B. Hasselhorn u.a. (Hrsg.): Vom Olymp zum Boulevard

Cover
Titel
Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte?


Herausgeber
Hasselhorn, Benjamin; Knorring, Marc von
Reihe
Prinz-Albert-Forschungen. Neue Folge 1
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 297 S.
Preis
€ 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Morgenstern, Otto-von-Bismarck-Stiftung

Die „Prinz-Albert-Studien“ firmieren unter neuer Herausgeberschaft seit 2017 unter dem Reihentitel „Prinz-Albert-Forschungen“ bzw. „Prince Albert Research Publications“. Diese „Neue Folge“ markiert einen Wechsel im Vorstand der Gesellschaft. Bedeutet sie auch eine inhaltliche Neuaufstellung? Der hier anzuzeigende erste Band wird dem äußeren Anspruch insofern gerecht, als er ein Bündel von Aufsätzen aus der „neuen Monarchieforschung“ versammelt. Zwar gehören die Autoren bis auf wenige Ausnahmen (etwa die Herausgeber) nicht zu den jüngeren Vertreter/innen dieser Forschungsrichtung1, sondern stammen aus jener Historikergeneration, in der unterschiedliche Lesarten des „deutschen Sonderwegs“ das Feld bestimmten. Aber: Innerhalb dieser Kohorte zählten sie nicht zu den Verfechter/innen einer gesellschaftsgeschichtlichen Normabweichung in der deutschsprachigen Mitte Europas. Vielmehr sind sie profilierte Stimmen einer sine ira et studio den Blick auf den europäischen Kontext werfenden Gruppe. Diese Perspektive macht sich auch der vorliegende Band zu eigen.

Hasselhorn und von Knorring meinen es ernst mit dem Postulat einer „neuen Monarchiegeschichte“ als einem neugierigen Zugriff auf altbekannte Bestände der Politik-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte, das machen starke Schlagworte im Titel wie in der Einleitung deutlich. „Uneingeschränkt“ und „vorbehaltlos“ wollen sie die hier vorgelegten Forschungen wahrgenommen wissen. Dieser Wunsch wird allgemein mit Neuerscheinungen verbunden und man gönnt es auch diesen Herausgebern. Es ist aber anzunehmen, dass das allgemeinhistorische Potenzial dieser „Richtung“ wegen der vermeintlichen thematischen Engführung durch die Titelgebung von den Großwetterlagen der Zunft in Deutschland noch eine Weile übersehen werden wird. Denn nach dem Schwenk von der Gesellschaftsgeschichte von Klassen und Schichten (fast ohne den Adel und wenn, dann mit Distanz gegenüber dem Hautgout der Reaktion) zu einer Kulturgeschichte mit kaum greifbaren Rändern und einer Globalgeschichte, die in ihren kolonialhistorischen Fragestellungen gegenwärtig im Übergang zur Minority- und Diskriminierungsgeschichte begriffen zu sein scheint, ist die Fokussierung auf eine (zunächst) vordemokratische, weiße Herrschaftselite bei Science-Slams nicht eben preisverdächtig. Und doch hat die „neue Monarchiegeschichte“2 Aufmerksamkeit verdient, denn die Sozialformation (Hoch-)Adel wird durch sie über bloße Binnenperspektiven auf Individuen oder einzelne Häuser hinaus immer wieder mit den Entwicklungen der Gesellschaften und Nationen der aufziehenden Moderne rückgekoppelt.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, spannt der Band einen breiten thematischen und zeitlichen Bogen. Zunächst führen vier Aufsätze den/die Leser/in durch grob umrissene Phasen der Monarchiegeschichte von den Revolutionen des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Dass Monarchie und Aufklärung nicht überall in den französischen Fundamentalkonflikt geraten mussten, sondern Sakralität und aufgeklärte Bürgerlichkeit als work in progress harmonisiert werden konnten (Josef Johannes Schmid, S. 11–34), ist ebenso wie die „Domestizierung“ der Monarchie im Laufe des 19. Jahrhunderts (Jes Fabricius Møllers, S. 35–45) in ganzen Bibliotheken niedergelegt. In der konzisen Zusammenschau liest man den Gang der Entwicklungen dennoch mit Gewinn.

