V. R. Berghahn: Journalists between Hitler and Adenauer

Cover
Titel
Journalists between Hitler and Adenauer. From Inner Emigration to the Moral Reconstruction of West Germany


Autor(en)
Berghahn, Volker R.
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 277 S.
Preis
£ 38.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Requate, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Volker R. Berghahn gehört sicherlich zu den renommiertesten unter den in den Vereinigten Staaten lehrenden Deutschlandhistoriker:innen. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte des Kaiserreichs, der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte sowie in den deutsch-amerikanischen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen. Nun hat er ein Buch zur Geschichte von Journalist:innen „zwischen Hitler und Adenauer“ vorgelegt – einem Feld, das bislang nicht zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählte. Dies muss kein Nachteil sein: Zuweilen kann ein Blick von außen, eine neue Herangehensweise an ein Thema, durchaus erfrischend sein und neue Perspektiven öffnen. Das lässt sich von Berghahns Buch allerdings leider nicht behaupten. Die Art und Weise – man weiß nicht recht, ob Unbedarftheit oder Naivität der richtige Begriff dafür ist –, mit der er sich seinem Gegenstand nähert, kann nur als ein Ärgernis bezeichnet werden.

Berghahn befasst sich im Wesentlichen mit der Lebensgeschichte von drei sehr bekannten Journalist:innen: Paul Sethe, Hans Zehrer und Marion Gräfin Dönhoff. Die drei stehen für ihn jedoch nicht nur für sich selbst, sondern gleichsam stellvertretend für eine ganze Generation von Journalist:innen – eine von ihm konstruierte „Generation of ‘32“ (S. 174). Der Autor räumt ein, dass die drei fokussierten Personen nicht im engeren Sinne repräsentativ seien, weist ihren Lebensläufen aber auch mit Hinweisen auf Ernst Jünger, Margret Boveri und Henri Nannen, die er gleichfalls dieser Generation zurechnet, einen mehr als nur individuellen Charakter zu. Bezeichnend ist, dass er in seiner kurzen Auseinandersetzung mit dem Generationenbegriff zwar auf verschiedene Konzeptionalisierungen eingeht – die „45er“, die „68er“, die „Flakhelfergeneration“, die „skeptische Generation“ –, dabei aber ausgerechnet Michael Wildts „Generation des Unbedingten“ unerwähnt lässt. Mit diesem Begriff erfasst Wildt bekanntermaßen jenen nach der Jahrhundertwende geborenen Personenkreis, aus dem sich die Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes rekrutierten und dort maßgeblich an der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus (NS) beteiligt waren.1 Vom Alter her korrespondiert Berghahns Konzept mit eben jener „Generation des Unbedingten“ und so drängt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Konzepte unmittelbar auf. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Frage, was eine vermeintliche „Generation of ‘32“ ausmache, findet jedoch gar nicht statt.

Der zentrale Begriff, mit dem Berghahn das Agieren der drei untersuchten Journalist:innen als Vertreter:innen einer „Generation of ‘32“, zu erfassen versucht, ist derjenige der „inneren Emigration“. Berghahn geht kurz auf den Entstehungskontext des Begriffs ein, bleibt dabei aber sehr reduktionistisch. Er zitiert den Schriftsteller Frank Thiess, der sich 1946 in eine bereits laufende Auseinandersetzung zwischen den Schriftstellern Walter von Molo und Thomas Mann um den Wert der während des NS in Deutschland entstandenen Literatur und über die Frage der Deutungsmacht über diese Zeit einschaltete. Von Molo hatte in einem Brief an Thomas Mann diesen und andere emigrierte Schriftsteller aufgefordert, nach Deutschland zurückzukehren. Ein wichtiges Argument bildete in diesem Zusammenhang die Behauptung, „das deutsche Volk“ habe im Wesentlichen mit dem NS nichts gemein gehabt. Die Emigrant:innen, so das Argument, würden also in eine gewissermaßen intakte Gesellschaft zurückkehren. Von Molo wie auch Thiess sprachen es in dieser Kontroverse Emigranten wie Thomas Mann ab, sich überhaupt über die Zeit des Nationalsozialismus zu äußern, da sie die schwere Bürde des „Dritten Reiches“ nicht hätten erleben müssen. Sie hätten sich in dieser Zeit an „Badeorten“ aufgehalten und das Geschehen in Deutschland von ihren „Logen- und Parkettplätzen“ aus beobachten können. Berghahn zitiert Thiess zwar, geht aber nicht weiter auf die dahinterstehende Polemik ein. Letztlich machte der Begriff der „inneren Emigration“ nicht nur die in Deutschland gebliebenen Schriftsteller:innen zu den eigentlichen Opfern des Nationalsozialismus. Vielmehr ermöglichte es das Konzept, dass sich im Grunde fast alle Deutschen darin wiederfinden konnten. In der Tat waren sowohl Thiess als auch von Molo unter der NS-Herrschaft nicht wohlgelitten – von Molos Theaterstücke wurden nicht mehr gespielt und Bücher von Thiess waren zum Teil verbrannt und verboten worden. Allerdings hatten sich beide ausdrücklich zum Nationalsozialismus bekannt und fühlten sich dennoch als dessen Opfer. Entscheidend ist nun weniger die Frage, wie groß die innere Distanz der beiden zum Nationalsozialismus tatsächlich war, als vielmehr die Tatsache, dass sie mit dem Begriff der „inneren Emigration“ ein Interpretationsangebot machten, das die deutsche Gesellschaft insgesamt für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Emigrant:innen wurden damit als „Drückeberger“ gegenüber jenen heroischen Deutschen abgewertet, die den Nationalsozialismus zu erleiden gehabt hätten.

