Der vorliegende Tagungsband versammelt zwölf Beiträge aus Wissenschaft und (Kultur-)Praxis. Zusammenarbeit, so die Herausgeber, werde gegenwärtig meist in ihren Ergebnissen beleuchtet, unter finanziellen wie organisatorischen Gesichtspunkten thematisiert und evaluiert und auf ihre ethischen Dimensionen hin diskutiert. Mit dem Anspruch, über solche Perspektiven hinauszugehen, rücken die Autor/innen des Bandes in ihren Beiträgen hingegen den praktischen Vollzug trans- und interdisziplinärer Forschung in den Mittelpunkt ihrer Reflexionen und machen darüber hinaus Zusammenarbeit zum Gegenstand sozial- und kulturanthropologischer Analysen. So verspricht eine ethnografische Öffnung des allgegenwärtigen Zusammenarbeits-Imperativs durch die Zusammenschau konkreter Bedingungen und struktureller Einbettungen, neue förderpolitische wie wissenschaftsorganisatorische Einblicke bereitzuhalten.
Den Anfang macht der programmatische Beitrag Situierte Modellierung. Ethnographische Ko-Laboration in der Mensch-Umwelt-Forschung von Jörg Niewöhner. In Abgrenzung zu innerhalb der Anthropologien gängigen Modi des Zusammenarbeitens, Kollaboration sowie Kritik, schlägt der Autor ko-laborative Formen der Zusammenarbeit vor: „zeitlich begrenzte und ergebnisoffene, gemeinsame epistemische Arbeiten über verschiedene wissenspraktische Gemeinschaften hinweg“ (S. 27) mit dem Ziel, den eigenen Denkstil systematisch zu irritieren. Dadurch weite sich der Bereich der potentiellen Ko-Laborationen auf Felder aus, die dezidiert nicht die eigenen intellektuellen und politischen Positionen vertreten. Am Beispiel von Modellierung in der Mensch-Umwelt-Forschung illustriert Niewöhner, wie ko-laboratives Arbeiten einerseits zu einer Weiterentwicklung von Modellen und andererseits zur Generierung „wichtige[r] Fragen an die Sozialanthropologie“ (S. 48) beiträgt.
In ihrem Beitrag Autonomie und Zusammenarbeit. Zur zeitlichen Dimensionierung kooperativer Fotografie und Stadtforschung arbeiten Cécile Cuny, Alexa Färber und Sonja Preissing anhand des Projekts Itinéraire HafenCity (2014) die Produktivität zweier zeitlicher Modi heraus, die bislang selten explizit als Ressource für gemeinschaftliches Arbeiten anerkannt und mitgedacht werden: Erstens, beschreibt die Verdoppelung von Zeit Koppelungsmomente, bei denen sich Teilnehmer/innen während der gemeinsamen Arbeit zeitgleich an einem individuellen Projekt widmen, beispielsweise die Fotografin, die während des Projekts auch Fotos für andere Ausstellungsprojekte schießt. Zweitens, verstehen die Autorinnen unter Ausdehnung der Zeit Ausgründungsmomente für zukünftige, weitere und andere Kooperationen, unter anderem Antragsstellung oder die Planung von fortführenden Projekten.
Points of View. Kritische Reflexion einer transnationalen Museumskooperation titelt das Kapitel von Jacqueline Grigo, in dem sie die Museumskooperation zwischen dem Uganda National Museum in Kampala, dem Igongo Cultural Center in Mbarara (Westuganda) und dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich beleuchtet. Dabei stellt die Autorin die Frage, inwieweit Kooperation auf „Augenhöhe“ stattfindet. Aus einer praxeologischen Perspektive problematisiert Grigo die Frage nach angenommenen „kulturellen Differenzen“ im Prozess der Kooperation und verweist auf Ungleichheiten desselben durch Vorurteile und reproduzierte Dominanzmanifestationen (S. 105). Schließlich plädiert sie für eine reflexive Haltung der Akteur/innen in weiteren Museumskooperationen.
Im Beitrag Zusammenarbeit als Übersetzungskunst wirft Judith Laister einen Blick auf das künstlerische Feld. In ihrem Werkstattbericht zur Forschung in partizipativen Kunstprojekten wird Zusammenarbeit als Versprechen an und in urbane/n Räumen beleuchtet. Die Autorin thematisiert, wie durch einen „Einsatz von Übersetzungsmomenten die Atmosphäre von Stadträumen, […] Wir-Versprechen oder ethischen Interessenbekundungen“ (S. 134) Beziehungen über soziale Differenzen hinweg hergestellt werden sollen. Mit Bourdieu wählt sie dabei eine bewährte theoretische Linse zur Beschreibung dessen, wie partizipative künstlerische Praktiken nur bedingt entgegen der Stratifizierung sozialen Raums wirkmächtig werden und Zusammenarbeit stiften können.