Das gilt insbesondere für den chronologischen Fortgang im 20. Jahrhundert: das in Überblicken weitgehend unerschlossene Feld des Überdauerns der Monarchien in der Moderne. Benjamin Hasselhorn (S. 47–60) prüft, wie sich die These vom Monarchie(n)sterben am Ende der Weltkriege mit einer über Deutschland und Österreich geweiteten verfassungsgeschichtlichen Empirie in Einklang bringen lässt: Zwar setzte die Sowjetunion in ihrem Besatzungsbereich regierende Fürsten gleich in Reihe ab (Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und Albanien; in Italien erfolgte die Abschaffung 1946 per Volksentscheid), aber die Monarchien des Westens blieben allesamt bestehen. Hasselhorns wichtigster Punkt knüpft hier an: Während sich diese konstitutionellen Monarchien immer stärker parlamentarisierten, das heißt nach dem gängigen normativen Konzept von liberaler Moderne: demokratisierten, trat an den entthronten Staatsspitzen Ostmitteleuropas das genaue Gegenteil ein. Ein Ende der Monarchie heißt bis in die unmittelbare Gegenwart mitnichten Demokratisierung. Marc von Knorring liefert im Anschluss einen Überblick über das Gewicht der Monarchen in den jeweiligen politischen Systemen der letzten 75 Jahre (S. 61–80). Nur „Moderatoren und Medienstars“ macht er in ihnen nicht aus. Sie waren in ganz unterschiedlichem Grad stets auch „Politiker“, am stärksten die absoluten Herrscher des Vatikans, Monacos und Liechtensteins, allesamt Gebieter über Länder der Größe des Fürstentums Reuß älterer Linie, allerdings mit einer Finanzmacht eines gut geölten Schweizer Kantons unserer Tage. Aber bei den übrigen acht oder neun Regenten blieb tatsächliche (gelegentliche) Wirkmächtigkeit wie in den ersten beiden Jahrzehnten der Regentschaft Elisabeths II. oder dem des jungen Juan Carlos die Ausnahme, wobei „freilich differenziert werden“ (S. 78) müsse.

Mit Eberhard Straub (Hohenzollern, S. 83–99), Frank-Lothar Kroll (Romanows, S. 101–124), Matthias Stickler (Habsburger, S. 125–155) und Dieter J. Weiß (Wittelsbacher, S. 157–174) legen arrivierte Kenner gewissermaßen Enzyklopädie-Beiträge über die Spätphasen ihrer am Ende des Ersten Weltkriegs abgesetzten jeweiligen Leib- und Magen-Dynastien vor. Georg Eckert widmet sich den Skandalen der britischen Monarchie (S. 175–219), wobei seine „Präliminarien“ (bis S. 185) an den Überblickscharakter der vier vorangegangenen Aufsätze anschließen. Der von der Frühen Neuzeit ins 21. Jahrhundert führende Text ist in sich eine kleine Monographie, die ihr Thema souverän vermisst und mit der nachvollziehbaren These schließt, die britische Monarchie sei ein „permanentes Schauspiel […], zu dessen Beliebtheit die Tugendhelden ebenso beitragen wie die moralischen Schurken“ (S. 219).

In ihrem Hauptteil hätten Eckerts Studien eher in die letzte Abteilung des Buches gehört, die sich „Begründungsstrategien monarchischer Herrschaft“ widmet. Man könnte formulieren, dass hier auf Fallbeispiele übergeordnete Synthesen folgen. Eine solche liefert Hans-Christof Kraus (S. 223–240), auch wenn er seinen Aufsatz über „Idee und Problem der ‚Volksmonarchie‘ in Deutschland“ zurückhaltend „Skizze“ nennt. In Folge der aufklärerischen Neupositionierung der europäischen Monarchien als Staatsamt, dem Niedergang des traditionalen Herrschaftsverständnisses und der Neubestimmung des Staatsvolkes als Gemeinschaft von politisch Gleichberechtigten seien im 19. Jahrhundert vier „Neuformulierung[en] des Verhältnisses zwischen Monarch und Volk“ auszumachen: Die Herrscherhäuser wirkten entweder als patriarchalische, als soziale, als konstitutionell-parlamentarische oder als demokratische Monarchie. Kraus dekliniert diese Modelle durch und lässt von Haller bis Naumann die zeitgenössischen Theoretiker zu Wort kommen. Der berühmte Vernunftrepublikaner Meinecke spricht am Ende von einem jede (Volks-)Monarchie tragenden „Mysterium“, ohne das die „innere Autorität“ der Institution Monarchie nicht denkbar sei und dessen etwaiger Verlust nicht kompensiert werden könne. Hans-Joachim Schoeps war in den 1950er-Jahren einer der letzten seriösen Denker, der Möglichkeiten einer Neuerrichtung der Monarchie in Deutschland auslotete, deren Erfolg nach seinen Erkundungen letztlich eher am Mangel „jener historischen Weihe der alten Monarchie“ (Meinecke) als an staatsrechtlichen Problemen scheiterte.3