Wenn Berghahn nun den Begriff auf Journalisten wie Paul Sethe und Hans Zehrer anwendet, knüpft er an genau dieses Angebot an. Dass Berghahn Marion Gräfin Dönhoff mit in die Gruppe einbezieht, ergibt ohnehin wenig Sinn, da sie ihre journalistische Karriere erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufnahm. 1933 war sie noch im Studium, 1934 ging sie nach Basel und ab 1939 verwaltete sie die ostpreußischen Güter ihrer Familie. Paul Sethe und Hans Zehrer waren dagegen bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten etablierte Journalisten, aber auch ihre Lebenswege lassen sich ansonsten kaum in einem Atemzug nennen. Sethe war bis zu deren Verbot im Jahr 1943 Redakteur der Frankfurter Zeitung und wechselte anschließend zum Völkischen Beobachter. Selbst wenn dieser Wechsel nicht ganz freiwillig geschah, ist die Vorstellung, dass ein Redakteur des Parteiorgans der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) in der „inneren Emigration“ gewesen sein soll, schwer erträglich und nicht zu belegen. Die Artikel, in denen Sethe ohne jeden Zwischenton für das Regime Propaganda betrieb, sprechen eine klare Sprache. Die Annahme, dass dies alles nicht so gemeint gewesen sei, beruht auf einer ideologischen Setzung und nicht auf Nachweisen. Die Tatsache, dass Sethe von den Widerständlern des 20. Juli dafür vorgesehen war, an die Spitze der wieder zu gründenden Frankfurter Zeitung zurückzukehren, verschaffte ihm ebenso die Aura des Nazigegners wie die schlichte Setzung, dass ein führender Redakteur einer bürgerlichen und ehemals liberalen Zeitung per se Distanz zum Nationalsozialismus gehabt haben muss. Sethes Selbstdarstellung tat sein Übriges.

Hans Zehrers Verhältnis zum Nationalsozialismus ist komplexer und kann an dieser Stelle nur angedeutet werden: Ursprünglich Redakteur bei der liberalen Vossischen Zeitung übernahm er 1929 die Leitung der Zeitschrift Die Tat und machte sie zu einem der publizistischen Zentren eines neuen rechten, antidemokratischen und gegen die Weimarer Republik gerichteten Denkens. Ende 1932 wurde er zum Anhänger des „Querfrontkonzeptes“ Kurt von Schleichers und Gregor Strassers und zog damit zunächst die Gegnerschaft des neuen Regimes auf sich. Dies lag aber nicht an einer grundsätzlich oppositionellen Haltung zur NSDAP. Vielmehr nutzte er die Tägliche Rundschau, deren Leitung er im September 1932 übernommen hatte, dazu, sich unmissverständlich zu Hitler und zu dessen Politik zu bekennen. Erst als er damit scheiterte, auf diese Weise zurück in eine einflussreiche Position zu gelangen, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, ohne Kontakt mit Gesinnungsgenossen, die im „Dritten Reich“ Karriere gemacht hatten, aufzugeben. 1941 übernahm er schließlich die Leitung des Verlages Gerhard Stalling, der insbesondere militaristische und regimenahe Literatur herausbrachte. Wenn Zehrer sein „Schicksal“ beklagte, lag dies nicht an einer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, sondern schlicht daran, dass er 1932 aufs falsche Pferd gesetzt hatte und ihm dadurch eine Position verwehrt blieb, die er für sich als angemessen ansah.

