle Ausübung von Plichten erworben. Je mehr „das deutsche Volk“ in den Fokus rechter Politik rückte, desto wichtiger wurde es, die Mitgliedschaft in der „Volksgemeinschaft“ auszuhandeln. Der Verband nationaldeutscher Juden vertrat die deutlichste Position: Ein jüdischer Stamm sollte, neben Stämmen wie den Sachsen oder Bayern, Teil „der Deutschen“ sein.

Unter „Descent, 1929–1935“ klingt an, dass konservative Juden bis zuletzt ein Arrangement mit weiteren rechten Kreisen, insbesondere alten Militärs, für möglich hielten und die dynamischen Veränderungen von der alten Rechten zum Aufstieg der NSDAP unterschätzten. Allerdings waren es nur wenige Akteure, die sich zum Teil von der „revolutionären Wendung“ angezogen fühlten. Die Prägung aus der bündischen Jugend oder der vertretene Militarismus ließen in ihren Augen die neue staatspolitische Zuspitzung auf militärische Disziplin und die Autorität des Führerprinzips positiv erscheinen. So bestanden bis 1935 deutschgesinnte Juden beharrlich darauf, dass Jude-sein und Deutsch-sein zusammengehöre. Das Zugehörigkeitsgefühl zur „deutschen Heimat“ wurde ihnen letztlich geraubt.

Nielsens Strategie, deutsche Konservative und Rechte durch eine „jüdische Linse“ (S. 3) zu betrachten, geht auf. Unvoreingenommen und mit Fingerspitzengefühl – davon zeugen insbesondere die eloquente Einleitung und der sensible Epilog – widmet er sich diesem Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte. Die untersuchten Beispiele geben dem Autor recht: „That these Jews’ dreams of being accepted as fully German remained unfulfilled and instead turned into a nightmare is something they shared with German Jews of differing political persuasions. Yet their aspirations deserve to be remembered. They speak to a history of alternative paths sought that have since been forgotten.” (S. 21) Die Arbeit ist besonders lesenswert, da ihr eine akribische Quellenrecherche zugrunde liegt, die zitierten Erinnerungen und Briefwechsel sind faszinierende Funde. Bedauerlicherweise wurde der Fußnotenapparat unnötig in die Länge gezogen. Straffung hätte Platz für weitere Einblicke in die Primärquellen geschaffen. Dies schmälert jedoch in keiner Weise, dass „Between Heimat and Hatred“ äußerst lehrreich ist, zum Nachdenken anregt und das Interesse an weiteren Publikationen von Philipp Nielsen weckt.

Anmerkungen:
1 Siehe Ulrich Dunker, Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, 1919–1938. Geschichte eines jüdischen Abwehrvereins, Düsseldorf 1977; Matthias Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden, 1921–1935, Köln 2003; Miriam Rürup, Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten, 1886–1937, Göttingen 2008.
2 Vgl. George L. Mosse, The Influence of the Völkisch Idea on German Jewry, in: Max Kreutzberger (Hrsg.), Studies of the Leo Baeck Institute, New York 1967, S. 81–114; Carl J. Rheins, German Jewish Patriotism, 1918–1935. A Study of the Attitudes and Actions of the Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, the Verband nationaldeutscher Juden, the Schwarzes Fähnlein, Jungenschaft, and the Deutscher Vortrupp, Gefolgschaft deutscher Juden, unveröff. Dissertation, SUNY 1978.
3 Siehe Michael Wildt, Die Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte, Berlin 2019, insb. S. 47–65.