Volker Sellin schließt mit der „Nationalisierung der Monarchie“ mit einem ganz ähnlichen Thema an (S. 241–253), das er bereits in Buchform untersucht hat.4 In den beiden Napoleons macht er wichtige Taktgeber dieser Entwicklung aus, aber auch die nationale Einigung unter einem Monarchen in Italien und Deutschland bekommt seine Aufmerksamkeit. Hier hätten Ausblicke auf die neuen monarchischen Nationalstaaten des Balkans erwähnt werden können. Zuletzt liefert Franz-Reiner Erkens einen umfangreichen Beitrag über den Wandel der religiösen Herrschaftsbezüge der Monarchie (S. 255–294), der in der Breite der Überlegungen unschwer als Abschlussvortrag der dem Band zugrunde liegenden Tagung zu erkennen ist. Dieser beschloss eine „übergreifende Fragestellungen“ überschriebene Sektion, und genau so ist er auch zu lesen. Der Mediävist Erkens beginnt nicht mit einem römischen Kaiser, sondern mit Ernst-Wolfgang Böckenförde und er endet mit Wilhelm II. und Thomas Nipperdey. Seine erschöpfend annotierten Ausführungen streifen die vorneuzeitlichen Traditionen der göttlichen Herrschaftsbegründung nur, im Wesentlichen handelt er im 19. Jahrhundert bzw. in dessen unglücklicher Verlängerung bis in die „Stahlgewitter“ des Ersten Weltkriegs. Sie bedeuteten für die mittelstaatlichen Verlierer des Krieges das „unwiderrufliche Ende des ohnehin untergehenden Gottesgnadentums“, allerdings habe das Phänomen der religiösen Herrschaftslegitimierung in den politischen Religionen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts „noch einen eigenen Ausdruck“ (S. 294) gefunden. Formulierungen wie diese machen den erkenntnisreichen Text ungemein lesenswert.

Ein Fazit ist am Ende nicht leicht zu ziehen. In ihrer Summe sind die in ihrem Umfang stark differierenden Aufsätze jeweils State of the Art der Forschung und das Buch wirkt „rund“. Auch wenn natürlich weitere Dynastien und Fragestellungen hätten behandelt werden können, hat man nicht das sich bei Tagungsbänden gelegentlich einstellende Gefühl, ein der unterschiedlich ausgeprägten Abgabemoral der Autoren geschuldetes Mixtum compositum in der Hand zu halten. Der gediegen aufgemachte Band reiht sich zweifellos in die eingangs erwähnte „neue Monarchiegeschichte“ ein. An manchen Beiträgen wird man zukünftig nicht vorbeigehen wollen. Das gilt etwa für den Text Georg Eckerts und die schöne Aussage: „Massenmedien in der Massengesellschaft dulden nämlich nur gebrochene Helden.“ (S. 176)

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu zuletzt Frank Lorenz Müller, Royal Heirs in Imperial Germany: The Future of Monarchy in Nineteenth-century Bavaria, Saxony and Württemberg, London 2017, ders., Die Thronfolger. Macht und Zukunft der Monarchie im 19. Jahrhundert, München 2019.
2 Die definitorischen und inhaltlichen Interdependenzen zur stärker sozial- und geschlechter- als politikgeschichtlich ausgerichteten „Adelsgeschichte“ neueren Zuschnitts (in Tübingen hat Ewald Frie unter dem Titel „Europäische Adelsgeschichte“ eine Reihe von einschlägigen Arbeiten betreut) sind zu klären. Die diesbezüglichen Theoriegebäude müssen einstellige Stockwerkzahlen nicht überschreiten, denn Adel und Monarchie gehören per se zusammen, auch wenn es adlige Lebenswelten und Traditionsstränge ohne verfassungsmäßige Garantien in parlamentarischen Demokratien gibt, in der Schweiz seit Langem und in Frankreich auch seit bereits rund 230 Jahren.
3 Vgl. dazu Hans-Christof Kraus, Eine Monarchie unter dem Grundgesetz? Hans-Joachim Schoeps, Ernst Rudolf Huber und die Frage einer monarchischen Restauration in der frühen Bundesrepublik, in: Hans-Christof Kraus / Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.): Souveränitätsprobleme der Neuzeit. – Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages, Berlin 2010, S. 43–69.
4 Volker Sellin, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011.

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