Im Kapitel Tandemforschung im Fotoarchiv liefert Franka Schneider Ein[en] Bericht aus dem Interdisziplinären Projekt »Foto-Objekte«, welches den Umgang mit Fotografien in Archäologie, Ethnologie und Kunstgeschichte miteinander zu vergleichen sucht. Dabei dient die Tandemforschung in verschiedenen Bildarchiven als praktische Vergleichsfolie, durch die nicht nur der unterschiedliche Inhalt der Fotografien, sondern ebenso disziplinäre Differenzen im Umgang mit ihnen an die Oberfläche gebracht werden. Die Analyse der infrastrukturellen Einbettung von Fotos in Form unterschiedlicher Archive und darin ermöglichten Archivnutzungen spiegelt sich in gemeinsamen Ausstellungsprojekten, welche gleichermaßen als Forschungswerkzeug sowie als Repräsentation von Forschungsergebnissen zu verstehen sind.
Der darauffolgende Beitrag, BLOCH – eine kollaborative Praxis. Prozess- und Partizipationskunst aus dem Appenzellerland von Johannes M. Hedinger beschreibt ein partizipatives Kunstprojekt, bei der ein riesiger Fichtenholzstamm – der Bloch – in einer Prozession vom Dorf Urnäsch nach Herisau und zurück gezogen und anschließend versteigert wird. Das Projekt adaptiert diese Tradition und schickt den Bloch auf eine Weltreise in unterschiedliche Interaktions- und Interpretationskontexte. Auf jeder Station soll dabei eine neue Bloch-Tradition durch Einbettung in lokale Traditionen entstehen, initiiert von beiden Künstlern und begleitet von Performances unterschiedlicher Akteure. Das Projekt versteht sich als kollaborative „Organisations- und Ermöglichungskunst“ bei der die partizipativen Produktions- und Postproduktionsprozesse im Vordergrund stehen und die Künstler sich durch Abgabe eines Großteils der Kontrolle vor allem als Initiatoren, Dokumentaristen und Beobachter verstehen.
Im Kapitel Schleudertrauma. Forschendes Lernen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst widmen sich Oliver Becker und Torsten Näser dem Aushandlungsprozess einer Theaterstückentwicklung zwischen dem Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität und dem Jungen Theater Göttingen. Dabei verstehen die Autoren diesen Aushandlungsprozess als „contact zone“, in dem die zwei „Wissensmilieus”, Theater und Universität, aufeinandertreffen. Die Autoren arbeiten Spannungsmomente dieses Experimentierens mit Wissenstransfer und Darstellungsformen heraus: Obwohl Dokumentationstheater und Kulturanthropologie das grundlegende Anliegen teilen, Selbstverständlichkeiten zu erforschen (S. 196), bieten insbesondere die sozialen Bedingungen, „in denen sich Wissen materiell, räumlich, vor allem aber performativ sowie prozessual formiert“ (S. 199), Konfliktpotential.
Im Beitrag Ein Studiengang als transdisziplinäres Projekt berichten Irene Vögeli und Patrick Müller über das Zusammenarbeiten in der Lehre am Beispiel des Master of Arts in Transdisziplinarität an der Züricher Hochschule der Künste. Der Hauptteil des Kapitels bespricht vier im Rahmen des Studienganges abgeschlossene Masterprojekte, welche die praktischen Komplexitäten im Versuch der Umsetzung eingangs theoretisch beleuchteter Transdisziplinarität illustrieren. Ihr Schluss, es handele sich bei Transdisziplinarität in der Kunst um eine sich kontinuierlich entwickelnde „vielstimmige Suchbewegung“ und gemeinsame reflektierende Praxis statt um ein lehrbares Forschungsprinzip, wird hierdurch auf unmittelbare Art und Weise plausibel.