Berghahn erhebt mit seinem Buch nicht nur den Anspruch, mit dem Begriff der „inneren Emigration“ eine adäquate Beschreibungskategorie für das Verhalten der drei untersuchten Personen zu liefern. Ausgehend von dem Beispiel der Journalist:innen geht es ihm um mehr: Mit dem Begriff soll das Verhalten der Deutschen im Nationalsozialismus in einem umfassenden Sinn beschrieben werden. Der Autor hat eine klare Zielgruppe für sein Ansinnen vor Augen, nämlich die amerikanischen Studierenden. Diese wüssten zwar, dass es im „Dritten Reich“ einige wenige Widerständler:innen gegeben hätte, glaubten aber, dass der Rest der deutschen Bevölkerung Nazis gewesen und dies bis zum bitteren Ende geblieben seien. Mit dem Begriff der „inneren Emigration“ möchte er gewissermaßen Raum für Differenzierungen in der Haltung der Deutschen gegenüber dem Nationalsozialismus schaffen.

Nun wird niemand bestreiten, dass solche Differenzierungen notwendig sind. Es gibt eine breite Literatur, die auf der einen Seite unterschiedliche Abstufungen von latent resistentem bis aktiv widerständigem Verhalten beschreibt. Auf der anderen Seite gibt es eine noch deutlich umfassendere Literatur, die zeigt, wie sich die Angehörigen vieler Berufsgruppen darin überboten, sich dem Regime anzudienen und ihre Handlungsspielräume im Zweifel zugunsten eines vermuteten Führerwillens zu nutzen. Ob der Begriff der „inneren Emigration“ innerhalb dieses breiten Spektrums eine Analysekategorie ist, die reaktiviert werden sollte, erscheint mehr als zweifelhaft. Berghahns Buch liefert dafür keine Argumente. Zehrer hatte innerhalb des äußersten rechten Spektrums schlicht eine Linie vertreten, die sich nicht durchgesetzt hatte. Mit einer grundsätzlichen Distanz zum Nationalsozialismus hatte dies nichts zu tun. Noch widersinniger erscheint die Zuschreibung der „inneren Emigration“ in Bezug auf Paul Sethe. Wenn ein Journalist, der im Sinne der Nationalsozialisten schrieb und sogar für deren Parteiorgan tätig war, in der „inneren Emigration“ war, dürfte es kaum einen Deutschen gegeben haben, der dies nicht für sich hätte in Anspruch nehmen können. Hier schließt sich der Kreis zu der Kontroverse zwischen Thomas Mann und seinen nicht emigrierten Schriftstellerkollegen. Die Behauptung von Molos, dass das deutsche Volk „im Kern intakt“ geblieben sei, basiert letztlich auf der Vorstellung, die Deutschen hätten die Nazizeit in ihrer übergroßen Mehrheit in Distanz zum Regime verbracht. Sicher würde Berghahn eine solche Position zurückweisen; dennoch führt sein Ansatz genau in diese Richtung. Zehrer und Sethe auf der Basis ihres Verhaltens im NS als Wegbereiter eines „moralischen Wiederaufbaus“ zu präsentieren, wie Berghahn dies tut, verschlägt einem schlicht den Atem.

Abschließend erscheint noch eine Anmerkung zum Verlag und der Werbepraxis für das Buch. Norman Domeier hat in seiner ausgezeichneten Besprechung bereits seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, dass ein renommierter Verlag wie Princeton University Press ein so verstörendes Buch herausbringt.2 Dazu sei ergänzt, dass gerade hier die Praxis insbesondere amerikanischer (aber auch anderer) Verlage, von Kolleg:innen eingeholte Werbetexte auf die Rückseite drucken zu lassen, problematisch ist. Wenn sich ein hoch geschätzter und bekannter Kollege wie James Retallack für einen solchen Werbetext für dieses Buch hergibt, kann man dies achselzuckend als freundliche, aber sonst wertlose Praxis abtun. Man kann es aber auch als Teil eines Systems sehen, das dazu beiträgt, unhinterfragt die Deutungsmacht von Netzwerken zu festigen.

Anmerkungen:
1 Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002; Vgl. die Rezension von Susanne Benöhr-Laqueur, in: H-Soz-Kult, 04.02.2003, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-3265 (27.05.2021).
2 Vgl. Norman Domeier, Rezension zu: Volker R. Berghahn, Journalists between Hitler and Adenauer. From Inner Emigration to the Moral Reconstruction of West Germany, Princeton 2019, in: German Historical Institute London Bulletin 41 (2019), 2, S. 155-160; DOI: 10.15463/rec.2064343181 (27.05.2021).

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