Der Artikel Kooperation, Kollaboration und Komplizenschaft von Nina Hälker beschäftigt sich mit der Frage nach Formen der Zusammenarbeit im Projekt FindingPlaces. Hamburg sucht Flächen für Flüchtlingsunterkünfte. Im Zuge der Debatten über die Unterbringung von Flüchtlingen zielte das Projekt darauf ab, Bürger/innen in den Prozess der Flächensuche miteinzubeziehen. Hälker analysiert die unterschiedlichen Formen von Zusammenarbeit in verschiedenen Abschnitten des Projekts sowie die dem Konzept von Partizipation inhärenten Machtstrukturen und zeigt auf, wie Teilhabe hier bereits vorstrukturiert ist, weshalb letztlich nur einem sehr engen Kreis Mitsprache gewährt wird.
Der Erforschung von Kooperation als Konzept und Interaktionsform widmen Nina Wolf und Yelena Wysling ihr Kapitel Kooperation für ein ›gutes Leben‹ trotz Demenz. Kulturwissenschaftliche Einblicke in die Praxis des Case Managements bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Sie differenzieren die Bedeutungsdimensionen des Kooperationsbegriffs in Grundlagendokumenten des „Netzwerk Case Management Schweiz“ entlang von empirischen Beobachtungen in einer städtischen Beratungsstelle. Ihren Fokus legen sie dabei auf die Handlungs- und Autonomieverständnisse, die mit dem Kooperationsbegriff und der Praxis des Case Managements transportiert werden.
Im vorletzten Kapitel beschreibt Flavia Caviezel die Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteure im multi-lokalen Forschungsprojekt „Times of Waste“ als Ökologische Form der Zusammenarbeit. Anhand von Smartphones wird sichtbar, an welchen Stellen des Herstellungsprozesses dieses scheinbar „einfachen“ Objekts welche Formen (und Unmengen) an Abfall entstehen und wie komplexe globale Verflechtungen dabei greifbar werden. Caviezel diskutiert die infrastrukturellen, epistemischen und methodischen Herausforderungen dieser gemeinsamen Arbeit und schildert, wie die Perspektivenvielfalt der diversen Wissenszugänge Eingang findet in Formen der Repräsentation, die die Differenzen zwischen den Perspektiven nicht zugunsten einer gemeinsamen, linearen Erzählung auflösen. Vielmehr werden die Rezipient/innen dazu befähigt, sich aktiv am Prozess des Wissensgenerierens zu beteiligen.
Im finalen Beitrag Zwischen Vertrag und Vertrauen. Zur Bedeutung der Kooperationsbeziehung in deutsch-chinesischen Wissenschaftskollaborationen thematisiert Tina Paul Erfahrungen bi-nationaler Forschungsprojekte. Sie stellt dabei entstehende Spannungen durch unterschiedliche Verständnisse von Hierarchien, Forschungskulturen und Kommunikationsstilen heraus. Darüber hinaus entstünden große Herausforderungen auf der Ebene von Beziehungen zwischen Forschungspartner/innen entlang der Trennlinie zwischen Grundlagenforschung und angewandter Wissenschaft. Erstens, käme zwischenmenschlichen Beziehungen in ersterer eine zentrale Rolle zu, während sich letztere durch ein Verständnis eines formalen Vertrages auszeichne (S. 364). Dieser Unterschied erkläre sich, laut Paul, durch unterschiedliche Zielsetzungen: wissenschaftlicher Fortschritt einerseits und ökonomischer Nutzen andererseits. Zweitens, stelle Vertrauen eine weitere zentrale Herausforderung dar. Dieses speise sich vor allem aus Publikationen und Zugehörigkeit zu bestimmten Netzwerken.
In der Gesamtschau gewähren die Beiträge einen breit gefächerten Einblick in unterschiedlichste Formen der Zusammenarbeit. Bemerkenswert ist die differenzierte Situierung des Versprechens der Zusammenarbeit, die sich in allen Beiträgen wiederfindet. So vermittelt der Band einen fundierten Eindruck davon, wie Zusammenarbeit je nach Kontext unterschiedlich imaginiert und umgesetzt wird. Die zentrale Rolle und Bedeutung der jeweiligen Bedingungen und spezifischen Kontexte, welche konkrete Arbeitsformen ermöglichen, werfen die Frage nach den jeweiligen Effekten konkreter Modi der Zusammenarbeit auf und problematisieren sie zugleich. Wie welche Effekte in einzelnen Kontexten des Zusammen Arbeitens hervorgebracht werden und verstanden werden können, bleibt hier notwendigerweise offen und sollte zukünftig Gegenstand weiterer Reflexionen sein.
Diese Rezension des Laboratory: Anthropology of Environment - Human Relations, Humboldt-Universität zu Berlin, wurde kollaborativ erstellt.